Kapitel 2: Wetter ist nicht gleich Klima
Wetter und Klima sind unterschiedliche Phänomene. Leider werden die beiden Begriffe oft gleichgesetzt, oder auch verwechselt.
Unter Wetter verstehen wir den momentanen, also kurzfristig-aktuellen physikalischen Zustand der bodennahen Atmosphäre, den wir aktiv fühlen und miterleben können. Der Zeitraum für ein Wettergeschehen überdeckt typischerweise eine Spanne von nur wenigen Stunden bis zu ungefähr 10 bis 14 Tagen. Wettervorhersagen beziehen sich stets auf einen bestimmten Ort oder eine begrenzte Region, vielleicht auch noch auf ein nicht allzu großes Land. Wetter wird beschrieben durch meteorologische Zustandsgrößen wie Temperatur, Sonnenscheindauer, Regen- und Unwetterwahrscheinlichkeit, Hoch- und Tiefdruckgebiete, Bewölkung, Schnee, Eisglätte, Hagel, Wind und Sturm. Im Gegensatz zum Klima ist das Wetter stochastisch und wird stark durch Zufälligkeiten beeinflusst. Deswegen ist die Vorhersage des Wetters auch schwieriger als die Klimavorhersage.
Wir müssen uns damit abfinden, dass das Wettergeschehen nicht mehr so ist wie noch vor 200 oder 250 Jahren, weil sich die Rahmenbedingungen für das Wetter verändert haben - und zwar durch unser Tun.
Dagegen charakterisiert Klima den statistisch gemittelten Zustand der Atmosphäre in einem sehr großen Gebiet, häufig über die gesamte Erde betrachtet. Darüber hinaus beschreibt Klima das Geschehen über einen sehr langen Zeitraum hinweg – von 30 Jahren als Normalperiode bis hin zu vielen Jahrhunderten, ja sogar Jahrtausenden. Es wird durch statistische atmosphärische Eigenschaften beschrieben, wie Mittelwerte und Anstiegsraten von Temperaturen, Zusammensetzung der Atmosphäre und Häufigkeiten von Gasen, insbesondere von Spurengasen, Andauerverhalten und durch meteorologische Extremwerte. Wir merken den Klimawandel unter anderem auch an unserem Wetter. Er kann aber nicht für jedes auffällige Wetterextrem verantwortlich gemacht werden.
Wetterdaten können also nicht als Klimadaten interpretiert werden. Umgekehrt erlauben klimatische Trends keine Auskunft über ein örtliches Wettergeschehen und seine Veränderung innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen. Meteorologen sind in der Regel auch keine Klimaforscher, auch wenn es sicher Ausnahmen gibt. So kenne ich einige Meteorologen aus meiner Region, deren Ansichten zum anthropogenen Klimawandel sich noch vor wenigen Jahren kaum von denen der Klimaskeptiker unterschieden. Unter den Klimaforschern findet man überwiegend Physiker, Chemiker, Mathematiker, Statistiker und (Meeres-)Biologen, die üblicherweise im Team arbeiten.
Es ist also nicht zulässig, von zwei oder drei gemessenen Jahres-Mitteltemperaturen in einem bestimmten Land auf die Tendenz des globalen Klimas zu schließen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Jahr im Durchschnitt etwas kälter ausfällt als das Jahr davor oder danach. So wären selbst die heißen Sommer der Jahre 2015 bis 2018, für sich allein gesehen, noch kein eindeutiger Beleg dafür, dass wir uns mitten in einer exponentiellen Erderwärmung befinden. Andererseits sprechen auch zwei oder drei kalte Winter hintereinander mit viel Schneefall, Eis und Minustemperaturen (Bild 3) nicht gegen die Existenz des menschgemachten Klimawandels. Ich kann mich noch gut an meine Schulzeit erinnern, als wir Kinder vor gut 70 Jahren in den Weihnachtsferien vor unserem Haus die Skier anschnallten und damit über tief verschneite Straßen, Straßenbahnschienen, Äcker, Wiesen und Felder zu einem größeren Hügel in der Umgebung liefen, ohne die Skier nur ein einziges Mal abschnallen zu müssen. Doch zwei Jahre oder drei später war es dann an Weihnachten wieder so mild, dass wir eine Schnur von Haus zu Haus quer über die Straße spannten und in Shorts Federball spielten.
Maßgebender Beweis für die Existenz einer realen Erderwärmung ist der ansteigende Langzeitverlauf der Temperatur über mehrere Jahrzehnte hinweg, auch wenn die Kurve im einen oder anderen Jahr einen vorübergehenden Temperaturrückgang aufweist (Bild 4). Tatsache ist, dass die durchschnittliche weltweite Temperatur-Anstiegsrate zwischen 1956 und 2005 mit etwa 0,13 °C je Jahrzehnt fast doppelt so groß war wie die im zwei Mal längeren Zeitraum von 1906 bis 2005. Unbestritten ist, dass die Erderwärmung seit einigen Jahrzehnten erheblich schneller verläuft als in allen uns bekannten Erwärmungsphasen der Erde in den vergangenen Jahrtausenden. Dies gilt vorzugsweise für die Nordhalbkugel. So gilt das Jahr 2023 mit einem globalen Anstieg von 1,45 °C als das bisher wärmste Jahr seit Beginn der systematischen Temperaturmessungen.
Während sich seit Beginn der regelmäßigen exakten Temperaturmessungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Klima bis heute, Landgebiete mit Ozeanen zusammengenommen, bis jetzt (Ende 2023) um 1,45 °C über das Niveau von 1850 bis 1900 erwärmt hat, gelten für reine Landgebiete deutlich höhere Werte. Der Grund dafür ist, dass sich die Weltmeere (Bild 5) aufgrund ihres großen Volumens und ihrer hohen Wärmekapazität deutlich langsamer erwärmen als die Kontinente, obwohl sie - u.a. nach Aussage des schwedischen Klimaforschers und Direktors des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström - über 90 % der zusätzlichen Energie, die zwischen 1971 und 2010 das Erdsystem erwärmt hat, aufnehmen. Allein die oberen 10 m der Weltmeere speichern so viel an Wärmeenergie wie unsere gesamte Atmosphäre! Mit ein weiterer Grund für die schwächere Erwärmung der Meere ist ihre starke Verdunstung, die abkühlend wirkt. Die Oberflächentemperaturen der Ozeane schwanken von Jahr zu Jahr weniger als die atmosphärischen Temperaturen und geben so die laufende Zunahme der von der Menschheit produzierten Treibhausgase noch besser wieder als die Lufttemperaturen. Außerdem speichern sie seit Beginn der Industrialisierung etwa 30 % aller menschgemachten CO2-Emissionen (Götze, 2018), mildern den Klimawandel also weiter ab. Sie tun dies umso effizienter, je kälter das Wasser ist. Dass sich die mittlere globale Erderwärmung bisher (2023) auf "nur" 1,45 °C beschränkt, verdankt die Menschheit also hauptsächlich den Meeren. Mit Abstand stellen sie das größte Wärme-Reservoir im Klimasystem dar. Doch es gibt schon erste Anzeichen dafür, dass sich weiterhin erwärmenden Ozeane den Klimawandel nicht für alle Zeiten abmildern. So hat beispielsweise das östliche Mittelmeer nach neueren Messungen bei Wassertemperaturen von über 30 °C im Sommer über das gesamte Jahr gesehen nicht nur kein weiteres CO2 aufgenommen, sondern sogar mehr davon freigesetzt als es aufnahm. Es ist zu einer CO2-Quelle geworden. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich drei bisher bekannte Meeresgebiete (Ostpazifik vor der US-Küste, eine Meeresregion südlich von Grönland, ein Gebiet im Südmeer) im Gegensatz zu den meisten Meeresoberflächen nicht oder nur weniger stark erwärmen, zumindest wenn man den Zeitraum ab 1980 betrachtet. Die Wissenschaft kennt den genauen Grund dafür noch nicht. Möglich ist, dass die Ursache dieser wenigen "kalten Zungen" eine vergleichsweise starke Verbindung mit der sehr kalten Tiefsee ist. Und noch eine weitere Ursache für eine nachlassende CO2-Aufnahmekapzität einiger Meere kennt die moderne Wissenschaft: durch auftauende Permafrostschichten entlang von Küsten könnte Kohlenstoff ins Meer gelangen (mehr dazu in Kapitel 8).
Könnte die gesamte in den Meeren gespeicherte Wärme in die Atmosphäre entweichen, würde die Erdtemperatur um durchschnittlich 36 °C ansteigen! Auf die Weltmeere als wirkungsvolle und im hohen Maße schützenswerte Senke für CO2-Emissionen wird in Kapitel 12 ausführlicher eingegangen.
Weil die gewaltigen Wassermassen der Ozeane als starke Wärmepuffer und CO2-Senken auf den Kontinenten fehlen, kommt es auf Landgebieten im Vergleich zum globalen Erdmittelwert zwangsläufig zu einem stärkeren Temperaturanstieg. Doch der Temperaturanstieg ist je nach den örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich. In bestimmten Regionen Deutschlands wird heute beispielsweise bereits eine Temperaturerhöhung von etwa 4 bis 6 °C über dem vorindustriellen Niveau festgestellt.
Online am 26. April 2021; erfolgte Aktualisierungen am: 1.2.2023, 22.7.2023, 1.10.2023, 24.3.2024, 15.7.2024, 29.8.2024
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Kapitel 3: Der Treibhauseffekt und die Treibhausgase
Warum es im Gewächshaus wärmer ist
Betritt man ein Gewächshaus, stellt man sofort fest, dass es drinnen wärmer ist als draußen. Die Temperaturunterschiede können je nach Witterung und den örtlichen Gegebenheiten beträchtlich sein. So erinnere ich mich noch gut an die Zeit, als ich Landschildkröten pflegte und züchtete. Die wärmeliebenden Reptilien hatten in ihrem Sommer-Freigehege als Schutzhütte ein Doppelglas-Gewächshaus zur Verfügung. An heißen wolkenlosen Hochsommer-Nachmittagen stieg darin die Innentemperatur oft auf 50 °C und mehr, so dass ich das Dach weit öffnen und das Gewächshaus insgesamt abschatten musste, um die Tiere vor einem Hitzestress oder gar einem Hitzetod zu bewahren.
Der Prozess, der zur Erwärmung des Gewächshauses führt, ist der sogenannte Treibhauseffekt, ein lange bekannter Vorgang. Die kurzwellige Sonnenstrahlung gelangt durch das Glas ins Innere und erwärmt dort den Bodengrund. Der warme Boden gibt die Wärme in Form der langwelligen Wärmestrahlung (Infrarotstrahlung) ab. Diese langwellige Strahlung kann aber nicht mehr ohne Weiteres die Glaswände passieren. Zum großen Teil wird sie an ihnen reflektiert und erwärmt den Innenraum und den Boden zusätzlich. Und zwar so lange, bis sich ein Energiegleichgewicht einstellt.
Ein ähnlicher Vorgang spielt sich auch im Großen, auf der Erde, ab, wobei an die Stelle der Glaswände als Barriere bestimmte Spurengase in der Atmosphäre, die Treibhausgase, treten. Diese Gase, in erster Linie das hier schon mehrmals erwähnte Kohlendioxid (chem. CO2), lassen zwar die energiereiche Sonnenstrahlung im sichtbaren kurzwelligen Bereich relativ ungehindert durch, behindern aber die langwellige Wärmeabstrahlung. Dadurch verbleibt mehr Sonnenenergie an der Erdoberfläche und erwärmt diese stärker als es ohne Treibhausgase der Fall wäre.
Die Differenz zwischen Ein- und Abstrahlung an der oberen Grenze der Atmosphäre, in Watt je Quadratmeter (W/m2) gemessen, ist der sogenannte Strahlungsantrieb. Ist dieser positiv, was durch den Ausstoß von Treibhausgasen durch die Menschheit der Fall ist, erwärmt sich die Erde so lange, bis sich ein neues thermisches Gleichgewicht einstellt. Allerdings bewirken einige Schadstoff-Emissionen, wie Schwefeldioxid und Feinstaub bzw. Ruß, eine Senkung des Strahlungsantriebs. Denn durch diese Substanzen erhöht sich das Rückstrahlvermögen der Erde, die sogenannte Albedo. Da in diesem Fall mehr einfallendes Sonnenlicht reflektiert wird, erreicht entsprechend weniger Sonnenenergie den Erdboden. Es überwiegen jedoch die Prozesse, die den Strahlungsantrieb erhöhen. Eine gewollte Verschmutzung der Erdatmosphäre wäre also trotzdem keine gute Idee, allenfalls ein Studienszenario für den Physikunterricht in Schulen.
Nachfolgend für Leser, die sich speziell für den Treibhauseffekt der Erde interessieren, einige Hauptdaten zur Energiebilanz unseres Planeten (Bild 6):
Die Sonne strahlt mit 1.368 W/m2 (= Solarkonstante) in Richtung Mitte der sonnenzugewandten Seite der Erde. Da die Erde immer zur Hälfte im Schatten liegt, treffen im Durchschnitt nur 25 % davon, also rund 340 W/m2, auf die obere Atmosphäre auf. Von dieser Energiemenge werden
Von den ankommenden 340 W/m2 absorbiert der Erdboden somit nur 161 W/m2.
Die von der Erdoberfläche abgegebene langwellige Infrarotstrahlung beträgt 398 W/m2. Davon werden letztlich 239 W/m2 ins Weltall abgestrahlt. Die Zahl 0,6 W/m2 links unten in Bild 6 ist der Energieüberschuss (Ungenauigkeitsbereich: 0,2 - 1,0 W/m2).
Dieser Treibhauseffekt ist Voraussetzung für alles Leben auf der Erde. Würde die Erdoberfläche nämlich gerade so viel Energie abstrahlen wie sie an Solarstrahlung erhält, wäre unser Planet eine lebensfeindliche Eiskugel mit einer mittleren bodennahen Temperatur von - 18 °C. Nur durch die Absorption der langwelligen Wärmestrahlung durch die atmosphärischen Spurengase stellt sich eine behagliche weltweite Bodentemperatur von durchschnittlich etwa + 15 °C ein. Der natürliche Treibhauseffekt bewirkt also eine Temperaturerhöhung von insgesamt 33 °C. Und: Schon eine relativ geringe Erhöhung der CO2-Konzentration in der Luft hat eine messbare Temperaturerhöhung zur Folge.
Das große Problem ist nun seit seit mehr als 150 Jahren die zunehmende Verstärkung dieses natürlichen Treibhauseffektes durch uns Menschen.
Vergleich: Der Treibhauseffekt auf der Venus
Auf unserem inneren Nachbarplaneten, der in ihrer Größe etwa mit der Erde vergleichbaren Venus, ist die Situation anders. Der Grund ist die Zusammensetzung der Venusatmosphäre. Denn deren extrem dichte Gashülle besteht zu etwa 96 % fast nur aus CO2 (Erde: 0,0421 % - siehe Tabelle 1), der mittlere Druck an der Venusoberfläche liegt bei 90 bar (Erde: 1 bar), die mittlere Bodentemperatur beträgt etwa 475 °C.
Eine Besonderheit der Venus ist ihre hohe Albedo, denn ihre dichte, für optische Geräte undurchdringbare Atmosphäre strahlt etwa 78 % des ankommenden Sonnenlichts sofort wieder ins Weltall zurück (Albedo der Erde: etwa 30 %). Nur rund 22 % der Sonnenstrahlung erreicht so die Venusoberfläche und erwärmt sie. Trotz der höheren Energiedichte durch den kürzeren Abstand zur Sonne und trotz des Fehlens von wärmespeichernden Meeren würde man deshalb auf den ersten Blick vermuten, dass es auf der Venus kälter als auf der Erde sein müsste. Doch an der hohen Venus-Oberflächentemperatur zeigt sich die außerordentlich starke Wirkung des (natürlichen) Treibhauseffektes.
Da die Erdatmosphäre um mehrere Größenordnungen weniger Treibhausgase als die Gashülle der Venus enthält, drohen der Menschheit trotz des anthropogenen Klimawandels derart extrem hohe Temperaturen zum Glück nicht. Doch auch eine Temperaturerhöhung der Boden-Durchschnittstemperatur durch menschliche Aktivitäten um nur wenige Grad wird die Lebensbedingungen für Menschen, Fauna und Flora massiv verschlechtern (siehe Kapitel 7).
Die Erderwärmung infolge des anthropogenen, also des menschbewirkten zusätzlichen Treibhauseffektes, ist schon lange bekannt. Der französische Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Fourier (1768 - 1830) beschrieb 1824 in einem Artikel den Treibhauseffekt, allerdings ohne den Begriff selbst explizit zu verwenden. Mehr als 70 Jahre später, im Jahr 1896, sagte der schwedische Nobelpreisträger, Physiker und Chemiker Svante Arrhenius (1859 - 1927) in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung (Bild 7) eine weltweite Erderwärmung durch anthropogene Treibhausgase voraus, vorrangig durch CO2. Lediglich mit Hilfe von Rechenschieber, Bleistift und Papier kam er damals zu der Erkenntnis, dass eine Verdoppelung der atmosphärischen CO2-Konzentration zu einem weltweiten Temperaturanstieg von 4 - 6 °C führt. Damit lag er, wie wir heute wissen, zwar etwas zu hoch, aber auch nicht allzu falsch. Doch jahrzehntelang wurden seine Erkenntnisse kaum ernst genommen. Svante Arrhenius selbst, übrigens ein Cousin der Ur-Ur-Urgroßmutter der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg, bewertete die von ihm berechnete Temperaturerhöhung eher positiv.
Jedenfalls weiß die Wissenschaft seit über 120 Jahren um die Zusammenhänge zwischen CO2 und dem Klima.
Die anthropogenen Treibhausgase
(a) Kohlendioxid (CO2)
Dieses aus zwei Sauerstoffatomen und einem Kohlenstoffatom bestehende Spurengas in der Atmosphäre ist das häufigste anthropogene Treibhausgas. Tabelle 1 zeigt, dass alle Spurengase der Erdatmosphäre zusammen nicht einmal 1 % ausmachen. Das geruchs- und farblose unbrennbare CO2 entsteht bei der Verbrennung fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle, Heizöl, Benzin, Diesel, Kerosin), also z.B. im Straßen-, Luft- und Seeverkehr, in Gießereien, in Haushalten, bei der Strom- und Wärmeerzeugung und vor allem bei der industriellen Produktion. Man kann also sagen, dass unser Klimaproblem in erster Linie ein Energieproblem ist. Bei den auf mehreren Kontinenten vermehrt auftretenden großflächigen und lang andauernden Waldbränden werden ebenfalls erhebliche Mengen CO2 freigesetzt, und zwar innerhalb kürzester Zeit. Allerdings wird nur so viel an Klimagas frei, wie die verbrannten Bäume in ihrem Leben im Rahmen der Photosynthese an CO2 „veratmet“, d.h. zu Kohlenstoff (C) umgesetzt haben. Deswegen gilt Holz in der Langzeitbetrachtung als „klimaneutraler“ Brenn- und Baustoff. Eine radikale Abholzung kann allerdings zur Zustandsverschlechterung der Wälder führen, was dazu führt, dass die noch stehenden Bäume weniger oder gar keinen Kohlenstoff mehr in ihre Biomasse binden (siehe Kapitel 11). Und Wald- und Holzbrand und Verfeuerung in den Öfen setzt schlagartig das über lange Jahre der Umgebung entnommene CO2 wieder frei - und verschärft so den Treibhauseffekt.
Mitunter wird behauptet, dass bei Vulkanausbrüchen größere Mengen an Kohlendioxid freigesetzt werden und das Klima belasten. Dies stimmt jedoch nicht, ganz angesehen davon, dass Vulkangase natürliche und keine menschgemachten Klimagase sind, die es zu reduzieren bzw. zu vermeiden gilt. Sie enthalten zwar neben Wasserdampf, Schwefeldioxid, Asche, Schwefelwasserstoff, Salzsäure und Fluorwasserstoff auch Kohlendioxid, aber in eher unbedeutenden Mengen. Alle Vulkane auf der Erde zusammen stoßen heute nämlich jährlich lediglich 200 bis allenfalls 300 Mio. t CO2 aus. Dies ist weniger als 1 % der jährlichen globalen CO2-Emission durch die Verbrennung fossiler Energieträger durch die Menschheit.
Tabelle 1: Zusammensetzung der bodennahen Erdatmosphäre in Vol.-%
Stickstoff, N2 78,08 %
Sauerstoff, O2 20,9 %
Argon, Ar 0,93 %
Spurengase incl. der ≤ 1 % (davon CO2 am 19.4.2022 =
anthropogenen Treibhausgase 0,0420 %, am 13.7.2024 schon 0,0427 % nach Messungen des Mauna-Loa-Observatoriums auf Hawaii)
Zu den Spurengasen zählt z.B. auch Wasserdampf (H2O) als natürliches klimawirksames Gas; sein mittlerer Anteil beträgt etwa 0,25 %; er schwankt je nach Höhe über dem Boden (allein in den untersten 15 km um vier Größenordnungen), der Temperatur und der Tages- und Jahreszeit.
Viele Leser dieser Abhandlung mögen über den aktuell mit 0,0427 % (genauer Wert am 13.7.2024 nach den täglichen aktuellen Veröffentlichungen der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA): 427,37 ppm) relativ geringen Anteil von CO2 in der Luft überrascht sein. Doch wenn die Erdatmosphäre auch nur vergleichsweise wenig CO2 enthält, bedeutet dies keinesfalls, dass kein oder nur ein geringer Einfluss auf das Klima besteht. Wie wir noch sehen werden, schaden selbst geringe Erhöhungen dem Klima. Ein Vergleich mit der menschlichen Körpertemperatur von durchschnittlich 36,5 °C bietet sich an: Bereits bei einer Temperaturerhöhung um 2,5 °C hat der Mensch hohes Fieber, eine Körpertemperatur ab 40 °C kann sogar zum Tod führen.
Kohlendioxid ist aus drei Gründen wichtigstes fossiles Klimagas. Erstens, es ist wie schon erwähnt das am häufigsten vorkommende Treibhausgas. Weltweit machte CO2 im Jahr 2018 nahezu 65 % aller Treibhausgase aus (in Deutschland 85 %, im Jahr 2022 knapp 90 %). Zweitens, es verteilt sich durch Winde und Zirkulationsprozesse weltweit um den gesamten Erdball und reichert sich nicht etwa dort an, wo es entsteht. Es wird auch dort nachgewiesen, wo kein CO2 emittiert wird, z.B. an den Polen. Wer also glaubt, man schütze das Klima dadurch, dass man alte Fahrzeuge in östliche Länder oder nach Afrika verkauft oder tausende Tonnen von Abfallstoffen außerhalb Deutschlands verbrennen lässt, unterliegt einem Irrtum. Diese und so manche anderen Praktiken senken zwar die Emissionszahlen für Deutschland, erhöhen dafür aber die anderer Länder. Der dritte Grund ist die lange Lebensdauer von CO2 in der Atmosphäre, in der es keine chemischen Verbindungen eingeht. Das deutsche Umweltbundesamt gab an, dass selbst nach 1.000 Jahren noch 15 bis zu 40 % des einst emittierten Kohlendioxids in der Atmosphäre vorhanden sind und dass es wohl mehrere hundertausende von Jahren dauert, bis alles restlos abgebaut ist. Nach dem bekannten Klima-Wissenschaftler Mojib Latif (Latif, 2020) ist zwar 50 Jahre nach der Einbringung von Kohlendioxid in die Atmosphäre etwa die Hälfte davon wieder verschwunden, aber das nächste Viertel hält sich etwa 1.000 Jahre, das letzte dann noch viel länger.
Auch wenn heute von einem Tag auf den anderen der gesamte CO2-Ausstoß der Menschheit gestoppt werden könnte, würden die globalen Temperaturen aus diesem Grund über mehrere Jahre hinweg trotzdem noch weiter ansteigen (wie lange noch, ist noch nicht zweifelsfrei geklärt). Anders ausgedrückt: Eine Erhöhung der Erdtemperatur ist unabhängig von Gegenmaßnahmen bereits heute vorgegeben und nicht mehr zu verhindern. Die Wissenschaft spricht von einer bereits "eingeschenkten" Erwärmung. Maßgebend sind somit nicht nur die aktuellen Emissionen von heute oder vom letzten oder vorletzten Jahr, sondern die aufsummierten Mengen der vergangenen Jahrzehnte.
Deswegen fordern die Fridays-for-Future-Aktivisten auch zurecht, Maßnahmen für massive CO2-Einsparungen jetzt auf den Weg zu bringen und nicht erst 2030, schon gleich gar nicht erst 2045 oder noch später. Die Ankündigung des indischen Ministerpräsidenten auf dem Klimagipfel im Jahr 2021 in Glasgow, dass sein Land bis 2070 klimaneutral sein will, ist zwar besser als ein „weiter wie bisher“, aber im Grunde nicht zielführend.
Wie in Kapitel 8 noch genauer beschrieben wird, hat die Menschheit zwischen 2009 und 2020 im Durchschnitt jährlich etwa 35 Mrd. t CO2 durch die Verbrennung fossiler Stoffe produziert. Die Weltbevölkerung hat wirklich großes Glück, dass rund die Hälfte davon von den natürlichen CO2-Senken, d.h. den Landregionen und den Weltmeeren, aufgenommen wird. Wäre dies nicht so, wäre die Wirkung des Treibhauseffektes deutlich stärker.
(b) Methan (CH4)
Bei Methan handelt es sich um ein früher eher weniger beachtetes Klimagas. Wie CO2 ist es geruchs- und farblos, entzündet sich aber sehr leicht. Es entsteht dort, wo organisches Material unter Luftausschluss abgebaut wird, also in der Land- und Forstwirtschaft, bei der Massentierhaltung (CH4 bildet sich unter anderem in den Mägen von Rindern und Kühen; etwa 80 % des weltweiten Methanausstoßes werden von den weltweit auf etwa eineinhalb Milliarden geschätzten Wiederkäuern erzeugt; siehe Kapitel 11), in Klärwerken und Mülldeponien. Alle in Mülldeponien abgelieferten Lebensmittelabfälle setzen ebenfalls CH4 frei. Innerhalb der EU ist die Landwirtschaft für etwa die Hälfte der Methanemissionen verantwortlich, der Energiesektor, also die Förderung und der Transport von Erdgas, Kohle und Erdöl, für rund 20 %. Dieser Wert ist aber nur deswegen relativ gering, weil die EU Öl und Gas zu 90 % aus Drittstaaten bezieht und damit die meisten mit der Erzeugung und dem Transport verbundenen CH4-Emissionen dort, also außerhalb der EU entstehen. Weltweit gesehen ist es aber, wie für CO2, für das Klima völlig unerheblich, wo Methan emittiert wird. Deutschland emittierte im Jahr 2022 ca. 45,0 Mio. t CH4 (= 6,07 % Anteil der deutschen Gesamtemissionen), etwas weniger als im Jahr 2021 mit damals 45,7 Mio. t - entsprechend 6,13 % Anteil (UBA, März 2023 und Pressemitteilung Nr. 02/2024 vom 15.1.2024). Doch andere Länder fallen durch wesentlich höhere CH4-Emissionen auf. Dementsprechend gilt für 2022 für die EU ein CO2-Anteil von 13,5 %, weltweit liegt er sogar bei 21 % (EDGAR, 2023 Report).
Bis vor Kurzem war die genaue Herkunft vieler Methanemissionen unbekannt. Man ging davon aus, dass CH4 unbemerkt aus vielen Öl- und Erdgas-Verarbeitungsanlagen und Groß-Gasleitungen entweicht. Mit Hilfe des im Jahr 2018 gestarteten europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-5P war es im Jahr 2021 möglich, allein in den Jahren 2019 und 2020 weltweit ungefähr 1.800 große Methanlecks nachzuweisen, aus denen stündlich jeweils mindestens 25 t CH4 entweichen. Hauptverschmutzerland ist Turkmenistan, das allein für jährlich 1,3 Mio. t Methan verantwortlich ist, noch vor Russland mit etwa 1 Mio. t pro Jahr. Mit Abstand folgen auf den nächsten Plätzen der CH4-Hauptemittenten die USA, Iran, Kasachstan und Algerien. Dank der satellitengestützten Nachweise ist es nun möglich, das weithin praktizierte Verklappen von Erdgas in die Atmosphäre zu limitieren und Pipelines auf Lecks zu kontrollieren. Denn Immerhin 6,5 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen entstehen durch undichte Pipelines und beim Gastransport auf Straße, Schiene und per Schiff.
Neuere Messungen zeigten, dass bei der Förderung von Öl und Gas wesentlich größere Methan-Mengen als bisher angenommen ungenutzt in die Atmosphäre übergehen und das Klima negativ beeinflussen. Nach einem Artikel im Fachjournal Nature entweichen allein in den USA aufgrund der Untersuchung von sechs Förderregionen durchschnittlich 3 % des geförderten Methans ungenutzt in die Umgebung. Dies bedeutet, dass die Menge des entweichenden Methans bei der Förderung und Energieerzeugung noch immer deutlich unterschätzt wird. Sowohl stillgelegte als auch noch aktive Kohleminen sind weitere CH4-Quellen. Allein die Hail Creek Mine, eine der großen Tagebauminen Australiens, emittierte nach der Auswertung von Satellitendaten in den Jahren 2018 und 2019 jeweils schätzungsweise rund 230.000 t CH4, andere Minen im Lande noch mehr.
Methan ist Hauptbestandteil von Erdgas (damit auch von verflüssigtem Erdgas, LNG). Nicht ohne Grund müssen deshalb Gasleitungen regelmäßig auf Leckagen kontrolliert werden. Dass dies beispielsweise in den USA offensichtlich nur im unzureichenden Maße erfolgt, hängt wohl damit zusammen, dass Investitionen in die Gas-Produktionssteigerung für die Betreiber fast immer wesentlich attraktiver sind als der relativ geringe Gewinn aus der Beseitigung von Leckagen. Der Klima-Aspekt spielt dabei offenbar (noch !) keine Rolle...
Auch bei der Verbrennung von Erdgas in Verbrennungsmotoren kann Methan in die Umgebungsluft gelangen (Stichwort: Methanschlupf).
Methan ist nach den von der internationalen Emissions-Berichterstattung verwendeten Treibhausgas-Potentialen über eine Zeitspanne von 100 Jahren nach der Freisetzung mindestens 25 Mal so treibhausgaswirksam wie CO2, d.h., 1 t CH4 hat das gleiche Treibhauspotential wie 25 t CO2. Auf nur 20 Jahren gerechnet ist es sogar 84 Mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid. Somit sind schon geringe Gasleckagen in Gasleitungen und in Gaskraftwerken äußerst schlecht für das Klima. Zum Glück verschwindet CH4 wesentlich schneller aus der Luft als CO2: Schon nach einer Verweildauer von etwa 12 Jahren ist es kaum noch nachweisbar. Reduziert man die Methanemissionen, würde der positive Effekt auf das Klima deshalb relativ schnell sichtbar sein, schneller jedenfalls als bei der CO2-Reduzierung.
Ein Problem ist, dass viele Länder ihre Methanemissionen immer noch nicht oder nicht in ausreichender Höhe erfassen. Dies abzustellen wäre ein erster notwendiger Schritt, wenn es darum geht, CH4-Emissionen künftig zu minimieren. Nach Angaben des Weltklimarats (IPCC) hat sich der jährliche Mittelwert von Methan in der Atmosphäre von 1.760 ppb (ppb = engl. parts per billion = Teile pro Milliarde) im Jahr 2000 auf 1.866 ppb im Jahr 2019 erhöht. Im Jahr 2022 war laut Weltwetterorganisation WMO die globale Methan-Konzentration um mehr als das 2,5-Fache höher als vor der Industrie-Revolution. Die WMO gibt weiter an, dass rund 40 % des weltweiten CH4-Ausstoßes aus natürlichen Quellen stammen, während die Menschheit rund 60 % verursacht (Rinderhaltung und Rinderzucht, Reisanbau, Abbau fossiler Energieträger, Mülldeponien, Biomasseverbrennung usw.).
(c) Lachgas (Distickstoffmonoxid oder Distickstoffoxid, N2O)
Lachgas ist farblos und riecht süßlich. Verwendung findet es als Narkosemittel, Partydroge, als Treibgas in Spraydosen und in Lebensmittelzusätzen.
Auf natürliche Weise entsteht es in Böden und vor allem in Mooren, wenn Mikroorganismen stickstoffhaltige Verbindungen abbauen (bakterielle Nitrifikation). Als anthropogene, also menschgemachte Quellen, gelten bestimmte chemische Prozesse (z.B. die Düngemittelproduktion), die Kunststoffindustrie, die Verbrennung von Biomasse und die intensiv betriebene Landwirtschaft. So stammen in Deutschland rund 78 % aller Lachgasemissionen aus der Landwirtschaft (übermäßige Stickstoffdüngung, Tierhaltung, Gülle, Stallmist). Auch bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren und in Flugzeugen kann N2O entstehen.
Lachgas kommt zwar in der Atmosphäre nur in geringen Spuren vor, doch es besitzt eine relativ lange Lebensdauer von etwa 120 Jahren. Was heute an Lachgas in die Atmosphäre gelangt, wird also noch bis weit in das 22. Jahrhundert hinein zur Erderwärmung beitragen. Nicht nur aus diesem Grund ist es als Treibhausgas nicht zu unterschätzen, zumal es 310 Mal (!) klimawirksamer als CO2 ist.
Laut dem IPCC hat sich die Lachgas-Konzentration in der Erdatmosphäre von 315 ppb (im Jahr 2000) auf 332 ppb (2019) erhöht. Seit 1980 sind die menschgemachten Lachgasemissionen sogar um rund 40 % gestiegen.
(d) F-Gase
F-Gase sind wasserstoffhaltige Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW), Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid (NF3).
Bei HFKW und FKW handelt es sich um Verbindungen von Kohlenstoff und Fluor. F-Gase kommen in der Natur nicht vor, sondern werden für bestimmte Anwendungen (Kältemittel, Treibmittel in Schäumen und Dämmstoffen, Feuerlöschmittel, Bestandteil von Schallschutzscheiben usw.) gezielt industriell hergestellt. Sie haben eine extrem lange Verweildauer in der Atmosphäre und sind deshalb 100 bis 24.000 Mal so klimawirksam wie CO2. Nicht umsonst unterliegen sie einer strengen europäischen und nationalen Reglementierung. Seit dem 1.1.2015 gilt eine EU-Verordnung, nach der die F-Gase bis 2030 gegenüber 1990 um 70 % reduziert werden müssen. Dank dieser Regelungen sind die Emissionen der fluorierten Kohlenwasserstoff-Verbindungen seit einigen Jahren rückläufig.
Das stärkste aller Treibhausgase ist Schwefelhexafluorid, das 24.000 Mal stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als CO2. Das Gas wird für die Industrie hergestellt, z.B. für optische Glasfaserkabel, als Ätzgas in der Halbleiterindustrie und für die Elektroindustrie. Aufsehen erregten im August 2022 einige TV-Berichte, nach denen SF6 in den elektrischen Schaltanlagen von Windkraftanlagen verwendet wird, um dort die Leitungen zu isolieren und damit auszuschließen, dass beim Schalten Lichtbögen entstehen. Normalerweise kann SF6 dort nicht entweichen, weil es in geschlossenen Systemen verwendet wird. Nur wenn die Anlage ein Leck aufweist oder demontiert wird, kann SF6 in die Atmosphäre gelangen. Dies kann durchaus eintreten, weil es für den Abbau der Windkraftanlagen nur die freiwillige Hersteller-Selbstverpflichtung gibt, das Klimagas chemisch zu vernichten. Doch eine gesetzliche Regelung hierzu und eine Kontrolle der Durchführung existiert (noch) nicht. Man kann sich leicht vorstellen, was in der Praxis passiert. Basierend auf Angaben der Hersteller von SF6 sollen zwar nur 0,4 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen Deutschlands von Windkrafträdern stammen, doch unabhängige Universitäten und Behörden kommen auf etwa das Doppelte. Das Ziel muss sein, Windräder als Erzeuger nicht-fossiler Energie künftig nur noch ohne Schwefelhexafluorid zu fertigen und zu betreiben, zumal sich bereits eine umweltfreundliche Alternative bewährt hat, auch wenn sie teurer als die SF6-Lösung ist und größer baut. Werden nämlich Schaltanlagen in Vakuumflaschen verbaut, kann bloße Luft statt SF6 die Isolierung sicherstellen.
Unabhängig davon soll SF6 ab 2030 in Windkraftanlagen verboten werden. Leider bedeutet dies, dass noch weitere Jahre zahlreiche Windkraftanlagen mit SF6 in den Schaltanlagen in Betrieb gehen - mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf das Klima.
Auch bei den immer populärer werdenden strombetriebenen Wärmepumpen als Alternative zu herkömmlichen Holz-, Öl- und Gasheizungen kommt bisher überwiegend HFKW als Kältemittel zum Einsatz. Es zirkuliert in einem geschlossenen Kreislauf. Nur dann, wenn es bei unentdeckten Leckagen austreten sollte, ist das Kältemittel wegen seines hohen Treibhausgas-Potentials umweltschädlich. Mittelfristig dürfte sich aus diesem Grund das natürliche Kältemittel Propan wegen seines deutlich geringeren Treibhausgas-Potentials durchsetzen, zumal Wärmepumpen mit Propan als Kältemittel etwas effizienter sind als die mit fluorierten Kohlenwasserstoffen. Doch auch Propan hat einen Nachteil - seine hohe Brennbarkeit. Aus Sicherheitsgründen muss der Kältekreislauf bei Wärmepumpen mit Propan als Kältemittel deshalb hermetisch dicht sein. Deshalb sind Wärmepumpen mit Propan auch etwas teurer als Wärmepumpen mit HFKW. Ein für 2023 von der Ampelregierung geplanter Förderbonus von zusätzlichen 5 % für Wärmepumpen mit natürlichen Kältemitteln wie Propan dürfte jedoch den Mehrpreis ausgleichen.
Wasserdampf, wichtigstes natürliches Treibhausgas
Die hier beschriebenen vier Treibhausgase (a) bis (d) werden von Menschen emittiert und bewirken den anthropogenen Klimawandel.
Anders sieht es mit Wasserdampf (H2O) aus, ein natürliches Treibhausgas, das vom Menschen nicht beeinflusst werden kann und das beim früheren natürlichen Klimawandel eine große Rolle spielte. Es ist sogar wichtigstes Treibhausgas überhaupt, das jedoch seit Jahrmillionen ein erträgliches Leben auf der Erde erst ermöglicht. Man schätzt, dass Wasserdampf etwa zwei Drittel des natürlichen Treibhauseffektes verursacht und dass sein Beitrag zum natürlichen Treibhauseffekt zwei- bis drei Mal höher ist als der von CO2.
Beim anthropogenen Treibhauseffekt spielt H2O dagegen kaum eine Rolle. Da es nach Tabelle 1 vierthäufigstes Molekül und im Mittel etwa sechs Mal häufiger in der Atmosphäre vorkommt als CO2, spielen Klimaskeptiker und -leugner regelmäßig die Rolle von Kohlendioxid als Haupttreiber des Klimawandels herunter; sie legen dafür den Fokus auf H2O als den angeblichen Hauptverursacher des derzeitigen Klimawandels. Doch diese Vorstellung ist falsch. Der Mensch kann die Konzentration von H2O im Gegensatz zu den anthropogenen Treibhausgasen nicht direkt verändern. Unvorstellbar große Mengen an Wasserdampf, jedes Jahr vergleichbar mit der 20-fachen Wassermenge der Ostsee (Rahmstorf und Schellnhuber, 2019), entstehen zum größten Teil durch Verdunstung über den Meeresoberflächen, gelangen durch Winde in Richtung Land, kondensieren und regnen dort ab. Die mittlere Verweilzeit von Wasserdampf in der Luft beträgt nur etwa zehn Tage.
Geringere Mengen Wasserdampf entstehen auch durch menschliche Aktivitäten wie durch die landwirtschaftliche Bewässerung und durch die Kraftwerkskühlung. Wie schon erwähnt beeinflusst dies allerdings den anthropogenen Treibhauseffekt und damit die Erdtemperatur nur im sehr geringen Maß. Wasserdampf kann auch direkt aus Eis entstehen, z.B. durch starke Sonneneinstrahlung, ohne dass das Eis zuvor schmilzt (Sublimation).
Grundsätzlich ist Wasserdampf also nicht die Ursache des menschgemachten Klimawandels, sondern in begrenztem Umfang eine Folge davon. Denn es ist die Temperatur, die maßgebend dafür ist, wie viel H2O sich in der Atmosphäre befindet. Begründung: Der Mensch erhöht durch sein Tun den massiven CO2-Ausstoß und damit die Temperatur in der Atmosphäre. Eine wärmere Atmosphäre nimmt aber mehr Wasserdampf auf als eine kältere, 7 % mehr je Grad höherer Temperatur. Dadurch wird die Erwärmung weiter verstärkt. Würde die Erdtemperatur unverändert bleiben, könnte der Wasserdampfgehalt nicht steigen – der Kreislauf wäre unterbrochen. Insofern spielt H2O also bei der anthropogenen Erwärmung des Klimas eine gewisse, wenn auch recht geringe Rolle, denn pro Gewichtseinheit wird der Strahlungsantrieb von CO2 etwa 1.000 Mal höher eingeschätzt als der von Wasserdampf, das durch menschliche Aktivitäten in Bodennähe entsteht.
Online am 27. April 2022; erfolgte Aktualisierungen: 20.6.2022, 26.8.2022, 3.9.2022, 14.12.2022, 26.3.2023, 24.3.2024, 16.6.2024
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Kapitel 4: Unterschied zwischen Kohlendioxid und Kohlendioxid-Äquivalent
Wie in Kapitel 3 gezeigt wurde, kommen in der Atmosphäre neben dem anthropogenen Haupttreibhausgas Kohlendioxid (CO2) noch weitere Spurengase vor, die den Treibhausgaseffekt und damit den Klimawandel verstärken.
Diese zusätzlichen Treibhausgase besitzen nicht nur unterschiedliche Verweilzeiten in der Atmosphäre, sondern wirken sich auch unterschiedlich stark auf unser Klima aus. Um einen gemeinsamen Faktor für die Klimawirkung aller Treibhausgase zu bilden, hat der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) mit dem sogenannten globalen Erwärmungspotential (Global Warming Potential, GWP) einen Index definiert, der die unterschiedlichen Erwärmungswirkungen der einzelnen Treibhausgase im Vergleich zu CO2 ausdrückt. Dies heißt, dass die Wirkungen der Treibhausgase in äquivalente CO2-Schadwirkungen umgerechnet und den „reinen“ CO2-Emissionen zugeschlagen werden. Die Einheit dieses „Summenwertes“ wird mit CO2-Äquivalent bezeichnet und mit CO2e abgekürzt.
Da CO2 das wichtigste Treibhausgas ist, besitzt es das Erwärmungspotential GWP = 1,0. Zur Veranschaulichung hier ein fiktives Zahlenbeispiel: Bei einem chemischen Prozess werden gleichzeitig 10 t Kohlendioxid (GWP = 1) und 1 t Lachgas (GWP = 310) freigesetzt. In diesem Fall ist das CO2-Äquivalent
CO2e = 10 x 1 + 1 x 310 = 320 t
Da CO2e alle Treibhausgase umfasst, ist CO2e zahlenmäßig immer größer als CO2 allein. Der Unterschied zwischen CO2e und CO2 ist dann besonders groß, wenn in Relation wenig CO2 und gleichzeitig größere Mengen der anderen Treibhausgase ausgestoßen werden.
Weil die Klimawirkung nicht allein von CO2 bestimmt wird, sollten bei einem Vergleich der Klimagas-Emissionen verschiedener Länder möglichst immer CO2e-Daten verwendet werden sofern diese bekannt sind. Anderenfalls ist es denkbar, dass bei einer Bewertung der Klimaschadwirkung durch Treibhausgase ein Land A mit wenig Industrie (= geringer CO2-Ausstoß), aber intensiver Landwirtschaft (= hoher Ausstoß an Methan, Lachgas und F-Gasen) kritischer gesehen wird als ein Hochindustrie-Land B (= hoher CO2-Ausstoß), in dem die Landwirtschaft eine geringere Rolle spielt. Ein Vergleich der „reinen“ CO2-Emissionen der Länder A und B würde in diesem Fall ein falsches Bild ergeben.
Tabelle 2 zeigt beispielhaft für das Jahr 2020 die durchschnittlichen Gewichtsanteile dieser Gase für Deutschland in Millionen Tonnen CO2e und ihr prozentualer Anteil. Gegenüber dem Jahr davor, 2019, sanken die Treibhausgase in 2020 um 10 %, gegenüber 2018 um knapp 17 % und gegenüber 1990 sogar um 41,5 %. Im Kalenderjahr 2022 machte CO2 89 % der gesamten Treibhausgase aus; es wurden rund 746 Mio. t Treibhausgase freigesetzt.
Tabelle 2: Treibhausgasemissionen Deutschland 2020 (endgültige Werte)
Gas |
Masse in Mio. t |
Anteil % |
Kohlendioxid |
639,38 |
87,2 |
Methan |
49,02 |
6,5 |
Lachgas |
28,18 |
4,6 |
F-Gase |
12,16 |
1,7 |
Summe CO2e |
728,74 |
100 |
Quelle: Umweltbundesamt, Januar 2022
Der Unterschied zwischen CO2e und CO2 war für Deutschland im Jahr 2020 728,74 : 639,38 = 14 %. EU-weit war er mit fast 28 % doppelt so hoch, weltweit liegt er sogar bei 35 %. In Ländern mit sehr intensiven Landwirtschaft und gleichzeitig wenig Industrie weichen CO2e und CO2 ganz erheblich voneinander ab, z.B. um den Faktor 2,6 für Brasilien und um den Faktor 8 für Malawi (die beiden Differenzen für Brasilien und Malawi gelten für das Jahr 2018). Bei Veröffentlichungen von nationalen oder internationalen Klimagasen muss deshalb immer klar sein, ob es sich um CO2-Emissionen oder um CO2-Äquivalente (CO2e) handelt. In gedruckten Artikeln, in Zeitungsbeiträgen und vor allem in Internetseiten wird leider darauf nicht immer geachtet und CO2 und CO2e sogar verwechselt. Vermeidbare Missverständnisse und Falschaussagen sind die zwangsläufige Folge.
Die Abschätzung der Nicht-CO2-Klimagase und ihre Normierung auf die Wirkung von Kohlendioxid ist kompliziert und mit größeren Unsicherheiten verbunden als die Ermittlung der CO2-Emissionen eines Landes bzw. der gesamten Welt allein. Das führte dazu, dass beispielsweise deutsche CO2-Schätzdaten für das Jahr 2020 bereits Mitte März 2021 durch das Umweltbundesamt UBA bekannt gegeben wurden, die detaillierten CO2-Äquivalente (CO2e) sowie die endgültigen CO2-Emissionen aber erst im Januar 2022 folgten. Ähnlich ist dies auch bei anderen Institutionen, die ähnliche Datenwerke herausgeben, wie z.B. dem Joint Research Centre der Europäischen Kommission.
Vorläufige Schätzdaten für die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2021 veröffentlichte das UBA Mitte März 2022, die für 2022 Mitte März 2023.
In Bild 8 sind für jedes Jahr ab 1990 bis 2020 (der Wert für 2020 in dieser Grafik ist geschätzt; der finale Wert betrug 731 Mio. t CO2e) nach dem Stand März 2021 die deutschen Kohlendioxid-Äquivalente in der Einheit Mio. t CO2e nach UBA-Ermittlungen aufgetragen. Die unterschiedlichen Farben in den Balken lassen erkennen, wie viel CO2e jeder Sektor zur Gesamtemission beitrug (Erläuterung unter dem Balkendiagramm). Für 2020 hatte sich Deutschland im Frühjahr 2020 das Ziel von 749 Mio. t CO2e gesetzt, wollte bis 2030 den Ausstoß der Treibhausgase auf 543 Mio t CO2e begrenzen und im Jahr 2045 Treibhausgas-Neutralität erreichen. Dazu die Aussage von Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes UBA: „Um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, brauchen wir daher mehr Energie aus Wind und Sonne, mehr Elektromobilität und eine Wärmewende hin zu erneuerbaren Energien sowie eine grundlegende Transformation der Industrieproduktion. Die ersten Schritte sind dazu getan, jetzt müssen alle Ressorts an die Umsetzung gehen“.
Das Ziel von 749 Mio. t CO2e für 2020 wurde mit dem endgültigen Wert von 731 Mio. t CO2e sogar etwas unterboten, was jedoch hauptsächlich auf die massiven Einschränkungen während der Corona-Pandemie zurückzuführen ist.
Im Jahr 2022 emittierte Deutschland nach der endgültigen Treibhausgasbilanz des UBA vom 15.3.2023 (Pressemitteilung Nr. 11/2023) ca. 746 Mio. t CO2e, 1,9 % weniger als 2021, davon (in Klammern die entsprechenden Emissionen für das Jahr 2021):
Energiewirtschaft = 256 Mio. t (245 Mio.)
Verkehr = 147 Mio. t (146 Mio.)
Industrie = 148 Mio. t. (147 Mio.)
Gebäude = 112 Mio. t (118 Mio.)
Landwirtschaft = 62 Mio. t (63 Mio.)
Abfallwirtschaft und Sonstiges = 4,3 Mio. t (4,5 Mio.)
Wie bei allen Emissionsdaten dieser Website handelt es sich um Zirkawerte. Während im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr die CO2e-Emissionen im Bereich Energiewirtschaft um 4,4 % zugenommen haben, kam es bei den Gebäuden zu einer erfreulichen Minderung von etwa 6 Mio. t. Bei den restlichen vier Sektoren gab es nur marginale Änderungen.
Die Berechnungsmethoden für die Erstellung der umfangreichen Inventardaten des deutschen Umweltbundesamtes werden jedes Jahr an die Europäische Kommission übermittelt. Sie wurden im Laufe der Jahre trotz nach wie vor bestehender Unsicherheiten immer mehr verfeinert und erweitert. Die detaillierten deutschen Zahlenwerke berücksichtigen beispielsweise nicht nur stationäre und mobile Emissionen des Militärs, auch wenn dieses als Mieter in zivilen Gebäuden oder Bezieher von Brennstoffen von zivilen Tankstellen oder dem Brennstoffhandel auftritt, sondern auch eine Vielzahl von geringeren Treibhausgas-Emissionen, wie z.B. aus der Sportfliegerei, dem Abbrand von Feuerwerken, den Emissionen durch Raucher, aus Brauchtumsfeuern, Krematorien oder dem Betrieb historischer Dampfloks. Die deutschen Treibhausgas-Zahlenwerke für den Sektor Verkehr erfassen dagegen nur die Emissionen aus inländischen Flügen und Schiffsrouten, nicht die innereuropäischen und internationalen Emissionen des Schiffs- und Luftverkehrs. Würde man diese Emissionen den deutschen Zahlen zuschlagen, wären die deutschen Verkehrsemissionen um etwa 20 % höher.
Online am 6. Mai 2022; erfolgte Aktualisierungen: 27.1.2023, 27..3.2023
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Kapitel 5: Typische Argumente von Klimawandel-Leugnern
Häufig begründen Klimawandel-Skeptiker und -Leugner ihre Ansichten mit Aussagen wie:
→ „Früher enthielt die Atmosphäre wesentlich mehr Kohlendioxid als heute, warum also die ganze Aufregung?“
→ „Klimawandel gab es doch immer schon.“
→ „Ein höherer Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre fördert das Pflanzenwachstum, ist somit positiv zu sehen“.
Diese Statements stimmen zwar im Grundsatz, lassen aber für Laien schwer erkennbare wichtige Fakten außer Acht und führen damit zu falschen Schlussfolgerungen. Deshalb möchte ich die Zusammenhänge in nachfolgenden Ausführungen etwas näher erläutern. Leider haben die Klimawandel-Leugner durch die Übernahme der Plattform Twitter im Herbst 2022, jetzt X, durch den US-Industriellen Elon Musk wieder Aufwind erhalten und jetzt praktisch freie Bahn, denn sie haben ihre Accounts wieder erhalten. Dort verbreiten sie ihre kruden Verschwörungstheorien und hetzen gegen die wissenschaftsbasierten Warnungen vor den möglichen Folgen einer fortschreitenden Erderwärmung. Gleichzeitig ziehen sich viele Klimaforscher von X aus Verärgerung und Frust zurück. Sie sind müde geworden, ständig gegen Desinformation und falsche Behauptungen argumentieren und sich sogar gegen persönliche Beleidigungen und sogar Bedrohungen wehren zu müssen. Wem würde es z.B. auf Dauer Spaß machen, jemand zu korrigieren, der ständig felsenfest behauptet, frisch gefallener Schnee sei dunkel ...
Änderung der Atmosphäre und der Lufttemperatur
Mit der ersten hier wiedergegebenen Aussage von Klimawandel-Leugnern und Klimawandel-Skeptikern wird die Zusammensetzung der Ur-Atmosphäre der noch sehr jungen Erde angesprochen. Die Erdatmosphäre hat sich als Folge chemischer und geophysikalischer Prozesse in der Tat mehrmals grundlegend verändert. Nachdem unser Planet vor rund 4,55 Milliarden Jahren entstand, war der zunächst dominierende Prozess ein starker Vulkanismus. Die frühe Ur-Atmosphäre bestand neben 80 % Wasserdampf und 5 - 7 % Schwefelwasserstoff zu 10 % aus CO2; dies ist etwa 240 Mal mehr als heute. Der Rest setzte sich aus Spuren von Stickstoff (N2), Wasserstoff (H2), Helium (He), Kohlenmonoxid (CO), Methan (CH4) und Ammoniak (NH3) zusammen. Die Treibhausgase in der frühen Gashülle sorgten trotz der anfangs noch relativ schwachen Sonnenintensität für hohe Temperaturen auf der Erde. Wasser gab es zu dieser Zeit noch keines, denn für Niederschläge war es rund 600 Millionen Jahre lang noch viel zu heiß. Erst nach der langsamen Abkühlung der Erde setzte ein langer Dauerregen ein. Nach Aussagen der Wissenschaft soll er etwa 40.000 Jahre gedauert haben. Nun konnten auch die Ozeane entstehen. Langsam entwickelte sich in ihnen erstes primitives Leben, z.B. in Form von Tiefsee-Bakterien und Algen. In dieser Phase wurde Stickstoff anstelle von Wasserdampf zum Hauptbestandteil der Atmosphäre. Beginnend etwa 2,7 bis 3,5 Milliarden Jahren vor unserer Zeit nahmen die ersten einfachen Meereslebewesen große Mengen CO2 auf und gaben dafür Sauerstoff (O2) an die Luft ab. Andere CO2-Senken waren die Ur-Ozeane selbst, die Kohlendioxid aus der Luft aufnahmen und in den Sedimenten speicherten, Verwitterungsprozesse in dem Gestein an Land und, später, die Entnahme von CO2 durch die Vegetation.
Infolge der Reduzierung von CO2 und anderer Treibhausgase in der Atmosphäre nahm die Erdtemperatur weiter ab. Im Verlauf von Jahrmillionen entwickelte sich danach die heutige Atmosphäre (siehe Tabelle 1 in Kapitel 3).
Der CO2-Gehalt der Luft war vor 100 bis 250 Millionen Jahren, als es schon längst erste Pilze an Land, Fische und Reptilien im Wasser und Langhalssaurier als die größten Landtiere aller Zeiten gab, noch um das 10- bis 15-fache höher als heute, nahm jedoch ständig ab. Hunderttausende von Jahren - für diesen erdgeschichtlich kurzen Zeitraum kennt man heute die Klimaentwicklung und die Auswirkungen des Treibhauseffektes recht gut - stieg die CO2-Konzentration nie über etwa 0,029 % (= 290 ppm, parts per million = Teilchen je 1 Million). Mitte Dezember 2019 waren bereits 412 ppm erreicht. Wie Bild 9 nach Studien des Mauna-Loa-Observatoriums auf Hawaii weiter zeigt, schwankte der Wert in den vor ungefähr zwei Millionen Jahren einsetzenden aufeinanderfolgenden Eis- und Warmzeiten. Während der Eiszeiten nahm die CO2-Konzentration bis auf etwa 180 ppm ab. Dieses Niveau hatte CO2 zuletzt beim Kältemaximum am Ende der vergangenen Eiszeit vor ungefähr 20.000 Jahren. Doch gegenwärtig (2023) ist die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre mit 420,23 ppm (= 0,042 %, siehe Tabelle 1) so hoch wie seit mindestens vier Millionen Jahren und die Konzentrationen von Methan und Lachgas so hoch wie seit mindestens 800.000 Jahren nicht mehr. Sieht man von den ersten wenigen Ur-Menschen mit aufrechtem Gang, Homo erectus, ab, muss man feststellen, dass die Menschheit ein derart hohes Niveau der Treibhausgase mit seinen Begleiterscheinungen noch nie erlebt hat – wahrlich ein Grund zur Besorgnis.
Um das Klimasystem unseres Planeten zu stabilisieren, dürfte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht über 350 ppm anstiegen, dieser Wert wurde jedoch schon um 1990 überschritten. Vor der Industrialisierung, also vor 1850, lag er bei 280 ppm. Aus heutiger Sicht könnte er in absehbarer Zeit auf etwa 450 ppm steigen. Dies würde einer Erderwärmung um + 2 °C entsprechen.
Interessant ist, dass die über der Zeitachse aufgetragenen Verläufe der CO2-Konzentration der Luft und der globalen Temperaturabweichung in erster Annäherung ähnlich steigen und fallen (Bild 10). In nebenstehender Grafik ist die grüne Kurve der CO2-Verlauf und die rote die Änderung der globalen Mitteltemperatur der Erde. Holozän und Eem markieren die gegenwärtige bzw. die letzte Warmzeit. Bei genauer Auswertung zeigt sich jedoch, dass der CO2-Anstieg dem Anstieg der Temperatur mit etwa 1.000 Jahren Zeitdifferenz folgt. Erlebte die Erde in ihrer Frühgeschichte am Ende einer Eiszeit den Beginn der Warmzeit, erfolgte nämlich die Erwärmung zunächst nicht etwa durch ansteigende CO2-Werte, sondern durch eine natürliche Veränderung der Erdumlaufbahn und der Erdachse (mehr dazu weiter unten). Als Folge dieser Erwärmung gaben die Ozeane aufgrund der verringerten CO2-Löslichkeit des Wassers Kohlendioxid an die Luft ab, was wiederum die Erwärmung verstärkte. Für die Vergangenheit gilt also tatsächlich, dass der CO2-Anstieg anfänglich durch die Erderwärmung eingeleitet wurde.
Auf den gegenwärtigen Klimawandel trifft dies jedoch nicht zu. Denn die aktuelle Erderwärmung erfolgt durch den starken CO2-Anstieg viel zu schnell und viel zu heftig, als dass sie durch Änderungen von Erdumlaufbahn und Stellung der Erdachse zu erklären ist. Dies gilt umso mehr, als die momentanen Veränderungen der Erdbahnparameter eigentlich zu einer langsamen Abkühlung und nicht zur Erwärmung der Erde führen müssten. Klimaleugner liegen also falsch mit ihrer Behauptung, dass der derzeitige CO2-Anstieg seit etwa 1850 - 1900 nicht die Ursache, sondern die Folge eines Klimawandels ist.
Nicht uninteressant ist, dass im Gegensatz zu Europa und den USA anderswo kaum noch Menschen den überwiegend durch die Menschheit verursachten Klimawandel bezweifeln. So vernimmt man etwa auf den Philippinen, eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder, keine Stimmen von Klimaleugnern.
Geringerer Temperaturanstieg beim heutigen Klimawandel
Aus Bild 10 lässt sich erkennen, dass die historischen CO2-Maximalunterschiede zwischen Eis- und Warmzeiten, z.B. von 190 auf 290 ppm (Steigerung = 53 %), mit Temperaturdifferenzen von bis zu 12 °C einhergingen. In der Jetztzeit stieg der CO2-Gehalt der Atmosphäre von 290 ppm in der vorindustriellen Zeit bis Ende 2021 auf 419 ppm (Steigerung = 42 %). Die CO2-Differenzen zwischen früher und jetzt sind also ungefähr vergleichbar, trotzdem nahm die Erderwärmung bis heute „lediglich“ um + 1,2 °C gegenüber dem vorindustriellen globalen Mittelwert zu (siehe Bild 4 in Kapitel 2). Ist den Klimaforschern hier ein Fehler unterlaufen, was Klimaleugner gelegentlich behaupten? Die Antwort ist ein klares Nein.
Hier die Erklärung: Es gibt einen logarithmischen, also keinen linearen Zusammenhang zwischen der Verstärkung des Treibhauseffektes (= Erhöhung der mittleren globalen Erdtemperatur), wissenschaftlich Strahlungsantrieb genannt, und der Kohlendioxid-Konzentration. Wegen der stärkeren Krümmung der logarithmischen Kurve im Bereich geringer CO2-Konzentrationen, wie sie für die erdgeschichtliche Frühzeit typisch waren (siehe Bilder 9 und 10), war die damalige Auswirkung von CO2 auf den Strahlungsantrieb der Erde wesentlich stärker als heute. Denn heute befinden wir uns mit den gestiegenen CO2-Werten in einem weniger stark gekrümmten Bereich der logarithmischen Kurve, so dass die Verstärkung des Strahlungsantriebs, also der damit gekoppelten mittleren globalen Erdtemperatur, bei dem höheren CO2-Niveau geringer ist als vor noch zehntausenden von Jahren. Man kann dies als einen Glücksfall für die Menschheit und die Natur sehen, denn Erhöhungen der mittleren Erdtemperatur um 10 °C würde für einige Regionen auf der Erde Temperaturerhöhungen um etwa 20 °C und mehr bedeuten. Ein Leben wie wir es heute gewohnt sind wäre unter diesen Verhältnissen kaum vorstellbar. Dennoch muss immer wieder betont werden, dass auch eine Temperaturerhöhung von „nur“ 1,3 °C innerhalb von rund 150 Jahren der Menschheit zu schaffen machen wird.
Die rekonstruierte geschichtliche Entwicklung der mittleren globalen Erdtemperatur zeigt Bild 11. Auf der senkrechten Achse ist die Temperaturdifferenz in °C relativ zur Temperatur im Zeitraum 1850 - 1900 über der Zeit vor heute (ganz rechts) aufgetragen; man beachte dabei den unterschiedlich vergrößerten Zeitmaßstab auf der horizontalen Achse. Je nach den Berechnungen verschiedener Klimaforscher erreichte die Temperatur vor etwa 50 Millionen Jahren mit bis zu 15 °C über dem vorindustriellen Wert ein Maximum, um in den darauffolgenden 45 Millionen Jahren auf ein ähnliches Niveau wie zwischen 1850 und 1900 abzunehmen. In den letzten rund 900.000 Jahren schwankten die Temperaturen zwischen dem Maximum der Warmzeiten und dem Minimum der Eiszeiten zwischen + 2 °C und - 8 °C.
Verursacher der frühgeschichtlichen Klimawandel
Wie erwähnt, begannen nach heutiger Kenntnis die zyklisch wiederkehrenden Eis- und Warmzeiten zu einer Zeit, als sich die Erde abgekühlt hatte und es mit Homos erectus schon die ersten Frühmenschen mit aufrechtem Gang gab. Die mussten mit extrem kalten „Dauerwintern“ zurechtkommen. Eiszeiten mit weitgehender Eisbedeckung der Erde und Temperaturen bis zu - 8 °C unter dem vorindustriellen Niveau wechselten regelmäßig mit warmen Phasen ab. Die Kaltzeiten dauerten dabei mit etwa 90.000 bis 100.000 Jahren deutlich länger als die Warmzeiten mit nur etwa 20.000 Jahren (siehe Bild 10 und 11). Die Natur und das Leben auf der damaligen Erde hat die Klimaschwankungen über Jahrhunderttausende gut überstanden. Kritisch wurde es erst, als der moderne Mensch vor ungefähr 150 Jahren begann, im großen Ausmaß fossile Brennstoffe zur Energieerzeugung zu verwenden und durch die dabei emittierten Abgase das Gleichgewicht der Atmosphäre zu stören.
Das letzte Jahrzehnt 2011 bis 2020 war nach Aussage des UN-Weltklimarates (IPCC ) die wärmste Dekade seit der letzten Zwischeneiszeit vor etwa 125.000 Jahren. Und, die globale Erdmitteltemperatur ist seit etwa 1970, schneller angestiegen als in jedem anderen Zeitabschnitt zumindest der letzten 2.000 Jahre. Zu denken gaben sollte auch, dass sich auf der gesamten Welt die Zahl der Tage mit Temperaturen von 50 °C und mehr von durchschnittlich jährlich 14 Tagen zwischen 1980 und 2009 auf durchschnittlich 26 Tagen im Jahr zwischen 2010 und 2019 nahezu verdoppelt hat.
Die früheren Wechsel zwischen den historischen Warm- und Kaltphasen hatten keine menschgemachte, sondern eine natürliche Ursache: Die langperiodischen Änderungen der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Die Wissenschaft spricht von den sogenannten Milanković-Zyklen, benannt nach dem serbischen Ingenieur, Geophysiker und Mathematiker Milutin Milanković (1879 - 1958). Seine grundlegende Arbeit hatte er schon 1920 veröffentlicht, doch erst ein halbes Jahrhundert später wurde sie als grundsätzlich richtig anerkannt. Drei sich überlagernde Effekte spielen dabei eine Rolle und bestimmen, mit welcher Intensität die Sonne in den verschiedenen Jahreszeiten die Erde bestrahlt (siehe Bild 12). Es sind drei Effekte, die sich auf komplizierte Weise überlagern und zu natürlichen Erderwärmungen führen:
Die sogenannte Präzession der Erdrotationsachse (Taumeln der Erdachse zwischen einer Ausrichtung auf den Polarstern und den Stern Wega) im Takt von 25.700 bis 25.850 Jahren für einen vollen Umlauf der Präzessionsbewegung. Die Präzession gibt an, wie schräg bzw. wie gerade die Erde um die Sonne läuft;
→ Die zwischen 22,5 und 24,5 Grad schwankende Neigung der Erdachse (Schiefe der Ekliptik, Erdschiefe, Obliquität) mit einem Zyklus von rund 41.000 Jahren und
→ die Exzentrizität (Form der Erdumlaufbahn um die Sonne unter dem Einfluss der anderen Planeten; Abweichung der Bahnellipse von einer Kreisbahn) mit einem Rhythmus von etwa 100.000 Jahren und zusätzlich einem sehr langen Takt von 405.000 Jahren.
Diese Zyklen beeinflussen die jahreszeitlichen Gegensätze. Da sie sehr langsam, in Zeiträumen von Jahrzehntausenden, ablaufen, können sie die heutige viel zu schnell und zu heftig verlaufende Erderwärmung nicht erklären. Infrage stellen muss man auch, ob es überhaupt zu einem Wechsel von der gegenwärtigen Warmphase in eine Eisphase kommen wird. Zu massiv ist der menschgemachte bis heute ungebremste Anstieg der CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre.
Fazit: Dass der frühgeschichtliche CO2-Maximalwert von etwa 290 ppm, der in Millionen von Jahren nie höher war, so massiv und in nur wenigen Jahrzehnten überschritten wurde, ist nicht durch natürliche Unregelmäßigkeiten der Erdbahnparameter erklärbar, sondern kann nur dem Tun und dem modernen Lebenswandel der heutigen Menschheit zugeschrieben werden. Laut IPCC gibt es keinen Zweifel daran, dass es das Tun der Menschheit ist, was die Atmosphäre, die Ozeane und die Landflächen erwärmt.
CO2-Gehalt und das Pflanzenwachstum
Schließlich, was ist zu der zu Beginn dieses Kapitels zitierten Behauptung der Klimaskeptiker und der Partei AfD zu sagen, ein Anstieg des CO2-Gehalts in der Luft wirke sich positiv auf das Pflanzenwachstum aus? Auch das stimmt im Grundsatz, doch der Kohlendioxidgehalt ist nicht der einzige für Ernteerträge bedeutsame Faktor. Ebenso wichtig ist die Temperatur, denn Hitze und Dürren gefährden die Produktivität der allermeisten Pflanzen.
Was die Auswirkung der Erderwärmung, also die Umgebungstemperatur betrifft, ist nach einer neuen Veröffentlichung britischer Wissenschaftler in den Proceedings B der Royal Society schon heute zu sehen, dass einige krautige Pflanzen, zu denen auch viele Blumen zählen, etwa einen Monat früher als noch vor mehreren Jahrzehnten blühen. Die Baumblüte beginnt im Schnitt zwei Wochen und die der Sträucher zehn Tage früher. Noch offen ist, inwieweit und wie schnell die Evolution der Flora erlauben wird, sich dem Klimawandel anzupassen. Blumen könnten dabei einen Vorteil haben, denn sie haben kürzere Lebenszeiten und damit einen schnelleren Generationswechsel als z.B. ein Baum, könnten sich also evolutionär schneller anpassen.
Doch wieder zurück zum Einfluss des gestiegenen Kohlendioxidgehalts der Luft auf das Pflanzenwachstum. Bis zu einem gewissen Grad können Pflanzen und Bäume durchaus einen höheren CO2-Gehalt der Luft nutzen, doch bei einem Zuviel droht Überdüngung, verbunden mit einem geringeren Nährwert der (Nutz-)Pflanzen; dies betrifft vor allem die aus wärmeren Regionen. Für Pflanzen bedeutet ein intensiveres Wachstum einen höheren Energieumsatz. Fehlen ihnen aber dann die dafür benötigten Nährstoffe und Spurenelemente aus dem Boden sowie Wasser durch Regenfälle oder künstliche Bewässerung wie dies im globalen Süden der Fall sein wird, verpufft der CO2-Effekt mehr oder weniger.
Dabei spielt der Pflanzentyp eine wichtige Rolle. Die beiden Hauptgruppen sind die sogenannten Pflanzentypen C3 und C4. Zu den C3-Pflanzen, zu denen etwa 85 % der Pflanzenarten auf der Welt zählen, gehören z.B. Weizen, Reis, Roggen, Gerste, Hafer, Sojabohnen, Hanf, Kartoffeln Zuckerrüben und weltweit alle Baumarten (Bild 13). Ein wissenschaftliches Experiment hat gezeigt, dass sich bei ihnen eine Verdoppelung des CO2-Gehalts, im konkreten Fall von 370 auf 740 ppm (im Vergleich zur Realität freilich eine extreme Erhöhung), in einer Ertragssteigerung von lediglich rund 20 % auswirkt. Bei einem realistischeren Freiland-Langzeitversuch mit einer Erhöhung der CO2-Konzentration auf „nur“ 550 ppm wurde jedoch bei C3-Kulturen eine Ertragszunahme von lediglich 11 % gemessen. Charakteristisch für die C3-Pflanzen ist, dass sich bei heißer und trockener Witterung die Spaltöffnungen schließen, um einen zu hohen Wasserverlust zu verhindern. Dadurch sinkt allerdings ihre Photosynthese-Leistung.
Zu den C4-Pflanzen zählen z.B. die Gräser, wie Mais, Hirse, das Pseudogetreide Amarant, Zuckerrohr und Chinaschilf. Sie machen nur etwa 5 % der Biomasse und etwa 3 % aller Pflanzenarten aus, stehen aber trotzdem für gut 20 - 25 % der globalen Primärproduktivität. C3-Pflanzen haben sich gut an wärmere Regionen mit höherer Lichtintensität, also an tropisches und subtropisches Klima angepasst. Sie können CO2 besser als die C3-Pflanzen binden, sind diesen somit ökophysiologisch und bei ariden Umgebungsbedingungen überlegen. Sie nutzen selbst geringste Mengen an CO2, ein erhöhtes Angebot können sie dagegen kaum richtig verarbeiten, so dass sich dann ihr Ertrag nicht steigert.
Agrarwissenschaftler haben aufgrund von neuen Computersimulationen festgestellt, dass Weizen, der in gemäßigten Klimazonen wie in den USA, Kanada und China besonderes gut gedeiht, vom Klimawandel profitieren wird. Die weltweiten Weizenerträge könnten nach dieser Studie demnach bis 2100 um etwa 17 % steigen. Anders sieht es mit Mais aus, vor allem mit Mais in den vom Klimawandel stärker betroffenen wärmeren subtropischen und tropischen Regionen. Dort könnten die Maiserträge durch den Temperaturanstieg bis 2100 um fast ein Viertel einbrechen. Die Zuwächse beim Weizen werden die Verluste beim Mais nicht kompensieren, so die Prognosen der Wissenschaftler. Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass der CO2-Düngeeffekt auf Pflanzen im Freiland nahezu vernachlässigbar ist. Die Erträge in den semiariden Tropen sind bei zunehmender Trockenheit durch den Niederschlagsschwund infolge der Erderwärmung besonders gefährdet. Schon jetzt tun Landwirte deshalb gut daran, sich über die sich ändernden klimatischen Gegebenheiten, wie Zeitpunkt, Heftigkeit und Dauer von Regenfällen, Gedanken zu machen. Dabei kann beispielsweise an die Verwendung anderer Pflanzensorten oder an einen günstigeren Zeitpunkt für die Aussaat gedacht werden.
In tropischen Wäldern lässt sich noch ein anderer, bisher noch nicht bekannter Effekt eines erhöhten CO2-Gehalts der Luft erkennen: Der Regenwald zeigt zwar ebenfalls ein etwas stärkeres Wachstum als bei niedrigeren CO2-Werten, doch Lianen wachsen unter diesen Bedingungen wesentlich schneller und könnten zahlreiche Bäume verdrängen.
Online am 10. Mai 2022; erfolgte Aktualisierungen: 4.12.2022, 27.3.2023, 18.9.2023, 5.5.2024
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Kapitel 6: Warum Erderwärmung als Temperaturdifferenz und nicht in absoluten Zahlen?
Auf der 21. UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris (COP21) beschlossen die 195 Teilnehmer-Nationen übereinstimmend, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2,0 °C über dem vorindustriellen Niveau (1850 - 1900) zu begrenzen und alle Anstrengungen zu unternehmen, sogar 1,5 °C zu erreichen. Die bisher letzte Klimakonferenz in Glasgow, COP26, hat sich im November 2021 ausdrücklich zu diesem Beschluss bekannt.
Die globale Durchschnittstemperatur der Erde
Was wird unter dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur (Mitteltemperatur) der Erde überhaupt verstanden? Und warum verwendet man nicht absolute Temperaturen?
Die tatsächliche globale Durchschnittstemperatur der Erde ist eine über die gesamte Erdoberfläche, also über Land und Meere, gemittelte Temperatur in 2 m Höhe. Die örtlichen Temperaturen werden von zahlreichen Landstationen, Flugzeugen, Satelliten, Schiffen und Bojen gemessen. Die Bestimmung einer derartigen Temperatur ist allerdings mit großen Unsicherheiten behaftet. So misst man allein schon im Gebirge leicht Temperaturunterschiede von 6 °C je 1.000 Höhenmeter. Es müssten also in jedem Tal und auf jedem Hügel Messstationen errichtet werden, um die kleinen Temperaturdifferenzen erfassen zu können (Bild 14). In einer Stadt ist es ähnlich – dort müssten konsequenterweise auf jeder Straße und auf jeder Wiese Messgeräte stehen, um kleinräumige Besonderheiten zu erfassen. Extrapoliert auf die gesamte Erde einschließlich der Meere wären so Billionen von Temperaturmessstellen erforderlich, was nicht durchführbar und nicht finanzierbar wäre. Unabhängig davon: interessiert sich die Masse der Menschen wirklich dafür, ob die globale Durchschnittstemperatur zu einer bestimmten Zeit nun 15,0 oder 15,4 °C ist?
Den Klimawandel misst man aus diesem Grund nicht in absoluten Temperaturen, sondern in deren Abweichungen zum Referenzzeitraum 1850 - 1900. Derartige Abweichungen sind räumlich einheitlicher, aber natürlich immer noch mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet. Da sich die Erde zunehmend erwärmt, sind diese Abweichungen in der Langzeitbetrachtung seit etwa 1930 deutlich positiv (siehe Bild 4 in Kapitel 2). Unter dem oft zitierten 1,5 °C-Ziel versteht man also, dass im Idealfall die weltweite Temperaturerhöhung, gerechnet ab der vorindustriellen Zeit, bis zum Jahr 2100 um nicht mehr als 1,5 °C zunehmen soll.
Wie wenig realistisch das Erreichen des 1,5 °C-Ziels ist, äußern mittlerweile die meisten Klimaforscher. Viele von ihnen gehen davon aus, dass eine Temperatursteigerung um 1,5 °C inzwischen unerreichbar geworden ist: technisch und theoretisch zwar ja, praktisch aber nein. Andere Wissenschaftler meinen, dass dieses Ziel allenfalls nur dann noch erreicht werden kann, wenn
→ der CO2-Ausstoß der Menschheit nicht erst im Jahr 2030, sondern ab sofort massiv abnimmt,
→ bis etwa ab dem Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht werden und
→ negative CO2-Emissionen realisiert werden. Dies bedeutet, dass der Atmosphäre CO2 entzogen und z.B. im Boden gespeichert wird (siehe Kapitel 13). Zur Begriffsbestimmung wird auf die Tabelle 3 verwiesen.
Alle drei Bedingungen bedeuten ungewohnte, ja sogar radikale weltweite Maßnahmen, wie beispielsweise eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung. Tatsache ist ja, dass sich die Temperatur schon bis Ende 2021 bereits um 1,2 bis 1,3 °C erhöht hat. Es sei nochmals daran erinnert, dass sie selbst unter der utopischen Annahme, dass die Welt ab sofort kein CO2 mehr ausstößt, weiter zunehmen wird. Betrachtet man die letzten vier Jahrzehnte, wies - nach Bild 4 - die (lineare) weltweite mittlere Temperaturänderung in den 1980-er-, 1990-er, 2000-er und 2010-er Jahren einen Jahrzehntmittelwert von jeweils ungefähr 0,2 °C auf. Dies bedeutet für die 40 Jahre eine Abweichung der globalen Lufttemperatur (vom Mittel der Jahre 1850 - 1900) von etwa 0,8 °C.
Einige wissenschaftliche Studien besagen, dass selbst ein Plus der globalen Durchschnittstemperatur von + 2,0 °C bis zum Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr erreichbar ist. Eine dieser Studien, die im November 2021 in der Fachzeitschrift Nature Climate Change publiziert wurde, verglich auf der Basis der heutigen internationalen Klimapolitik den Treibhausgas-Ausstoß Ende dieses Jahrhunderts für sieben verschiedene Szenarien. Das Ergebnis: selbst bei dem optimistischsten aller dieser Szenarien mit massiven Einschränkungen würde die Erderwärmung bis 2100 durchschnittlich auf + 2,7 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigen.
Die Anstiegsrate der globalen Mitteltemperatur ist nicht konstant - sie wird von internationalen Klimaphänomenen wie El Nino und La Nina überlagert - und auch nicht überall auf der Erde gleich. Die Erderwärmung von + 1,2 bis + 1,3 °C im Jahr 2021 gegenüber dem Zeitraum 1850 - 1900 nach Bild 4 wurde sowohl mit den Datensätzen über Land, als auch mit den Temperaturen über den Meeresoberflächen errechnet. Rund 71 % der Erdoberfläche sind Ozeane, die starke CO2-Senken sind (siehe Kapitel 12) und zudem mit etwa 91 % den überwiegenden Teil der globalen Erwärmung aufnehmen. Auf den Kontinenten fehlen aber die großflächigen Meere, so dass dieser Effekt entfällt und die Erwärmung zwangsläufig schneller abläuft als über Land und Meere zusammen. Damit erlebt die Menschheit an Land bereits jetzt einen höheren Anstieg der Land-Mitteltemperatur um über 1,5 °C. Seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen in Deutschland im Jahr 1881 hat die Temperatur hierzulande bis 2019 um + 1,6 °C zugenommen - und wird weiter ansteigen. Deutschlands Sommer werden nach Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes heißer und trockener und Dürren wahrscheinlicher.
Selbst auf den Kontinenten ist die Temperaturänderung je nach Region unterschiedlich. So verläuft auf der Südhalbkugel und in den Tropen die Erwärmung langsamer als beispielsweise in hohen nördlichen Breiten, wie Nordamerika oder Eurasien. Besonders stark ist die Temperaturzunahme nördlich des Polarkreises, in der Arktis: dort betrug der Anstieg der Land-Lufttemperatur allein in den letzten 50 Jahren + 3,1 °C, mehr als doppelt so viel wie anderswo auf der Welt.
Gelegentlich wird bei Aussagen zum Klima als Basis nicht das vorindustrielle Niveau im Zeitraum 1850 - 1900 zugrunde gelegt, sondern eine jüngere Zeitspanne wie im vorhergehenden Satz oder ein jüngerer 30-Jahres-Zeitraum, z.B. 1951 - 1980 oder auch 1991 - 2020. Für derartige Zeiträume ist die Erderwärmung natürlich geringer als für den „Norm-Bezugszeitraum“ 1850 - 1900. Man darf sich also nicht durch geringere Werte für derartige Zeitspannen verwirren lassen. So hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) am letzten Tag des Jahres 2021 bekannt gegeben, dass in Deutschland das Jahr 2021 mit einer Durchschnittstemperatur von 9,1 °C Jahr um 0,9 °C über dem Wert der 30-Jahres-Referenzperiode 1961 bis 1990 lag. Wenn man diese 0,9 °C in Bezug auf die vorindustrielle Zeit setzt, muss ein Aufschlag von 0,4 °C erfolgen: die zwischen 1961 und 1990 gemessene Erwärmung um 0,9 °C entspricht somit 0,9 + 0,4 = 1,3 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau.
Für die verschiedenen 30-Jahres-Zeitspannen gelten unterschiedliche Aufschläge, z.B.
für 1951 - 1980 = + 0,3,
für 1971 - 2000 = + 0,8
für 1981 - 2010 = + 1,1 °C.
Tabelle 3: Bedeutung wichtiger Umweltschutz-Begriffe
Klimaneutral |
bedeutet nach Definition des IPCC, dass durch einen Prozess oder durch eine Tätigkeit das Klima nicht mehr beeinflusst wird. Alle Einflüsse, die der Mensch auf das Klima ausübt, müssen durch Kompensations-Maßnahmen ausgeglichen werden. |
Treibhausgasneutral |
ist enger definiert als klimaneutral und bedeutet, dass sämtliche Treibhausgase, also nicht nur CO2, eingespart oder durch natürliche und technische Senken ausgeglichen werden. |
CO2-neutral |
bedeutet, dass entweder gar kein CO2 emittiert wird oder die CO2-Emissionen vollständig kompensiert werden. Die anderen Treibhausgase (siehe Kapitel 4) bleiben allerdings unberücksichtigt. Der Begriff ist deshalb nicht gleichbedeutend mit klimaneutral oder treibhausgasneutral. |
Netto-Null |
bedeutet, dass alle anthropogenen Emissionen in der Atmosphäre durch gleich große Senken kompensiert werden. Verbleibende Emissionen sind durch Klimaschutzprojekte auszugleichen – eine bloße Kompensation ist nicht zulässig. Unternehmen berücksichtigen Treibhausgas-Emissionen über die gesamte Wertschöpfungskette ihres Produktes hinweg. |
Klimapositiv |
Ist noch ambitionierter als Netto-Null; bedeutet, dass am Ende einer Wertschöpfungskette eine positive Bilanz für das Klima entsteht, d.h. es werden der Atmosphäre mehr Treibhausgase entzogen als durch die gesamte Wertschöpfungskette hinweg emittiert werden - derzeit in der Praxis ein äußerst schwer erreichbares Ziel. |
Verwirrende Umweltschutz-Begriffe
Was die von der Industrie, den Medien, der Politik und teilweise auch von der Öffentlichkeit verwendeten, mittlerweile recht zahlreich gewordenen Begriffe wie „klimaneutral“, treibhausgasneutral“ „netto-Null-Emission“, „klimapositiv“ und „CO2-neutral“ konkret bedeuten, ist oft nicht klar. Meist fehlt die nähere Erläuterung. Man kann davon ausgehen, dass den Verwendern dieser Bezeichnungen der engere Wortsinn selbst nicht bewusst ist. Handelt etwa ein Unternehmen, das weiterhin konventionell wirtschaftet und nur CO2-Zertifikate zukauft, wirklich „klimaneutral“? Ist „Treibhausgas-Neutralität“ das Gleiche wie „Klimaneutralität“? Kann ein Produkt, z.B. ein Buch, klimaneutral sein? Kann es ein CO2-neutrales Schiff oder Flugzeug überhaupt geben?
Tabelle 3 ist ein Versuch einer Erklärung der wichtigsten für den Laien meist verwirrenden Bezeichnungen.
Online am 16. Mai 2022; erfolgte Aktualisierungen:
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Kapitel 7: Die 1,5 °C- und die 2 °C-Welt
Auf der 21. UN-Klimakonferenz COP21 2015 in Paris hatten sich die Vertragsstaaten verpflichtet, die globale Erwärmung, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung (1850 - 1900) an, bis zum Jahr 2100 dauerhaft, also nicht nur zeitweise, auf höchstens + 2 °C zu begrenzen. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass diese 2 °C vergleichbar damit sind, wenn die Heizung von 19 auf 21 °C hochgestellt wird. Wie bereits erläutert, bedeutet dies jedoch, dass sich viele Landregionen, speziell in Mitteleuropa, um bis zu 4 oder 5 °C erwärmen können. Nachdem die Klimaforscher nachgewiesen hatten, dass + 2 °C mittlere Erderwärmung gegenüber dem Zeitraum 1850-1900 bereits zu viel wäre, wurde in Paris zusätzlich beschlossen, Anstrengungen zum Erreichen von nur + 1,5 °C zu unternehmen, was die Risiken und Folgen des Klimawandels deutlich verringern würde. Dies war damals ein klarer Fortschritt gegenüber den früheren Klimagipfeln der Jahre 2011 bis 2014 in Durban, Doha, Warschau und Lima, die beim Punkt Klimaschutz alle mehr oder weniger ergebnislos endeten, wie auch so mancher Weltklimagipfel danach.
Diese Frage wird nicht nur mir oft gestellt: Lohnt es sich wirklich, wegen eines Temperaturunterschiedes von nur einem halben Grad (von 2 auf 1,5 °C) unpopuläre und drastische Maßnahmen für die Bekämpfung der Klimaerwärmung zu akzeptieren? Viele Menschen fragen sich, ob diese Differenz überhaupt spürbar ist.
Beide Fragen sind mit einem klaren Ja zu beantworten. Doch das Erreichen des + 1,5 °C-Ziels ist durch die kontinuierlich, wenn auch etwas langsamer als bisher steigenden weltweiten Emissionen von Treibhausgasen und die zunehmende Bevölkerungszahl unwahrscheinlich (beispielsweise sagte schon der Weltbank-Klimabericht 2012 eine Erderwärmung um 3,5 - 4 °C voraus). Allenfalls durch gleichzeitige Maßnahmen, wie kompromisslosen Verzicht auf jegliche fossile Energie, Umstellung auf vorwiegend pflanzliche Nahrung, anhaltend hohe negative Emissionen und durch - bisher im großen Maßstab noch nicht erprobtes, und in Deutschland bisher verbotenes - Abscheiden und unterirdisches Speichern von Kohlendioxid könnte die 1,5 °C-Grenze trotz aller Zweifel möglicherweise gerade noch eingehalten werden (siehe dazu Kapitel 13). Dies wird jedoch nach den Erfahrungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahre nicht gelingen. Selbst der bekannte Klimaforscher Mojib Latif ist überzeugt davon, dass das 1,5-Grad-Ziel mittlerweile eine Illusion ist und die Welt eher auf eine + 3-Grad-Erwärmung zusteuert - mit schwerwiegenden globalen Folgen: öfters auftretende, extremer werdende Wetterereignisse, Hitzewellen in vielen Teilen der Erde, wochenlang andauernde Waldbrände, steigende Meeresspiegel usw. (FOCUS online, 22.8.2024). Doch jedes Zehntel Grad vermiedener globaler Erwärmung, auch über + 2 °C hinaus, ist ein großer Fortschritt, dessen Erreichen alle denkbaren Anstrengungen rechtfertigt.
Ein anderer deutscher Klima- und Meeresforscher Prof. Dr. Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalysen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), äußerte sich in SPIEGEL Wissenschaft im November 2020 zum Thema „Warum zwei Grad Erderwärmung zu viel sind“ ganz ähnlich: „Insgesamt kann man sagen, dass bei einer Erwärmung um 2 °C die Folgen des Klimawandels, die wir teils schon heute spüren, graduell immer schlimmer werden. Die Häufigkeit von tödlichen Hitzewellen etwa, wie im „Jahrhundertsommer“ 2003, der in Europa rund 70.000 Menschenleben kostete. Zudem bedeuten 2 °C im globalen Mittel für die meisten Landgebiete 3 bis 4 °C Erhitzung. Hinzu kommt die Häufigkeit von Überflutungen durch Extremregen. Oder wachsende Probleme mit Dürren und Wassermangel, wie die letzten Jahre auch in Deutschland. Oder noch heftigere tropische Wirbelstürme …“.
Wie stark sich die Situation für die Menschheit bei einer Erhöhung der Erderwärmung von 1,5 auf 2,0 °C verändert, veranschaulicht Bild 15. Von oben nach unten:
→ Bei + 2 °C Erwärmung erleben wir einen Sommer in der Arktis, die mindestens jedes zehnte Jahr vollkommen eisfrei ist. Bei einer globalen Mitteltemperatur von nur + 1,5 °C wäre dagegen ein eisfreier arktischer Sommer nur ein Mal je Jahrhundert wahrscheinlich.
→ 37 % der Weltbevölkerung werden bei + 2 °C extremen Hitzewellen ausgesetzt sein, bei + 1,5 °C würde es nur 14 % treffen.
→ Bei + 2 °C sinkt die weltweite Fischfangquote um 3 Mio. t Fisch pro Jahr, bei + 1,5 °C wäre es nur die Hälfte.
→ Bei + 2 °C reduziert sich der Anteil der Pflanzenarten, die infolge des Klimawandels mehr als die Hälfte ihres Verbreitungsgebietes verlieren, weltweit um 16 %, bei +1,5 °C wären es nur 8 %.
→ Die entsprechenden Zahlen beim Insektenverlust sind 18 % (bei + 2 ° C) bzw. 6 % (bei + 1,5 °C). Anders ausgedrückt: Eine Verstärkung der Erwärmung um lediglich ein halbes Grad bedroht drei Mal so viele Insektenarten, weil ihr bisheriger Lebensraum zu warm und zu trocken geworden ist. Beispielsweise blühen bei uns in Deutschland die ersten Bäume und Sträucher jetzt bereits Anfang März. Doch die Insekten, die auf diese Blüten als Nahrung (und Bestäuber) angewiesen sind, kommen erst einige Wochen später - dann ist die Blüte vorüber und das Insektenfutter fehlt. Unsere Vögel leiden unter dem Insektenschwund. Gibt es für sie in der Brutzeit noch genügend Insekten?
Hitze und Dürre
Im Grund ist die schon bei einer globalen Erwärmung von + 1,5 °C auftretende Hitze in vielen Regionen der Welt mit gesundheitlichen Problemen der Bevölkerung verbunden. Dass dies nicht übertrieben ist, zeigt sich schon daran, dass es allein im Sommer 2022 in Europa etwa 70.000 hitzebezogene Todesfälle gab, davon 8.100 allein in Deutschland. Nur in Italien (18.200) und Spanien (11.300) gab es noch mehr Hitzetode. Dies ist kein Einzelfall: Schon im August 2003 suchte eine Hitzewelle Europa heim. Innerhalb weniger Tage starben damals mehr als 70.000 Menschen.
In Deutschland wäre selbst bei + 1,5 °C jeder zweite Sommer ein Rekordsommer. Der wahrscheinlicherer Anstieg um + 2 °C hätte zu Folge, dass in neun von zehn Sommern Rekordwerte erreicht werden. So wurde für Hamburg für das Jahr 2080 bei einer mittleren Erderwärmung um + 1,8 °C Temperaturen wie heute in Südafrika vorausberechnet. Dieses Datum liegt zwar noch in weiter Ferne, doch viele jüngere Menschen werden diese Zeit noch erleben. Sollte die Erderwärmung tatschlich noch auf + 1,5 °C begrenzt werden können, würden die Maximaltemperaturen in Europa je nach Region um 3 - 4 °C ansteigen, bei + 2 °C wären es bereits 5 °C und bei über 2 °C noch mehr. Was heute noch ein gelegentlicher Hitzesommer ist, wird in einer 2 °C-Welt mehr oder weniger zur Normalität werden. Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit wären bei + 2 °C alle 20 Jahre oder noch öfters ähnlich extremen Hitzewellen wie die in 2003 ausgesetzt. Bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf + 1,5 °C wären es dagegen „nur“ 700 Millionen Menschen weltweit. Vor allem für Personen mit instabilem Kreislauf bringen Hitzewellen zunehmend ein enormes Gesundheitsrisiko mit sich.
Steigende Temperaturen und zugleich extreme Trockenheit in einigen Regionen lassen die Zahl der Tage mit großer Dürre ansteigen. Bei + 1,5 °C werden in Mitteleuropa 2,6 Dürremonate erwartet, im Mittelmeerraum 3,2 Dürremonate. Werden + 2 °C Erwärmung erreicht, errechnen die Klimaforscher 2,8 Dürremonate in Mitteleuropa und 3,7 Dürremonate im Mittelmeerraum. Was das bedeutet, konnte man am Beispiel des langen Hitzesommers 2018 mit seiner extremen Trockenheit in Deutschland sehen: die Landwirtschaft in den betroffenen Landesteilen erlitt enorm hohe Einbußen durch staubtrockene Böden, verdorrte Äcker und in Not geratene landwirtschaftliche Betriebe. Der Schaden durch die Extremwetter in den betroffenen deutschen Regionen im Jahr 2018 lag bei etwa 4,5 Milliarden Euro. Doch schon ein Jahr später, im Sommer 2019, gab es den nächsten Hitzesommer mit Temperaturrekorden. Weltweit war Juni 2019 bis dahin der wärmste Juni seit es Wetteraufzeichnungen gibt, auch in Deutschland. Im Vergleich zu den Juni-Durchschnittswerten des international gültigen Referenzzeitraums 1961 - 1990 war der Juni 2019 um 4,4 °C wärmer. Noch höhere Temperaturen gab es zur gleichen Zeit im Mittelmeerraum. So wurden Ende Juni in Südfrankreich 46 °C gemessen worden – im Schatten. Und: der Sommer 2021 war der heißeste in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen. Nicht nur die Temperaturen im Sommer steigen in vielen Ländern und Regionen an. So gab der Deutsche Wetterdienst (DWD) bekannt, dass in Deutschland mit durchschnittlich 17,2 °C der wärmste September seit Beginn der Messungen im Jahr 1881 verzeichnet wurde. Der Grund dafür waren die vielen Sommertage im September 2023 mit Werten über 25 °C. Doch diese Rekorde waren schon nach kurzer Zeit Geschichte. Denn schon im Herbst 2023, zwei Monate vor dem Jahresende, erklärte die Weltwetterorganisation WMO das Jahr 2023 als das wärmste Jahr seit der Industrialisierung, unabhängig davon, wie die beiden restlichen Monate verlaufen würden. Bis einschließlich Oktober 2023 war die global gemittelte Temperatur 1,43 °C über dem Schnitt der Jahre 1850 bis 1900. Der Oktober 2023 gilt (bisher) als der heißeste Oktober seit rund 125.000 Jahren. Dies alles sind ernst zu nehmende Negativrekorde des Weltklimas, die niemanden unberührt lassen sollten.
Der Klimawandel wird ein Problem nicht nur für Tropen- und Wüstenregionen, den Mittelmeerraum und das östliche Afrika werden, sondern auch für die US-Ostküste und den westlichen Teil Asiens. Ärmere Länder werden stärker betroffen sein als reiche in den gemäßigten Breiten, wo für den Klimaschutz ausreichende Finanzmittel und technische Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Wetterextreme
In vielen Ländern kommt es durch den fortschreitenden Klimawandel zu extremen Dürren, in anderen zu folgenschwerem Extremwetter mit Starkregen – durchaus gleichzeitig in verschiedenen Regionen der Welt. So wurden beispielsweise im Westen Kanadas im Juni 2021 Temperaturen bis 50 °C im Schatten registriert, die höchsten dort jemals gemessenen Werte seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Andererseits gab es Mitte Januar 2022 auf einer griechischen Ägäis-Insel den heftigsten Wintereinbruch seit 15 Jahren mit meterhohen Schneefällen. Ein anderes Beispiel sind die Wetterereignisse in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern sowie in den Niederlanden und in Belgien Mitte Juli 2021. Dort kam es durch eine sehr lange, über Wochen andauernde Wetterlage zu großen Regenmengen und plötzlichem Starkregen, was zu folgenschweren Sturzfluten und Überschwemmungen führte. Sie kosteten in Deutschland 186 Menschenleben und nach dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft etwa 15 Mrd. Euro alleine an versicherten Schäden (Häuser, Hausrat, Betriebe, Autos). Insgesamt verursachte die Ahrtal-Katastrophe Schadenskosten von etwa 40,5 Mrd. Euro. Diese Katastrophe war nicht dem Klimawandel allein zuzuschreiben, auch wenn die Sturzflut im Ahrtal durch den Klimawandel 1,5 bis 9 Mal wahrscheinlicher geworden ist (diese große Spannweite ist durch das sehr kleine Gebiet gegeben). Aber sie zeigt, mit welch immensen Kosten schwere Naturkatastrophen selbst in regional überschaubaren Gegenden verbunden sind. Von 2000 bis 2022/23 kostete der Klimawandel Deutschland mindestens 145 Mrd. Euro; die Schäden durch den Verlust an Biodiversität sind dabei nicht einmal berücksichtigt, weil sie sich nicht in Geld umrechnen lassen. Es gilt aber als sicher, dass Extremwetter und Klimafolgen die Wirtschaft allein in Deutschland bis Mitte dieses Jahrhunderts bis zu 900 Mrd. Euro kosten dürften.
Konkreter sind die Kosten, die auf Deutschland zukommen werden, wenn es weiterhin sein Emissionsbudget überzieht. Denn Deutschland hat der EU-Regelung zugestimmt, nach der es seine Emissionen von 2021 bis 2030 um die Hälfte senken muss. Doch Berechnungen zeigen, dass dies nicht gelingen wird. Im Gegenteil, man muss davon ausgehen, dass das Land sein entsprechendes Budget bis 2030 um mindestens 152 Mio. t CO2 überziehen wird, und das auch nur dann, wenn die Bundesregierung sämtliche bis Oktober 2022 beschlossenen und geplanten Klimamaßnahmen auch wirklich umsetzt (wenn nicht, ist mit deutlich größeren CO2-Mengen zu rechnen). Allein die 152 Mio. t CO2 werden Deutschland nach einer Berechnung des Politikportals Euractiv mindestens 7,5 Mrd. Euro bis weit in den zweistelligen Milliardenbereich hinein kosten (Frankfurter Rundschau - Klima, 1.9.2023). Denn Deutschland muss entweder fehlende Emissionsberechtigungen am Markt zukaufen oder hohe Strafen zahlen.
Was die weltweite Situation betrifft, so hat die Münchner Rückversicherung Munich Re die globale Schadensbilanz allein für das Jahr 2023 ermittelt. Sie bezifferte die weltweiten Gesamtschäden durch Naturereignisse mit rund 250 Mrd. US-$; davon waren umgerechnet 95 Mrd. Euro versichert.
Was den Preis für 1 t ausgestoßenem CO2 betrifft, gibt es eine Abschätzung des Umweltbundesamts (UBA): es bezifferte die Klimaschäden je emittierte Tonne CO2 auf etwa 240 €.
Schon das Jahr 2021 und danach auch 2023 brachten Europa den heißesten Sommer aller Zeiten (siehe dazu auch Kapitel 1), obwohl die Temperaturen im Norden eher durchschnittlich ausfielen. Dagegen litt Südeuropa extrem unter der Hitze. Im August 2021 wurde beispielsweise auf Sizilien mit 48,8 °C im Schatten ein neuer Rekord für Europa aufgestellt. Mitte Januar 2022 vermeldete der australische Bundesstaat Western Australia eine Temperatur von 50,7 °C. Einige Wochen später belasteten mehrere aufeinanderfolgende lebensfeindliche Hitzewellen Indien und Pakistan. Gleichzeitig fiel im März 2022 in Pakistan 61% und in Indien sogar 71 % weniger Regen als sonst üblich. Nur deshalb wurden in den beiden Ländern weniger Todesfälle als befürchtet verzeichnet, da das übliche gleichzeitige Zusammentreffen von Hitze und feuchter Luft besonders gesundheitsschädlich ist. Am 14. Mai 2022 wurde im pakistanischen Jacobabad mit 51 °C ein neuer Landes-Hitzerekord nur knapp verfehlt: der wurde am 28. Mai 1917 mit 53,7 °C in Turbat registriert. Häufen sich derartige Heißwetterperioden, könnte dies die betroffenen Regionen auf Dauer unbewohnbar machen. Man schätzt, dass Indien und Pakistan bei weiterer Erderwärmung alle 100 Jahre mit einem derartigen Hitzeereignis rechnen muss, während es ohne den Klimawandel nur etwa alle 3.300 Jahre eintreffen würde. Da ist es auch kein Trost, dass die weltweit höchste jemals gemessene Temperatur, nämlich 56,7 °C im Death Valley in den USA am 10. Juli 1913, noch ein wenig höher lag.
Ein besonders drastisches Beispiel für das Zusammentreffen von Wetterextremen war 2022 in Pakistan zu beobachten. Während dieses Land wie gerade erwähnt noch im März unter großer Hitze und Regenarmut litt, wurde es ab Mitte Juni von ungewöhnlich heftigen, lang andauernden Regenfällen getroffen. Rund ein Drittel von Pakistan stand unter Wasser, 33 Millionen Menschen hatten mit den Fluten zu kämpfen und rund 1.600 Personen verloren ihr Leben. Dass durch die Klimaerwärmung Menschen sterben können, bestätigte auch das deutsche Robert-Koch-Institut: allein während der Sommermonate 2021 in Deutschland schätzt das Institut die Zahl der Hitzetoten auf 3.200. Europaweit traf es im Jahr 2023 ungefähr 50.000 Menschen (siehe auch Kapitel 1).
Derart extreme Klimawandelfolgen könnten sich künftig häufen, wenn der Erd- und Ozeanerwärmung nicht schnellstens Einhalt geboten wird. So dürfte der Anteil der weltweiten Landfläche, auf der das Risiko von Überschwemmungen allein durch Flüsse durch starke Dauerniederschläge deutlich steigt, von 11 % bei einer Erwärmung um + 1,5 C auf fast das Doppelte, nämlich 21 %, bei + 2 °C wachsen. Auch die Gefahr von heftigen Sturmfluten wird zunehmen. In der Vergangenheit galt, dass an der Nordseeküste bei Cuxhaven schwere Sturmfluten wahrscheinlich nur einmal alle 500 Jahre zu erwarten sind. Bei einer Erwärmung um + 1,5 °C steigt die Häufigkeit auf eine schwere Sturmflut alle 40 Jahre, bei + 2 °C sogar auf einmal alle 33 Jahre. Ähnlich beunruhigend sehen die Prognosen für Hurrikane und Taifune nach einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung aus. Schon in den letzten vier Jahrzehnten wurde beobachtet, dass unter den stärkeren tropischen Wirbelstürmen der Prozentsatz der stärksten Hurrikane der Kategorie 3 bis 5 um 25 % zugenommen hat. Aktuell werden jährlich weltweit bis zu 150 Millionen Menschen von tropischen Wirbelstürmen bedroht. Bei einer globalen Erwärmung von + 2 °C gegenüber dem Vergleichswert vor der Industrialisierung wären 25 % mehr Personen betroffen, wegen des zu erwartenden Bevölkerungswachstums bis 2050 sogar um etwa 40 % mehr. Das Wirbelsturmrisiko ist vor allem in einigen ostafrikanischen Ländern, in den USA und in Saudi-Arabien hoch.
Tierwelt
Nicht nur für Menschen können die höheren Temperaturen zum Problem werden. Auf den Rückgang der Insektenarten durch die weltweite Erwärmung wurde bereits hingewiesen. Schlimmer noch sähe es für die Wirbeltierarten aus. Es ist damit zu rechnen, dass infolge des Klimawandels bei einer Erwärmung um +2 °C sogar ungefähr die Hälfte dieser Arten aussterben, bei 1,5 °C immer noch etwa 8 %. Wo Laichgewässer wegen der Dürre austrocknen, brechen auch die Bestände der Amphibien ein, seltene Arten sind bereits verschwunden. Für 19 % der besonders geschützten Tierarten auf der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens. Stark gefährdet aufgrund der durch den Klimawandel (Dürre, Buschbrände, Überschwemmungen, Erdrutsche, Temperaturanstieg usw.) verursachten sich verkleinernden Lebensräume oder des Verschwindens einer ausreichenden Nahrungsgrundlage sind in erster Linie folgende groß wachsende Arten:
→ der Afrikanische Elefant (Bild 16); viele Tiere legen auf der Suche nach Wasser und Futter weite Strecken zurück, weichen dabei in neue Gebiete aus, zertrampeln Äcker und Felder und kommen mit Menschen in Konflikt
→ der Eisbär
→ der Schneeleopard
→ der Große Panda
→ der Koala Bär und
→ der Orang-Utan auf Sumatra und die Meeresschildkröte.
Als erstes Säugetier, das nachweislich durch den menschgemachten Klimawandel ausgestorben ist, gilt die Mosaikschwanzratte. Sie lebte endemisch auf einer kleinen Sandinsel an der Spitze des Great Barrier-Reefs im Nordosten Australiens und wurde das Opfer des steigenden Meeresspiegels, der ihren Lebensraum vernichtete.
Andere Tierarten werden durch den Klimawandel zwar nicht ausgerottet, doch durch die Veränderung der Habitatbedingungen in ihrer Populationsstärke reduziert. Ein Beispiel dafür sind europäische Landschildkröten. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, dass es Landschildkröten nicht warm genug haben können, liegt ihre Letaltemperatur zwischen 35 und 40 °C. In ihren natürlichen Vorkommensgebieten in Südeuropa und Nordafrika werden sie unter der Erderwärmung leiden, da sie weniger Schattenplätze und weniger nährstoffhaltiges Futter finden werden. Dies trifft besonders auf einige afrikanische Landschildkrötenarten zu, die in vielen Habitaten schon jetzt erst nach längeren Wanderungen feuchte Aufenthalts-, Schlaf- und Ei-Ablageplätze finden. Als Sondereffekt kommt bei Landschildkröten hinzu, dass von den vergrabenen Gelegen bei eher niedrigeren Bodentemperaturen mehr männliche Jungtiere, bei eher höheren mehr weibliche schlüpfen. Bei den in den südlichen Verbreitungsgebieten steigenden Umgebungstemperaturen werden deshalb künftig deutlich mehr Weibchen als Männchen zur Welt kommen, was die Populationen auf lange Sicht reduzieren dürfte.
Wie viele Tier- und Pflanzenarten durch den Klimawandel letztendlich tatsächlich verschwinden werden, lässt sich nicht sicher abschätzen. Schätzungen zufolge sind von den etwa 8 Mio. Tier- und Pflanzenarten der Erde rund 1 Mio. vom Aussterben bedroht, unter anderem deshalb, weil ganze Ökosysteme zerstört sind. Täglich verschwinden etwa 150 Arten für immer. Viel wird davon abhängen, inwieweit und wie schnell sich Tiere und Pflanzen der geänderten Umgebungssituation anpassen werden. Als Beispiel sind die in den Polarzonen lebenden imposanten Buckelwale genannt, die sich vorwiegend von Plankton und Krill ernähren. Krill wiederum ernährt sich von einzelligen Meeresalgen, die an der Unterseite der Eisdecke leben. Schmilzt das Meereis ab, verschwinden auch die Algen und mit ihnen die kleinen Krustentiere. Stellen sich die Buckelwale nicht auf ein anderes Futter um (oder wandern sie nicht in ähnlich kalte Gewässer mit ausreichendem Krillbestand ab), sind sie vom Aussterben bedroht.
Ozeane, Eiskappen, Eisschilde und Gletscher
Da die Weltmeere etwa 91 % der durch den Treibhausgas-Effekt verursachten Überschussenergie absorbieren (siehe auch Kapitel 6), dehnt sich das erwärmte Wasser aus. Zugleich schmelzen Gebirgsgletscher sogar in äquatorialen Regionen (Bild 17), Eiskappen und große kontinentale Eischilde (Grönland, Antarktis) ab; Forschern der University of Leeds zufolge sind auf der Erde alleine zwischen 1994 und 2017 etwa 28 Billionen Tonnen Eis geschmolzen. Auch in Deutschland kann man die Folgen des Klimawandels an seinen Gletschern beobachten: Infolge des heißen Sommers 2022 hat der Südliche Schneeferner auf der Zugspitze aufgrund seiner abnehmenden Eisdicke seinen Status als Gletscher verloren und wird in etwa zwei Jahren ganz verschwunden sein. Die vier übrigen noch existierenden deutschen Gletscher sind ebenfalls vom Abschmelzen stark bedroht. Ähnliches ist auch in der Schweiz zu beobachten. Dort haben die Alpengletscher allein in den beiden Jahren 2021 und 2022 rund 10 % ihres Volumens verloren, mehr als in den 30 Jahren zwischen 1960 und 1990. Selbst in hohen Lagen wie im südlichen Wallis und Engadin werden Eisschmelzen von mehreren Metern gemessen (piqd, 6.10.2023).
Eine zum Glück nicht allzu schmerzhafte Folge des Klimawandels betrifft den europäischen Skitourismus, liegt doch in Europa etwa die Hälfte aller weltweiten Skigebiete. Bei einer globalen Erderwärmung um 2 °C über dem vorindustriellen Niveau wird bei etwa der Hälfte aller europäischer Skigebiete Schneemangel die Regel sein. In Deutschlands Skiregionen ist schon bei 3 °C Erhöhung ohne künstliche Beschneiung ein Skibetrieb praktisch nicht mehr möglich, die Schweiz würde in diesem Fall 87 % ihrer Skigebiete verlieren, Österreich und Frankreich rund 93 - 94 % (SPIEGEL Wissenschaft, 28.8.2023). Doch die künstliche Beschneiung wird von Klimawissenschaftlern äußerst kritisch gesehen. Die Gründe: hoher Wasser- und Energiebedarf und damit höhere CO2-Emissionen. Außerdem ist eine künstliche Beschneiung nur bei ausreichend niedrigen Temperaturen möglich. Dies gilt vor allem für Skigebiete in niedrigeren Höhen und in südlicheren Breiten. Dass eine schmale künstliche Skipiste mitten in einer grünen Landschaft selbst für eingefleischte Skitouristen abschreckend wirken kann, ist nicht auszuschließen.
Doch wieder zurück zu den schwindenden Gletschern. Zum Teil gelangt ihr Schmelzwasser über Flüsse bis ins Meer. Beide Änderungen, die Ausdehnung der Ozeane und die Schmelzwasserzufuhr, bewirken einen Anstieg des Meeresspiegels. Regelmäßige Pegelmessungen an Küsten lassen darauf schließen, dass der Wasserstand dort allein im 20. Jahrhundert um bis zu 20 cm zugenommen hat. Genauere moderne satellitenbasierte globale Messungen ab 1992/93 zeigten, dass seitdem ein Anstieg um 3 - 3,5 cm je Jahrzehnt erfolgte. Lag die Pegelzunahme im Jahr 1993 noch bei 2,1 mm pro Jahr, beträgt sie jetzt jährlich 4,8 mm, mehr als doppelt so viel.
Wissenschaftler haben beispielsweise für Cuxhaven berechnet, dass dort der Meeresspiegel bis Ende dieses Jahrhunderts selbst bei Erreichen des + 1,5 °C-Ziels um 34 cm ansteigen könnte, bei + 2 °C sogar um 53 cm. Die besondere Gefahr für die norddeutsche Küste besteht darin, dass durch die Kombination von höherem Meeresspiegel und heftiger werdenden Nordsee-Stürmen wesentlich stärkere Sturmfluten als bisher entstehen werden. Sie könnten bis zum Jahr 2100 in der Deutschen Bucht bis um 1 m höher auflaufen als heute. Schon ab 2030 wird dort örtlich die Sicherheit gegen Hochwasserfluten ohne weitere Schutzmaßnahmen kaum noch gegeben sein. Jeder Zentimeter Meeresanstieg bedroht die Küsten, nicht zuletzt, weil auch die Erosion verstärkt wird.
Eine noch größere Gefahr droht nach Erkenntnissen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung der gesamten Menschheit dann, wenn durch einen unverändert hohen Treibhausgas-Ausstoß beide großen kontinentalen Eischilde, Grönland und die Antarktis, abschmelzen sollten. Nach einer Umfrage unter 106 führenden internationalen Meeresspiegel-Experten würde der globale mittlere Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 dann mehr als 1 m und bis 2300 sogar mehr als 5 m betragen. Sollte dagegen es dagegen gelingen, die Erderwärmung auf + 2 °C zu begrenzen, würde der Anstieg der Ozeane bis 2100 bei 0,5 m und der bis 2300 zwischen 0,5 und 2 m liegen.
Ganz anders sah es dagegen vor 15.000 bis 20.000 Jahren, vor dem Ende der letzten Eiszeit, aus. Damals konnte man noch trockenen Fußes von Deutschland nach England, von Russland nach Amerika und von Australien nach Tasmanien gelangen, weil der Meeresspiegel ungefähr 120 m unter dem heutigen Niveau lag. Doch mit dem Ende der letzten Eiszeit stiegen die Meere rasch, im Mittel um 1m je Jahrhundert.
Die Arktis ist mit 21 Mio. km2 doppelt so groß wie Europa und etwa sechs Mal so groß wie das Mittelmeer. Das bis zu 4 - 5 km tiefe Nordpolarmeer nimmt zwei Drittel der arktischen Gesamtfläche ein und ist das kleinste und am wenigsten tiefe Meer der Erde. Im Winter ist es weitgehend zugefroren, doch die Wissenschaftler beobachten, dass das Eis im Frühjahr zunehmend schneller zurückgeht, während der arktische Ozean im Herbst später und langsamer als bisher zufriert. Als Folge des Klimawandels - seit 1900 ist die Wassertemperatur um 2 °C gestiegen - schrumpft das Eis der Arktis: Seit Beginn der Satellitenmessungen 1979/80 geht es um durchschnittlich 10 % je Jahrzehnt zurück.
Die Eisdecke ist bis zu 3 m dick, kann sich aber auch stellenweise durch Stürme bis 20 m hoch auftürmen. Da die Eisdecke der Arktis auf dem Meer schwimmt, also Meereis ist, hat im Gegensatz zum schmelzenden Landeis das jährliche sommerliche Abschmelzen praktisch keine Auswirkungen auf die Höhe des globalen Meeresspiegels. Der Eisverlust ist nicht jedes Jahr gleich hoch: beispielsweise hatte sich am Ende der Schmelzsaison 2021 die arktische Meereseisdecke auf eine Fläche von 4,81 Mio. km2 verringert; beim bisherigen Sommer-Negativrekord hatte das arktische Meereis eine Fläche von nur noch 3,27 Mio. km2.
Wie das Bild 15 weiter oben zeigt, wird der arktische Sommer bei einer Erderwärmung von + 2 °C über das vorindustrielle Niveau mindestens ein Mal alle zehn Jahre eisfrei sein. Nicht auszuschließen ist, dass es in einigen Jahrzehnten Normalzustand sein wird, dass während der eisfreien Zeit ein gesamtes Ökosystem, Lebensraum von Walen, Robben und Eisbären, verschwindet. Diese Tiere sind ohnehin jetzt schon durch unkontrollierten Fang und Abschuss reduziert. Dass sich das arktische Eis so rasch und deutlich erwärmt und schmilzt - die Arktis hat sich in den letzten 40 Jahren im Mittel vier Mal schneller erwärmt als der Rest unseres Planeten - ist offensichtlich nicht allein dem Klimawandel zuzuschreiben. Vermutlich schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts trägt zu diesem Vorgang die sogenannte Atlantifikation bei, unter der man die Meeresströmung von wärmerem und salzhaltigerem Atlantikwasser in das Nordpolarmeer versteht.
Das zu Dänemark gehörende Grönland ist zu fast 80 % von einer Süßwasser-Eiskappe bedeckt. Sie ist an ihrer höchsten Stelle rund 3.200 bis 3.300 m dick. Mit einer Landfläche von 2,17 Mio. km2 ist die weltweit größte Insel etwa so groß wie Saudi-Arabien; sie wird von rund 57.000 Menschen bewohnt.
Das Landeis auf Grönland schmilzt vorwiegend an den jetzt bis zu 150 km breiten Rändern der Insel (Bild 18), während es im Zentrum durchaus noch weiter schneien, gelegentlich auch regnen kann. Seit einigen Jahren wird zunehmend beobachtet, wie sich das Grönlandeis über Auslassgletscher ins Meer hinausschiebt. Es wird von dem wärmeren Meerwasser so lange unterspült, bis es abbricht. Man schätzt, dass seit 1986 nahezu 5.500 Mrd. t Inlandeis geschmolzen und ins Meer gelangt sind, allein im Jahr 2019, dem bisher extremsten Schmelzjahr, betrug die Eisschmelze auf Grönland etwa 600 Mrd. t. Der Meeresspiegel stieg in dieser Zeit um 12 mm. Wie schnell sich dieser Vorgang in neuerer Zeit beschleunigt, haben Forscher der University of Leeds (UK) und der NASA ermittelt: Betrug der durchschnittliche grönländische Eisverlust zwischen 1992 und 1997 nur etwa 18 Mrd. t pro Jahr, waren es zwischen 2012 und 2017 schon rund 239 Mrd. t jährlich. Hält diese Entwicklung weiter an, könnte sich bis Ende dieses Jahrhunderts den Meeresspiegel um rund 20 cm erhöhen. Ungefähr 100 Millionen Menschen weltweit müssten dann auf Überschwemmungen gefasst sein. Unter dem Szenario, dass der gesamte grönländische Eisschild instabil werden sollte und ins Meer gleitet, könnte sich allein dadurch der durchschnittliche Meeresspiegel um über 7 m erhöhen. Ein derartiges Ereignis ist allerdings nach Einschätzung der Wissenschaft in den kommenden Jahrhunderten noch nicht zu erwarten, da die Inlandseismassen sehr träge auf Erwärmung reagieren und außerdem durch die Schneefälle immer wieder ergänzt werden, zumindest teilweise. Außerdem gibt es seit Kurzem erste Anzeichen dafür, dass sich Grönland als Folge des massiven Eis- und damit Massenverlustes etwas in Richtung oben bewegt (ähnlich wie sich eine Matratze nach dem Aufstehen wieder "ausdehnt"), so dass ein Teil des Meeresanstiegs ausgeglichen wird. Aber Achtung: Durch das Abschmelzen von Eis wird der Eispanzer Grönlands immer dünner. Dadurch gerät seine Oberfläche in Kontakt mit wärmeren Luftschichten, als direkte Folge beschleunigt sich der Schmelzvorgang weiter - ein typisches und nicht mehr zu stoppendes Kipp-Element.
Im Oktober 2023 wurde neuere Forschungsergebnisse eines internationalen Teams bekannt (Pressemitteilung Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK, 18.10.2023), die in der Fachzeitschrift Nature publiziert wurden. Demnach ist der grönländische Eisschild offensichtlich widerstandsfähiger gegen die globale Erwärmung als die Wissenschaftler bisher annahmen. Selbst bei einem vorübergehenden massiven Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur über das vorindustrielle Niveau um bis zu 6,5 °C bis zum Jahr 2100 glauben die Forscher, dass ein mögliches Kippen des Grönland-Eisschildes mit drastischem Anstieg des Meeresspiegels verhindert werden könnte. Allerdings müsste dazu nach 2100 die weltweite Erwärmung innerhalb weniger Jahrhunderte wieder auf ein deutlich geringeres Niveau von 1,5 bis 2 °C reduziert und stabilisiert werden, beispielsweise durch großflächige Aufforstungen und wirksame Techniken zur CO2-Abscheidung und -Speicherung im Boden. Die neuen Erkenntnisse dürfen allerdings in keinem Fall dazu führen, dass die Weltbevölkerung mit ihren Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels nachlässt, zumal unbekannt ist, ob eine Absenkung der globalen Durchschnittstemperatur von 6,6 °C auf 1,5 - 2 °C überhaupt erreicht werden kann. Man sollte nicht vergessen, dass die Wirkung der in der Atmosphäre befindlichen Treibhausgase auf das Klima auch dann noch mehrere Jahrhunderte anhält, wenn es theoretisch möglich wäre, sie von einem Tag auf den anderen auf Null zu bringen.
Die Bewohner Grönlands spüren die Folgen des Klimawandels schon heute. Die Lufttemperaturen steigen ständig: Anfang August 2021 wurde am Flughafen Nerlerit Inaat im Nordosten Grönlands eine Temperatur von 23,4 °C gemessen, ein neuer Höchstwert in diesen Breiten. Normalerweise klettert das Thermometer dort im August kaum über 6 °C. Am 14. August 2021 regnete es sogar zum allerersten Mal am höchsten Messpunkt der Eiskappe, wo im Jahresmittel eine Temperatur von - 30 °C herrscht.
Grönländische Fischer sind zu längeren Fangreisen in Richtung Norden gezwungen, da die Fischpopulationen vom wärmeren Süden in kältere nördliche Gewässer ausweichen. Zusätzlich werden immer mehr Fischräuber wie der Schwertwal Orca (Orcinus orca) gesichtet, die normalerweise vorwiegend in den etwas wärmeren Küstengewässern des Nordpazifiks und Nordatlantiks leben und den Fisch- und Robbenbestand Grönlands weiter reduzieren. Und noch eine neue Besonderheit: dort wo die Ränder der Insel bereits eisfrei sind, kommt es jetzt häufiger zu Sandstürmen.
Die Situation in der extrem kalten Antarktis,
im Gegensatz zur Arktis ein Kontinent, ist nicht ganz so kritisch wie die Situation in Grönland, weil die Temperatur des gesamten antarktischen, bis zu 4 km dicken Eisschilds (noch ?) unter dem
Gefrierpunkt liegt. Dennoch hat die Antarktis mit Abstand das größte Potential, den Ozeanspiegel ansteigen zu lassen (Reimer, 2024). Die Wissenschaft ging anfangs wegen der Schneefälle sogar
davon aus, dass die Dicke des antarktischen Eispanzers leicht zunimmt, was sich allerdings nicht bestätigte. Auf Satellitenaufnahmen kann man deutlich einen kontinuierlichen Verlust des
antarktischen Kontinentaleises im südlichen Ozean erkennen, vorzugsweise in der Westantarktis. Die Ursache dafür ist das den Eisschild umgebende, auf dem Wasser schwimmende Schelfeis. Es ist mit
dem Landeis fest verbunden und bremst so das Abfließen der Gletscher in das antarktische Meer ab. Doch das zunehmend wärmer werdende Meerwasser dünnt das Schelfeis kontinuierlich von unten aus
und schwächt damit auf diese Weise seine Stützfunktion für den Eispanzer der Antarktis.
Im Jahr 2000 löste sich vom Ross-Schelfeis ein etwa 11.000 km2 großer Tafeleisberg (Bezeichnung B15) ab, zwei Jahre später das mehrere tausend Jahre alte Larsen-B-Eisschelf. Als jüngeres Ereignis
brach im Jahr 2021 vom antarktischen Ronne-Schelfeis der aktuell größte Eisberg der Welt, Bezeichnung A76, ab. Mit etwa 170 km Länge, 25 km Breite und einer Fläche von rund 4.300 km2 war er
größer als die Insel Mallorca. Wie das Alfred-Wegener-Institut (AWI) bekannt gab, waren am 8.2.2023 überraschenderweise nur noch 2,2 Mio. km2 im südlichen Ozean mit Eis bedeckt, so wenig
wie seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen vor rund 40 Jahren noch nie beobachtet wurde. Zum Höchststand in Zeitraum September-Oktober sind dagegen normalerweise im Meer rund um die Antarktis
meist zwischen 18 und 20 Mio.km2 gefroren. Das AWI-Forschungsschiff Polarstern operierte im Februar 2023 in dem nahezu eisfreien Bellinghausen-Meer (sueddeutsche.de/wissen/). Die
aktuelle Schmelze wird wahrscheinlich hauptsächlich durch die mit + 1,5 °C über dem langjährigen Mittel liegenden warmen Lufttemperaturen westlich und östlich der antarktischen Halbinsel
verursacht. Das Ausdehnen und Schrumpfen des Meereises wirkt sich stark auf das Ökosystem der Antarktis aus, z.B. auf das Wachstum von Phytoplankton. Verschiebt sich der Zeitpunkt der
Planktonblüte, könnte dies die Nahrungsaufnahme von Meerestieren, von Vögeln bis hin zu den Walen, stören.
Man geht davon aus, dass schon in wenigen Jahren auch der durchschnittlich 1.000 m dicke Thwaites-Gletscher der Westantarktis ins Meer abfließt. Der Gletscher ist flächenmäßig etwa halb so groß wie Deutschland. Noch wird er daran von einer riesigen Eisplatte an seinem Fuß gehindert. Wenn diese Platte einmal zerbricht, droht langfristig ein globaler Meeresanstieg um 65 cm. Britische Glaziologen haben aufgrund von Messungen der Geschwindigkeit der örtlichen Meeresspiegel-Zunahme nahe der beiden westantarktischen Gletscher Thwaites und Pine Island - eine indirekte Methode zur Abschätzung des Eisverlustes - in einer Veröffentlichung Anfang Juni 2022 aufgezeigt, dass sich beide Gletscher mit einer Geschwindigkeit zurückziehen, wie sie in den letzten 5.500 Jahren nie höher war. Dies könnte in den nächsten Jahrhunderten zu einem örtlichen Meeresanstieg sogar um bis 3,5 m führen. Würde darüber hinaus der gesamte antarktische Eisschild abschmelzen, zweifellos ein Katastrophen-Szenario, das allerdings nicht mehr im jetzigen Jahrhundert eintreten dürfte, könnte der Meeresspiegel weltweit sogar um 5 m und mehr steigen. Dann würden Großstädte wie Mumbai oder New York bzw. ganze Landregionen der Niederlanden oder Vietnams, auch in Norddeutschland, unter Wasser stehen. Dass dies durchaus nicht zu pessimistisch gesehen ist, bestätigen polnisch-finnische Satellitenmessungen zwischen März und Juni 2023. Danach gelangt warmes Ozeanwasser nicht nur unter die Ränder des Thwaites-Gletschers, sondern presst sich bei Flut viele Kilometer unter das Eis, wodurch sich dieses anhebt und verbiegt. Es könnte also schneller gehen, bis der schmelzende Gletscher zu einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels führt.
Beunruhigend ist, dass wahrscheinlich die als stabil angesehene Ostantarktis ebenfalls Eis verliert. Befürchtungen, dass die Antarktis langfristig gesehen ganz eisfrei sein wird - dann wäre der Meeresspiegel nämlich rund 60 m höher als heute -, bestehen jedoch nicht:
Da sowohl Schelfeis als auch Eisberge auf dem Wasser driften, schmelzen sie durch Kontakt mit dem wärmer werdenden Meerwasser erst nach langer Zeit. Entsprechend lange dauert es auch, bis sie sich aufgelöst haben und die Meeresspiegel-Erhöhung einsetzt. Nach Aussagen der Wissenschaft verliert die Antarktis seit etwa 2006 jährlich bis zu 150 Mrd. t Eis. Diese Eisabnahme ist nicht gleichmäßig, denn in manchen Jahren kommt es sogar zu einer Zunahme des Eispanzers.
Die schmelzenden Gletscher an den Polen haben neben dem ansteigenden Meeresspiegel mit einer Verschiebung der Erdachse noch eine weitere Auswirkung, deren Bedeutung für die Erde noch unklar ist. Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben durch Berechnungen festgestellt, dass sich infolge des polaren Eisverlustes, vor allem des massiven grönländischen Eispanzers, die bisherige Massenverteilung der Erde ändern könnte, was sich auf die Stellung der Erdachse auswirkt. Während früher die Erdachse um etwa 10 cm je Jahr in südwestlicher Richtung driftete, änderte sich dies in den 1990er-Jahren: Die Driftbewegung verschob sich um etwa 10 Grad nach Osten.
Fische in den Ozeanen müssen wegen der ansteigenden Wassertemperaturen (der Nordatlantik wies im Sommer 2023 noch nie zuvor gemessene hohe Oberflächentemperaturen auf, vor der Küste Floridas wurde um diese Zeit 38 °C gemessen, das Meer vor Mallorca nahe der Nachbarinsel Dragonera erwärmte sich im August 2024 auf 31,87 °C, die Nordsee war etwa 6 °C wärmer als normal) zu den Verlierern des Klimawandels gezählt werden. Meeresfische, vor allem aus tropischen Gewässern, leiden nicht nur durch die höheren Wassertemperaturen, sondern durch zwei weitere gravierende Veränderungen: den mit höherer Temperatur abnehmenden Sauerstoffgehalt des Wassers und die langsame Versauerung der Gewässer, da sich das aufgenommene CO2 mit dem Wasser zu Kohlensäure verbindet. Steht den Fischen weniger Sauerstoff zur Verfügung, verbrauchen sie mehr Energie und wachsen deshalb schlechter als bisher. Kanadische Wissenschaftler haben unlängst in einer Veröffentlichung nachgewiesen, dass Fische im Indischen Ozean bis zu 2050 um 24 % an Gewicht im Vergleich zu heute abnehmen könnten, die im Atlantik um 20 %. Amerikanische Wissenschaftler haben ermittelt, dass schon bei + 2 °C durch den Sauerstoffmangel 4 % aller Meereslebewesen verschwinden werden.
Die Versauerung durch die Abnahme des Säuregrads (pH-Wertes) des Wassers heißt jedoch nicht, dass das Meerwasser sauer wird. Vielmehr wird es lediglich weniger basisch. So ist der Säuregrad von Meerwasser seit der Zeit um 1850 - 1900 von pH = 8,2 auf pH = 8,1 gesunken (Wasser mit pH = 7,0 ist neutral, Wasser unter pH = 7,0 sauer). Der Unterschied von 0,1 Einheiten erscheint auf den ersten Blick sehr gering, doch da die pH-Werteskala logarithmisch ist, entspricht diese Abnahme einem Anstieg des Säuregrads um immerhin 30 %. Dies könnte sich bis 2100 ohne Stopp der weltweiten CO2-Emissionen noch verdoppeln.
Die Fischpopulationen sind übrigens nicht nur durch die Änderungen der Wasserparameter gefährdet, sondern auch durch das Einleiten von Chemikalien und der Verunreinigung durch Hunderte von Tonnen Mikroplastik, von der massiven Überfischung gar nicht erst zu reden.
Stark gefährdet sind schon jetzt Meerestiere mit einem Schutzmantel aus Calciumcarbonat (Kalk), wie Korallen, Muscheln oder Flügelschnecken, deren Schalen durch die in einem weniger basischen Wasser entstehende Kohlensäure dünner werden oder sich sogar ganz auflösen.
Den Anstieg der Wassertemperaturen können tropische Korallenriffe schon heute kaum noch verkraften. Man schätzt, dass weltweit bereits ein Drittel unwiederbringlich abgestorben ist, ein weiteres Drittel ist noch in einigermaßen gutem Zustand, das restliche Drittel aber in einem schlechten Zustand. Korallenriffe sind Lebensraum, Vermehrung- und Zufluchtsort für rund 25 % aller Arten der Meereslebewesen. Der Grund für das Absterben ist, dass die Algen, mit denen die Korallen in Symbiose leben und die ihnen ihre prächtige Farbe verleihen, ab 30 °C Wassertemperatur Giftstoffe produzieren. Deswegen stoßen die Nesseltiere die Algen ab, worauf ihr helles Kalkskelett zum Vorschein kommt (Korallenbleiche). Mehr als die Hälfte eines Riffs stirbt dann ab, wie dies z.B. beim bekannten 2.300 km langen australischen Great Barrier Reef vor der Nordostküste zu beobachten ist, das aus rund 3.000 einzelnen Korallenriffen besteht. In dieser ungewöhnlich artenreichen Region leben etwa 600 Korallenarten, 4.000 verschiedene Weichtiere, 1.600 Fischarten und seltene Wale, Delfine und Haie. Experten sprechen von der vierten Massenbleiche seit 2016: Es droht ein Zusammenbruch ganzer Ökosysteme. Der Weltklimarat IPCC hat berechnet, dass eine Erwärmung um + 2 °C den Verlust praktisch aller tropischen Korallenriffe mit sich bringen könnte. Bei + 1,5 °C würden bis zu 30 % der Korallen überleben, möglicherweise schwer geschädigt. Die Folgen des Riffsterbens sind beachtlich: immerhin verdanken ungefähr 400 Millionen Menschen weltweit nicht nur ihre Nahrung den intakten Korallenriffen, sondern auch den Schutz vor Sturmwellen vor den Küsten.
Ein anderes Beispiel, wie erhöhte Meerestemperaturen aufgrund des Klimawandels Meerestiere existentiell gefährden, zeigt sich in der östlichen Beringsee vor Alaska bei den dort bisher verbreitet vorkommenden tellergroßen Schneekrabben (Chionoecetes opilio). Die bis zu 1 kg schweren Tiere werden zum Verzehr gefangen und verarbeitet, woran eine ganz Industrie hängt. Doch seit etwa 2018 schrumpft der Bestand rapide. Wissenschaftler gehen davon aus, dass seitdem etwa 90 % der Meereskrabben eingegangen, und zwar regelrecht verhungert sind. Verhungert deswegen, weil die um wenige Grad gestiegene Wassertemperatur den Energiebedarf der Tiere stark erhöht hat. Dadurch müssen die Tiere entsprechend mehr fressen, was aber das Nahrungsangebot bei der bisher hohen Populationsdichte nicht hergab. Als Reaktion auf das Massensterben haben die zuständigen Behörden die lukrative Krabbenfischerei zunächst für die Saison 2022/23 und auch 2023/24 verboten. Es bleibt abzuwarten, ob, und wenn ja, wie rasch sich der Bestand erholt.
Ein wichtiger Effekt, der die Erderwärmung beschleunigt, wurde hier bisher nicht erwähnt. Es handelt sich um einen der sogenannten Kipp-Elemente oder Kipp-Punkte oder Rückkopplungseffekte, die Thema des nächsten Kapitels sind. Sobald die hellen Eisflächen im Laufe der Zeit auf Kontinenten, Gletschern oder gefrorenen Meeren verschwinden, werden dunkle Böden bzw. dunkle Wasserflächen frei. Sie reflektieren die einfallende Sonnenstrahlung weniger stark als die früheren hellen Eis- und Schneeflächen, speichern also mehr Sonnenwärme. Durch die geringere Rückstrahlfähigkeit (Albedo) erwärmen sich die Böden und Meere stärker als zuvor, was wiederum das noch vorhandene Eis rascher abschmelzen lässt.
Eisschmelze in der Frühgeschichte
Die nach heutigem Kenntnisstand durch den anthropogenen Klimawandel auftretende Erhöhung der Meeresspiegel ist selbst im pessimistischsten Fall eines vollständigen Abschmelzens der Eisschilde Grönlands und der Antarktis in ferner Zukunft kaum mit ähnlichen Ereignissen in der Geschichte der Erde zu vergleichen. Denn beim Kältemaximum der letzten Eiszeit vor ungefähr 20.000 Jahren lag der Meeresspiegel, wie oben bereits erwähnt, noch um rund 120 m unter seinem heutigen Niveau, bei Temperaturen, die weltweit um 4 - 7 °C niedriger als heute waren. Hätten die damaligen Menschen schon hohe Kathedralen wie das Ulmer Münster oder den Kölner Dom bauen können, würden heute nur noch deren Spitzen aus dem Wasser ragen.
Mit Beginn der letzten Warmzeit schmolzen riesige kilometerdicke Eisschilde ab, die deutlich mehr Erdoberfläche bedeckten als heute. Die Meerespegel nahmen deswegen mehrere Jahrtausende lang mit einer Geschwindigkeit von bis zu 5 m je Jahrhundert zu. Für unsere damaligen noch wenigen und verstreut lebenden Vorfahren stellte diese klimatische Situation sicherlich eine enorme Herausforderung dar. Doch die weitgehend noch nicht sesshaften Menschen waren es gewohnt, sich immer wieder bessere und sicherere neue Lebensräume zu suchen.
Die heutige Situation ist schon deswegen anders, weil wir nicht aus einer massiv vergletscherten Welt kommen. Durch den Klimawandel sind selbst unter ungünstigen Umständen bis Ende dieses Jahrhunderts allenfalls Meeresspiegel-Erhöhungen von einigen wenigen Metern zu erwarten. Erst wenn sämtliche Gletscher und Eispanzer der Welt abschmelzen würden, könnte der Meeresspiegel um rund 50 m zunehmen. Was würde das bedeuten? Düsseldorf würde unter Wasser stehen, Teile von Berlin wären überschwemmt und Magdeburg würde zur Küstenstadt. Doch bei unserer stark überbevölkerten Erde wird es auch bei einem Meeresanstieg von nur ein paar Metern problematisch, wenn weltweit Millionen von Küstenbewohnern ihre flutbedrohte Heimat verlassen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass gleichzeitig viele Regionen der Erde durch weiter steigende Umgebungstemperaturen unbewohnbar werden könnten und somit insgesamt weniger nutzbares Land zur Verfügung steht.
Gewinner des Klimawandels
Doch der Klimawandel bringt nicht nur Ängste, hohe Kosten und strenge Beschränkungen mit sich, sondern auch Gewinner, auch wenn in Summe die Verlierer die Mehrheit haben. Bei den Angaben zu Temperaturerhöhungen in www.klimawandel-report.com handelt es sich um weltweite Mittelwerte. Eine Änderung der globalen Mitteltemperatur von beispielsweise + 2 °C bedeutet, dass sich die tatsächliche Umgebungstemperatur in bestimmten Regionen um rund 3 oder 4 °C erhöht, in einigen anderen wird es dafür kälter. Es gilt jedoch als gesichert, dass die Temperatursteigerungen gerade die ärmeren Schwellenländer, z.B. weite Teile Afrikas, am meisten trifft; auch die USA werden mehr als jede andere westliche Industrienation unter der Klimaveränderung leiden. Andere Länder, wie z.B. Norwegen, zählen zu den Gewinnern. Auch Europa und damit Deutschland dürften eher zur Gewinnergruppe als zu den Verlierern zählen.
Im arktischen Raum ermöglicht ein im Sommer weitgehend eisfreies Meer der weltweiten Schifffahrt in dieser Jahreszeit neue kürzere, schnellere und damit kostengünstigere, klimafreundliche Handelsrouten. Auch bei den Vogelarten gibt es neben Verlierern auch Gewinner der veränderten Bedingungen. Wird es bestimmten Arten zu warm, weichen sie nach Norden aus, während andere aus dem zu warm gewordenen südlichen Europa eine neue Heimat im kühleren Deutschland finden. Vögel aus hiesigen Regionen, so die bisher in Afrika überwinternden Störche (Bild 19), könnten künftig auf die langen gefährlichen und energiezehrenden Hin- und Rückflüge verzichten und das ganze Jahr über in ihren heimischen Brutgebieten bleiben – vorausgesetzt sie finden bei uns im Winter ausreichend Nahrung. Sie profitieren auch davon, dass viel weniger der sonst in Afrika überwinternden Störche dem vor allem in der Dodoma-Region in Tansania seit Jahrzehnten betriebenen Storchenjagd entgehen.
Wenn in der Antarktis Meer- und Landeis und Gletscher schmelzen, kommt es auch dort selbst unter eng verwandten Tierarten Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern zählen beispielsweise Königspinguine, während die Kaiserpinguine, die ihre Jungen auf dem Eis zur Welt bringen, unter dem Klimawandel leiden werden, es sei denn, sie passen sich vor dem drohenden Aussterben den neuen Gegebenheiten an.
Zur Tierwelt in den mitteleuropäischen Regionen: wenn bei uns als Folge des Klimawandels weniger Schnee fällt und es milder bleibt, profitieren beispielsweise Igel und Siebenschläfer, weil sie dann im kürzeren Winterschlaf weniger Energie verbrauchen. Rehe und Wildschweine, die keinen Winterschlaf halten und daher auch in der kalten Jahreszeit ständig auf Futtersuche sind, haben es bei der Futtersuche leichter, wenn weniger Schnee liegt (davon profitieren auf Grönland die majestätischen pflanzenfressenden Moschusochsen). Auch der mögliche Verlust von Insektenarten durch den Klimawandel relativiert sich, weil bei milderen Wintertemperaturen mehr von ihren Eiern und Larven überleben – dies gilt allerdings auch für unerwünschte Parasiten, wie z.B. für Zecken oder Läuse. Unerwünscht ist auch der Borkenkäfer als die wohl bekannteste Insektenart im Wald, weil er dort die Bäume schädigt. Als wechselwarme Tiere sind sie bei höheren Temperaturen wesentlich aktiver und vermehren sich schneller. So gab es früher pro Jahr nur eine Generation, weil die Temperaturen niedriger waren; die überwinternden Käfer z.B. des Buchdruckers (Ips typographus) beginnen ihren Schwarmflug erst ab etwa 16 °C. Heute bilden die Borkenkäfer jährlich bis zu drei Generationen und schädigen die Waldbäume massiv.
Zu den Gewinnern der Erderwärmung aus der Vogelwelt zählen unter anderem neben den Störchen (Bild 19) auch der vorwiegend im Mittelmeerraum lebende farbenprächtige Bienenfresser (Merops apiaster). Er kommt mittlerweile auch in den warmen Regionen Deutschlands wie etwa in Rheinland-Pfalz vor und wird sogar schon in den früheren Truppenübungsplätzen in Brandenburg beobachtet.
Und wenn die Erwärmung um mehr als + 2 °C zunimmt?
Hierzu als Beispiel eine 3 °C-Welt: mit ihr möchte wohl niemand der heute lebenden Menschen länger Bekanntschaft machen, doch sie könnte bis 2100 für die, die in den kommenden Jahren zur Welt kommen, Wirklichkeit werden. Und zwar dann, wenn Emissionsreduzierungen nicht ausreichen sollten, nicht greifen oder ihre Umsetzung noch weiter hinausgezögert wird. Das Szenario bei einer mittleren Temperaturerhöhung um + 3 °C (nach wetter.de) hört sich erschreckend an (Bild 20):
→ Der gesamte westantarktische Eispanzer schmilzt ab. Die Folge: der Meeresspiegel wächst allein dadurch um 5 m, alle Küstenstädte dieser Welt wären bedroht, flache Inseln verschwinden entweder ganz oder werden in ihren Randbezirken durch das Wasser zerstört.
→ Hitzewellen treten immer häufiger auf. Gemeint damit sind solche, die derzeit nur alle 25 Jahre vorkommen; in der + 3 °C-Welt muss man dagegen alle zwei Jahre mit ihnen rechnen. In einigen Millionenstädten sind Temperaturen bis 50 °C wahrscheinlich.
→ Die Wüsten werden größer, die Hitzetoleranz von Mais und Soja wird überschritten, einbrechende Ernteerträge, es herrscht Nahrungsmittelknappheit und Hunger.
→ Fast alle europäischen Gletscher sind bereits abgeschmolzen, es fehlt trotzdem an Wasser zur Acker-Bewässerung. Beispielsweise haben die Schweizer Gletscher in nur einer Woche Mitte Juni 2022 etwa 300 Mio. t Eis und Schnee verloren.
→ Hochwasser, Starkregen und Fluten nehmen zu, der Regenwald kämpft ums Überleben.
Das alles klingt in der Tat nicht gerade nach einem Paradies. Dennoch möchte ich hier keine Panik verbreiten, muss aber immer wieder deutlich auf die drohenden Folgen einer weiteren Klimaerwärmung hinweisen. Letztere darf durchaus als Desaster beschrieben werden, welches eine realistische und nicht etwa eine verschönernde Darstellung rechtfertigt. Dennoch hat es die Menschheit jetzt in der Hand, es nicht so weit kommen zu lassen. Eine Verharmlosung der Klimawandel-Folgen zur Beruhigung der Bevölkerung, was die Medien gelegentlich von Wissenschafts-Autoren erwarten, wäre jedenfalls nicht der richtige Weg.
Doch zum Glück gibt es immer wieder positive Nachrichten. So haben sich die fast 200 Teilnehmerstaaten der UN- Biodiversitätskonferenz COP15 vom 7.-19.12.2022 im kanadischen Montreal nach zweiwöchigem harten Ringen auf ein neues weltweites Abkommen für den Schutz und Erhalt der Natur an Land und im Wasser geeinigt. Es sieht zum Beispiel vor, dass bis 2030 je 30 % der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden, um bis zum Jahr 2050 endlich das bedenkliche Massenaussterben der Arten aufzuhalten. Bisher gelten erst 17 % der Land- und 10 % der Meeresflächen als geschützt. Außerdem sollen, ebenfalls bis 2030, 30 % der zerstörten Ökosysteme renaturiert, also wiederhergestellt, der Pestizideinsatz halbiert und umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Um die Ziele zu erreichen, sollen jährlich mindestens 200 Mrd. US-$ mobilisiert werden. Auch wenn das Montreal-Abkommen angesichts des jahrelangen Stillstands einen Durchbruch beim Artenschutz darstellt, wird bemängeln, dass es wenig Konkretes zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme außerhalb der Schutzgebiete aufweist. Abzuwarten bleibt nun, wie schnell und wie umfassend die Beschlüsse des Weltnaturgipfels in nationales Recht umgesetzt werden, denn die auf der COP15 beschlossenen Maßnahmen sind per se nicht bindend. Außerdem sagt uns die Erfahrung, dass nicht alle Gebiete mit Schutzstatus auch wirklich geschützt werden. Viel hängt auch von der Mitwirkung der jeweils lokalen Bevölkerung ab. Die Vertragsstaaten müssen nunmehr das Montreal-Abkommen ratifizieren. Auch die EU muss sicherstellen, dass die beschlossenen Schutzziele in Europa implementiert werden. Im Jahr 2026 wollen alle Staaten gemeinsam eine Halbzeit-Bestandsaufnahme zum globalen Artenschutz vorlegen.
Online am 20. Mai 2022; erfolgte Aktualisierungen: 8.7.2022, 27.9.2022, 20.12.2022, 20.2.2023, 26.7.2023, 21.8.2023, 20.10.2023, 15.11.2023, 7.12.2023, 13.1.2024, 28.3.2024, 20.5.2024
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Kapitel 8: Bisher weitgehend unterschätzt: Kipp-Effekte
Einige Auswirkungen des Klimawandels sind bereits jetzt nicht mehr umkehrbar. Selbst wenn ab sofort keine weiteren Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen würden, würde sich an der Situation nichts ändern. Man spricht in diesen Fällen von Kipp-Elementen, Kipp-Effekten oder Kipp-Punkten, an die man früher eher weniger gedacht hat. Wird ein solcher Kipp-Punkt einmal erreicht, gibt es kein Zurück mehr. Auf einen dieser bereits heute überschrittenen Kipp-Punkte wurde im voranstehenden Kapitel eingegangen: verschwinden nämlich die hellen Gletscher, Eis- und Schneeflächen, sinkt die Albedo (Rückstrahlfähigkeit) der Erde, weil dunklere Böden und Wasserflächen mehr Sonnenwärme aufnehmen als hellere. Die Erderwärmung nimmt damit unabhängig vom weiteren Treibhausgas-Ausstoß weiter zu, was wiederum zum Verschwinden weiterer Eis- und Schneemassen beiträgt. Man spricht von einer Eis-Albedo-Rückkopplung.
Nachfolgend wird auf drei weitere wichtige Kipp-Elemente eingegangen, die den Klimawandel beschleunigen könnten, sobald die globale Erderwärmung + 2 °C überschreitet. Und davon sind wir nicht mehr allzu weit entfernt.
Tauende Permafrost-Regionen
Permafrost-Böden (Dauerfrostböden) sind permanent gefrorene Böden, deren Untergrund für wenigstens zwei Jahre durchgängig gefroren ist. Die Oberflächenschicht kann im Sommer je nach den örtlichen Bedingungen auftauen und im Winter wieder zufrieren. Permafrost kann bis 1.500 m in die Tiefe reichen und ist dann Tausende von Jahren alt. Der Großteil der Permafrost-Gebiete ist während oder kurz nach der letzten Eiszeit entstanden. Es gibt sie in Alaska, Grönland, Sibirien, Nordkanada, China, unter dem Meeresboden der Kontinentalabhänge und in einigen europäischen Hochgebirgen. Fast ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel der Erde, rund 23 Mio. km2, gilt als dauergefroren. Dies ist doppelt so viel wie alle europäischen Wälder zusammen in ihrer Biomasse speichern.
Man muss nicht bis Sibirien fahren, um Folgen auftauender Permafrostgebiete zu sehen. Laut dem Deutschen Alpenverein kommt Permafrost auch an den Südhängen der Alpen ab rund 3.000 m Höhe und an den Nordhängen ab 2.400 - 2.600 m vor. Beim Hochvogel (2.592 m) in den Allgäuer Alpen befürchtet man, dass durch das zunehmende Extremwetter in Verbindung mit den höheren Lufttemperaturen der Berg regelrecht auseinanderbrechen könnte. Schon in den letzten Jahren gab es am Mont-Blanc-Massiv in Höhen um 3.000 m als Folge von instabil gewordenem wassergesättigtem Gestein Hunderte von Felsstürzen ähnlich dem folgenschweren Gletscherbruch am italienischen Marmolata-Massiv in den Dolomiten Anfang Juli 2022.
So manche hoch gelegene Berglandschaft ist mittlerweile durch die schlechter gewordene Bindung von Fels und Geröll mit tauendem Eis und Schnee unstabil geworden und so gefährdet, dass dort Klettern und Bergwandern lebensgefährlich geworden ist und Wanderwege geschlossen oder verlegt werden müssen. Ein derartiger Felssturz geschah zuletzt im Juni 2023 im Silvrettagebirge in den Tiroler Alpen, als nahe Galtür etwa 100 m Höhenmeter des etwa 3.400 m hohen Südgipfels des Fluchthorn-Massivs mit mindestens 100.000 m3 Gestein zu Tal stürzten. Zum Glück gab es keine Verletzten.
Permafrost ist ein gigantisches Reservoir an Kohlenstoff (C). Mindestens 850 Mrd. t C, die Schätzungen einiger Wissenschaftler liegen sogar zwischen 1.300 und 1.600 Mrd. t, sind in allein in den oberen Bereichen der Permafrost-Böden gebunden, zumeist in Form von Tier- und Pflanzenresten. Die Mengen sind so groß, dass sie nach dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bis zu 50 % des gesamten im Boden eingelagerten Kohlenstoffs ausmachen könnten.
Wenn Permafrost auftaut - amerikanische Wissenschaftler ermittelten, dass sich Permafrost-Gebiete zwischen 1990 und 2016 bereits um 4 °C erwärmt haben - bauen Mikroorganismen die Pflanzenreste ab und setzen Kohlenstoff frei; es entstehen dabei die Treibhausgase Methan. Lachgas und Kohlendioxid. Bis Ende dieses Jahrhunderts könnten so ungefähr 15 % des gesamten im Permafrost gebundenen Kohlenstoffs frei werden. Die frei werdenden Treibhausgase intensivieren die Erderwärmung. Dadurch tauen gefrorene Böden immer weiter und schneller auf – ein nicht zu unterschätzender Dominoeffekt: In einigen näher untersuchten Bohrlöchern stellten Forscher fest, dass der Permafrost dort bereits in 10 m Tiefe aufgetaut ist.
Drohen Permafrostböden entlang von Meeresküsten aufzutauen und zu erodieren, könnten Wellen große Mengen des aufgetauten Materials, darunter organischer Kohlenstoff, ins Wasser spülen. Wird dann der Kohlenstoff direkt im Wasser abgebaut, entsteht CO2, was die Fähigkeit des Meeres, CO2 aus der Luft aufzunehmen, sinken lässt. Besonders kritisch wären die Folgen des Auftauens von arktischen Küstenbereichen, reagiert doch keine Region so rasch auf den Klimawandel wie die Arktis. Aktuelle Berechnungen haben ergeben, dass durch diesen Effekt der Arktische Ozean bis zum Jahr 2100 jährlich zwischen 5 und 13 Mio. t CO2 weniger aufnehmen könnte als bisher erhofft. Dies entspricht etwa 7 bis 14 % der gesamten CO2-Aufnahme des arktischen Ozeans (www.klimareporter.de/erdsystem, 14.8.2024).
Doch auftauende Permafrost-Böden (Bild 21) haben neben dem Entstehen von Klimagasen noch andere schwerwiegende Folgen. Die Gefahren gehen von antibiotikaresistenten Bakterien, von seit mehreren Jahrzehnten angesammelten Schadstoffen und von radioaktiven Abfällen aus. Tatsächlich wurden in Permafrostböden bereits Bakterien gefunden, die gegen Medikamente wie Chloramphenicol und Streptomycin resistent sind, obwohl sie noch nie mit modernen Antibiotika Kontakt haben konnten. Aufmerksam darauf wurden Forscher, als im Nordwesten Sibiriens im Sommer 2016 bei örtlichen Temperaturen bis 35 °C Menschen an Milzbrand erkrankten, eine gefährliche ansteckende Krankheit, die dort seit 1941 als ausgerottet galt.
Nicht nur von freiwerdenden Bakterien geht Gefahr aus, sondern auch von Viren. 2022 ist es nämlich Wissenschaftlern gelungen, unbekannte Virentypen aus Proben von im Permafrost vorhandenen Kadavern nachzuweisen - und im Labor wieder zu aktivieren. Man schätzt, dass diese Viren bis zu 50.000 Jahre im Permafrost überdauert haben, unter anderem ein Virus, welches aus der Wolle von Mammuts und den Innereien eines Wolfs isoliert wurde. Schon 2014 hatten französische Wissenschaftler einen Riesenwurm etwa in der Größe eines Bakteriums im Eis gefunden, der 30.000 Jahre überdauert hat.
Weitgehend unbekannt ist schließlich, wie weit etwa arktische und russische Permafrost-Regionen in der Vergangenheit als vermeintlich ideale Müllhalde für toxische Stoffe und Verbindungen missbraucht wurden. Umso wichtiger ist es für die Menschheit, dass das Auftauen der Permafrost-Regionen gestoppt wird. Dafür bedarf es aber eines konsequenten und nicht nur eines halbherzigen Klimaschutzes.
Und noch ein letzter Gesichtspunkt: Werden Böden unter bewohnten Siedlungen permafrostfrei, weichen sie auf, könnten nachgeben und Gebäude und Straßen zerstören. Allein in den gefährdeten arktischen Permafrost-Gebieten gibt es nach einer Studie über 1.000 Siedlungen mit etwa fünf Millionen Menschen. Bis 2050 können ungefähr 40 % dieser Siedlungen auf bröckelndem permafrostfreiem Grund stehen; es droht deshalb eine Umsiedlung der Menschen. Nicht daran denken mag man an die Möglichkeit, dass auch die in den bis jetzt durchgefrorenen Böden Russlands verlegten Gasleitungen beim Auftauen des Permafrosts beschädigt werden.
Verlangsamte Nordatlantikströmung - es könnte regional auch kälter werden
Es mehren sich die Anzeichen für die schon länger vermutete Abschwächung der nordatlantischen Umwälzströmung als Folge des Klimawandels. Nach Untersuchungen von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und von Wissenschaftlern aus Irland und Großbritannien soll die Abschwächung seit den 1950er-Jahren bereits rund 15 % erreicht haben. Sie ist damit so schwach wie mindestens in den letzten 1.000 Jahren nicht mehr. In der Fachliteratur wird diese Strömung mit Atlantische Meridionale Umwälzströmung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, kurz AMOC) bezeichnet. Das System (Bild 22) ist für die Erde ein äußerst wichtiges Wärmetransportsystem; es bewegt pro Sekunde zwischen 15 und 20 Mio. m3 Wasser.
Der Vorgang: Warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser aus dem Südatlantik fließt zunächst als Golfstrom etwa 1.000 km lang entlang der Ostküste Nordamerikas, zweigt in den offenen Ozean nach Nordosten ab und gelangt als Nordatlantikstrom bis in die Arktis. Unterwegs zweigen mehrere große wirbelartige Teilströme ab. In der Arktis gibt das Wasser Wärme an die kühle Luft ab, wird dadurch dichter und schwerer und sinkt in tiefere Meeresschichten ab. Dieses kältere Tiefenwasser fließt in 2 - 3 km Tiefe zurück in den Süden. Durch den Transport von Wärme aus dem Süd- in den Nordatlantik profitiert West- und Nordeuropa durch ein vergleichsweise mildes Klima.
Bedingt durch den Klimawandel schmilzt das Grönlandeis ab. Dadurch vermindert sich der Salzgehalt des Wassers, und zwar ausgerechnet in der Region, in der es durch die Kälte in Richtung Meeresgrund strömt. Es wird dadurch etwas leichter als das reine Salzwasser. Dadurch wird die Antriebskraft für die AMOC schwächer, und somit auch die Gesamtströmung. Setzt sich diese Tendenz in den kommenden Jahrzehnten verstärkt fort, könnte die mittlere Lufttemperatur in Europa im Winter nach Untersuchungen der Wissenschaftler je nach Gegend um bis zu 15 - 20 °C abnehmen - und es dürfte auch deutlich trockener werden. Die Folgen: massive Probleme für die Nahrungsmittelproduktion, Verschiebung der globalen Niederschlagsgürtel, Anstieg der Meeresspiegel an der amerikanischen Ostküste und Umkehrung der Regenzeiten im Amazonasgebiet, um nur die wichtigsten aufzuführen. Wer jedoch glaubt, dass durch die AMOC-Verlangsamung die mittlere globale Erderwärmung gebremst wird, liegt wahrscheinlich falsch, denn in anderen Regionen der Welt könnte es eine beschleunigte Erwärmung geben. So würde die Südhalbkugel deutlich wärmer und von intensiveren Stürmen heimgesucht werden. Sollte die Ozeanzirkulation tatsächlich kollabieren, würde der Meeresspiegel in Europa um gut 1 m ansteigen. Sicher ist dies jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, zumal sich die Wissenschaftler in den Details noch uneins sind.
Der bekannte deutsche Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf ist der Ansicht, dass die Klimamodelle des IPCC die Wahrscheinlichkeit eines nahenden Zusammenbruchs des AMOC unterschätzen, zumal es ohnehin eher zu konservativen Schätzungen neigt, um die Politik und die Öffentlichkeit nicht in Panik zu versetzen. Rahmstorf und einige seiner Kollegen zeichnen ein düsteres Bild: Wenn AMOC ab 2050 mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % - aus heutiger Sicht eher ein pessimistischer, aber nicht unwahrscheinlicher Wert- zu kollabieren beginnen würde, würde England innerhalb eines Jahrhunderts zunehmend unbewohnbar und in Europa würde es bis zu 35 °C kälter werden, nicht nur um 20 °C wie im letzten Absatz erwähnt ist (Stefan Rahmstorf über das Risiko eines nahen Kollaps des AMOC, .www.forum.eu/klimawandel/). Unsere Enkelkinder und deren Kinder müssten dann im Winter mit arktischen Temperaturen von Berlin bis Norwegen leben.
Gefährdung des Amazonaswaldes
Ähnlich wie die atlantische Umwälzströmung nähern sich auch die Regenwälder, allem voran der weltgrößte Regenwald in Amazonien, durch die steigende Erdtemperatur einem Kipp-Zustand. Sollte der tatsächlich erreicht werden, kann die Menschheit gegen eine drastische weitere Veränderung der Regenwälder nichts mehr unternehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade der Regenwald Amazoniens unter Bränden und der fortschreitenden massiven Abholzung leidet (Bild 23). Der südöstliche Bereich hat sich deswegen schon jetzt von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle entwickelt. Kürzlich wurde bekannt, dass auch der Atlantische Regenwald entlang der gesamten Ostküste Brasiliens in nicht verantwortungsvoller Weise geschädigt wird: Allein zwischen November 2020 und Oktober 2021 wurden dort fast 21.000 Hektar zerstört und dadurch mehr als 10 Mio. t CO2-Äquivalente freigesetzt.
Zwar entnehmen die Bäume Kohlendioxid aus der Luft und bauen davon den Kohlenstoff in ihre Biomasse (Stämme, Zweigen, Wurzeln; siehe Kapitel 12) ein. Doch sollte geschlagenes Holz zu Brennholz, Pellets oder Holzschnitzel verarbeitet und nicht für Wohn- und Gartenhäuser, Zäune, Möbel usw. verwendet werden, verbindet sich der dadurch freigesetzte Kohlenstoff mit der Luft wieder zu Kohlendioxid und verschärft auf diese Weise die Klimakrise. Gleiches geschieht bei den gewollten und ungewollten großflächigen Waldbränden, die oft mehrere Monate lang wüten. Durch die weltweiten Wald- und Buschbrände im Jahr 2021, etwa in Sibirien, der Türkei, Kanada, den USA, Australien, aber auch in Europa wie in Portugal, gelangte mit geschätzten mindestens 1.760 Mio. t doppelt so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre wie Deutschland pro Jahr insgesamt emittiert. Allein beim verheerenden Brand im Jahr 2021 in Kalifornien wurden rund 83 Mio. t CO2 an die Luft abgegeben. Leider setzte sich die Tendenz seitdem weiter fort. So wurden im Jahr 2022 weltweit 4,1 Mio. Hektar tropischer Regenwald abgeholzt bzw. fielen Waldbränden zum Opfer; dies entspricht etwa der Fläche der Schweiz. Das Resultat: allein durch den weltweiten Waldverlust in 2022 wurden 2,7 Mrd. t CO2-Äquivalente freigesetzt. Dies entspricht den jährlichen Emissionen Indiens.
In einer Anfang Oktober 2023 bekannt gewordenen neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Science Advances publiziert wurde, wurde aufgezeigt, dass die Kombination von Regenwaldabholzung, globaler Erwärmung und intensiver Landnutzung zu einer kritischen Destabilisierung der gekoppelten südamerikanischen Monsumzirkulation führen kann. Sollte dieser Kipppunkt einmal erreicht bzw. überschritten werden, was ab Mitte dieses Jahrhunderts eintreten könnte, wäre in weiten Teilen des südamerikanischen Kontinents mit deutlich weniger Niederschlag zu rechnen, was der Regenwald vermutlich nicht überstehen würde: Forscher haben jüngst festgestellt, dass der Amazonas-Regenwald bei einer mittleren Niederschlagsmenge von weniger als 100 cm pro Jahr nicht länger überleben kann und dass schon bei weniger als 180 cm pro Jahr abrupte Übergänge zu einer savannenartigen Vegetation wahrscheinlich sind. Beides führt zu einer Beschleunigung der Erderwärmung und verschärft deren Folgen (Pressemitteilung PIK vom 14.2.2024).
Eine genauere Aussage auf den Zeitpunkt des näher rückenden Kipppunktes ist zwar gegenwärtig seriös noch nicht möglich, doch warnt die Studie vor einer bevorstehenden deutlichen Verschlechterung des Amazonas-Ökosystems dann, wenn Abholzung und globale Erwärmung nicht gestoppt werden.
Zu Bild 22: Das mit AMOC (Atlantic Overturning Circulation) bezeichnete Strömungssystem, siehe Text weiter oben, ist nur ein Teil des gesamten atlantischen Strömungssystems, nämlich das, welches als warmes Oberflächenwasser vom Südatlantik bis in die Arktis zieht. Dort kühlt es sich ab und sinkt auf Grund der größer gewordenen Dichte in Richtung Meeresgrund ab, um schließlich als Tiefenströmung wieder nach Süden zurückzuströmen. AMOC ist also der durch die nördliche Kälte angetriebene Teil der Strömung (Lenné, 2024).
Eine zweite Strömungskomponente ist der durch die tropischen Ostwinde gespeiste Golfstrom, der in Europa Nordatlantikstrom genannt wird. Dieser Wind drückt das Oberflächenwasser in die Karibik, wo es zunächst von der amerikanischen Landmasse nach Norden abgelenkt wird. Weil sich die Erdoberfläche im Norden langsamer als im Süden nach Osten bewegt, entfernt sich der Strom jedoch von der Küste und nähert sich Europa.
Diese beiden Strömungskomponenten überlagern sich und bilden die atlantische Gesamtströmung.
Durch die gestiegene globale Temperatur und die gleichzeitig erfolgte massive Abholzung und Rodung des Amazonas-Regenwaldes vor allem durch den früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro kippt möglicherweise einer der wichtigsten Klimaregulatoren der Erde. Normalerweise verdunstet im Amazonaswald als Folge der starken Sonnenintensität und der Feuchtigkeit im Wald viel Wasser. Es bilden sich Wolken, die abregnen und den Regenwald mit frischem Wasser versorgen. Steigt jedoch die mittlere globale Lufttemperatur um mehr als 2 °C, erhöht sich nicht nur die Waldbrandgefahr, sondern der Wald wird durch die Hitze regelrecht gestresst. Da gleichzeitig weniger Bäume das Wasser über ihre Blätter verdunsten, hält die Luft im Regenwald weniger Feuchtigkeit. Dies bedeutet weniger Regen zur Versorgung des Waldsystems. Der Wald wird trockener, was dazu führen kann, dass die Bäume des Regenwalds absterben und der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff als CO2 frei wird. Wenn dann nicht nachgepflanzt wird, ist schnell der Punkt erreicht, dass der zusätzlich durch Schwächung der Waldstruktur, durch Dürren und Baumkrankheiten geschädigte Amazonaswald mehr Treibhausgase produziert als er absorbiert. Der Wandel von der bisherigen effizienten CO2-Senke zu einer CO2-Quelle hat nicht nur massive regionale, sondern auch globale Folgen für das Erdklima – ebenso für die Tierwelt. Einer im Jahr 2020 in der Wissenschaftszeitschrift Nature veröffentlichten Prognose zufolge könnte es gegen 2035 so weit sein, dass die Kohlenstoff-Speicherkapazität des Amazonas-Regenwaldes gegen Null geht, der Wald ab diesem Zeitpunkt also nur noch CO2 abgibt und der Luft kein CO2 mehr entzieht, während er beispielsweise 1990 noch etwa 0,75 t Kohlenstoff je Hektar speicherte. Beunruhigend ist jedenfalls, dass die Wälder Brasiliens in den letzten zehn Jahren bereits etwa 20 % mehr CO2 freigesetzt haben als sie aufnahmen.
Der Trockenstress des geschädigten Amazonas-Regenwaldes verhindert zudem das rasche Nachwachsen gerodeter bzw. abgebrannter Gebiete, weil die jungen Sprösslinge nicht mehr bis in die feuchten Erdschichten hinabreichen. Es droht letztendlich langfristig ein Wandel vom grünen Regenwald zur Buschlandschaft. Zwar entstehen dadurch hellere großflächige Landgebiete, die mehr Sonnenenergie zurückstrahlen als der dunkle Regenwald zuvor, was eine gewisse Kühlwirkung hervorruft. Doch der negative Einfluss der starken CO2-Emissionen der absterbenden Regenwälder überwiegt den Kühleffekt deutlich.
Auch wenn es zu den Kipp-Elementen noch Unsicherheiten und unterschiedliche Expertenmeinungen gibt, so stellen sie doch eine potentielle Gefahr dar. Denn klar ist, dass die Folgen einer Überschreitung der Kipp-Punkte für die Menschheit katastrophal wären. Sie müssen deshalb weiter erforscht und die Klimamodelle, die auf ihnen aufbauen, gegebenenfalls angepasst werden.
Noch gänzlich unbekannt ist, was durch die wechselseitigen Auswirkungen der Kipp-Elemente geschehen könnte. Destabilisieren sie sich gegenseitig bevor das erste Kipp-Element kippt?
Online am 30. Mai 2022; erfolgte Aktualisierungen: 8.7.2022, 4.12.2022, 1.9.2023, 6.10.2023, 29.2.2024, 29.8.2024
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Kapitel 9: Kohlendioxid-Emissionen nach Ländern und Sektoren
Tabelle 4 zeigt in der 2. Spalte den Kohlendioxid-Ausstoß (also nicht den Ausstoß aller Treibhausgase) der wichtigsten CO2-emittierenden Länder im Kalenderjahr 2020 in Millionen Tonnen Kohlendioxid in der Reihenfolge (Ranking) der ausgestoßenen Mengen, in der 3. Spalte den prozentualen Anteil an der gesamten Welt-Emission. Dass sich das Ranking bei Bezug der Emissionsmenge auf die Bevölkerungszahl zum Teil grundlegend ändern kann, zeigen die 5. und die 6. Spalten. Während China mit Abstand weltweit größter CO2-Emittent ist, belegte es (2020) bei einer Pro-Kopf-Betrachtung nur den achten Rang. Eine ähnlich deutliche Verschiebung trifft auch auf Indien zu: Platz 3 bei der CO2-Gesamtemission, Platz 12 bei der Pro-Kopf-Emission.
In der 2. und 3. Zeile der Tabelle ist der weltweite CO2-Ausstoß sowie die CO2-Emission der EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten angegeben (in Fett und Kursiv).
Tabelle 4: Die größten CO2-Hauptemittenten nach Ländern (für 2020)
Land |
CO2 Mio. t |
CO2 % |
Ranking |
CO2 t je Kopf |
Ranking |
Welt gesamt |
35.963 |
100 |
|
4,62 |
|
EU 27 |
2.622 |
7,3 |
|
5,91 |
|
|
|
|
|
|
|
China |
11.680 |
32,48 |
1 |
8,20 |
8 |
USA |
4.535 |
12,61 |
2 |
13,68 |
3 |
Indien |
2.412 |
6,71 |
3 |
1,74 |
12 |
Russland |
1.674 |
4,65 |
4 |
11,64 |
5 |
Japan |
1.062 |
2,95 |
5 |
8,39 |
6 |
Iran |
690,2 |
1,92 |
6 |
8,26 |
7 |
Deutschland |
639,4 |
1,78 |
7 |
7,72 |
9 |
Südkorea |
621,5 |
1,73 |
8 |
12,07 |
4 |
Saudi-Arabien |
588,8 |
1,64 |
9 |
16,96 |
1 |
Kanada |
542,8 |
1,51 |
10 |
14,44 |
2 |
Südafrika |
435,1 |
1,21 |
11 |
7,41 |
10 |
Türkei |
405,2 |
1,13 |
12 |
4,83 |
11 |
Quelle: Crippa, Monica et al. (2021): GHG emissions of all world countries. 2021 Report, European Union, Luxemburg
(Auswertung durch den Autor); ohne militärische Emissionen und Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderung
und Forstwirtschaft (LULUCF); Erläuterung zu LULUCF siehe weiter unten
Die Volksrepublik China führt mit 11.680 Mio. t CO2 die Tabelle an (siehe auch Tabelle 5). Diese Menge entspricht fast genau einem Drittel der gesamten globalen CO2-Emissionen. Allerdings muss ein Teil des hohen CO2-Ausstoßes auf die besondere Rolle Chinas als Hersteller von Produkten für den Einsatz und Konsum in zahlreichen anderen Ländern zurückgeführt werden, vom kleinsten Chip, von Datenverarbeitungsgeräten, Pharmaprodukten, über Möbel, Maschinen und PKWs bis hin zu Waffensystemen und Schiffen. Die dabei anfallenden Emissionen werden in den statistischen Auswertungen nicht nach den Konsumenten dieser Produkte erfasst, sondern nach dem Produzentenprinzip, d.h., sie fallen China zu.
Deutschland stand beim Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 2020 an 9. Stelle. Spitzenreiter bei der Pro-Kopf-Emission ist Saudi-Arabien mit 16,96 t CO2 je Person, belegt aber beim absoluten CO2-Ausstoß nur Rang 9. Der absolute Spitzenreiter der „CO2-Sünder“ fehlt in Tabelle 4, weil er - absolut gesehen - nur wenig Kohlendioxid emittiert: es handelt sich um den kleinen Inselstaat Palau, der mit seinen nur rund 22.300 Bewohnern im Jahr 2020 mit 1.241 Mio. t CO2 zwar nur für 0,0035 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich zeichnete, aber pro Kopf unglaubliche 55,29 t CO2 emittierte.
Festzuhalten bleibt, dass mit 51,8 % über die Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes auf nur drei Länder entfällt: auf China, die USA und auf Indien. Wertet man die Emissionszahlen früherer Jahre aus, fällt auf, dass in den Jahren 2004/05 China und die USA mit jeweils rund 6.000 Mio. t CO2 noch gleichauf lagen. Während jedoch die USA ihre CO2-Emissionen seitdem reduzieren konnten, hat sie China nahezu verdoppelt. Unter den sechs größten CO2-Verursachern hat nur China im Jahr 2020 seine Emissionen erhöht, nämlich um + 1,5 %, die anderen fünf haben sie reduziert: EU27 um 10,6 %, die USA um 9,9 %, Japan um 6,8 %, Indien um 5,9 % und Russland um 5,8 %.
Im Frühjahr 2023 hatten China und Indien die gleiche Bevölkerungszahl von ungefähr 1,4 Mrd. Menschen; seitdem nimmt Chinas Bevölkerung (weiter) ab, während die von Indien zunimmt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass China trotz gleicher Populationsstärke rund 4,6 Mal mehr CO2 emittiert als Indien.
Die Regierung des US-Präsidenten Joe Biden hatte die Absicht, den Energiesektor bis 2035 zu dekarbonisieren und die landesweiten Emissionen schon bis 2030 um 50 % im Vergleich zu 2005 zu senken. Beides stellen an sich schon äußerst ambitionierte Vorhaben dar. Doch Ende Juni 2022 gab es einen schweren Rückschlag für die Regierung Biden (und darüber hinaus für die gesamte Welt), als der Supreme Court als höchstes US-Gericht die Kompetenzen der US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) deutlich einschränkte. Damit dürfte die EPA nicht mehr in der Lage sein, bindende Vorschriften zur Verringerung der Kraftwerks-Emissionen zu erlassen, die bisher die Regierung mehr oder weniger als Gesetz übernahm. Hinzu kommen noch die knappen Mehrheitsverhältnisse im amerikanischen Kongress mit der ablehnenden Haltung der Republikaner beim Kiimaschutz, der damit bei der Klimagesetzgebung praktisch nicht mehre handlungsfähig ist. Es muss befürchtet werden, dass die gegenwärtige US-Regierung ihre Klimaschutzziele nicht einhalten kann, zumindest nicht im ursprünglich vorgesehen Ausmaß.
Afrikanische Länder sind in Tabelle 4 nicht vertreten. Deshalb sei als Beispiel für Afrika an dieser Stelle Tansania aufgeführt. Dieses ostafrikanische Land emittierte 2020 nur 11,5 Mio. t CO2, was 183 kg CO2/Kopf bedeutet. Nach meiner Berechnung entspricht dieser CO2-Jahresausstoß ungefähr der Kohlendioxidmenge, die ein einziges großes, mit Dieselmotoren angetriebenes Kreuzfahrtschiff nach etwa 20.000 km ausstößt. Kein Wunder, dass die tansanische Regierung die allgemeinen Forderungen nach strengen Treibhausgas-Reduktionsmaßnahmen nicht gerade mit Wohlwollen sieht. Denn selbst dann, wenn das Land überhaupt kein fossiles CO2 mehr ausstoßen würde, reduziert sich die weltweite CO2-Emission lediglich um 0,032 %. Auf das Klima hätte dies nicht die geringste Wirkung. Ähnlich gering ist mit etwa 300 kg im Jahr die Pro-Kopf-CO2-Emission von Kenia.
Im Grunde gilt dies für den gesamten afrikanischen Kontinent, denn seine 54 Länder produzieren in Summe nicht einmal 4 % des jährlichen weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes. Es ist deshalb äußerst ungerecht, dass die direkten Folgen des Klimawandels keinen anderen Kontinent so massiv wie Afrika treffen werden, ganz abgesehen davon, dass dort auch Mittel für entsprechende Anpassungs- und Schutzmaßnahmen fehlen. Unter Dürren, extremer Hitze, aber auch unter folgenschweren Überschwemmungen, Erdrutschen und anderen Katastrophen werden nach Schätzungen schon bis zum Jahr 2030 etwa 120 Millionen Afrikaner leiden. Die ohnehin schon prekäre Hungerkrise dürfte sich dort weiter verschärfen.
CO2-Emissionen weltweit
Die Abbildungen 24 bis 26 sind gleich Weise aufgebaut und stammen von der gleichen Institution. Sie zeigen im oberen Balkendiagramm „Fossil CO2 emissions by sector“ die CO2-Emissionen ab dem Jahr 1990 bis 2020, unterteilt in insgesamt fünf Sektoren (Emissionsfelder). Auf der linken Ordinate ist die CO2-Emission in Mio. t CO2 je Jahr (Mt CO2/year; 1 Mt = 1 Megatonne = 1 Mio. t) aufgetragen, auf der rechten die CO2-Emission je Einwohner und Jahr (obere schwarze Kurve) sowie die CO2-Emission bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt GDP (gross domestic product; rote Linie). Die in unterschiedlichen Farben angelegten Flächen der Balken stehen von unten nach oben für folgende Emissionsquellen:
In den unteren Balkendiagrammen „Greenhouse gas emissions“ sind die Treibhausgas-Emissionen zwischen 1990 und 2018 in Mio. t CO2e für jedes Jahr aufgetragen. Hier sind neben Kohlendioxid (blaue Balken) auch Methan (grün), die Lachgase (rötlich) und die F-Gase (hellblau) erfasst. Die endgültigen Angaben für CO2e für das Jahr 2020 waren zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes noch nicht bekannt.
Die Klimakrise ist nicht das Problem eines einzelnen Landes und auch nicht eines einzelnen Kontinents, sondern ein weltweites. Deswegen ist es sinnvoll, zunächst die Quellen der globalen CO2- und Treibhausgas-Emissionen nach Emissionsfeldern aufzuzeigen (Bild 24).
Die Hauptaussagen von Bild 24 können wie folgt zusammengefasst werden: Die weltweiten CO2-Emissionen haben von 1990 (22.728 Mio. t) bis 2020 (35.963 Mio. t) mit Ausnahme eines leichten Rückganges in 2009 jedes Jahr zugenommen. 2020 sind sie wegen der Corona-Pandemie gegenüber dem Vorjahr vorübergehend gesunken. Pro Kopf gesehen ist seit etwa 2012 infolge des Bevölkerungswachstums zwar eine leicht abnehmende Tendenz zu sehen (schwarze Kurve im unteren Diagramm), doch insgesamt betrachtet haben sich die Werte seit 1990 um 8 % erhöht: von 4,27 t CO2 je Kopf im Jahr 1990 auf 4,62 t CO2 im Jahr 2020. Ähnlich sieht es bei den Treibhausgas-Emissionen CO2e aus: 1990 = 6,13 t CO2e/Kopf, 2018 = 6,71 t CO2e/Kopf, eine Zunahme von 10 %.
Betrachtet man die CO2-Veränderungen in den einzelnen Emissions-Sektoren genauer, ist die Steigerung im Sektor Energiewirtschaft (Power industry) mit + 72 % zwischen 1990 und 2020 besonders auffällig. Die Erhöhung der Emissionen der anderen Sektoren (Other sectors) ist mit nahezu 100 % noch stärker, allerdings bei einem relativ niedrigen Niveau der absoluten CO2-Emissionen. Praktisch unverändert geblieben sind mit + 1 % zwischen 1990 und 2020 die Emissionen im Gebäudebereich (Buildings). Im Transport-Sektor stiegen die weltweiten CO2-Emissionen im gleichen Zeitraum um beachtliche + 59 %, die CO2e-Transportwerte zwischen 1990 und 2018 sogar um + 76 %. Trotz der in den letzten Jahren im zunehmendem Maße eingeführten Maßnahmen zur Reduzierung der transportbezogenen Treibhausgase, z.B. der Einführung sparsamerer Antriebsmotoren, ist die Zunahme von CO2e zwischen 2005 und 2018 mit + 26 % enttäuschend.
CO2-Emissionen der EU
Bild 25 zeigt die CO2- und CO2e-Emissionen der EU mit ihren 27 Mitgliedsländern (ohne UK) zwischen 1990 und 2020 (CO2) bzw. 1990 und 2018 (CO2e) als Balkendiagramme. Im Vergleich zu den weltweiten Emissionen (Bild 24) fällt ein Rückgang der Emissionen schon ab etwa dem Jahr 2006 auf, für eine klimabewusst handelnde industrielle Staatengemeinschaft, die beim Klimaschutz eine Vorbildfunktion einnehmen möchte, keine große Überraschung. Während die EU 1990 noch 3.818 Mio. t CO2 emittierte, waren es 2020 nur noch 2.622 Mio. t, eine Reduzierung um 31 %. Entsprechend verringerten sich auch die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen in diesem Zeitraum, von 9,09 t CO2 im Jahr 1990 auf lediglich 5,91 t CO2 im Jahr 2018.
Die Treibhausgas-Äquivalente nahmen im gleichen Zeitraum von 4.953 Mio. t CO2e auf 3.925 Mio. t ab, was einer Reduzierung von 21 % entspricht. Je Kopf der Bevölkerung ging CO2e von 11,79 t (1990) auf 8,86 t (2018) zurück.
Bis auf den Transportsektor trugen alle übrigen Emissionsfelder zu einem Rückgang der Emissionen bei. Mit - 43 % erzielten die Sektoren Energieerzeugungs-Industrie und mit - 46 % die industrielle Verbrennung zwischen 1990 und 2020 die höchsten Einsparungen, gefolgt vom Gebäudebereich mit - 32 %. Das EU-Transportgewerbe, zu dem auch der Transport auf den nationalen Binnengewässern und die nationalen (also nicht die internationalen) Flüge gehören, konnte bisher die Zielvorgabe nicht erreichen und hat zwischen 1990 und 2020 8 % mehr Kohlendioxid und bis 2018 sogar 23 % mehr Treibhausgase ausgestoßen als noch im Jahr 1990. Erfreulicherweise zeigte sich in den letzten Jahren eine Tendenzumkehr bei den Treibhausgasen; betrachtet man lediglich den Zeitraum von zwischen 2005 und 2018, nahm CO2e um 3 % ab.
Gerechnet pro Kopf erreichte die EU bei den Treibhausgas-Emissionen eine kontinuierliche Verbesserung. Waren es im Jahr 1990 noch 11,79 t CO2e und 2005 noch 10,63 t CO2e, wurden für das Jahr 2018 nur noch 8,86 t CO2e/Kopf errechnet.
CO2-Emissionen Deutschlands
Die dritte und letzte Grafik dieses Kapitels, Bild 26, zeigt die Entwicklung der fossilen CO2- und CO2e-Emissionen in Deutschland seit 1990. Wie Bild 24 und 25 stammt Bild 26 aus der im Jahr 2021 veröffentlichten EU-Statistik, deren Aufbau sich etwas von den Datenbanken des Bundes-Umweltamtes (siehe auch Bild 8 in Kapitel 4), in dem ausschließlich CO2-Äquivalente aufgetragen sind) unterscheidet. Vergleicht man das Balkendiagramm für Deutschland mit Bild 25 für die EU, kann Deutschland auf einen deutlicheren Emissionsrückgang schon seit Anfang der 1990er-Jahre verweisen. Der Kohlendioxid-Ausstoß wurde zwischen 1990 und 2020 von 1.019 Mio. t auf 637 Mio. t, also um 37,5 % reduziert. Zwischen 2005 und 2020 betrug die CO2-Einsparung 24,5 %. Pro Kopf der deutschen Bevölkerung war die CO2-Emission im Jahr 2020 7,72 t CO2; 1990 lag dieser Wert noch bei 12,88 t CO2. Doch nach wie vor sind damit die Emissionen je Kopf, der sogenannte CO2-Fußabdruck, deutlich höher als der globale Durchschnittswert. Kein Wunder, denn auch der Energieverbrauch in Deutschland ist wesentlich höher als das weltweite Mittel.
Bei allen Emissionsfeldern, auch dem Transportsektor, wurden Fortschritte bei der Emissionsreduzierung erzielt: in den Sektoren Energieerzeugung und andere industrielle Verbrennung jeweils - 45 % und im Gebäudebereich - 41 %. Im Gegensatz zu den gestiegenen weltweiten Transport-Emissionen (Bild 24) und denen der EU (Bild 25) war die CO2-Einsparung im Transportwesen in Deutschland mit - 10 % zwar nicht ganz so groß wie erhofft, ging aber wenigstens in die richtige Richtung.
Bei der Summe der Treibhausgas-Emissionen CO2e wurden 2018 in Deutschland 29 % weniger CO2-Äquivalente emittiert als noch 1990. Bezogen auf die Bevölkerungszahl reduzierten sich die Werte von 15,54 t CO2e/Kopf im Jahr 1990 auf 10,62 t CO2e/Kopf im Jahr 2018.
Im Transportsektor besteht jedoch durchaus noch Verbesserungspotential. In diesem Bereich nahmen zwar wie erwähnt die deutschen CO2-Emissionen ab, die Treibhausgas-Emissionen zwischen 1990 und 2018 immerhin noch um 3 %, doch seit 2005 ist keine weitere CO2e-Reduzierung erkennbar. Im Jahr 2019 vor Corona betrugen die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Sektor Transport (Liefer- und Lastwägen, Flugzeuge, Züge, Busse, Binnenschiffe und PKWs und Krafträder) etwa 164 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e). Mit 54,8 % hatten PKW und Krafträder daran den größten Anteil, gefolgt von Liefer- und Lastwägen (25,26 %) und Flugzeugen (15,88 %). Deutlich weniger emittierten Züge (1,9 %), Busse (1,75 %) und die Binnenschiffe mit 0,4 % (myclimate, 2022).
Die Erfassung von Emissionen ist eine Angelegenheit der einzelnen Länder. Der internationale Verkehr (Schifffahrt, Luftfahrt) findet jedoch über die Landesgrenzen hinweg statt. Die dabei entstehenden Treibhausgas-Emissionen sind deswegen sehr schwierig auf einzelne Länder umzulegen und werden deshalb gesondert erfasst (siehe Kapitel 10).
Kennzahlen für die Emissionen Chinas
Es ist angebracht, sich hier noch einmal mit der Rolle Chinas, dem weltgrößten Kohlendioxid-Emittenten, eigens zu befassen. China hatte im April 2016 zusammen mit weiteren 174 Staaten, darunter auch den USA und Deutschland, das auf der Pariser UN-Klimakonferenz COP 21 im Dezember 2015 verabschiedete Klima-Übereinkommen unterzeichnet.
Während die CO2- und CO2e-Emissionen der EU und Deutschlands ab 2004/05 abnahmen, weisen die entsprechenden Zahlen der Volksrepublik China eine massive Steigerung auf (Tabelle 5). Etwas überraschend ist, dass im Jahr 1990 Chinas Pro-Kopf-CO2-Ausstoß mit 2,07 t nur ein Sechstel der deutschen Emissionen war und 2005 etwas weniger als der Hälfte. Die Erklärung dafür ist, dass China erst nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation breiten Zugang zu den Weltmärkten fand, worauf ein starker wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte.
Ab etwa 2002/03 nahmen die klimarelevanten Emissionen des Landes in allen Sektoren etwa ein Jahrzehnt lang exponentiell zu. Der Anstieg der CO2-Gesamtemissionen zwischen 2020 und 1990 betrug 382 %, im Bereich Energieerzeugung 650 %. Absoluter Spitzenreiter war der Transportsektor mit + 926 %. Einer der Hauptgründe für die hohen CO2-Emissionen war der sehr hohe Kohleanteil an Chinas Energiemix; das Land gilt als der größte Kohlenverbraucher der Welt.
Ab 2012/13 flachte sich dann der CO2-Verlauf etwas ab, auch wenn sich bis 2020 noch kein deutlicher Rückgang in den Zahlen zeigte. Immerhin hat das Land neue Anstrengungen im Klimaschutz versprochen, sagte zu, bis 2060 klimaneutral zu sein, treibt die Elektromobilität voran und baute in den letzten Jahren im großen Stil neue Windkraftanlagen, Photovoltaik-Farmen und neue Kernkraftwerke. Andererseits entstanden aber auch neue effizientere Kohle- und Gaskraftwerke.
China muss in jedem Fall noch gewaltige Anstrengungen unternehmen, um seinen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele erfüllen zu können.
Zwei weitere Emissionsfelder: LULUCF und Kampfflugzeuge
Zum Schluss dieses 9. Kapitels wird noch auf zwei eher selten diskutierte und damit weniger bekannte Emittentensektoren eingegangen. Deren zahlenmäßige Erfassung ist ungleich schwieriger als die für die bisher erwähnten Quellen. Es kann sich daher auch nur um grobe Abschätzungen handeln.
Die Abkürzung LULUCF steht für Land Use, Land Use Change and Forestry, also für Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft. Deren Emissionen (bzw. Entnahmen aus der Luft) werden nicht zu den allgemeinen Landwirtschafts-Emissionen addiert, sondern gesondert aufgeführt. Der LULUCF-Sektor unterscheidet zwischen Treibhausgas-Senken und -Quellen. Da die negativen Senken die positiven Quellen überwiegen, sind die resultierenden LULUCF-Emissionen negativ. Sie reduzieren daher den CO2-Ausstoß eines Landes bzw. eines Kontinentes oder der gesamten Welt.
LULUCF-Senken sind in erster Linie unsere Wälder (siehe Kapitel 12), außerdem zählen dazu die Landumwandlung in Wälder sowie Holzprodukte und mineralisches Grünland. Zu den Quellen zählen die (schädliche) landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden (sie allein ist für zwei Drittel aller Quellen im LULUCF-Sektor verantwortlich); außerdem entstehen LULUCF-Treibhausgase bei der Entwaldung, durch Grünland auf Moorböden, beim Torfabbau, bei Neuanlagen von Siedlungen auf Moorböden, auf organischen Böden und in Feuchtgebieten (mehr dazu in Kapitel 12).
Tabelle 6: LULUCF- und Nettoemissionen Welt, EU und Deutschland |
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LULUCF, Mio. t CO2 |
CO2 ohne LULUCF, Mio. t |
CO2 mit LULUCF, Mio. t |
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Welt |
- 5.184 |
35.963 |
30.779 |
|
|
EU 27 |
- 260 |
2.622 |
2.362 |
|
|
Deutschland |
- 14,65 |
639,4 |
624,75 |
|
Quellen: Crippa, Monica et al. (2021): GHG emissions of all world countries, 2021 Report.
European Union, Luxemburg. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Gemeinsame
Pressemitteilung „Finale Klimabilanz 2020“vom 20.1.2022
In Tabelle 6 sind für den gesamten Globus, für die EU und für Deutschland die ungefähren negativen CO2-Emissionen des LULUCF-Sektors, die CO2-Emissionen nach Tabelle 4 und - in der letzten Spalte - die sich daraus ergebenden CO2-Emissionen zusammengestellt.
Wie die Zahlen für die Summe aller Treibhausgase und nicht nur für CO2 allein aussehen, sei hier für Deutschland aufgezeigt:
Die deutschen CO2e-Emissionen aus dem LULUCF-Sektor sind mit - 11,27 Mio. t CO2e etwas geringer als die in der Tabelle angeführten - 14,65 Mio. t CO2. Da die gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen ohne LULUCF im Jahr 2020 728,738 Mio. t CO2e betrugen, ergeben sich die Netto-Treibhausgas-Emissionen zu 728,738 - 11,265 = 717,473 Mio. t CO2e.
Ob man die Nettoemissionen als CO2 oder CO2e angibt, bleibt jedem Autor selbst überlassen. Klar muss jedoch immer sein, was gemeint ist: CO2 oder CO2-Äquivalente.
Noch schwieriger zu erfassen als die LULUCF-Emissionen sind verlässliche Angaben zu den Klimagas-Emissionen aus den militärischen Aktivitäten der Länder. Während bis zum Pariser Klimagipfel im Jahr 2015 eine Erfassung von CO2-Emissionen bzw. Treibhausgasen aus den militärischen Bereichen und die Weitergabe dieser Daten an die sammelnden internationalen Institutionen generell nicht vorgesehen war, gilt seitdem, dass das Zusammenstellen und die Weitergabe der Datensätze im Ermessen der jeweiligen Regierungen liegt. Die Folge ist, dass einige Länder ihre militärischen Emissionen errechnen und weitergeben, andere aber nicht. Dies erschwert den Emissions-Vergleich der Länder untereinander, da die durch das Militär erzeugten Treibhausgase durchaus beachtlich sein können, wie weiter unten noch aufgezeigt ist. Nicht umsonst enthalten die jährlich erscheinenden Statistiken des Joint Research Centre der Europäischen Kommission, aus denen auch die Bilder 24 bis 26 stammen, weder LULUCF- noch militärische CO2- bzw. Treibhausgas-Emissionen.
Anders ist die derzeitige Praxis in Deutschland. Das Bundesumweltamt teilte mir auf Anfrage im Februar 2022 mit, dass es die deutschen Emissionen des Militärs, und zwar die aus stationären und mobilen Quellen auf deutschem Boden, in der Kategorie „Verbrennung fossiler Brennstoffe - sonstige Feuerungsanlagen – militärisch“ erfasst und in seinen jährlichen Publikationen veröffentlicht. Allerdings wird ein Teil der militärischen Emissionen zivilen Kategorien zugeordnet, z.B. Gewerbe, Handel, Dienstleistung sowie Verkehr, z.B. dann, wenn Brennstoffe über reguläre Tankstellen oder den Brennstoffhandel bezogen werden oder das Militär als Mieter von zivilen Gebäude auftritt. Laut Bundesumweltamt sind die deutschen militärischen Emissionen im Vergleich zu den Hauptquellen gering. So entfielen 2020 lediglich 0,748 Mio. t CO2-Äquivalente auf die Verbrennung militärischer Brenn- und Kraftstoffe; dies entspricht gerade mal 0,1 % der im Jahr 2020 emittierten gesamten deutschen Treibhausgase.
In anderen Ländern sehen die Zahlen je nach Größe ihrer nationalen Streitkräfte anders aus, wobei die veröffentlichten Zahlen mit einer großen Unsicherheit behaftet sind. So soll das US-Militär nach einem kürzlich in Inside Climate News veröffentlichten Artikel für mehr Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sein als Länder wie Dänemark oder Portugal insgesamt ausstoßen. Einer der Gründe dafür ist, dass die USA unzählige Einrichtungen in rund 160 verschiedenen Ländern betreiben, von denen jedes einzelne Treibhausgase produziert. Allein das Pentagon soll (im Jahr 2013) rund 24.000 t CO2e emittiert haben.
Instruktiver und etwas genauer sind die Emissionsdaten von militärischen Kampfflugzeugen. So verbraucht das US-Tarnkappen-Mehrzweck-Kampfflugzeug F-35 von Lockheed Martin (Reichweite ca. 2.200 km), von dem Deutschland Mitte Dezember 2022 35 Einheiten für etwa 8,3 Mrd. Euro (incl. Bewaffnung, Ersatzteile, Wartungsleistungen für fünf Jahre) aus dem "Sondervermögen Bundeswehr" bestellt hatte, nahezu 400 kg Kerosin je 100 km Flugdistanz. Da bei der Verbrennung von 1 kg Kerosin 3,16 kg CO2 entstehen, liegt der CO2-Ausstoß dieses Jets bei 1,25 t CO2/100 km. Hochgerechnet auf den Treibhausgas-Ausstoß entweichen bei jeder Tankfüllung nahezu 28 t CO2-Äquivalente in die Luft. Dies gilt ohne die Emissionen, die bei der Flugzeugherstellung und Wartung, bei der Kerosinproduktion, beim Kraftstoff-Transport und bei der Entsorgung entstehen.
Zivile Trägerraketen und deren Klimagase
Große schubstarke Trägerraketen sind keine klassischen Verkehrsmittel. Ihre Umweltbelastung ist bei den gegenwärtigen noch geringen Startzahlen (z.B. 114 Starts in 2018) nicht allzu groß und war wohl deswegen bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Studien. Dennoch hier einige grundsätzliche Angaben, denn in einigen Jahren könnte die kommerzielle Raumfahrt vermehrt bezahlte Kurzflüge für reiche Passagiere anbieten. Außerdem wollen Internet-Konzerne in den nächsten Jahren Tausende von Satelliten mit kleineren Trägerraketen in eine Umlaufbahn befördern. Auch andere große Unternehmen werden diesem Beispiel folgen; so brachte beispielsweise Amazon bereits eigene Testsatelliten erfolgreich ins Weltall und plant mit seinem Vorhaben "Kuiper" ein eigenes Netzwerk aus rund 3.000 Erdsatelliten. Das US-Raumfahrtunternehmen SpaceX rechnet damit, in naher Zukunft rund 42.000 Satelliten mit eigenen Raketen in den Orbit zu schießen.
Für all diese Nutzlasten müssen jährlich Hunderte von zivilen Trägerraketen aller Größen und unterschiedlicher Schubkräfte gestartet werden, die bei ihrem Aufstiegsflug große Mengen an mehr oder weniger bedenklichen Abgasen ausstoßen. Beispielsweise verbrennen die Triebwerke der modernen Falcon 9-Raketen von SpaceX von Elon Musk und auch die Trägerraketen von Richard Branson als Brennstoff den kerosinähnlichen Flüssig-Raketentreibstoff RP-1 zusammen mit flüssigem Sauerstoff als Oxidator. Bei jedem Start werden nach Hammel (2021) über 400 t CO2, etwa 150 t Wasserdampf und 30 t Ruß entlang der gesamten Auf- und auch Abstiegsbahn frei (die Falcon 9 ist teilweise wiederverwendbar; ihre Erststufe kehrt in senkrechter Position entweder zu einer schwimmenden Plattform im Meer oder in die Nähe des Startorts zurück). Außerdem bilden sich beim Verbrennungsvorgang große Mengen Ruß, der in der Stratosphäre Sonnenlicht absorbiert und thermische Energie abgibt, was zur Klimaerwärmung beiträgt. Im Gegensatz zu Rußpartikeln in Bodennähe verbleibt der in der Stratosphäre verteilte Ruß dort bis zu vier Jahren. Die Klimawirkung ist dann rund 500 Mal stärker als für den Ruß in Bodennähe. Die Raketen des Milliardärs Jeff Bezos und andere moderne leistungsfähige konventionelle Trägeraketen, wie die amerikanische Delta IV Heavy, verwenden flüssigen Wasserstoff und flüssigen Sauerstoff als Treibstoffpaarung. Sie gefährden das Klima weniger stark, weil bei der Verbrennung von Flüssigwasserstoff mit Flüssigsauerstoff fast kein CO2 und auch kaum Ruß entsteht, dafür aber große Mengen an Wasserdampf. Der kann in der Atmosphäre chemische Veränderungen bewirken. So könnten hohe Wolken entstehen, die sich auf das Klima ähnlich nachteilig auswirken wie die Kondensstreifen-Zirren hoch fliegender Flugzeuge. Kleinere Trägerraketen verwenden oft feste Treibstoffe, die z.B. Aluminium, Perchlorate, Nitrate und wasserstoffreiche Hochpolymere enthalten und mit ihren Abgasen die Atmosphäre belasten können.
Auf die bei der Herstellung der Raketen und ihrer Treibstoffe entstehenden klimarelevanten Emissionen ist hier nicht eingegangen.
Im Mai 2022 haben zwei zypriotische Wissenschaftler in einem Beitrag in dem monatlich erscheinenden Fachjournal Physics of Fluids aufgezeigt, dass eine typische zweistufige Trägerrakete mit RP-1 als Brennstoff beim Aufstiegsflug bei jedem Kilometer durchflogener Höhe etwa so viel CO2 produziert, wie 26 Kubikkilometer Luft in diesem Höhenabschnitt enthalten. Eine Angabe für den CO2-Gesamtausstoß in Tonnen während des Starts und des Aufstiegsflugs wird in der Publikation allerdings leider nicht genannt.
Reiche Menschen emittieren am meisten
In diesem Kapitel wurden die CO2- und Treibhausgas-Emissionen weltweit, der EU und die verschiedener Länder ebenso behandelt wie die Emissionen aus verschiedenen Sektoren, z.B. aus der Industrie, der Schifffahrt oder der Landwirtschaft. Eine völlig andere Sicht auf die Situation vermittelt eine im Oktober 2022 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie des französischen Wirtschaft-Wissenschaftlers Lucas Chancel (Kern, 2022). Er fand heraus, dass über alle Länder der Welt hinweg der größte Emittent die reichsten 10 % der Weltbevölkerung sind. Die Zahlen für das Kalenderjahr 2019: Knapp 800 Millionen Reiche emittieren demnach mit etwa 22 Mrd. CO2-Äquivalenten fast genau so viel wie der Rest der Menschheit, also etwa 7 Mrd., der für rund 23 Mrd. t CO2-Äquivalente verantwortlich ist. Der Anteil der reichen Bevölkerung an den gesamten Treibhausgasen entspricht ungefähr dem, was China, die USA und Indien mit einer Bevölkerung von zusammen etwa drei Milliarden Menschen ausstoßen. In Europa und auch in Deutschland ist die Ungleichheit beim Ausstoß von Treibhausgasen nicht so stark ausgeprägt wie weltweit, denn das reichste Zehntel der europäischen Bevölkerung verursacht „nur“ 37 %. Interessant an den Ergebnissen aus Frankreich ist auch, dass das reichste Zehntel der Weltbevölkerung durchaus nicht nur aus reichen Ländern kommt, sondern in allen Ländern der Erde zu Hause ist. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Ergebnisse der Studie Einfluss auf eine künftige gerechtere Klimapolitik haben werden.
Treibhausgas-Emissionen durch Kriege
Die exakten Emissionen durch Kriegshandlungen sind schwer anzugeben, weil die Länder ihre Militäremissionen nicht veröffentlichen müssen bzw. unzureichende Daten nennen. Viele besorgten Bürger fragen sich trotzdem, wie viele klimaschädliche Emissionen durch die zahlreichen Kriegshandlungen auf der Erde entstehen. Immerhin ist bekannt, dass ein russischer T-72-Panzer rund 250 l Diesel je 100 km und ein Kampfjet etwa 5.000 Kerosin je Flugstunde verbraucht.
Als Beispiel dienen hier die massiven Kriegshandlungen durch russisches Militär in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022. Wie eine Studie von internationalen Experten unter Leitung des Holländers Lennard de Klerk im Juni 2023 aufzeigte, wurde die Atmosphäre allein in den ersten zwölf Kriegsmonaten mit ungefähr 120 Mio. t CO2-Äquivalenten (CO2e) belastet. Dies ist ungefähr so viel, wie Belgien oder Tschechien jeweils im gesamten Kalenderjahr 2021 emittierten. Rund die Hälfte davon entstand durch den Spritverbrauch der militärischen Fahrzeuge und Flugzeuge, den Abgasen der eingesetzten Raketen, den Bränden an Gebäuden und durch Minensprengungen. Auch der Kerosinmehrverbrauch der zivilen Flugzeuge, die während des Kriegs die Ukraine umfliegen mussten, zählt dazu, ebenso wie die Gas- und Methanemissionen als Folge der gezielten Beschädigung der beiden North Stream-Pipelines. Die andere Hälfte wird durch den Wiederaufbau der Ukraine nach Kriegsende entstehen, also durch die Wiederherstellung bzw. dem Neubau von Kraftwerken und Industrie, Gebäuden, Brücken und Straßen entstehen.
Eine im Internet kursierende Behauptung, dass der Krieg in der Ukraine in den ersten 20 Monaten mehr Emissionen verursacht habe als Deutschland in 600 Jahren emittieren würde, ist also falsch. Denn im Jahr 2022 hat Deutschland 750 Mio. t Treibhausgase ausgestoßen, d.h. etwa das Sechsfache. Selbst auf 20 Monate hochgerechnet ist der Ukrainekrieg bei Weitem nicht für so viele Treibhausgase verantwortlich wie behauptet wurde (G. Scherndl, Corrective.org/faktencheck/2023/11/15).
Laut einer Abschätzung der britischen Wissenschaftsorganisation Scientists for Global Responsibility (SGR) sollen alle Militärs auf der Erde inclusive der Industrien, die die Ausrüstung und Munition liefern, für rund 5 % der globalen Emissionen verantwortlich sein.
Online am 12. Juni 2022; erfolgte Aktualisierungen: 2.7.2022, 18.10.2022, 21.12.2002, 27.4.2023, 18.6.2023, 27.12.2023, 29.1.2024
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Kapitel 10: Einige Kohlendioxid-Emittenten: Straßen-, Luft- und Seeverkehr
Wegen des großen Einflusses der massiven Treibhausgas-Emissionen des weltweiten Verkehrssektors auf unser Klima ist dieses Kapitel das wohl umfangreichste von www.klimawandel-report.com, zumal hier auch auf mögliche künftige klimafreundliche bzw. klimaneutrale Alternativen eingegangen wird. Überspringen Sie einfach die Abschnitte, die für Sie nicht von Interesse sind.
Verkehrsemissionen in Deutschland
In Kapitel 4 sind die endgültigen deutschen Verkehrsemissionen im Kalenderjahr 2021 mit 147 Mio. t CO2-Äquivalenten und für das Jahr 2020 mit 146 Mio. t CO2e angegeben. Diese Zahlen gelten für den Gesamtverkehr, d.h., einschließlich Güterverkehr. Der auf den Autobahnen seit 2021 wieder leicht angestiegene Straßenverkehr und ein Rückgang bei den Biokraftstoffen sind die Hauptgründe für die erhöhten Verkehrsemissionen. Die Fahrleistungen und die Kraftstoffabsätze änderten sich gegenüber 2020 nur wenig, die Emissionen des inländischen Flugverkehrs gingen leicht zurück - hauptsächlich wegen der Corona-Pandemie. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die durch Deutschland verursachten Emissionen aus dem internationalen Luft- und Seeverkehr in den deutschen Ansätzen nicht erfasst werden.
Das deutsche inländische Verkehrsaufkommen war damit für 19,4 % der gesamten deutschen anthropogenen (menschgemachten) Treibhausgase verantwortlich. Weltweit lag der CO2e-Anteil mit 14 -15 % niedriger. Angesichts der besonders hohen deutschen Verkehrsdichte (Straßenverkehr, Züge, Schiffe, Flugzeuge) überrascht der hohe Wert für Deutschland nicht.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte im Februar 2022 die einzelnen Treibhausgas-Emissionen des reinen Personenverkehrs in Deutschland für das Jahr 2020 und als Vergleich dazu für 1991 bekannt gegeben, siehe Tabelle 7. Die gesamte Verkehrsleistung lag im Jahr 2020 in Deutschland bei ca. 927 Mrd. Personen-Kilometer (P-km), im Jahr 1991 bei etwa 858 Mrd. P-km.
Tabelle 7: Aufteilung der deutschen Personenverkehrs-Emissionen für 2020 im Vergleich zu 1991
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2020, Mio. t CO2e |
1991, Mio. t CO2e |
Personenverkehr insgesamt |
102,71 |
120,4 |
davon |
|
|
Motorisierter Individualverkehr |
97,8 |
112,65 |
Öffentlicher Straßenverkehr |
3,20 |
4,05 |
Personenverkehr Schiene |
0,72 |
1,60 |
Personenverkehr Luft |
0,99 |
2,10 |
Quelle: DLR 2022
Diese Angaben zeigen, dass die Verkehrsleistung in P-km von 1991 bis 2020 um 8 % zunahm, die CO2e-Äquivalente im gleichen Zeitraum jedoch trotzdem um 14,7 % reduziert werden konnten. Diese Einsparung ist vor allem dem deutlichen Emissionsrückgang beim motorisierten Individualverkehr trotz höherer Verkehrsleistung zu verdanken. Auch bei den übrigen Verkehrsfeldern wurden Einsparungen erzielt. Trotzdem sind die Einsparungen keineswegs ausreichend. Dies gilt auch aktuell, denn der deutsche FDP-Verkehrsminister Wissing verstieß mit seinem im Juli 2022 vorgestellten Sofortprogramm Klimaschutz für den Verkehrssektor mit nur 13 Mio. t CO2-Einsparung bis 2030 deutlich gegen das deutsche Klimaschutzgesetz. Dennoch hält Wissing ein Tempolimit auf den deutschen Autobahnen weiterhin für unnötig. Im Koalitionsvertrag ist eine Tempolimit-Einführung deshalb auch nicht vorgesehen. Dagegen darf in vielen anderen europäischen Ländern auf Autobahnen nur 120 km/h, höchstens 130 km/h gefahren werden.
Tabelle 8 stellt die durchschnittlichen Treibhausgas-Emissionen (CO2e) einzelner Verkehrsmittel im deutschen Personenverkehr für das Vor-Corona-Jahr 2019 und das erste Corona-Jahr 2020 gegenüber (2020 muss beim Vergleich mit Vorjahres-Emissionen als Ausnahmejahr betrachtet werden). Die Maßeinheit ist jeweils Gramm Kohlendioxid-Äquivalente (CO2e) je Personen-Kilometer (g/P-km). Die Zahlen beinhalten nicht nur die direkten Emissionen, sondern auch die aus der Bereitstellung und Umwandlung der Energieträger in Strom, Benzin und Dieselkraftstoff, Flüssig- und Erdgas sowie Kerosin. Sie wurden auf der Basis einer durchschnittlichen Auslastung der Flugzeuge und Züge berechnet; für den ICE wurde ein durchschnittlicher Strommix inklusive Ökostrom angenommen. Für den PKW-Personenverkehr wurde für beide Vergleichsjahre eine durchschnittliche Auslastung von 1,4 Personen je PKW angesetzt.
Tabelle 8: Vergleich der durchschnittlichen CO2-Äquivalente CO2e einiger Personen-Verkehrsmittel
in Deutschland in den Jahren 2019 und 2020
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2019 (Auslastung) |
2020 (Auslastung) |
Flugzeug, Inland1) |
214 g/P-km (70 %) |
284 g/P-km (53 %) |
PKW (Verbrenner) |
154 g/P-km (1,4 P./PKW) |
152 g/P-km (1,4 P./PKW) |
Linienbus, Nahverkehr |
83 g/P-km (18 %) |
111 g/P-km (13 %) |
Straßen-, Stadt- und U-Bahn |
55 g/P-km (19 %) |
75 g/P-km (13 %) |
Eisenbahn, Nahverkehr |
54 g/P-km (28 %) |
85 g/P-km (17 %) |
Sonstige Reisebusse2) |
36 g/P-km (55 %) |
36 g/P-km (56 %) |
Eisenbahn, Fernverkehr |
29 g/P-km (56 %) |
50 g/P-km (31 %) |
Linienbus, Fernverkehr |
29 g/P-km (54 %) |
27 g/P-km (57 %) |
(1) incl. Nicht-CO2-Effekte
(2) Rundreisen, Gruppen- und Tagesfahrten
Quelle: Umweltbundesamt „Emissionsdaten“, 7.2.2022
Deutlich ist, dass sich im Pandemiejahr 2020 die Auslastung der Fahrzeuge durch geringere Fahrgastzahlen teilweise markant verändert hat, was zu veränderten spezifischen Emissionen führte. Dies ist vor allem beim inländischen Luftverkehr zu erkennen, dessen spezifische Emissionen im Jahr 2020 durch den pandemiebedingten Rückgang der Auslastung von 70 auf 53 % um ein Drittel zugenommen haben - dagegen war bei Reisebussen kaum eine Änderung der Auslastung zu verzeichnen.
Tabelle 8 zeigt weiter, dass im Vergleich zum öffentlichen Nahverkehr die inländischen Flüge und die PKW-Fahrten den höchsten Ausstoß an CO2-Äquivalenten haben. Obwohl die Zahl der deutschen Kurzstreckenflüge immens ist - allein für Behördenmitarbeiter werden jährlich um 230.000 Inlandsflüge gezählt (2019 fanden insgesamt 3,3 Mio. Flüge im deutschen Luftraum statt, d.h. mehr als 9.100 am Tag) - machen sie im Vergleich zu den gesamten Verkehrsemissionen nur einen überraschend geringen Anteil aus: rund 1 % waren es im Jahr 2020 nach Tabelle 7. Bezogen auf die Summe aller deutschen jährlichen Treibhausgas-Emissionen ist der Prozentsatz sogar nur knapp 0,3 %.
Doch schon 2023 hatten sich die Flugzahlen wieder deutlich nach oben verschoben. Insgesamt starteten 2023 über 730.000 kommerzielle Passagierflüge von Deutschland aus, einem Anstieg von knapp 12 % gegenüber 2022. Die beiden Fluggesellschaften Ryanair und Lufthansa waren dabei die stärksten CO2-Emittenten der Luftfahrt in Europa: Ryanair verursachte 14,9 Mio. t CO2, Lufthansa 9,5 Mio. t CO2 (Transport & Environment, Pressemitteilung vom 18.4.2024).
Durch den Verzicht auf innerdeutsche Flüge zugunsten von Zugfahrten - die Bahn ist wesentlich klimafreundlicher als das Flugzeug und auf Kurzdistanzen auch nicht langsamer - könnten bei Strecken
unter 700 - 800 km die Schadstoff-Emissionen erheblich reduziert werden. Denn bei jedem Startvorgang verbraucht das Kurzstreckenflugzeug im Vergleich zur eigentlichen Flugphase relativ viel
Treibstoff und hat deshalb je 100 km Flugstrecke einen hohen Energieaufwand. Selbst mit einem PKW wird das Klima weniger stark belastet als mit dem Flugzeug. Dem seitens der Politik gewünschten
Umstieg auf die Bahn stehen allerdings das derzeit noch nicht vollständig ausgebaute und teilweise auch marode deutsche Schienennetz, die noch nicht ausreichende Schnelligkeit, zahlreiche
Verspätungen, teilweise mangelnde Technik und natürlich die geringen Ticketpreise für Kurzflüge entgegen; diese günstigen Flugpreise sind möglich, weil das Fliegen in Deutschland (noch ?) durch
steuerfreies Kerosin staatlich subventioniert wird.
Die Öffentlichkeit, zumindest die deutsche, ist von einem Verzicht auf Kurzstreckenflüge noch nicht überzeugt. So reagierten am 7.7.2024 die vom Online-Meinungsforschungsinstitut
Civey 5.050 Befragten auf die Frage "Wie würden Sie ein europaweites Verbot von Kurzstreckenflügen (unter 1.000 km) bewerten?" wie folgt:
Unterschätzt: auch Kondensstreifen schädigen das Klima
Bei Flugreisen werden neben den direkten CO2-Emissionen auch Stickoxide sowie Wasserdampf emittiert. Diese Verbindungen bauen sich in der Höhe nur langsam ab und haben deswegen einen stärkeren Einfluss auf die Erderwärmung als die Treibhausgase von Straßenfahrzeugen. Wasserdampf entsteht zwar auch durch bodengebundene Verbrennungsmotoren, hat aber dort praktisch keine Schadwirkung.
Ein besonderes Problem sind die Kondensstreifen hinter den Flugzeugen, die durch kalte und feuchte Luft fliegen. (Bild 27). Sie entstehen, wenn der Wasserdampf aus den Triebwerken in feuchter Umgebung zu winzigen Wassertropfen kondensiert. Meist lösen sich die Kondensstreifen innerhalb weniger Minuten auf. Unter bestimmten Bedingungen breiten sie sich jedoch in der Atmosphäre aus: es entstehen künstliche Zirruswolken. Die bis zu 20 km breiten Zirruswolken haben sowohl einen kühlenden als auch einen wärmenden Effekt. Einerseits reflektieren sie an ihrer Oberfläche das einfallende Sonnenlicht und bewirken dadurch eine leichte Kühlung der Erde. Andererseits absorbieren ihre Eiskristalle und der angelagerte Ruß die vom Erdboden abgegebene Wärmestrahlung, wodurch sich der Boden erwärmt.
Durch Messungen von speziellen Forschungsflugzeugen im Jahr 2020 aus, die großen Verkehrsflugzeugen in kurzer Distanz folgten, hat man ermittelt, dass der Erwärmungseffekt eindeutig überwiegt. Die Kondensstreifen bzw. die daraus resultierenden Kondensstreifen-Zirren können den Erdboden sogar noch stärker als das von den Flugzeugen ausgestoßene Kohlendioxid erwärmen und verstärken so den Treibhauseffekt deutlich. Es zeigte sich nämlich, dass nur ein Drittel der Klimawirkung des internationalen Luftverkehrs auf die reinen CO2-Emissionen entfällt, zwei Drittel aber auf Nicht-CO2-Effekte, in erster Linie auf die Kondensstreifen-Zirren.
Es gäbe jedoch eine relativ einfache und zugleich kostengünstige Methode, die Kondensstreifen-Erwärmung zu reduzieren. Da Flüge über Nordamerika, Europa und der nordatlantischen Region für mehr als die Hälfte der Erwärmung durch Kondensstreifen großer Flugzeuge verantwortlich sind und Kondensstreifen bei Abend-und Nachtflügen am meisten zur Erderwärmung beitragen, könnten sie durch veränderte Flugrouten auf kleinen Streckenabschnitten wirksam reduziert werden. Flugtests haben ergeben, dass der Klimavorteil durch die Verringerung von Kondensstreifen durch modifizierte Flugrouten um den Faktor 15 bis 40 größer größer ist als der Nachteil durch den Treibstoff-Mehrverbrauch und damit durch die zusätzlichen CO2-Emissionen (Pressemitteilung Transport & Environment, November 2024). Erste Fluggesellschaften und Start-ups setzen die Vermeidung von Kondensstreifen bereits in die Praxis um. Es besteht daher Hoffnung, dass diese Technologie möglichst bald zum Standard wird.
Um die tatsächliche Klimabelastung und nicht nur den CO2-Ausstoß des Flugverkehrs abschätzen zu können, wird deshalb derzeit die Treibhausgas-Wirkung meist mit dem „Klimafaktor“ drei multipliziert. Nach EcoPassenger ergeben sich damit die nachfolgend zusammengestellten CO2-Emissionen für die Hin- und Rückreise zu und von einigen ausgewählten deutschen Städten mit dem Flugzeug bzw. mit dem ICE, jeweils in kg CO2 je Person. Diese Angaben berücksichtigen die Emissionen, die bei der Herstellung und der Verteilung der genutzten Elektrizität bzw. des Treibstoffes entstehen. Die Zahlen für die Flüge enthalten den Klimafaktor 3. Vorausgesetzt ist außerdem eine durchschnittliche Auslastung von Zügen und Flugzeugen. Zusätzliche Emissionen, die bei den Fahrten zu und von den Flughäfen entstehen, bleiben unberücksichtigt.
Berlin-München-Berlin: Flugzeug = 308 kg CO2/P. ICE = 34,4 kg CO2/P.
Düsseldorf-Hamburg-Düsseldorf: Flugzeug = 190 ICE = 26,8
Frankfurt-Stuttgart-Frankfurt: Flugzeug = 88 ICE = 10,4
Frankfurt-München-Frankfurt: Flugzeug = 140 ICE = 17,0
Leipzig-Stuttgart-Leipzig: Flugzeug = 166 ICE = 21,0
Zweitstärkster Emittent von Klimagasen im Verkehr ist nach Tabelle 8 das (Verbrenner-)Auto. Selbst wer mit seinem Fahrzeug im täglichen Berufsverkehr insgesamt nur 15 km zurücklegt, produziert im Jahr (= 250 Arbeitstage) bei einem mittleren Kraftstoffverbrauch von 9 l/100 km etwa 845 kg Kohlendioxid. Diese Rechnung basiert auf eher konservativen Annahmen, denn häufig ist die Fahrt zur Arbeitsstätte und zurück länger als 15 km und der Kraftstoffverbrauch bei typischen Kurzstrecken im Berufsverkehr, vor allem im Winter, höher als 9 l je 100 km.
Mögliche Alternativen: Die Bildung von Fahrgemeinschaften würde die Situation erheblich verbessern. Ist die Fahrt zur Arbeitsstätte und zurück mit dem Bus oder der Straßenbahn (Stadtbahn) möglich, würden für die Fahrten bei 55 g CO2 / P-km im Jahr (bei gleicher Streckenlänge) nur 210 kg CO2 emittiert, mit dem E-Bike sogar nur 20 kg - und mit dem Fahrrad Null kg CO2. Kurz- und mittelfristig rücken außerdem mehr und mehr alternative Antriebskonzepte in den Fokus der Antriebswende, auch wenn die Kaufbereitschaft wegen der hohen Preise und anderer Nachteile wie fehlende Infrastrukturmaßnahmen noch zu wünschen übrig lässt. Dies sind
Auf weitere Vor- und Nachteile der einzelnen Technologien wird an verschiedenen anderen Stellen dieser Website eingegangen, vor allem in Kapitel 13. Daher nur kurz: Technik und ökologischer Fußabdruck der Elektrofahrzeuge haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert - bisherige Nachteile wiegen gegenüber den Jahren vor 2020 weniger schwer. Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb oder mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren werden erst dann eine lohnenswerte Alternative zu den E-Fahrzeugen mit Akkus, wenn grüner Strom bzw. grüner Wasserstoff im Überschuss zur Verfügung stehen, also nicht mehr dringend für andere Bereiche benötigt wird um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Zur Wahrheit gehört aber, auch dass Wasserstoff in den meisten Ländern derzeit noch aus Erdgas (CH4) gespalten wird. Bei diesem Vorgang wird sehr viel CO2 frei. Solange kein mit erneuerbarer Energie hergestellter grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, ist deshalb die Bilanz z.B. eines Brennstoffzellen-PKWs deutlich schlechter als die eines reinen E-Autos, in vielen Fällen sogar schlechter als die eines Diesel-PKWs.
Eines steht bereits heute fest: die oben aufgeführten technischen Antriebsalternativen allein werden nicht ausreichen, die Klimaziele Deutschlands im Sektor Verkehr zu erreichen. Hinzukommen muss eine deutliche Änderung im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Wie entscheidend das Verhalten der Öffentlichkeit ist, zeigt sich u.a. daran, dass Anfang 2024 Mercedes sein ursprüngliches Elektroziel aus dem Jahr 2021, ab 2030 nach Möglichkeit nur noch rein batterieelektrische Neuwagen (BEV) zu verkaufen, drastisch zusammenstrich. Das Stuttgarter Unternehmen geht derzeit davon aus, dass bis Ende dieses Jahrzehnts der BEV-Anteil höchstens bei weniger als der Hälfte der ausgelieferten Fahrzeuge liegen wird. Schon im Jahr 2023 machten batteriebetriebene Mercedes-Neuwagen statt wie angestrebt 20 % nur 12 % des Gesamtabsatzes aus. Ähnliche Tendenzen vermeldet BMW, das derzeit weder einen explizierten BEV-Anteil noch ein Zieljahr für das Ende für Verbrennerautos nennt.
Hohe Emissionen durch Privatjets
Als besonders klimaschädlich gelten die privaten (Jet-) Flugzeuge der Super-Reichen. Sie legen damit oft nur relativ kurze Distanzen zurück, z.B. zu einem Konzert in Hamburg oder zu einem Fußballspiel in Madrid. So soll der Privatjet der bekannten amerikanischen Pop-Sängerin Taylor Swift allein zwischen Januar und August 2022 170 Mal gestartet sein. Eine Auswertung der Brüsseler Nicht-Regierungs-Organisation Transport & Environment (Dachorganisation von über 50 nicht-staatlichen europäischen Organisationen, die sich für einen nachhaltigen Verkehr engagieren) im Jahr 2021 hat gezeigt, dass die sehr begrenzte Personengruppe von nur ungefähr 1 % privater Jet-Betreiber für rund die Hälfte der weltweiten Flugzeugemissionen verantwortlich ist. So erfolgte beispielsweise in Frankreich im Jahr 2019 jeder zehnte Flugzeugstart mit einem privaten Jet-Flugzeug, von denen wiederum die Hälfte kurze Flugstrecken von unter 500 km zurücklegten.
Die CO2-Emissionen dieser privaten Flugzeuge haben im Zeitraum zwischen 2005 und 2019 um 31 % zugenommen; dies ist ein größerer Anstieg als durch die gesamte kommerzielle Luftfahrt. Während der kommerzielle Flugverkehr im August des ersten Covid-Jahres 2020 noch um 40 % gegenüber dem Vorjahr eingebrochen war, erreichten die Startzahlen der Privat-Jets schon wieder Vor-Covid-Niveau. Ein einzelner Privat-Jet kann jede Stunde 2 t CO2 emittieren. Wie viel dies ist, ist daran zu sehen, dass beispielsweise im gesamten Jahr 2020 jeder Deutsche für 7,7 t CO2 verantwortlich war, in 2021 sogar für 8,06 t. EU-weit lag der Wert 2020 sogar bei nur 5,91 t CO2 je Person (2021: 6,254 t), die Pro-Kopf-Emission der Weltbevölkerung war mit nur 4,62 t CO2 (2021: 4,81 t) noch geringer.
Nach Angabe der Deutschen Flugsicherung wurde in 2022 die Rekordzahl von rund 94.000 privaten Flüge in Deutschland verzeichnet, davon waren drei Viertel kürzer als 500 km. Spitzenreiter waren Flüge von Hamburg nach Sylt und Berlin nach München. Damit ist Deutschland in Europa das Land mit den drittmeisten Privatflügen.
All dies ist Grund genug, die Jet-Fliegerei künftig kritischer zu sehen. Denn je nach Flugzeugtyp emittieren Privat-Jets nach Untersuchungen von Transport & Environment je Passagier fünf bis 14 Mal mehr Schadstoffe als kommerzielle Flugzeuge und 50 Mal mehr als die Bahn.
Gefährdet auch die Sport-Fliegerei das Klima?
Kurzantwort auf diese Frage: wenn überhaupt, dann nur im geringen Maße. Die meisten dieser kleinen Sportflugzeuge haben Viertakt-Ottomotoren, die mit Flugbenzin betrieben werden. Nur etwa 13.000 t (steuerpflichtiges) Flugbenzin sollen im Jahr 2015 in Deutschland für diese nicht-gewerbliche Fliegerei, die überwiegend an den Wochenenden und an den Feiertagen stattfindet, verbraucht worden sein. Stimmt das aber auch, muss man sich fragen?
Der Deutsche Aero Club DAeC nennt ein Beispiel: ein modernes zweisitziges Flugzeug vom Typ „Katana“ fliegt die Strecke von Stuttgart nach Berlin (510 km Luftlinie) mit einer Reisegeschwindigkeit von 180 km/h und benötigt dazu knapp drei Stunden. Dieses Flugzeug verbraucht etwa 15 l Flugbenzin je Stunde, für den gesamten Flug also knapp 45 l Kraftstoff. Fährt dagegen ein Mittelklasse-PKW mit einem Durchschnittsverbrauch von 10 l/100 km auf der Autobahn von Stuttgart nach Berlin (= 630 Straßen-Kilometer), ergibt sich ein Verbrauch von 63 l und eine geschätzte Reisezeit von 5 ½ Stunden – Zeitverluste durch Staus nicht mitgerechnet. Auch wenn für einen fairen Vergleich beim Flugbeispiel noch die Benzinkosten für die Fahrt vom und zum Flughafen aufzurechnen und beim Zeitaufwand die Regularien an den Flughäfen zu berücksichtigen sind, ist das Kleinflugzeug im Vergleich zum PKW nicht unwirtschaftlich. Allerdings werden noch Lande-Gebühren und zum Teil auch Gebühren für die Benutzung von Luftstraßen fällig.
Die Motorleistungen der Sportflugzeuge sind nicht allzu hoch: die „Katana“ besitzt einen 80-PS-Motor, erreicht eine Reisegeschwindigkeit von 180 km/h und hat eine Reichweite von rund 800 km (plus Sicherheitsreserve). Ein größeres viersitziges Vereinsflugzeug wie z.B. die „Piper PA 28-161“ hat eine Motorleistung von 160 PS und ist im Reiseflug bei einer Reichweite von 950 km 210 km/h schnell. Ein „Oberklassenflugzeug“ wie die sechssitzige „Beech A36TC Bonanza“ besitzt einen 300-PS-Motor, erreicht eine Geschwindigkeit von rund 310 km/h und kann bis zu 1.700 weit fliegen, ohne tanken zu müssen. Trotzdem darf bei den Bestrebungen zur Reduzierung von klimaschädlichen Motorabgasen auch die Sportfliegerei nicht ausgeschlossen werden.
Die Klimawirkung von Flugreisen ist groß. Ein einziger Hin- und Rückflug Frankfurt/M. – New York – Frankfurt/M. über eine Gesamtflugstrecke von 12.374 km verursacht nach Angaben des Umweltbundesamtes pro Passagier 3,76 t CO2-Äquivalente. Für die gleiche Klimawirkung könnte man mit dem Auto 21.900 km weit fahren, also fast doppelt so weit.
Um im Rahmen der Klimaschutzprogramme ihre CO2-Emissionen auszugleichen, kaufen seit einiger Zeit Fluggesellschaften an der Börse sogenannte CO2-Gutschriften aus Klimaschutzvorhaben in Entwicklungsländern. Die direkten Auswirkungen daraus auf das Klima sind allerdings umstritten, weil alle Flüge, die in Europa beginnen und/oder in Europa enden, von den CO2-Budgets der EU ausgenommen sind. Wichtig wäre vor allem, dass Emissionen nicht nur bezahlt, sondern dass sie vermieden werden.
Auf dieses Thema wird in Kapitel 14 noch ausführlicher eingegangen.
Die internationale Luftfahrt profitiert bisher von entscheidenden Privilegien, die aus Sicht der Bekämpfung der weiteren Erderwärmung kritisch zu sehen sind. Dazu zählen zum Beispiel,
Dank der jährlich erscheinenden umfangreichen Statistiken „GHG emissions of all world countries“ der Europäischen Kommission sind die CO2- und CO2e-Emissionen durch den internationalen Flugverkehr bekannt, letztere derzeit bis 2018. So lagen die reinen weltweiten CO2-Flugemissionen in den Vor-Covid-Jahren 2018 und 2019 jeweils bei 609 Mio. t, die CO2e-Emissionen im Jahr 2018 betrugen 618,5 Mio. t. Für die grenzüberschreitenden Flüge wurden im Vor-Corona-Jahr 2019 etwa 4,5 Mrd. Passagiere registriert, nahezu die Hälfte der derzeitigen Weltbevölkerung!
Durch die mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen ging der CO2-Ausstoß im Jahr 2020 dramatisch auf 337,1 Mio. t zurück, doch es handelt sich dabei um ein untypisches Ausnahmejahr. Bezieht man nun die CO2-Emission im Jahr 2019 auf die globale CO2-Emission aller Länder im gleichen Jahr (= 37.716,2 Mio. t), so erkennt man, dass die reinen CO2-Emissionen der globalen Luftfahrt zwar nur 1,62 % des Welt-CO2-Ausstoßes ausmachen. Wie bereits erwähnt, ist die tatsächliche Klimawirkung wegen der Nicht-CO2-Effekte aber um rund den Faktor drei stärker.
Betrachtet man die Entwicklung der CO2-Luftfahrtemissionen aus dem internationalen Luftverkehr seit dem Jahr 1990, wird deutlich, dass sie sich bis 2019 kontinuierlich um insgesamt den Faktor 2,36 erhöht haben. Auch in Europa nimmt die Klimabelastung durch den Flugverkehr keinesfalls ab: Zwischen 2005 und 2019 ist dieser um 67 % gestiegen, die daraus entstandenen CO2-Emissionen um 24 %. Werden keine wirksamen Gegenmaßnahmen unternommen, werden die von Europa verursachten Flugverkehrs-Emissionen von 2019 bis 2050 nach einigen Prognosen um weitere 38 % zunehmen - selbst mit Berücksichtigung von Wirkungsgrad-Verbesserungen der Strahltriebwerke.
Deswegen bemühen sich die Unternehmen und Institutionen des Luftverkehrsbereichs um eine Verringerung der negativen Auswirkungen des Fliegens. Dazu zählen beispielsweise klimaoptimierte Flugrouten und bessere Auslastungen der Flugzeuge durch weniger Langstreckenflüge. Beschlossen wurde bereits, dass ab 2020 der Luftverkehr CO2-neutral wachsen muss. Dies bedeutet, dass die Zunahme des Luftverkehrs von derzeit etwa 5 % jährlich nicht zu noch mehr CO2-Emissionen führen darf. In anderen Worten: Die Strahltriebwerke müssen sparsamer im Verbrauch werden und es müssen zusätzliche CO2-Zertifikate von zertifizierten echten Klimaschutzprojekten gekauft werden, die entsprechende CO2-Mengen an anderer Stelle nachgewiesenermaßen einsparen. So gewinnt die gesamte Branche Zeit, alternative Antriebe, Kraftstoffe und neue Flugzeugkonzepte zu entwickeln. Denn bis 2050 sollen gegenüber 2005 die Netto-CO2-Emisionen der Luftfahrt um 50 % abnehmen. Einen Großteil der schädlichen Luftfahrtemissionen durch CO2-Kompensationsprojekte als eine Art „Ablasszahlung“ auszugleichen, darf allerdings nicht das Ziel der Luftfahrt sein. Vielmehr ist anzustreben, die Entstehung der Emissionen entscheidend zu verringern.
Elektro-Kleinflugzeuge
Für kürzere Flüge bietet der Markt schon heute elektrisch betriebene Kleinflugzeuge an. Werden diese mit grünem Strom aufgeladen, fliegen sie klimaneutral. Weitere Vorteile: weitgehend lautloser Flug, keine Lärm- und auch keine Geruchsbelästigung für Anwohner, größere Intervalle für Flugzeugwartungen im Vergleich zu herkömmlichen Flugzeugen sowie günstigere Anschaffungs-, Betriebs- und Wartungskosten.
Ein Beispiel ist der 428 kg schwere Ultraleichtflieger Pipistrel Velis Electro, der im Juni 2020 als erstes Flugzeug mit rein elektrischem Antrieb eine Typzulassung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) erhielt. Die 6,5 m lange zweisitzige Velis besitzt zwei Akkus mit einer Kapazität von je 12 kWh, einer sitzt vor dem Cockpit, der andere hinter den Sitzen. Die maximale Fluggeschwindigkeit liegt bei 200 km/h, der Verbrauch auf Reisehöhe bei 12 kWh/100 km und die maximale Verweildauer in der Luft bei 50 Minuten (plus Reserve). Das Aufladen zwischen zwei Flügen von 30 auf 100 % dauert etwa 60 Minuten. Die Maschine ist vor allem bei Flugschulen und Pilotenclubs beliebt. Der erste Zweisitzer wurde im Juli 2020 ausgeliefert. Acht Monate später lagen bereits über 80 feste Bestellungen vor. Bis Mitte 2024 rechnet der Hersteller mit insgesamt rund 200 Aufträgen.
Eine Nummer größer ist die vollelektrische 17 m lange Alice von Eviation Aircraft, einem 2015 in Israel gegründeten Unternehmen mit Zweitsitz in den USA. Das Flugzeug ist für den Pendler- und Frachtmarkt konzipiert. Es bietet Platz für neun Passagiere und zwei Piloten, fliegt 400 km/h schnell und 465 km weit (mit 30 Minuten Energiereserve). Mitsamt 1,2 t Fracht liegt die maximale Startmasse bei 7,5 t. Der Antrieb erfolgt durch zwei E-Motoren mit je 640 kW Leistung. Die Ladezeit für eine vollständige Akku-Aufladung beträgt 70 Minuten. Der Erstflug fand Ende September 2022 statt. Allein bis Mitte Oktober 2023 konnte sich der Hersteller über Bestellungen im Wert von über 5 Mrd. US-$ freuen.
E-Kerosin für die Luftfahrt
Konventionellen Flugzeug-Treibstoffen zugemischter umweltfreundlicher synthetischer Flugzeugtreibstoff (E-Kerosin) hätte das Potenzial, die schädlichen Luftfahrtemissionen deutlich zu verringern. Allerdings ist die Verwendung von E-Kerosin nur dann sinnvoll, wenn es ausschließlich aus grünem Wasserstoff (mit zusätzlichem, also überflüssigem erneuerbarem Strom produziert) und aus Kohlendioxid hergestellt wird, das der Luft mit Hilfe des sog. DAC-Verfahrens (Direct Air Capture) entnommen wird. Nach Untersuchungen von Transport & Environment steht E-Kerosin, welches Biokraftstoffe aus nicht-nachhaltigen Rohstoffen ersetzen soll, allerdings aktuell nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. In Europa könnten bis 2025 jährlich immerhin ca. 160. 000 t zum Verbrauch durch den Flugbetrieb bereitstehen (davon die Hälfte aus deutscher Produktion), bis 2030 dann etwa 1,8 Mio. t pro Jahr. Noch mehr als über künftige nachhaltig hergestellte Kraftstoffen für Verbrenner-Autos ist derzeit (2022) die Meinung über E-Kerosin für die Luftfahrt bei den Akteuren geteilt. Einige EU-Mitgliedsstaaten versuchen, die Vorschriften zur Beimischung von E-Kerosin abzuschwächen. Auf der anderen Seite wehren sich einige Fluggesellschaften, darunter auch Lufthansa, gegen ehrgeizige Beimischungsquoten für nachhaltige Flugkraftstoffe zum Kerosin.
Die grundsätzliche technische Machbarkeit neuer umweltfreundlicher Flugtreibstoffe wurde schon vor mehreren Jahren demonstriert. Doch derzeit steht noch der sehr hohe Bedarf an grünem, überschüssigem Strom für die Herstellung und der hohe Preis von E-Kerosin einer breiten Verwendung entgegen. Je nach Quelle ist der CO2-neutrale synthetische Treibstoff (E-Fuel) zurzeit noch drei- bis siebenmal so teuer wie konventionell produziertes Kerosin. Bei einer optimierten großtechnischen Herstellung großer Mengen dürfte das Preisniveau freilich mittelfristig fallen.
Die geplanten bzw. derzeit diskutierten Maßnahmen zur Emissions-Reduzierung in der Flugzeugbranche sind viel zu schwach. Notwendig wäre nicht nur eine Begrenzung oder, besser, Abschaffung der Inlands-Kurzflüge, sondern eine Reduzierung des internationalen Flugverkehrs, vor allem ein Verzicht auf allzu häufige private Langstrecken-Urlaubsflüge. Zielführend wäre ferner eine sofortige Verteuerung des Kerosinpreises durch Wegfall der bislang gewährten Steuervergünstigungen und ein Verzicht auf lange Geschäftsflüge zu Tagungen und Konferenzen, die selten länger als zwei oder drei Tage, mitunter auch nur einige Stunden dauern. Wie man während der Corona-Pandemie sehen konnten, lassen sich internationale Präsenzveranstaltungen gut durch Videokonferenzen ersetzen, wodurch weltweit viele Tausende Tonnen an Klimagasen vermieden werden. Dies sollte zumindest so lange gelten, bis umweltfreundlichere Langstreckenflugzeuge zur Serienreife entwickelt, erprobt und in den Markt eingeführt sind.
Wie umweltschädlich allein die rund 160 täglichen Flüge von Fußball-Fans von Katars Nachbarländern nach Katar zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und gleich nach dem Spiel zurück waren, weil es im Ausrichterland an ausreichend Unterkünften fehlte, kann sich der Leser sicher selbst vorstellen.
Wenigstens erregte die EU im April 2023 mit einer neuen Verordnung für grüne Kraftstoffe in der Luftfahrt große Aufmerksamkeit. Ihr sog. grünes Luftfahrt-Kraftstoffgesetz sieht vor, dass ab 2025 alle von einem EU-Flughafen startenden Flugzeuge einen Mindestanteil an nachhaltig produziertem Kerosin (SAF) nutzen müssen. Aktuell wird SAF aus geringen Mengen von Speiseresten hergestellt, später aber muss es primär aus regenerativ gewonnenem Strom stammen. Der SAF-Anteil wird zwar 2025 nur 2 % und 2030 auch nur eher bescheidene 6 % betragen, soll aber bis 2050 auf 70 % ansteigen. Biokraftstoffe, die aus Nahrungsmittelpflanzen hergestellt werden sowie Palmöl-Nebenprodukte sind ausgeschlossen. Der Einfluss auf die Verlangsamung des Klimawandels durch die neue EU-Vorschrift, die sich erst ab 2040 auswirken wird, ist noch nicht absehbar; es besteht außerdem Gefahr, dass gewisse nachhaltige Flugtreibstoffe nicht in genügender Menge zur Verfügung stehen oder zu Engpässen in anderen Branchen führen, z.B. in der Tiernahrungsindustrie.
Internationaler Schiffsverkehr
Ähnlich wie die CO2- bzw. die Treibhausgas-Emissionen des internationalen Flugverkehrs werden auch die Emissionen aus der internationalen Schifffahrt nicht einem bestimmten Land angerechnet, sondern separat aufgeführt. Sie fallen deshalb auch nicht unter das Pariser Klimaabkommen. Bei der Schifffahrt werden derzeit nur ungefähr 12 % der gesamten durch deutsche Schiffe verursachten Emissionen aus dem nationalen und internationalen Seeverkehr im Rahmen des Klimaschutzgesetzes berücksichtigt. Weil (bis jetzt) die internationalen Emissionen des Luft- und Seeverkehrs in den deutschen Statistiken nicht erfasst werden, kann das Pariser 1,5 °C-Ziel mit dem existierenden deutschen Ansatz selbst dann nicht eingehalten werden, wenn Deutschland sein Verkehrs-Sektorziel für 2030 einhalten sollte. Nach einer Abschätzung von Transport & Environment von November 2021 werden die deutschen Gesamtemissionen aus Luft- und Seeverkehr im Jahr 2030 ohne neue Maßnahmen wahrscheinlich fast 40 % der deutschen Verkehrsemissionen ausmachen.
Wie die durch Deutschland verursachten internationalen Emissionen aus der Luftfahrt müssen demzufolge künftig auch die der Seefahrt sowohl in die nationalen Klimaschutzbeiträge aufgenommen als auch im Klimaschutzgesetz verankert werden.
Zuständig für die globale Seeschifffahrt ist die in London ansässige UN-Sonderorganisation IMO (International Maritime Organization) mit ihren rund 175 Mitgliedsstaaten. An sie hat Deutschland, wie viele andere Länder auch, die Zuständigkeit für die internationalen Seefahrt-Emissionen abgegeben. Zu den Aufgabengebieten der IMO zählen die Regulierung und Sicherheit der Schifffahrt und die Verhütung der Meeres- und Luftverschmutzung durch Schiffe. Eine ihrer Vorgaben ist die Reduzierung des CO2-Ausstoßes der seegängigen Schiffsflotte bis 2030 um 40 % im Vergleich zum Jahr 2008. Bis 2050 will die globale Schifffahrt sogar klimaneutral sein, einzelne große Reedereien wollen dies schon 2040 erreichen. Angesichts der diskutierten eher kleinen Schritte zur Dekarbonisierung der Seefahrt und dem fehlenden Mut der meisten Reeder, ernsthaft in grüne Technologien wie z.B. in Wasserstoff-Dieselantriebe zu investieren, erscheint diese Zielsetzung reichlich utopisch. So werden beispielsweise über die Hälfte der erst 2024 gebauten neuen Schiffe nach ihrer Indienststellung mit konventionellem Diesel-Kraftstoff fahren, viele von ihnen sogar nach wie vor außerhalb der geschützten Regionen mit klima- und umweltschädlichem Schweröl. Die großen und teuren Schiffe haben eine Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren; die Reeder dürften deshalb Vorbehalte haben, die Antriebsmaschinen ihrer neuen (teuren) Schiffe schon nach wenigen Jahren auf kohlenstofffreie synthetische Kraftstoffe oder auf Wasserstoff-Verbrennungsmotoren umzurüsten.
Tabelle 9 ist eine Zusammenstellung der weltweiten CO2-Emissionen (mittlere Spalte) und der gesamten Treibhausgas-Emissionen CO2e (rechte Spalte) der internationalen Schifffahrt bis 2020. Im Jahr 2023 verursachte die globale Schiffsflotte nach EDGAR (2024 Report) 707 Mio. t CO2 bzw. 747 Mio. t. CO2e. Damit sind die Emissionen aus der internationalen Schifffahrt seit ihrem Tiefstwert im (Corona-)Jahr 2020 gestiegen, allein von 2021 auf 2022 um 6 %. Ende 2023 machten die CO2-Schiffsemissionen zwar nur 1,82 % der weltweiten CO2-Emissionen (= 39,03 Mrd. t CO2) aus, die Schifffahrt ist aber auch für etwa 13 % der weltweiten Schwefeldioxid- und für etwa 15 % der Stickoxid-Emissionen verantwortlich. Es ist davon auszugehen, dass 2024 der Anteil der Seefahrt am weltweiten CO2-Ausstoß den Wert von 2 % deutlich überschreiten wird.
Tabelle 9: CO2- und CO2e-Emissionen der internationalen Schifffahrt bis 2020
Jahr |
Mio. t CO2 |
Mio. t CO2e |
1990 |
371,3 |
395,4 |
2005 |
571,5 |
607,7 |
2018 |
703,6 |
746,1 |
2019 |
ca. 780 |
n.n. |
2020 1. Corona-Jahr |
764,8 |
n.n. |
Quelle: GHG emissions of all world countries - 2021 and 2023 Reports. JCR Science for
Policy Report, EU-Kommission, 2021 / 2023
Die klimarelevanten Emissionen haben - ganz im Gegensatz zum internationalen Flugverkehr - zwischen 2020 und 2022 im Vergleich zu den Vor-Coronajahren nicht allzu stark abgenommen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Höchstwerte aus der Zeit von 2016 bis 2019 trotz aller Treibhausgas-Reduktionsbemühungen der Branche (Motorenhersteller, Werften, Reeder) schon bald wieder erreicht sein werden.
Wie stark trägt nun die Seeschifffahrt zur gesamten globalen Treibhausgas-Emission bei? Ende 2022 waren dies 1,4 % beim CO2-Ausstoß und 1,84 % bei der Treibhausgas- (CO2e-)Emission. Dass in den Medien und teilweise auch in der Literatur dafür unterschiedliche Zahlen genannt werden, liegt daran, dass falsche Bezugsgrößen gewählt werden. Korrekte Prozentsätze ergeben sich nur dann, wenn man jeweils für die See-Emissionen und die globalen Emissionen die entsprechenden CO2e- bzw. CO2-Werte in Beziehung setzt und nicht etwa CO2e-Werte der Schifffahrt zu den CO2-Werten weltweit in Beziehung setzt. Denn von den globalen Treibhausgas-Emissionen entfielen im Jahr 2022 nur 71,6 % auf CO2, in der Schifffahrt waren es jedoch 94,5 %.
Kaum bekannt sein dürfte, dass strengere Auflagen beim Schiffsdiesel trotz einer CO2-Reduzierung nicht zwingend zu einer Verlangsamung des Klimawandels beitragen müssen. Sinken nämlich die umweltkritischen Emissionen aus den Schiffs-Verbrennungsmotoren, entstehen etwas weniger niedrig hängende Wolken. Genau diese Wolken hatten jedoch bisher eine kühlende Wirkung, die nunmehr schwächer wird. Offen ist bisher, was einen größeren Einfluss auf die Erderwärmung der kommenden Jahrzehnte besitzt: ein geringerer Treibhausgas- Ausstoß durch die Schifffahrt oder die abnehmende Zahl niedriger Wolkenformationen. Letzteres dürfte sich rascher auswirken als der geringere CO2-Ausstoß der internationalen Schiffsflotte.
Vor 25 Jahren: Schwierige Ermittlung der CO2-Schiffsemissionen
Die hier zitierten Prozentsätze sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, weil der Öffentlichkeit im Detail nicht bekannt ist, mit welchen Annahmen und Vereinfachungen die Kohlendioxid-Emissionen berechnet wurden. Schon vor 25 Jahren war das überraschende Ergebnis meiner eigenen umfangreichen praxisorientierten Studie (Köhler, 2003), dass die weltweite Schiffsflotte mit 289 Mio. t mehr als doppelt so viel an Kraftstoff verbraucht und damit auch doppelt so viele Schadstoffe freisetzt wie bis dahin angenommen. Für die Berechnung wurden realistische Kraftstoff-Verbrauchsprofile verschiedenster Motorentypen und -Größen bei unterschiedlichen Betriebslasten der seefähigen Schiffstypen über 100 Brutto-Registertonnen (BRT) verwendet, also nicht nur die von den Motorherstellern veröffentlichten (günstigen) Verbräuche fabrikneuer Motoren bei der Auslegungs-Leistung unter idealen Betriebsbedingungen auf werkseigenen Probeständen. Mitberücksichtigt wurden beispielsweise auch die Kraftstoffverbräuche während der Liegezeiten und beim Manövrieren, und zwar nicht nur die der Hauptmaschinen, sondern auch die der kleineren Schiffs-Hilfsmotoren. Zudem ging die gesamte Fischereiflotte mit in die Berechnung ein. Übrigens standen damals nicht Kohlendioxid, sondern die toxischen Stickoxide (NOx) im Fokus. Zur NOx-Reduzierung wendete die Großmotorenindustrie sogar technische Maßnahmen an, die wegen des Zielkonflikts zwischen dem Motoren-Kraftstoffverbrauch und der NOx-Emission teilweise zu höheren Verbräuchen und damit zu einem höheren Treibhausgas-Ausstoß führten.
Auf der Basis dieser Untersuchungen entstand 2004/05 in enger Zusammenarbeit mit Experten vom Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine erweiterte Studie mit dem Titel „Emissions from international shipping“, in der neben dem Klimagas CO2 auch die Schadstoffe Stickoxid, Schwefeloxid, Kohlenwasserstoff, Kohlenmonoxid und Partikel bestimmt wurden (Eyring und Köhler et al., 2004/05). Diese Veröffentlichung ist immer noch aussagekräftig, weil sie unter Annahme von verschiedenen Ausgangsszenarien globale Schiffsemissionen in den beiden Jahren 2020 und 2050 aufzeigt. Eines der Ergebnisse dieser Untersuchung war, dass die damals aus 90.300 seegängigen Schiffen bestehende internationale Seeflotte inklusive Fischereiflotte und den militärischen Schiffen im Jahr 2001 etwa 813 Mio. t CO2 freisetzte, wovon mit 594 Mio. t der größte Teil auf Transportschiffe wie Tanker, Containerschiffe oder Massengutfrachter entfiel.
Heute berechnen auch andere Institutionen Schiffs-Emissionen. So gab die IMO 2020 für die durch die zivile Schifffahrt im Jahr 2018 ausgestoßenen Treibhausgase mit rund 1.076 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e) an. Im Vergleich zur Angabe der EU-Kommission in Tabelle 9 (= 746,1 Mio. t CO2e) ist dies über 40 % mehr. Wenn immer Prozentangaben über den Anteil der CO2-und CO2e-Emissionen der Schifffahrt (bzw. der Luftfahrt) am gesamten Transportsektor oder zur weltweiten Gesamtemission veröffentlicht bzw. zitiert werden, sollte deshalb immer mit angegeben werden, von welcher Organisation bzw. Behörde die Zahl stammt und unter welchen Voraussetzungen und für welches Jahr sie gilt.
Es ist ohnehin zu beobachten, dass mit Emissionsangaben für die internationalen Schifffahrt oft ungeprüft umgegangen wird. Sonst würde es nicht zu Fake-News kommen wie zum Beispiel im Jahr 2012, als der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in einer Pressemitteilung die reißerische Schlagzeile „Ein einziges Kreuzfahrtschiff stößt pro Tag so viele Schadstoffe aus wie fünf Millionen PKWs“ formulierte - eine massive Übertreibung (Köhler, 2019). Dabei ist gerade die Kreuzfahrtbranche mit ihren immer zahlreicher und gleichzeitig größer werdenden Hochsee-Kreuzfahrtschiffen bemüht, den Klima- und Umweltschutz zu verbessern, wenn auch in der Regel nur in sehr kleinen Schritten (Bild 29), beispielsweise durch LNG als Kraftstoff (Vor- und Nachteile siehe weiter unten in diesem Kapitel) oder durch die Erzeugung eines Teils der benötigten elektrischen Bordenergie durch Fotovoltaik-Module. Nach einer Untersuchung von Transport & Environment (T&E-Pressemitteilung vom 8.8.2024) machen LNG-betriebene Kreuzfahrtschiffe derzeit 38 % der weltweiten Bestellungen aus; die Zahl der Kreuzfahrtschiffe ist von nur 21 im Jahr 1970 auf heute 515 gestiegen. Das im Januar 2024 vom Stapel gelaufene bisher größte Kreuzfahrtschiff, die Icon of the Seas, verfügt über 40 Restaurants, sieben Schwimmbäder und kann über 7.500 Passagiere befördern. Kein Wunder, dass bei dieser raschen Zunahme der Zahl und Größe der Urlauber-Luxusschiffe die CO2-Belastung aus diesem Schiffssegment deutlich gestiegen ist, und zwar allein zwischen 2019 und 2022 trotz Corona-Pandemie um 20 % (T&E-Pressemitteilung vom 8.8.2024). 2023 unterahmen mit 31,7 Millionen Menschen so viele Passagiere aus aller Welt wie noch nie eine Kreuzfahrt. Der Treibhausgas-Ausstoß lässt sich daraus zu etwa 60 Mio. t CO2e errechnen, wenn man davon ausgeht, dass jeder Passagier durchschnittlich sieben Tage auf dem jeweiligen Kreuzfahrtschiff verbrachte. Diese Zahl erhöht sich deutlich, wenn man noch die hohen Emissionen berücksichtigt, die Crew und die Passagiere bei der An- und Abreise zum/vom Schiff per Flugzeug verursachen.
Noch ist das Interesse an Kreuzfahrten in Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen noch nicht sehr stark ausgeprägt. In einer Umfrage von Juli 2024 würde jeder zweite Deutsche auf Kreuzfahrten verzichten, allerdings nicht ausschließlich zur Schonung des Klimas, sondern um mögliche Folgen des Massentourismus einzudämmen. Zwischen dem 5. und 7.7.2024 stellte das Meinungsforschungsinstitut Civey insgesamt 5.066 Deutschen die folgende Frage: "Würden Sie auf Kreuzfahrten verzichten, um mögliche Folgen des Massentourismus (z.B. Umweltschäden) einzugrenzen?". Das Ergebnis:
Doch global gesehen boomt das Kreuzfahrtgeschäft ohne den geringsten Zweifel. Bereits 2020 verursachte dieser Sektor weltweit eine Emission von 45 Mio. t CO2, mehr als beispielsweise Portugal im ganzen Jahr emittierte. Mitberücksichtigt in dieser Zahl sind zwar die Emissionen des Schiffspersonals per Flugzeug zu den Häfen, nicht aber die hohen Emissionen der Passagiere, die sie durch ihre An- und Abreise zum/vom Schiff verursachen. Dass der Trend nach oben anhält, mag damit zusammenhängen, dass derzeit Kreuzfahrtreisen von Treibstoffzöllen, Körperschaftssteuern und den meisten Verbrauchssteuern befreit sind. Wenn die Verwendung von grünen Kraftstoffen weiterhin schleppend verläuft und die meisten Kreuzfahrtschiffe aus Kostengründen nach wie vor mit Schweröl oder Dieselkraftstoff betrieben werden, sollte als Ausgleich für den mangelnden Klimaschutz an die Einführung einer Ticketsteuer gedacht werden. Schon eine Steuer von 50 € auf jedes Kreuzfahrtticket würde weltweit jährlich 1,6 Mrd. € einbringen, bei 100 € wären es nach T&E bereits 3,1 Mrd. €.
Die durch die internationale Schifffahrt, in der die Kreuzfahrtbranche nur ein kleiner Teil ist, verursachten Emissionen mögen manchem Leser hoch erscheinen, siehe die Ausführungen weiter oben. Doch es gilt zu bedenken, dass nur große Schiffe schwere Lasten über weite Distanzen kostengünstig transportieren können. Immerhin sind Seeschiffe an der jährlichen globalen Güter-Transportleistung zu mindestens rund 70 % beteiligt.
Trotz der in den letzten Jahren bereits eingeführten Maßnahmen muss die Seeschifffahrt-Branche noch merklich klimafreundlicher werden, zumal sie im Gegensatz zum Transport auf der Straße, auf Binnengewässern und auf der Schiene viele Jahre lang in den Genuss von großzügigen Privilegien kam. Die Dieselmotoren-Hersteller begannen kurz vor der Wende zum 21. Jahrhundert zunächst mit der Einführung von Techniken zur Reduzierung der NOx-Emissionen (Corbett & Köhler, 2003). Danach konzentrierten sich die Bemühungen auf Alternativen zu schwerölangetriebenen Schiffen, die gesundheits- und klimaschädliche Schwefeloxide, Partikel und Ruß ausstoßen. Denn beim Schweröl (Heavy Fuel Oil, HFO) handelt es sich um einen schadstoffhaltigen Reststoff aus dem Raffinerieprozess. Heute ist in besonders geschützten Regionen das zähflüssige, preiswerte Schweröl als Kraftstoff ganz verboten wenn der Schwefelgehalt größer als 0,1 % ist. Bei diesen Schutzgebieten handelt es sich um die gesamte Nord- und Ostsee einschließlich dem Ärmelkanal, den Gewässern der Ost- und Westküste Nordamerikas mit Hawaii, den Küstengewässern Mittelamerikas und den Großen Seen Kanadas. Außerhalb dieser Schutzzonen darf der Schiffskraftstoff seit dem 1.1.2020 weltweit höchstens 0,5 % Schwefel enthalten; zuvor war noch ein Schwefelgehalt bis maximal 3,5 % erlaubt. In etlichen Gebieten ist Schweröl nur dann noch erlaubt, wenn das Schiff über effiziente Abgas-Nachbehandlungsanlagen wie Schwefelwäscher (Srubber) verfügt. Schwefelwäscher waschen den Schwefel aus den Motorenabgasen aus und spülen ihn je nach Anlage zum großen Teil ins Meer – was keine sinnvolle Maßnahme zum Meeresschutz darstellt. Trotzdem wird diese Technik immer noch bei nahezu der Hälfte der deutschen Kreuzfahrtschiffe und bei 10 - 30 % der anderen Schiffsarten angewandt. Schweröl ist wegen seines relativ geringen Preises auf vielen Schiffsrouten nach wie vor ein häufig eingesetzter Kraftstoff.
Reine Elektroantriebe für große Schiffe eignen sich deshalb nicht, weil die dafür benötigten Akkus viel zu groß und zu schwer wären. Deshalb konzentrierten sich die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zunächst auf eine weitere Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs von Groß-Dieselmotoren durch Verbesserung des Motorwirkungsgrades. Dieser hat mittlerweile mit 52 % Wirkungsgrad für einen großen mittelschnelllaufenden Zweistoff- (Dual Fuel-) Viertakter mit fast einem halben Meter Kolbendurchmesser und einer Leistung von 1.770 PS je Zylinder (1.300 kW/Zyl.) im Gasbetrieb ein neues Rekordniveau erreicht.
Andere Lösungen zur Verbesserung der Umweltfreundlichkeit des Schiffsbetriebs sind bei kleineren Schiffen bekannt geworden. So hat das Augsburger Unternehmen MAN Energy Solutions anfangs 2023 drei Zylindervarianten (12, 16 und 20 Zylinder) ihres schnelllaufenden Motors 175D mit einer Leistung zwischen 1.500 und 4.400 kW für den Betrieb mit allen gängigen Biokraftstoffen wie z.B. HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) und FAME (Fatty Acid Methyl Ester) bis zu einem Anteil von 100 % freigegeben. Diese umweltfreundlichen Motoren eigenen sich zum Antrieb kleinerer Schiffe, wie Fähren, Offshore-Versorgungsschiffen, Schleppern und anderen Arbeitsschiffen. Doch auch bei großen Schiffen laufen Bestrebungen, zumindest einen Teil des Schiffs-Energiebedarfs durch umweltfreundliche Maßnahmen zu erzeugen. Die Nutzung von Landstromanlagen für einen schadstofffreien Betrieb während der Hafenliegezeiten ist eine, wenn auch teure Möglichkeit, vorausgesetzt der Strom ist nicht-fossilen Ursprungs. Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes von drei Unternehmen soll (Anfang 2024) ein Brennstoffzellensystem mit hohem Wirkungsgrad in Kombination mit äußerst leistungsfähigen Batteriesystemen auf einem Kreuzfahrtschiff der amerikanischen Royal Caribbean Group erprobt werden. Ziel ist es, nicht nur einen schadstofffreien Hafenbetrieb zu gewährleisten, sondern auch die gesamte Hotellast während der Schiffsfahrten abzudecken.
Doch trotz aller Ankündigungen zur Emissionsminderung in der Schifffahrt ist noch keine positive Entwicklung zu erkennen (Transport & Environment, 13.7.2023). Im Gegenteil, im Schifffahrtsektor der EU nahmen die CO2-Emissionen im Jahr 2022 mit 128,2 Mio. t CO2 gegenüber dem Vorjahr um 1,5 % zu und näherten sich damit wieder den hohen CO2-Emissionen des Vor-Coronajahres 2019 (133,7 Mio. t CO2). Den größten Anteil am CO2-Ausstoß von Schiffen, die europäische Häfen anliefen, hatten Frachtschiffe. Größter Emittent war dabei die Schweizer Reederei MSC, die im Jahr 2022 allein für nahezu 10 Mio. t CO2 verantwortlich war, gefolgt von CMA CGM (5,5 Mio. t), Maersk (5,2 Mio. t), COSCO Shipping (3,8 Mio. t) und Hapag-Lloyd (3,3 Mio. t). Die Kreuzfahrtschiffe verdoppelten, fast erwartungsgemäß, ihren CO2-Ausstoß nach einer pandemiebedingten Pause im Jahr 2021.Das Kreuzfahrtschiff mit den höchsten CO2-Emissionen war 2022 die MSC Grandiosa mit über 130.000 t CO2, so viel wie der CO2-Jahresausstoß einer ganzen Kleinstadt.
Es ist derzeit noch völlig offen, wie die Weltschifffahrts-Organisation IMO ihre im Juli 2023 verkündeten Treibhausgas-Ziele für die globale Schifffahrt erreichen will. Die aktuellen IMO-Ziele sind:
Dem stehen neuere Berechnungen für die europäische Schifffahrt gegenüber, nach denen vom gesamten Schiffskraftstoff-Energieverbrauch im Jahr 2040 rund 70 % und im Jahr 2045 immer noch rund 40 % auf fossile Kraftstoffe entfallen dürften (Transport & Environment, 18.7.2023).
LNG, zwar vorübergehend notwendig als Ersatz für fehlendes Gas aus Russland, aber schädlich für das Klima
Doch Motorenwirkungsgrade lassen sich nicht beliebig erhöhen. Daher wurde die Forschung auf dem Gebiet alternativer gasförmiger und flüssiger Schiffskraftstoffe intensiviert (Krachler, 2022). Einer dieser Kraftstoffe ist verflüssigtes Erdgas (Flüssigerdgas, Liquefied Natural Gas = LNG; LNG ist nicht zu verwechseln mit Flüssiggas, also Autogas oder LPG - Liquified Petroleum Gas, einer Mischung von Propan und Butan), mit dem trotz des größeren bordseitigen Bauaufwandes für die Lagerung von LNG und seiner Gasifizierung bereits eine Reihe größerer Seeschiffe in Betrieb ist, vor allem Tanker, aber auch Kreuzfahrtschiffe. LNG wird nämlich an Bord in flüssiger Form in gekühlten Drucktanks gelagert (gegenüber Erdgas verringert sich das Volumen von LNG dadurch etwa um den Faktor 600), den Verbrennungsmotoren dann aber im gasförmigen Zustand zugeführt. Nicht LNG verbrennt also im Motor, sondern Erdgas, das zu etwa 85 bis 95 % aus Methan besteht. Stickoxide (NOx) lassen sich damit um rund 85 % reduzieren, Feinstaub um ca. 95 % und Schwefeloxide sogar um 100 % (nur nur deswegen, weil LNG schwefelfrei ist), so dass LNG zu einer erheblichen Verbesserung der Luftqualität führt, doch was das Klimagas CO2 betrifft, so entsteht maximal nur 20 % weniger. Es besteht die Gefahr des Entweichens von klimaschädlichem Methan bei der Förderung, dem Transport, seiner Lagerung auf dem Schiff und bei der eigentlichen Methan-Verbrennung in den Motoren (Methan-Slip). Die benötigte Energie für die Gasverflüssigung, den LNG-Schiffstransport und die Regasifizierung ist enorm. LNG wurde lange Zeit und wird noch immer vorschnell als entscheidende Möglichkeit zum CO2-freien Transport angesehen und von der Politik unterstützt. Dabei schadet LNG dem Klima laut einer Berechnung des Thinktank Energy Comment mit mindestens 300 g CO2 je kWh. Der etwas geringere Kohlendioxid-Ausstoß rechtfertigt den Wechsel von Diesel und Benzin zu LNG daher nicht, auch wenn LNG sauberer verbrennt. Hinzu kommt, dass der LNG-Preis in den letzten Jahren massiv angestiegen ist: Beispielsweise kostete Anfang August 2022 LNG etwa 3 € je kg, womit sich der Preis innerhalb eines Jahres um das Vierfache erhöht hat. Die Folge: Die ersten Speditionen, die auf LNG-LKWs setzten, kämpfen bereits ums Überleben. Doch auch Reeder denken darüber nach, ob der Wechsel zu LNG für ihre Schiffsmotoren sinnvoll war: So wurde Anfang Januar 2023 bekannt, dass die deutsche Kreuzfahrt-Reederei AIDA bei zweien ihrer Schiffe von LNG als Schiffskraftstoff wieder auf den nur halb so teuren Marinediesel (Marine Gas Oil, MGO) umstellt.
In ihrer Studie von Oktober 2022 "Why it makes no sense to have gas-powered ships" wies die NGO-Organisation Transport & Environment nach, dass mit der LNG-Menge, die die Gasmotoren der derzeitig in Betrieb befindlichen 923 LNG-Schiffe verbrennen, nahezu 211.000 europäische Haushalte versorgt werden könnten. Die internationalen Auftragsbücher listeten (im September 2022) 534 LNG-Schiffsneubauten auf. Die Studie prognostiziert weiter, dass im Jahr 2030 für die europäische Schifffahrt ungefähr 6,3 Mio. t LNG benötigt werden, was ausreichen würde, 6,7 Millionen europäische Haushalte mit LNG zu versorgen. Dies entspricht etwa der gesamten Bevölkerung Belgiens oder Schwedens. Unverständlich bleibt, warum die meisten Reeder der immer größer und luxuriöser werdenden Kreuzfahrt-Schiffsneubauten mit Verweis auf die Verwendung von LNG die angebliche Klimafreundlichkeit ihrer Schiffe betonen und so potentielle Passagiere in die Irre führen. Solange die Kreuzfahrtschiffe als Kraftstoffe nicht grünen Wasserstoff, Methanol oder Ammoniak verwenden, sondern (leider immer noch) Schweröl, oder Diesel, LNG oder Biokraftstoffe, stechen sie nach wie vor umwelt- und vor allem klimaschädlich in See.
Trotz aller unbestreitbarer Nachteile spielt LNG aktuell angesichts der Erdgas-Entkopplung von Russland noch eine wichtige Rolle, vor allem im Heizungssektor. Noch im ersten Ukraine-Kriegsjahr 2022 ersetzte die EU 50 Mrd. m3 russisches Gas durch LNG aus anderen Ländern und plante für rund 12 Mrd. Euro 26 neue LNG-Terminals, die Erweiterung bestehender Terminals und schwimmende LNG-Plattformen. Bei den schwimmenden Plattformen dient ein Gastankschiff als vorübergehendes Gaslager und als Regasifizierungs-Einheit.
Deutschland gibt zurzeit 2,5 Mrd. Euro für vier neue schwimmende LNG-Terminals aus. Mitte November 2022 waren die Bauarbeiten des ersten LNG-Anlegers in Wilhelmshaven beendet. Vier Wochen später war die Verbindung zwischen Anleger und den Anlagen an Land sowie die Anbindung an das 26 km entfernte Erdgasleitungsnetz fertig. Am 21.12.2022 hatte der Gasimporteur Uniper offiziell mit der Inbetriebnahme der Anlage begonnen, nachdem einige Tage zuvor das vom Bund gecharterte Regasifizierungsschiff Hoegh Esperanza der norwegischen Reederei Hoegh am neuen Anleger eingetroffen war. Mit dem Anlegen des ersten LNG-Tankers in Wilhelmshaven (mit dem in Deutschland verbotenen Fracking-Gas aus den USA !) Anfang Januar 2023 begann der Regelbetrieb, wobei eine jährliche Regasifizierungskapazität von mindestens 5 Mrd. m3 angestrebt wird. LNG-Tanker aller Größen können den Tiefwasseranleger unabhängig von den Gezeiten anlaufen. Bei Etzel wird das Erdgas in das deutsche Ferngasnetz eingeleitet.
Ende 2023 soll in Wilhelmshaven noch ein zweites Schwimmterminal starten. Dann können über die beiden Wilhelmshavener Anlagen etwa 10 Mio. m3 wiederverdampftes Erdgas pro Jahr umgeschlagen werden. Noch 2022 nahm auch in Brunsbüttel ein Schwimmterminal seine Arbeit auf, zwei weitere 2023 in Lubmin und noch eines Ende 2023/Anfang 2024 in Stade. Insgesamt sollen in Deutschland bis Ende 2026 den Plänen nach acht schwimmende LNG-Terminals sowie drei feste Umschlagplätze in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel existieren.
Doch die massiven deutschen LNG-Aktivitäten, die für Deutschland in ungewohnt kurzer Zeit erfolgen, fordern massive Kritik heraus, und zwar nicht nur von Klima- und Umweltschützern, die zu Recht immer wieder betonen, dass der LNG-Boom nur zu einer neuen Abhängigkeit von fossiler Energie und damit zu Lasten des Klimas führt. Zahlreiche Ökonomen und Gasexperten bezweifeln darüber hinaus die Aussage der Politik und der Lobby-Organisationen, dass ein Infrastruktur-Auf- und Ausbau in dieser Größenordnung wegen des zu erwartenden Gasverbrauchs überhaupt nötig ist. Sie bestreiten, dass LNG-Terminals und LNG-Pipelines später auch für den Transport von grünem Wasserstoff oder anderen klimafreundlichen Gasen genutzt werden können. Darauf verweist auch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) aus dem Jahr 2022. Denn ohne extrem hohe Zusatzkosten für eine entsprechende Rohrisolierung und Anpassung der gesamten Infrastruktur für den Import und die Weiterleitung von Wasserstoff oder dessen Derivate dürfte das wegen der unterschiedlichen Verflüssigungs-Temperaturen von LNG (minus 161 °C) und Wasserstoff (minus 253 °C) nicht möglich sein. Es ist ein echtes Dilemma: Einerseits benötigt Europa und vor allem Deutschland kurzfristig (teures !) LNG als Alternative zum nicht mehr gelieferten russischen Gas, andererseits will und muss die EU aus Klimaschutzgründen möglichst rasch aus der Gasnutzung aussteigen. Diese Frage stellt sich daher schon: Was ist, wenn der Bedarf an LNG in wenigen Jahren wieder stark sinkt, zuerst in der Stromversorgung und der Industrie und danach auch in den Haushalten? Denn wegen der für 2045 angestrebten Treibhausgas-Neutralität - bedeutet Gleichgewicht zwischen Emissionen und Abbau von Treibhausgasen - könnte der Gasverbrauch bis 2030 um rund ein Fünftel und bis 2035 sogar um die Hälfte abnehmen. Dann existieren überflüssige und teure LNG-Terminals und -Leitungen, die für Wasserstoff und auch Ammoniak ohne kostspielige Umbauten ungeeignet sind. Leider wird sich aber die Situation der überdimensionierten deutschen Erdgas-Infrastruktur, die dem Klimaschutz enorm schadet, trotzdem nicht so schnell ändern. Die Anzahl und die Kapazität der LNG-Tanker wird weiter steigen. Sie sind für eine Lebensdauer bis zu 40 Jahren ausgelegt, können also nicht schon nach zehn oder 15 Jahren außer Dienst gestellt werden. Allein bis Ende 2022 wurden rund 40 neue Gastanker in Dienst gestellt - bis 2024 werden vermutlich insgesamt rund 700 auf den Weltmeeren verkehren (Hochhaus, 2022).
Ein neues klimaschädliches LNG-Vorhaben bahnt sich nur wenige Kilometer vor der Küste Rügens an, mitten in einem sensiblen Meeresschutzgebiet. Wie im Frühjahr 2023 bekannt wurde, plant dort die deutsche Regierung mit dem Energiekonzern RWE und dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein gigantisches, bohrinselähnliches festes LNG-Terminal mit einer jährlichen Importkapazität bis zu 38 Mrd. m3 (Kubikmeter) Erdgas (zum Vergleich hat das erste deutsche LNG-Terminal in Wilhelmshaven eine Kapazität von 5 Mrd. m3 Erdgas). Das im Riesen-Terminal vor Rügen von Tankern angelieferte Flüssigerdgas soll über eine knapp 38 km lange Pipeline zum Hafen von Lubmin transportiert werden. Die Ostseeinsel Rügen wehrt sich vehement gegen das Projekt und erhält Unterstützung durch ein aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). DIW hält das Vorhaben für völlig unnötig und überzogen und weder energiewirtschaftlich noch klimapolitisch angebracht. Es dürfte die deutschen LNG-Importkapazitäten voraussichtlich weit über die Marke von 80 Mrd. m3 hinaus katapultieren, zählt man die Kapazitäten der bereits in Betrieb befindlichen bzw. geplanten schwimmenden und festen LNG-Terminals zusammen. Noch härtere Kritik kommt von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die nicht nur das Rügen-Projekt, sondern auch die festen Terminals in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven als überflüssig und als eine Gefahr für die Einhaltung der Klimaziele sieht (Staude, 2023). Im Sommer 2023 reichte die DUH beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen den Betrieb des LNG-Terminalschiffes Neptune ein, das seit Ende 2022 in Lubmin liegt. Die Gründe seien erhebliche Mängel bei der Genehmigung des Terminalbetriebs durch die deutsche ReGas, wie fehlende umweltrechtliche Berücksichtigung von Umweltauswirkungen des mit dem Anlanden des Terminalschiffes verbundenen Shuttle-Verkehrs und den Auswirkungen auf den besonders sensiblen Greifswalder Bodden. Auch der NABU Mecklenburg-Vorkommern hatte beim Bundesverwaltungsgericht einen Eilantrag auf einen sofortigen Baustopp der Pipeline-Bauarbeiten vor Rügen eingereicht, den das Gericht jedoch Mitte September 2023 ablehnte - für alle Naturschützer eine äußerst bittere Entscheidung.
Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert auch massiv vor allem die Kreuzfahrt-Reedereien, die gegenüber der Öffentlichkeit vorzugsweise bei ihren Schiffs-Neubauten bis 2050 einen "dekarbonisierten Kreuzfahrtbetrieb", also versprechen. Sie verweisen dabei auf realitätsfremde Technologien wie den LNG-Betrieb oder auf grünes Methanol oder andere E-Fuels, ohne klar zu sagen, dass z.B. LNG auch nur ein fossiler Kraftstoff ist und deshalb dem Klima genauso schadet wie herkömmliche Schiffskraftstoffe - auch wenn es sauberer verbrennt als etwa Schweröl. Doch ein umweltfreundlicher Kraftstoff ist noch lange kein klimaschonender Kraftstoff, was jedoch von Reedern, der Öffentlichkeit und auch durch die Medien häufig gleichgesetzt wird! Deshalb hat anfangs 2024 die DUH den deutschen Kreuzfahrtkonzern Tui beim Landgericht Hamburg wegen "unzulässigem Greenwashing" verklagt, weil das Unternehmen in seinen Werbeaussagen auf unausgereifte Technologien setzt, ohne dabei anzugeben, woher die für die zivile Schifffahrt benötigten gewaltigen Kraftstoffmengen kommen sollen und was deren Herstellung kosten wird.
Außer von anderen Ländern wird Deutschland LNG auch aus dem Senegal erhalten, und zwar zunächst 2,5 Mio. t pro Jahr (was etwa 4 % des deutschen Verbrauchs entspricht) mit einer möglichen Steigerung auf 10 Mio. t bis zum Jahr 2030. Umweltverbände und Klimaaktivisten übten auch hier sofort massive Kritik an dem binationalen Vertrag, auch wenn er vorsieht, dass Deutschland den Senegal im Gegenzug beim Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung unterstützt. Man erinnere sich: Es ist noch nicht sehr lange her, dass sich Deutschland bei der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow dazu bereit erklärte, im Ausland keine Projekte mit fossilen Energien mit öffentlichen Geldern mehr zu unterstützen. Doch offensichtlich müssen durch Putins Gas- und Ölembargo selbst wichtige Klimaschutz-Maßnahmen durch die Neuordnung der Energiemärkte auf die lange Bank geschoben werden ... (Becker Daniela: Deutschlands Klima-Sündenfall, piqd, 28.11.2022). Dann stellt wenigstens der Senegal auf eine klimafreundliche Energieversorgung um. Und Deutschland?
Ein anderes Beispiel für Nachhaltigkeit in der Schifffahrt, zumindest in der Kreuzfahrtbranche, ist die Nutzung von Landstrom zur Energieversorgung von (vorerst allerdings erst wenigen) Schiffen während der Hafenliegezeiten. Die Antriebs- bzw. Hilfsmotoren an Bord können während dieser Zeit abgestellt und damit Kraftstoff und Emissionen in den Häfen vermieden werden. Eine Pflicht zur Abnahme des meist sehr teuren Landstroms besteht zwar aktuell noch nicht, doch 2023 hat die EU beschlossen, die Abnahme von Landstrom für alle Fracht- und Kreuzfahrtschiffe ab 2030 zunächst in knapp 90 großen Häfen zur Pflicht zu machen, für alle übrigen Häfen ab 2035. Gleichzeitig verpflichtete die EU die Schifffahrt, ab 2025 alternative Kraftstoffe zu verwenden. Die Vorschriften gelten nicht nur für innerhalb der EU verkehrende Schiffe, sondern auch für Schiffsfahrten von außen in das EU-Gebiet und umgekehrt.
Weitere Energieträger können grünes Methanol (Methylalkohol), grüner Ammoniak oder grüner Wasserstoff sein (Kapitel 13). Bei all diesen alternativen Kraftstoffen, deren Verwendung die Betriebskosten eines Schiffes deutlich erhöhen dürften, sind allerdings noch etliche Entwicklungsaufgaben zu lösen.
Ammoniak (NH3) ist ein kohlenstofffreies, stechend riechendes, hoch giftiges und korrosiv wirkendes Gas und relativ preisgünstig; es wird aus Stickstoff und Wasserstoff hergestellt. Bei seiner Verbrennung entstehen als Hauptbestandteile des Abgases Wasser und Stickstoff sowie die (unerwünschten) Emissionen Stickoxid (NOx) und - bei unvollständiger Verbrennung - Lachgas (N2O), aber keine CO-, CO2- Schwefel- und Feinstaubemissionen. NOx und N2O sowie mögliche NH3-Leckagen (NH3-Schlupf) müssen durch entsprechende Abgasfilter abgefangen werden. Weitere Nachteile sind die sehr langsame Flammenausbreitung (d.h. die langsame Verbrennung im Zylinder), die deutlich erhöhte Selbstentzündungs-Temperatur und die geringere Energiedichte im Vergleich zum konventionellen Dieselkraftstoff. Der Hauptvorteil: NH3-Verbrennungsmotoren emittieren rund 70 % weniger Treibhausgase als Dieselmotoren ähnlicher Größenordnung. Sie erfüllen damit die Ziele der EU bis 2050 und übertreffen sogar die der International Maritime Organization IMO für 2040. Ammoniak ist außerdem leichter transportierbar als z.B. Wasserstoff und weist ein geringes Explosions-/Brandrisiko auf. Er kann sowohl im gasförmig als auch im flüssig als Kraftstoff verwendet werden; bei - 33 °C wird NH3 flüssig.
Dennoch sind die Voraussetzungen für emissionsarme NH3-Verbrennungsmotoren beachtlich. NH3-Schiffe benötigen ein zuverlässiges Bunkernetz für den Kraftstoff, ein besonderes Belüftungssystem und größere Kraftstofftanks als ein Diesel-Schiff. Wegen der Korrosionswirkung von NH3 sind spezielle Werkstoffe für das Speichersystem, die Kraftstoffleitungen und -Düsen und die Turbolader der Motoren vorzusehen. Vermutlich muss auch ein höherer Wartungsaufwand als bei Dieselmotoren akzeptiert werden.
Zudem ist die Schifffahrt mit einem ernsthaften NH3-Beschaffungsproblem konfrontiert, weil Ammoniak als Grundstoff für die Düngerproduktion dient. Etwa 80 % des gesamten weltweiten Ammoniakangebots gehen als Düngemittel in die Landwirtschaft. Trotz allem wird es Ende 2023/Anfang 2024 zum Umbau eines norwegischen Offshore-Versorgungsschiffes mit Dual-Fuel-Motoren auf Betrieb mit 70% Ammoniak kommen. Endziel ist allerdings die Verwendung von 100 % Ammoniak mit einer zusätzlichen winzigen Menge Diesel-Zündbrennstoff. Mehrere Dieselmotoren-Hersteller experimentieren darüber hinaus mit Ammoniak als Kraftstoff bei mittelschnelllaufenden Viertakt- und langsamlaufenden Zweitakt-Dieselmotoren. So schloss das Unternehmen MAN Energy Solutions SE im Juli 2023 einen Testlauf mit Ammoniak an seinem Versuchs-Zweitaktmotor 4T50ME-X in seinem Forschungszentrum Copenhagen erfolgreich ab. Der vierzylindrige Testmotor hat einen Kolbendurchmesser von 50 cm und erreicht eine maximale Leistung von etwa 7.000 kW. MAN plant die Herstellung eines ersten Voll-Ammoniakmotors mit 60 cm Kolbendurchmesser an Bord eines kommerziellen Schiffes ab etwa 2026. Im November 2023 gab der finnische Motorenhersteller Wärtsilä die Einsatzreife des ersten kommerziell erhältlichen NH3-Viertakt-Schiffsmotors für Leistungen bis 3,4 MW im Ammoniakbetrieb bekannt. Der erste verkaufte NH3-Motor soll bereits Ende 2024 ausgeliefert und in ein neues norwegisches Schiff eingebaut werden.
Man darf mit Spannung zusehen, ob und wie sich Ammoniak als klimafreundlicher künftiger Kraftstoff in der Schifffahrt bewährt bzw. durchsetzt.
Methanol,
chemisch CH4O bzw. CH3OH, also ein Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, wird bisher meist aus fossilen Rohstoffen hergestellt. Als klimaneutral kann jedoch nur grünes Methanol (E-Methanol) bezeichnet werden, welches auf der Basis regenerativer Energien (grüner Wasserstoff) und einer nachhaltigen CO2-Quelle entsteht. Bei seiner Verbrennung hat es geringere Stickoxid-Emissionen als z.B. Dieselöl und kaum Schwefel- und Feinstaubemissionen; es ist außerdem unkompliziert nutzbar. Es ist schnell in Meerwasser löslich, was bedeutet, dass bei einem etwaigen Leck oder einem Schiffsunglück die Gefahren für marine Ökosysteme im Vergleich etwa zu Schweröl oder Ammoniak weniger gravierend sind. Deshalb kommt E-Methanol als künftiger klimaschonender Kraftstoff vor allem in der Schifffahrt infrage, auch wenn derzeit die noch begrenzte Verfügbarkeit ein Hindernis für eine breite Verwendung darstellt und erst wenige Schiffe mit Methanol als Kraftstoff fahren bzw. von Reedern bestellt sind (siehe Kapitel 13). Von Nachteil ist, dass an Bord ein optimiertes Kraftstoff-Versorgungssystem vorhanden ist und dass im Maschinenraum passende Sicherheitsmaßnahmen getroffen sind. Aussagen, dass vorhandene Verbrennungsmotoren für die Kraftstoffe Schweröl oder Marinediesel mit nur geringen Anpassungen zu Methanolmotoren aufgerüstet werden können, entsprechen nicht der Realität. Erwähnenswert ist, dass der finnische Großmotoren-Hersteller Wärtsilä bereits 2015 auf der 240 m langen Fähre Stena Germanica einen der vier Viertaktmotoren nachrüstete, der seitdem wahlweise mit Methanol oder mit herkömmlichen Kraftstoffen betrieben werden kann. Einen bemerkenswerten ersten Verkaufserfolg vermeldete Anfang 2024 der belgische Motorenhersteller ABC Engines. Das Unternehmen wird für den 215 m langen Kabelleger-Neubau Fleeming Jenkin der holländischen Baggergruppe Jan De Nul das gesamte 30.600-kW-Genset-Antriebssystem bestehend aus fünf Viertakt-Dieselmotoren liefern. Sie können wahlweise mit Methanol (idealerweise grünem Methanol), Biodiesel, HVO oder Dieselkraftstoff betrieben werden. Für dien Dieselbetrieb wird das moderne Schiff über SCR- und Partikelfilter-Techniken verfügen. Weitere erste methanolbetriebene Dieselmotoren siehe Kapitel 13.
Synthetische Kraftstoffe (E-Fuels)
E-Fuels sind synthetische Kraftstoffe. Sie werden - wie weiter oben bereits erwähnt unter sehr hohem Energieaufwand - aus durch Elektrolyse erzeugtem Wasserstoff und direkt aus der Luft entnommenem CO2 hergestellt und zumeist zu E-Benzin, E-Diesel oder E-Kerosin weiterverarbeitet. Wie klimafreundlich sie sind, hängt davon ab, woher der Strom zur Produktion kommt. Stammt er aus erneuerbaren Energien, sind E-Fuels tatsächlich klimaneutral. Sie könnten problemlos als Ersatz konventioneller Kraftstoffe für Fahrzeuge aller Art (auch noch nach dem PKW-Verbrenner-Aus im Jahr 2035), Schiffe und Flugzeuge verwendet werden. Der große Nachteil der synthetischen Kraftstoffe ist ihr mit 15- 20 % sehr schlechte Wirkungsgrad (Wirkungsgrad E-Auto: 70 - 80 %), was ihren Einsatz nur dann sinnvoll macht, wenn Ökostrom im Überfluss zur Verfügung steht. Sie sind bis heute nicht kommerziell verfügbar, sehr teuer und werden wahrscheinlich noch lange knapp sein. Selbst wenn ihr Markhochlauf ähnlich erfolgreich wäre wie bei der Solar-Photovoltaik, würde das globale Angebot im Jahr 2035 nicht einmal ausreichen, um die unverzichtbaren deutschen Bedarfe für Luftverkehr, Schifffahrt und Chemie zu decken, vom PKW- und LKW-Sektor ganz zu schweigen (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Potsdam, 21.3.2023).
Ein interessantes und zukunftsweisendes Pilotprojekt zur Herstellung von E-Methanol beginnt aktuell in Bottrop an der dortigen Großkläranlage mit dem Ziel, den Probebetrieb Mitte 2025 zu starten. Da beim Klärprozess riesige Mengen an CO2 anfallen und die Anlage in Bottrop im Rahmen ihrer Eigenenergieerzeugung überschüssigen grünen Strom erzeugt, soll die Herstellung von grünem Methanol auf der Basis von abgeschiedenem CO2 und Wasserstoff, der durch Elektrolyse produziert wird, getestet werden. Entsprechend wird die Versuchsanlage aus den Komponenten CO2-Abscheidung, Stoffumwandlung (Elektrolyse) und Methanol-Synthese bestehen. Der Bund fördert das Programm mit 12 Mio. Euro. Bei positivem Ausgang könnte das Verfahren auch in anderen Großkläranlagen zur Anwendung gelangen.
Biokraftstoffe
Die Verwendung von flüssigen oder gasförmigen Biokraftstoffen (Biotreibstoffen) wird häufig zur Reduzierung des Ausstoßes von CO2 bei der Verbrennung herkömmlicher Kraftstoffe vorgeschlagen. Befürworter sehen in ihnen einen wichtigen Baustein für die angestrebte nachhaltige Mobilität und klimaverträgliche Energieversorgung. Die Vorsilbe "Bio" deutet eher darauf hin, dass diese Stoffe biologischen Ursprungs sind und nichts mit Attributen wie "naturverträglich" oder "natürlich" zu tun haben. Es kann sich um nachwachsende Rohstoffe, sog. Agrokraftstoffe (z.B. aus Mais, Zuckerrüben, Zuckerrohr, Weizen) handeln, doch auch um zellulosehaltige Biomasse (Stroh, Holzabfälle) und sogar um Abfallprodukte wie Tierfette. Doch Biokraftstoffe spielen beim Kraftstoffhandel in Deutschland eine geringe Rolle, allein schon deswegen, weil ein mit Strom betanktes E-Auto effizienter und günstiger ist als ein Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor, der mit Biokraftstoff läuft. Außerdem gibt es mit E-Fuels wie Methanol und Ammoniak für die Schifffahrt bessere Alternativen (vorausgesetzt der zur Herstellung benötigte Strom stammt ausschließlich aus erneuerbaren Quellen). Nach einer Untersuchung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) gliederte sich der Kraftstoffverbrauch des Jahres 2022 von insgesamt 52,2 Mio. t folgendermaßen auf (die Prozentangaben sind auf den Energiegehalt bezogen):
Wichtigster Biokraftstoff in Deutschland im Jahr 2022 war mit 4,3 % von 5,9 % (siehe vorherige Zeile) Biodiesel (incl. HVO, dem hydrierten Pflanzenöl), der sowohl als Reinstoff als auch über die Beimischung zum normalen Diesel verwendet wird, gefolgt von Bioethanol (1,4 %), das unter anderem als Kraftstoffbeimischung zu Ottokraftstoff (Super, Super-Plus, E10) verwendet wird.
Oft wird die Verwendung von Biodiesel aus Tierfetten zum Betrieb von Fahrzeugen, Flugzeugen und - im geringeren Maße - für Schiffe gefordert - und auch von einigen europäischen Gesetzgebern gefördert. Zwar hat sich die Produktion von Biodiesel als Nebenprodukt der industriellen Fleischproduktion aus Tierfetten im letzten Jahrzehnt verdoppelt, doch es gibt nach wie vor einen klaren Nachteil: Die zur Herstellung benötigten Mengen an Ausgangsstoffen sind viel zu gering; beispielsweise wurden im Jahr 2021 nur 17 % der in Deutschland verbrauchten Biokraftstoffe in Deutschland selbst produziert, 83 % wurden importiert, mit riesigen belegten Anbauflächen in Deutschland und gerodeten wertvollen Regenwäldern in Südamerika. In der Luftfahrt kommt es zur geringfügigen Beimischung von Biokraftstoffen zum Kerosin. Wollte man aber beispielsweise einen Flug von Frankfurt nach New York nur mit einem aus Tierfetten hergestellten Biokraftstoff bestreiten, wären dafür 10.400 geschlachtete Schweine erforderlich (Transport & Environment, 31.5.2023).Das Produkt steckt zum großen Teil bereits in Biodiesel und wird zudem in größeren Mengen zur Herstellung von Tierfutter, Seifen und anderen Kosmetikartikeln benötigt, wo es kaum brauchbare und schon gleich nicht klimafreundliche Alternativen zu Tierfetten gibt und damit die Gefahr besteht, dass die Hersteller auf klimaschädliches Palmöl umsteigen.
Doch es gibt noch weitere Nachteile von Biokraftstoffen. Ihre Netto-Energieausbeute ist geringer als die fossiler Stoffe und ihre Ökobilanz durch die aufwendigen und teuren Umwandlungsprozesse ungünstiger. Die Kultur von Energiepflanzen verbraucht nicht unbedeutende Agrarflächen und ihre Anlage kann in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln treten. Ganzheitlich betrachtet können Biokraftstoffe daher im Gegensatz zur Meinung ihrer Befürworter kaum zum Klimaschutz beitragen. Dies kann man beispielsweise daran ersehen, dass im Jahr 2021 in Deutschland durch die Beimischung von Biokraftstoffen wie Bioethanol, Biodiesel oder Biogas zum fossilen Sprit laut einer Veröffentlichung des Bundesverbandes der deutschen Bioethanölwirtschaft e.V. rund 3 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e) eingespart wurden, wobei sämtliche Treibhausgas-Emissionen berücksichtigt sind, die beim Anbau der Rohstoffe, bei ihrem Transport zur Weiterverarbeitung, bei der Verarbeitung selbst und beim Transport zur Tankstelle anfallen. Dies sind lediglich 2 % der 143,7 Mio. t CO2-Äquivalente, die der deutsche Straßenverkehr im gleichen Jahr verursachte.
Aus den genannten Gründen sieht die EU Bio-Kraftstoffe, die aus gezieltem Anbau von Biomasse entstehen, nicht als klimaschonenden Kraftstoff an und macht in deren Bewertung keinen Unterschied zu herkömmlichen fossilen Kraftstoffen. Damit ist die Herstellung von Biokraftstoffen für die Schifffahrt für die Produzenten kaum attraktiv (Cruisetricks.de, 6.9.2023).
Hinzu kommt ein hoher Schaden, vor allem für die deutsche Landwirtschaft und die Klimaschutzförderung, durch den offensichtlich schon seit 2022/23 bekannten Betrug bei Biodiesel, weil aus China billiges Palmöl aus abgeholzten tropischen Regenwäldern mit falschen Zertifikaten massenhaft als angeblicher klimaneutraler Biokraftstoff im deutschen Dieselkraftstoff landet. Obwohl es verboten ist, dass Palmöl zu Altfetten umetikettiert wird und dann als "fortschrittlicher" Biokraftstoff bei uns landet, hat die europäische und die deutsche Politik lange nichts dagegen unternommen. Seit 2023 ist die Verwendung von Palmöl in Deutschland verboten, weil der Anbau oft mit der Zerstörung wertvoller Regenwälder einhergeht. Heimische Biokraftstoffe dürfen dagegen nur mit einem entsprechenden verpflichtenden Nachhaltigkeitsnachweis gehandelt werden.
Insgesamt importierten China, Indonesien und Malaysia im Jahr 2023 rund 3,3 Mrd. l Biodiesel, HVO und gebrauchtes Speiseöl für europäische Kraftstoffe, enorme Mengen also, die schon allein deshalb aus der Sicht vieler Experten fragwürdig sind. Wenigstens hat die EU-Kommission im Juli 2024 beschlossen, ab Mitte August 2024 auf Importe von etwa 50 chinesischen Bio-Kraftstoffhändlern Strafzölle wegen Preisdumping zwischen 13 und 36 % zu erheben. Die durch die chinesischen Betrügereien geschädigte deutsche Branche hatte allerdings als Maßnahme gegen den chinesischen "Fake-Biodiesel" Antidumpingzölle von über 100 % gefordert und sieht daher jetzt den unfairen Wettbewerbsvorteil nicht als ausgeglichen. Es bleibt abzuwarten, ob vielleicht auf deutscher Ebene massivere Konsequenzen gegen den Betrug folgen werden.
Wasserstoff (H2) enthält wie Ammoniak keinen Kohlenstoff und ist somit der künftige ideale Energieträger nicht nur für maritime und stationäre Anwendungen als umweltfreundliche und zugleich klimaschonende CO2-freie Alternative zu allen Erdöl-Derivaten und zu Gas, sondern überall dort, wo batterie-elektrische Mobilität nicht einsetzbar oder ökonomisch nicht sinnvoll ist. Auch für den Schiffsverkehr, für (Reserve-)Kraftwerke und evtl. auch zum Heizen ist Wasserstoff eine Option - wenn auch nicht in allen Fällen (siehe weiter unten). Er ist wichtig für die kommende klimaneutrale Energieversorgung und ist auch in anderen Sektoren für die Erreichung der globalen Klimaziele unverzichtbar., nicht zuletzt wegen seiner ausgezeichneten Energiedichte pro Masseneinheit, wie z.B. Gießereien, Hochöfen und Kraftwerke. So waren zwar mit Stand April 2024 Wasserstoffprojekte mit einer globalen Kapazität von insgesamt 840 Gigawatt (GW) geplant, tatsächlich finanziert bzw. im Bau befanden sich jedoch erst Vorhaben mit 15 GW; dies sind gerade mal 1,8 % (www.verkehrsrundschau.de/nachrichten/, 23.4.2024).
In flüssiger Form kann Wasserstoff die Energie über Wochen und Monate hinweg speichern (bei Atmosphärendruck wird er bei einer Temperatur von - 253 °C flüssig, wofür ein beträchtlicher Aufwand nötig ist). Die Speichereigenschaft ist ein entscheidender Vorteil von Wasserstoff, weil Windkraft- und PV-Anlagen mitunter zu viel, zu anderen Zeiten aber zu wenig Strom liefern. Als Antrieb großer, auf den Weltmeeren verkehrender Schiffe und großer Verkehrsflugzeuge sind selbst mittelfristig weder Akkus noch Brennstoffzellen geeignet (Bild 30). Hier wird dem Wasserstoff beim Kampf gegen den Klimawandel eine Schlüsselrolle zukommen, natürlich erst dann, wenn er klimaneutral durch Elektrolyse mit reinem Ökostrom hergestellt wird - und zwar zu einem akzeptierbaren Preis. Nur dann handelt es sich um grünen Wasserstoff, und nur dessen Herstellung und Transport sollte staatlich gefördert werden. Doch noch ist die Produktion von grünem Wasserstoff äußerst aufwändig, teuer und mit hohen Energieverlusten verbunden. Vergessen werden darf auch nicht, dass für die Herstellung von 1 kg Wasserstoff durch Elektrolyse bis zu 12 l sauberes (Grund-)Wasser benötigt wird. Es wird jedoch erwartet, dass die Hersteller die Kosten durch neue Technologien, Skaleneffekte oder verbesserte Produktionsprozesse massiv reduzieren werden. Ein Beispiel dafür ist das 1997 gegründete, heute vollständig zu MAN Energy Solutions gehörende Unternehmen Quest One. Mit der Einweihung seines neuen Werks in Hamburg Ende September 2024 begann eine kostensenkende serielle und automatisierte Produktion von Elektrolyse-Stacks. Während bisher die Elektrolyseure quasi von Hand gefertigt wurden, wird jetzt die Produktionszeit eines Stacks um rund 75 % verringert.
Zugleich müssen sich aber auch die Abnehmer in den verschiedenen Industriezweigen klarer zu grünem Wasserstoff bekennen. Hier sind die Länder China, Südkorea und Japan bereits einen Schritt weiter. Die drei Länder zusammen haben nämlich bereits doppelt so viel H2-Produkltionskapazität in Betrieb, finanziert bzw. in Bau, wie Europa. Allein China plant für 2024 einen Zuwachs an tatsächlich laufender Elektrolysekapazität von etwa 3,3 GW. Dies entspricht ungefähr der im Bau oder im Stadium der Finanzierung befindlichen europäischen H2-Kapazität des Jahres 2023.
Wasserstoff wird heute meist noch aus Erdöl, Erdgas, Kohle, Biomasse oder Methan als mögliche Ausgangsstoffe abgespaltet und dann grauer Wasserstoff genannt. Doch dabei gelangen große Mengen des Klimagases CO2 in die Umgebung, was den Klimawandel weiter verstärkt. Von blauem Wasserstoff spricht man, wenn er ebenfalls z.B. aus Erdgas gewonnen wird, doch das entstehende CO2 nicht in die Atmosphäre entweicht, sondern abgefangen und in den Boden eingelagert wird (siehe dazu Kapitel 13 über das sog. Carbon Capture and Storage-Verfahren, CCS). Die Frage wie klimafreundlich blauer Wasserstoff tatsächlich ist, wird - völlig zu Recht - kontrovers diskutiert, weil die Gewinnung, der Transport und die Verarbeitung von Erdgas mit hohen Treibhausgas-Emissionen einhergeht. Es ist in vielen Fällen ohnehin sinnvoller, den bisher in nur begrenzter Menge zur Verfügung stehenden erneuerbaren Strom direkt zu nutzen, als ihn für die Herstellung von Wasserstoff für Antriebszwecke zu verwenden. Der Grund ist einfach. Wenn man mit grünem Strom erst Wasserstoff und daraus anschließend E-Fuels für den Antrieb von Fahrzeugen produziert, wird für den gesamten Vorgang fünf bis sieben Mal so viel Strom benötigt, als wenn man die Akkus von E-Autos gleich direkt mit grünem Strom auflädt. Es muss auch sorgsam abgewogen werden, wie sinnvoll es im Einzelfall ist, Gebäude und Wohnungen künftig mit Wasserstoff zu heizen. Denn eine mit gasförmigem Wasserstoff betriebene Heizung benötigt bis zu fünf Mal so viel (grünen) Strom wie eine Wärmepumpe. Die Wasserstoff-Strategie zur Erzielung eines künftigen klimaneutralen Energiesystems wird also erst dann ein (wirtschaftlicher) Erfolg, wenn übermäßig viel grüner Wasserstoff und somit auch eine entsprechend dimensionierte Elektrolysekapazität zur Verfügung steht. Auch wenn die Bundesregierung mit ihrer Ende Juli 2023 vorgestellten und im Dezember 2023 konkretisierten neuen Wasserstoff-Strategie ihre bisher geplante Wasserstoff-Elektrolysekapazität von 5 Gigawatt (GW) im Jahr 2030 mindestens verdoppeln möchte, reicht dies bei Weitem nicht aus, um den Bedarf an grünem Wasserstoff zu decken. Das deutsche Ministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) rechnet damit, dass zukünftig trotz eigener Wasserstoffproduktion und -Infrastruktur rund 50 bis 70 % des beispielsweise im Jahr 2030 benötigten grünen Wasserstoffs noch aus dem Ausland bezogen werden muss (www.bmwk-energiewende.de/EWD/ 12.12.2023). Der das Ministerium beratende Nationale Wasserstoffrat (NWR) kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland im Jahr 2030 mit einem wesentlich höherem Wasserstoffbedarf als bisher angenommen zu rechnen ist: zwischen jährlich 95 und 125 Terawattstunden (TWh) statt nur rund 93 TWh. Die Netzbetreiber kommen zu noch höheren Zahlen, z.B. 278 TWh im Jahr 2032. Die Frage stellt sich natürlich, ob Deutschland 2032 wirklich so viel H2 benötigt. Derzeit (2024) werden in Deutschland etwa 56 TWh Wasserstoff verbraucht. Leider gab es bei den bisher sehr ehrgeizigen Wasserstoff-Plänen der Bundesregierung Mitte Februar 2024 einen für die H2-Befürworter so nicht erwarteten Rückschlag: Das Bundesverkehrsministerium (BMDV) wird vorerst keine neuen Fördergelder zur Wasserstoff-Förderung bewilligen. Es dürfen bis auf Weiteres auch keine neuen Verträge zum Thema Wasserstoff eingegangen werden. Hintergrund der Entscheidung ist nicht nur das knappe Budget und damit der Zwang zu Sparmaßnahmen, sondern offensichtlich eine Unregelmäßigkeit bei einer früheren Fördermittelvergabe (es wurde deswegen ein Ministeriums-Abteilungsleiter von seinen Aufgaben entbunden).
Doch Forschungen und Entwicklungen zu Wasserstoffantrieben durch Unternehmen, Institute und technische Universitäten werden keinesfalls eingestellt, sondern laufen, sogar intensiviert, weiter (mehr dazu in Kapitel 13).
Wasserstoff wird nicht häufig dort benötigt, wo er - mit Hilfe von Wasserkraftwerken oder PV- oder Windkraftanlagen - produziert wird. Grünes Licht, zumindest in Deutschland, gibt es für einen künftigen Wasserstofftransport, seit entsprechende Werkstoffprüfungen ergeben haben, dass das fast 550.000 km lange deutsche Gasnetz in Teilen wasserstofftauglich ist, also der korrosiven Wirkung von Wasserstoff widersteht und somit das Material kaum versprödet. Mit neuen Verdichtern könnte das Netz damit also relativ einfach auf einen günstigen Wasserstofftransport umgestellt werden, auch wenn gasförmiger Wasserstoff nicht ganz so einfach handzuhaben ist wie Erdgas. Millionen von Haushalten und Unternehmen könnten so künftig mit gasförmigem Wasserstoff versorgt werden, doch immer vorausgesetzt, er steht in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Ein wichtiger Schritt dazu war im November und Dezember 2023 der Beschluss des Bundeskabinetts, als ersten Schritt bis 2032 ein knapp 20 Mrd. € teures, 9.700 km langes Wasserstoff-Kernnetz durch Deutschland zu erstellen. Ein Jahr später, Mitte Oktober 2024, war das zweijährige Genehmigungsverfahren der inzwischen auf 9.040 km Länge geschrumpften "Energieautobahn" durch die Bundesregierung genehmigt, durch das jährlich bis zu 287 Terawattstunden Energie in Form von Wasserstoff quer durch die Bundesrepublik zu den Zentren transportiert werden soll. Das kann allerdings noch dauern: Zwar soll schon 2025 der erste Wasserstoff durch einige Leitungen des H2-Kernnetzes fließen, doch vollständig fertig wird es nach heutigem Stand erst 2032, evtl. sogar erst 2037 sein. Völlig unklar ist auch noch die Anbindung des Netzes an zahlreiche Städte und Kommunen, geschweige denn deren Finanzierung. Beim derzeitigen Kostenrahmen wird vorausgesetzt, dass das Kernnetz zu knapp 60 % aus existierenden, aber umzubauenden Erdgasleitungen aufgebaut werden kann.
Über weite Strecken hinweg im Land kann Wasserstoff allerdings nicht per Gasleitung weitergeleitet werden. Es bleibt dann weiterhin nur der Schiffs-, Zug- und LKW-Transport von tiefkalt-flüssigem Wasserstoff. Dafür muss der Wasserstoff zuerst entweder durch Abkühlung auf - 253 °C verflüssigt oder in ein Trägermedium wie Ammoniak oder Methanol umgewandelt werden. Dies erfordert einen hohen Energieaufwand; hinzu kommt noch, dass durch den Transport von Flüssigwasserstoff klimaschädliche Emissionen entstehen können.
Häufig wird von Wasserstoff-Motoren gesprochen und geschrieben, ohne dass immer klar ist, wie der Motor genau arbeitet. Dies führt oft zu Verwechslungen und Missverständnissen. Es muss strikt unterschieden werden zwischen einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor (direkte Verbrennung von Wasserstoff mit Luft im Zylinder) und einem Antriebssystem Wasserstoff-Sauerstoff-Brennstoffzelle mit Elektromotor. Wasserstoff-Verbrennungsmotoren arbeiten meist nach dem Ottoprinzip. Es gibt bereits kleinere Wasserstoff-Dieselmotoren; einer lief schon vor gut 25 Jahren an der TH München in Zusammenarbeit mit MAN in Augsburg im Wasserstoff-Testbetrieb. Wasserstoff verbrennt ohne nennenswerte CO2- und Ruß- und Partikelemissionen. Allerdings entstehen wie bei jedem anderen Verbrennungsvorgang mit Luft als Sauerstoffträger infolge der hohen Verbrennungstemperatur Stickoxide (NOx), die zwar in größeren Mengen gesundheitsschädlich, aber nicht klimaschädlich sind. Der Wasserstoff-Verbrennungsmotor ist also eine CO2-neutrale Kraftmaschine, deren Technik im Vergleich zum Brennstoffzellen-Antrieb weniger kompliziert ist.
Die Brennstoffzelle (BZ) ist dagegen ein elektrochemischer Stromerzeuger, der auf der Umkehrung der Elektrolyse von Wasser basiert. Dabei wird die chemische Energie des gasförmigen Wasserstoffs und des Sauerstoffs aus der Luft direkt, d.h. ohne den Umweg einer Wärmeerzeugung, in den Membranen der Brennstoffzelle in elektrische Energie verwandelt, mit der ein Elektromotor angetrieben und/oder eine Batterie geladen wird. Über die Brennstoffzellen werden Elektromotoren angetrieben - ein Brennstoffzellen-Auto (BZ-Auto) wird vom Prinzip her also elektrisch angetrieben. Im Betrieb arbeitet der Brennstoffzellen-Antrieb CO2-neutral. Das Betanken mit Wasserstoff geht wesentlich schneller vor sich als das Nachladen der Batterien eines E-Autos. Ein weiterer Vorteil gegenüber dem Elektroauto ist der Wegfall des sehr schweren Akkus (Beispiel: der Akku des Audi Q8 e-tron wiegt etwa 700 kg), was entweder die Reichweite des Fahrzeugs erhöht oder der Zuladung zugute kommt. Der große Nachteil eines Wasserstoff-Fahrzeuges mit Brennstoffzelle und (komprimiertem) grünem Wasserstoff ist der mit nur 28 % sehr geringe Gesamtwirkungsgrad; die Verluste bei der Stromübertragung, die Verluste des Elektromotors und die mechanischen Verluste des Fahrzeugs selbst sind dabei mit eingerechnet. Die Folge: ein BZ-Fahrzeug mit grünem Wasserstoff benötigt für jeden zurückgelegten Kilometer zwei- bis drei Mal so viel Strom wie ein batterie-elektrischer PKW. Steht künftig nicht genügend Strom für Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge zur Verfügung, begrenzt dies eine Massenfertigung entsprechender PKWs, deren Preis dann auch auf relativ hohem Niveau verharren dürfte.
Batterie-elektrische Antriebsverfahren scheiden trotz guter Wirkungsgrade für viele Anwendungen im Transportsektor aus, vor allem als Hauptantrieb von Schiffen und Flugzeugen. Hier zeichnet sich eine große Zukunft für Wasserstoff-Verbrennungsmotoren im MW-Leistungsbereich ab. Doch deren Entwicklung wird noch einige Zeit dauern, auch wenn beispielsweise schon einige kleinere Wasserstoff-Schiffe wie Fähren und Schlepper in Betrieb sind. Noch nicht ganz gelöst sind die Probleme mit der Kolbenschmierung, denn Wasserstoff besitzt anders als Benzin- oder Dieselkraftstoff keine schmierenden Eigenschaften. Im Gegenteil, beim Verbrennen greift Wasserstoff sogar konventionelles Schmieröle an. Einer der derzeitigen Schwachpunkte ist außerdem das noch fehlende Wasserstoff-Tankstellennetz in den Häfen und der noch hohe Preis von (grauem) Wasserstoff an den deutschen KFZ-Tankstellen von 13,85 €/kg (Stand: Sommer 2023). Allerdings könnte der Wasserstoffpreis bei sinkenden Grünstrompreisen auf 6 €/kg auf der Basis von Solarstrom und auf etwa 4 €/kg bei der Nutzung von Windstrom sinken (Jeß, 2023). Das gegenwärtige Preisniveau relativiert sich jedoch angesichts der gegenüber Diesel oder Benzin deutlich höheren Energiedichte von Wasserstoff. Der aktuelle auf die Fahrtstrecke bezogene Preis von grauem Wasserstoff für ein Brennstoffzellen-Auto liegt bei ungefähr 12 € je 100 km.
Die hauptsächliche technische Herausforderung liegt im Bau der stark isolierten Tanks für den flüssigen grünen Wasserstoff bzw. der Drucktanks für die Lagerung von gasförmigem Wasserstoff bei Drücken zwischen 350 und 700 bar. Zu den Vorteilen: Vorhandene Verbrennungsmotoren müssen für den Wasserstoffbetrieb nicht grundlegend umgerüstet werden; gegenüber Brennstoffzellenantrieben sind sie kostengünstiger, die erreichbaren Leistungen liegen um Größenordnungen über denen von Brennstoffzellen-Stacks und Fahrzeuge mit Wasserstoff-Verbrenner lassen sich innerhalb von wenigen Minuten betanken.
Brennstoffzelle und Wasserstoff-Verbrennungsmotor: schon lange bekannt
Die erste praktische Anwendung der Brennstoffzelle datiert aus den 1960er-Jahren in der Raumfahrt. Das Prinzip an sich ist schon wesentlich länger bekannt (Patent William Robert Grove, 1835). Noch länger zurück liegt das weltweit erste Versuchsfahrzeug mit einem noch primitiven Wasserstoff-Verbrennungsmotor (1807, Erfinder: Franҫois Isaac de Rivaz, Frankreich). Der Franzose Étienne Lenoir baute 1860 ein 1-PS-Auto, bei dem durch Elektrolyse produzierter Wasserstoff als Kraftstoff verwendet wurde. Der wenig zuverlässige Motor hatte jedoch nur einen Wirkungsgrad von etwa 3 %. Im Jahr 1966 zeigte General Motors mit dem GM Electrovan das erste brauchbare Wasserstoff-Brennstoffzellenauto. In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts war MAN vorübergehend Vorreiter bei der Weiterentwicklung von Wasserstoff-Verbrennungsmotoren: Um 1995 erprobte MAN in Zusammenarbeit mit der TU München einen mittelschnelllaufenden Viertaktdiesel-Versuchsmotor mit 24 cm Kolbendurchmesser, 30 cm Hub und einer Drehzahl von 800 U/min mit Selbstzündung (ich habe damals einem Testlauf in München beigewohnt: Wasserstoffgas wurde direkt unter hohem Druck in den Zylinder eingeblasen und entflammte sich durch Selbstzündung). 1996 baute MAN in einige Münchner Stadtbusse Otto-Wasserstoff-Verbrennungsmotoren mit äußerer Gemischbildung ein. Wenige Jahre später produzierte BMW 15 Wasserstoff-Fahrzeuge vom Typ E38 750hL und im Jahr 2007 100 Stück des Nachfolgetyps BMW-E68.
Doch diese Aktivitäten fanden ein vorzeitiges Ende, als klar wurde, dass die Motoren-Serienentwicklung in Richtung Elektroantrieb geht und keine Entwicklungsgelder für die Entwicklung und Erprobung von zwei parallel laufenden Antriebskonzepten zur Verfügung standen. Kein Automobilhersteller traute sich zunächst zu, die Brennstoffzellen-Technologie auf die Straße zu bringen, bis zwischen Ende 2014 und 2019 der japanische Hersteller Toyota den ersten frei erhältlichen Wasserstoffwagen Mirai-1 in einer Stückzahl von insgesamt etwa 10.000 Exemplaren produzierte. Seit 2021 ist das Nachfolgefahrzeug Mirai-2 auf dem Markt; es besitzt einen 5,5-kg-Wasserstofftank und kommt damit rund 500 km weit. Basis-Verkaufspreis in Deutschland: 63.900 € (nur noch bis zum 1.1.2024 gibt es darauf noch eine reduzierte Elektroauto-Förderung von 3.000 €. Die beiden weiteren Anbieter von Wasserstoff-Brennstoffzellenautos in Deutschland sind der koreanische Hersteller Hyundai mit dem Hyundai-Nexo für 750 km Reichweite (Basis-Verkaufspreis: 77.300 € keine Elektroauto-Förderung) sowie - neuerdings - auch wieder Honda.
In Expertenkreisen wird kontrovers darüber diskutiert, ob die derzeitigen Diesel-LKWs künftig durch Fahrzeuge mit batteriebetriebenen Motoren oder solchen mit Brennstoffzellen-Antrieben abgelöst werden sollten. Elektro-LKWs sind zwar wie bereits aufgezeigt deutlich energieeffizienter, aber Brennstoffzellen-LKWs sind bei großen Reichweiten über etwa 1.200 km und bei den Tankzeiten im Vorteil. Für beide technischen Konzepte ist die vorhandene Infrastruktur (LKW-taugliche Wasserstofftankstellen, von denen in Deutschland im Juli 2022 erst etwa 100 aktiv waren, bzw. LKW-Ladepunkte) derzeit noch ungenügend. Eine weitere Herausforderung beim Markthochlauf von H2-LKWs sind die noch sehr hohen Anschaffungskosten. Der am 6. Dezember 2022 übergebene Wasserstoff-Serien-LKW mit Straßenzulassung in Deutschland, ein Hyundai Xcient Fuelcell, kostet über eine halbe Million Euro. In der Schweiz ist man mit H2-LKWs schon weiter, denn Hyundai Hydrogen Mobility kann dort schon auf 5 Mio. von Wasserstoff-LKWs zurückgelegten Kilometern verweisen.
Der hohe Stromverbrauch bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff scheint kein unlösbares Problem zu sein. Wer öfters unterwegs ist, wird feststellen, dass Windkraftanlagen auch bei Wind stillstehen, manchmal sogar zwei Anlagen einer Dreiergruppe. Der Grund: Windkrafträder werden abgeregelt oder vom Netz genommen, weil sie mehr Strom erzeugen, als das örtliche Netz aufnehmen kann, vor allem an sonnigen Tagen im Sommer, wenn die Stromerzeugung durch private und große kommerzielle PV-Anlagen sehr hoch ist. Für den Verkaufsausfall erhalten die Windkraft-Betreiber eine entsprechende finanzielle Entschädigung. Aus ähnlichem Grund durften auch private Betreiber von Photovoltaikanlagen mit bis zu 30 kWp Leistung höchstens 70 % des erzeugten Stroms ins Netz einspeisen. Mittlerweile ist die Wirkleistungsbegrenzung für Bestands-Kleinanlagen zwar aufgehoben, aber nur für Anlagen bis 7 kWp Leistung mit einem intelligenten Messsystem. Die „verschwendeten“ Energien könnten künftig zur Wasserstoffherstellung genutzt oder in Form grünen Wasserstoffs gespeichert werden, der dann zum Beispiel als Kraftstoff für klimafreundliche Schiffsmotoren zur Verfügung gestellt oder der (örtlichen) Industrie und H2-Tankstellen angeboten werden kann. Dazu werden lediglich kleinere lokale Elektrolyseure benötigt. Der Markt bietet bereits heute kompakte, beispielsweise 85 x 100 x 155 cm große Elektrolyseure an, die stündlich bis zu 23 kg grünen Wasserstoff mit einem Ausgangsdruck von 30 bar erzeugen können. Es verwundert sehr, dass von dieser Möglichkeit bisher so wenig Gebrauch gemacht wird. So ist es auch keine allzu große Überraschung, dass fünf der weltweit ersten Wasserstoff-Brennstoffzellen-Züge, die seit 2022 regelmäßig zwischen Elbe und Weser verkehren, wegen eines Wasserstoff-Lieferengpasses vorübergehend durch Dieselzüge ersetzt werden mussten (FOCUS online, 11.9.2024). Bisher wurde der (graue) Wasserstoff vom Chemiekonzern Dow Chemical in Stade bezogen, der dort als Abfallprodukt anfällt, künftig soll er jedoch mit grünem Strom in Bremervörde hergestellt werden.
Erste Schiffe mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Motoren und Wasserstoff-Verbrennungsmotoren (Auswahl)
Es ist aus Platzmangel nicht möglich, auch nur ansatzweise auf alle Schiffe einzugehen, die bereits heute durch Wasserstoff-Motoren, also entweder solche mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technik oder Wasserstoff-Verbrennungsmotoren, angetrieben werden. Das Thema zählt außerdem nicht zum Artikelspektrum dieser Website, weshalb hier drei Beispiele genügen mögen.
Seit dem Sommer 2021 verkehrt in Japan mit HydroBingo eine Fähre für 80 Passagiere, die mit zwei Dual-Fuel-Dieselmotoren mit einer Leistung von 2 x 485 kW angetrieben wird. Der Kraftstoff ist eine Mischung aus Wasserstoff und Marinediesel; gegenüber einem vergleichbaren Dieselmotor ist der CO2-Ausstoß um 50 % geringer. Der Wasserstoff befindet sich in einem mobilen Anhänger an Deck im Heck der Fähre und wird über eine besondere doppelwandige Leitung zu den Motoren geführt. Dieser Anhänger lässt sich über eine Rampe leicht entladen und kann dann zu einer H2-Füllstation an Land gebracht werden.
Im Hafen von Antwerpen ist seit September 2020 ein 30 m langer und 12,5 m breiter Schlepper mit zwei 2,6-MW-Dual-Fuel-Motoren mit jeweils 12 Zylindern eines belgischen Unternehmens im Einsatz. Die Motoren verbrennen im Zweistoffbetrieb bis zu 85 % Wasserstoff in Kombination mit einer Zumischung von 15 % Dieselkraftstoff. Ist kein Wasserstoff verfügbar, können sie auch mit 100 % Dieselkraftstoff betrieben werden. Eine Weiterentwicklung dieses Wasserstoff-Verbrennungsmotors ermöglicht den Betrieb mit 100 % Wasserstoff. Die Leistungen liegen je nach Zylinderzahl zwischen 1 MW und 2,6 MW. Dieser Wasserstoff-Verbrennungsmotor wurde im Mai 2022 während der World Hydrogen Summit in Rotterdam der Öffentlichkeit vorgestellt. Er stößt weder CO2, noch Schwefeloxide, noch Rußpartikel oder Feinstaub aus. Bei der Verbrennung mit Luft entstehen wie bei jeder anderen Verbrennung allerdings Stickoxide (NOx), die durch entsprechende Katalysatoren (SCR, Selective Catalytic Reduction) in harmlosen Wasserdampf und Stickstoff übergeführt werden.
Die beiden ersten H2-Serienmotoren dieser Bauart sind in dem Schlepper Hydrotug eingebaut, der seit Ende 2022 im Hafen von Antwerpen im Einsatz ist. An Deck lagern 415 kg Wasserstoff in 54 Einzeldruckbehältern. Unter geringem Druck wird der gasförmige Wasserstoff zusammen mit der Verbrennungsluft den Zylindern zugeführt. Durch eine geringe Menge Pilotdiesel entflammt der Kraftstoff.
Am 17.3.2023 wurde in Guangdong Chinas erstes wasserstoffbetriebenes Brennstoffzellen-Schiff, ein Passagierkatamaran, von Stapel gelassen. Das Schiff ist 50 m lang und 10,4 m breit und besitzt eine Reichweite von maximal 200 km. Der Antrieb erfolgt durch acht 70-kW-Brennstofffzellenmodule und einen Gleichstrommotor mit 500 kW Nennleistung.
Im Sommer 2023 wird mit der Silver Nova ein kleineres exklusives Kreuzfahrtschiff mit 244 m Länge und 30 m Breite für maximal 728 Passagiere + 556 Mann Besatzung in Dienst gehen. Schon bei der Konzeption wurde auf Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Fußabdruckes im Schiffbau geachtet. Kraftstoff für die Hauptmotoren ist zwar „nur“ Flüssigerdgas (LNG), doch für den gesamten Hotelbetrieb und während der Liegezeiten in den Häfen gelangt ein 4-MW-System aus Wasserstoff-Brennstoffzellen zum Einsatz, das Schadstoffemissionen vollständig vermeidet. Zusätzlich fängt ein Batteriesystem Lastspitzen des Schiffes ab und reduziert auf diese Weise den Kraftstoffverbrauch und die Schadstoff-Emissionen weiter.
Ab Ende 2025 werden zwei je 135 m lange norwegische Containerschiffe auf der etwa 700 Seemeilen langen Strecke zwischen Oslo und Rotterdam verkehren. Die beiden Schiffe werden von einer indischen Werft gebaut und über eine Wasserstoff-Brennstoffzelle mit einer Leistung von 3,2 MW angetrieben. Dieselgeneratoren werden sich ebenfalls an Bord befinden, jedoch nur als Backup. Der Betreiber, der global vertretene holländische Logistik-Dienstleister Samskip, geht davon aus, mit jedem der beiden Containerschiffe jährlich rund 25.000 t CO2 einzusparen. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn sie mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energien betankt und außerdem in den Häfen mit grün erzeugtem Landstrom betrieben werden. Das Projekt wird vom staatlichen norwegischen Unternehmen Enova mitfinanziert, das dem norwegischen Ministerium für Klima und Umwelt unterstellt ist.
Die hier genannten wenigen Beispiele betreffen Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe bzw. Wasserstoff-Verbrennungsmotoren für eher kleinere Schiffe. Doch wie sieht es mit der Entwicklung von großen Wasserstoff-Verbrennungsmotoren für Kraftwerke und für Schiffe mit Leistungen von mehreren MW aus? Meine Bitte um Informationen zu den gegenwärtig laufenden (Vor-)Versuchen mit entsprechend leistungsstarken H2-Motoren bei den beiden weltgrößten Schiffsmotorenherstellern blieb leider unbeantwortet. In Erfahrung konnte immerhin gebracht werden, dass der finnische Hersteller Wärtsilä im Oktober 2022 in den USA Tests an einen unveränderten 18-MW-Kundengasmotor mit einem Gemisch aus Erdgas und 25 Vol.-% Wasserstoff erfolgreich abschloss und derzeit auf dem eigenen Prüfstand im finnischen Vaasa einen entsprechend angepassten Verbrennungsmotor mit 100 % Wasserstoff betreibt. Dieser Wasserstoffmotor soll bis 2025/26 serienreif sein. Auch das Augsburger Unternehmen MAN Energy Solutions SE arbeitet auf diesem Gebiet und garantiert seit 2021 eine Beimischung von 25 % Wasserstoff für ihre Viertakt-Kraftwerksmotoren. Auch hier ist es das Ziel, im Rahmen eines vom Bund geförderten Projektes HydroPoLEn Schlüsseltechnologien wie Einspritzung, Zündung, Brennverfahren und fortschrittliche tribologische Systeme für einen Motorbetrieb mit 100 % Wasserstoff auf der Basis grüner Technologie zu entwickeln. An diesem Vorhaben beteiligen sich außer MAN eine große US-Reederei und mehrere deutsche Forschungsinstitute. Wann dieser reine Wasserstoffmotor einsatzbereit sein wird, ist derzeit nicht bekannt. Anfang März 2024 wurde bekannt, dass das japanische Unternehmen Mitsui E&S Co, Ltd., ein Lizenznehmer von MAN Energy Solutions, einen der vier Zylinder ihres langsamlaufenden großen Zweitakt-Versuchsmotors 4S 50ME-T (Normleistung 7 MW bei 117 U/min.) bis zu 100 % Leistung mit Wasserstoff betrieb. Dabei traten keinerlei Wasserstoff-Leckagen auf; die Treibhausgas-Emissionen konnten gegenüber Dieselbetrieb um 95 % verringert werden (die restlichen 5 % entstanden durch die Mitverbrennung des zur Zündung erforderlichen Zündöls). Es handelt sich dabei um den bahnbrechenden ersten wasserstoffbetriebenen Zweitakt-Großmotor.
Strom für Schiffe aus Kernenergie?
Obwohl atombetriebene Schiffe kein neues Konzept darstellen, ließ im Frühjahr 2022 die norwegische Ulstein-Reederei mit einem für Laien ungewöhnlichen Vorschlag aufhorchen, nämlich mit der Nutzung der Kernenergie bei Kreuzfahrtschiffen. Die Kernenergie zeichnet sich durch eine extrem hohe Energiedichte aus, millionenfach höher als die herkömmlicher Kraftstoffe. Außerdem werden weder SOx, NOx, Feinstaub noch Treibhausgase ausgestoßen. Ein von Ulstein vorgeschlagener Thorium-Flüssigsalz-Reaktor auf speziellen Versorgungsschiffen könnte als Energiequelle dienen, um die Akkus kleinerer, rein elektrisch betriebener Expeditions-Kreuzfahrtschiffe aufzuladen, die in sensiblen Seeregionen wie der Antarktis oder den norwegischen Fjorden verkehren. Thorium besitzt gegenüber Uran klare Vorteile: es ist nicht nur billiger, an vielen Orten der Welt abbaubar und steht in größeren Mengen zur Verfügung, sondern es besteht auch keine Gefahr einer unkontrollierten Kernschmelze. Die Nachteile: Es entsteht radioaktiver Abfall, der entsorgt werden muss. Außerdem müssen umfangreiche Genehmigungsverfahren durchlaufen werden. Da die Thorium-Technik noch nie auf einem Schiff erprobt wurde und bisher auch keine Erfahrungen mit kommerziell betriebenen Thorium-Kraftwerken existieren, wird eine praktische Umsetzung noch lange auf sich warten lassen.
Dennoch darf der kohlenstoffneutrale nukleare Schiffsantrieb nicht außer Acht bleiben, wenn die internationale Schifffahrt bis 2050 möglichst auf Netto-Null gebracht werden soll. Neue Studien (Ovrum, 2023) haben ergeben, dass neu zu entwickelnde moderne Schiffs-Kernkraftwerke weniger anfällig für Preisschwankungen und Versorgungsprobleme als kohlenstoffneutrale Kraftstoffe sind und mit der Verschärfung der Treibhausgas-Grenzwerte zunehmend wettbewerbsfähiger werden könnten. Natürlich wird diese Technologie mit Sicherheit auf Hindernisse stoßen (internationale Vorschriften, öffentliche Wahrnehmung, Technologiekosten), doch könnte sie unter den richtigen Umständen künftig eine wertvolle Option für seegängige Kreuzfahrt- und Handelsschiffe sein.
Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb auch für Flugzeuge?
Ein mit flüssigem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien angetriebenes Flugzeug wäre, sieht man nur die Emissionen im Flugbetrieb, ein echtes emissionsfreies Verkehrsmittel. Ein Wasserstoffantrieb in der Luftfahrt ist im Prinzip real und machbar. Doch die technischen Herausforderungen sind enorm, vor allem deswegen, weil der flüssige Wasserstoff in massiv isolierten Tanks bei mindestens minus 253 °C gehalten werden muss und weil flugfähige Brennstoffzellen im Megawattbereich benötigt werden. Außerdem hat flüssiger Wasserstoff im Vergleich zu Kerosin eine geringere Energiedichte - für die gleiche Flugdistanz wird also ein größeres Treibstoffvolumen benötigt. Derzeit plant das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit finanzieller Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums in Höhe von 26 Mio. Euro einen Demonstrations-Brennstoffzellen-Antriebsstrang mit etwa 1,5 Megawatt Leistung. Er wird aus dem Brennstoffzellensystem selbst, den Wasserstofftanks, dem Elektromotor und der Steuerungs- und Regelungstechnik bestehen. Damit lässt sich laut DLR ein kleineres Regionalflugzeug für 40 - 60 Passagiere und einer Reichweite um 1.000 km realisieren. Als erster Schritt soll unter der Leitung von H2FLY, einem auf die Entwicklung von Wasserstoff-Brennstoffzellensystemen für die Luftfahrt spezialisierten Start-Up, ein 350 kW-Brennstoffzellen-Grundmodell für die Wasserstoff-Luftfahrt entwickelt und getestet werden. Die Bodentest dürften 2025 beginnen.
Fortschritte in der Entwicklung von Flüssigwasserstofftanks für Flugzeuge meldet im Juli 2022 ebenfalls H2FLY in Zusammenhang mit seinem viersitzigen Wasserstoff-Testflugzeug HY4. Bei mehr als 90 Starts und Landungen seit 2020 flog die HY4 bisher mit gasförmigem Druckwasserstoff, wurde aber 2022 auf Tanks für Flüssigwasserstoff umgerüstet. Da im flüssigen Zustand wesentlich mehr Wasserstoff mitgeführt werden kann als im Gaszustand, dürfte sich die Reichweite verdoppeln. In strategischer Partnerschaft mit dem Flugzeughersteller Deutsche Aircraft ist dann der nächste Schritt der Bau eines klimaneutralen Flüssigwasserstoff-Regionalflugzeuges für etwa 40 Passagiere und einer Reichweite von etwa 2.000 km. Voraussichtlich 2025 soll es mit der H2Fly-Technik betriebsbereit sein.
Eine im Mai 2023 veröffentlichte neue wirtschaftliche Studie von Transport & Environment hat ergeben, dass der Betrieb von Wasserstoff-Flugzeugen auf innereuropäischen Flügen ab etwa 2035 dann etwas günstiger als der von traditionell angetriebenen Flugzeugen sein könnte, wenn ein Markt für emissionsfreie Flugzeuge geschaffen wird. Dies bedeutet, dass Kerosin angemessen besteuert wird (incl. CO2-Bepreisung) und in Zukunft emissionsfreie Flugzeuge vorgeschrieben werden. Airbus hat drei Konzepte für Wasserstoff-Flugzeuge vorgestellt, beklagt aber gleichzeitig, dass die langsame Entwicklung des Wasserstoff-Ökosystems den geplanten Starttermin für Wasserstoff-Flugzeuge im Jahr 2035 verzögern könnte.
Online am 10. Juli 2022; erfolgte Aktualisierungen: 28.7.2022, 8.9.2022, 16.10.2022, 17.11.2022, 23.12.2022, 16.1.2023, 26.5.2023, 9.8.2023, 4.10.2023, 18.11.2023, 30.12.2023, 20.2.2024, 10.3.2024, 26.5.2024, 22.7.2024, 14.9.2024, 10.12.2024
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Kapitel 11: Sind Rinder und Kühe für den Klimawandel verantwortlich?
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Wiederkäuer wie Rinder, Kühe, Ziegen und Schafe das starke klimaschädliche Treibhausgas Methan (CH4) in beachtlichen Mengen erzeugen und somit zum Treibhauseffekt beitragen (siehe Kapitel 3). Ob sie aber wirklich maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, beantwortet dieses Kapitel.
Methan entsteht bei diesen Nutztieren durch Fermentation, d.h. bei der Verdauung des Futters durch spezialisierte Einzeller im Pansen, dem größten der vier Vormägen der Tiere. Es sammelt sich anschließend in einer Gasblase und wird durch Rülpsen und Pupsen ausgestoßen. Der gesamte Ablauf ist ein natürlicher, nicht zu vermeidender Vorgang. Allerdings lassen sich die Methanemissionen von Wiederkäuern durch eine entsprechende Futteranpassung verringern. Anderes Futter als das übliche Gras oder Heu, wie z.B. Mais, Weizen, Gerste, Rapsschrot oder Soja, wird rascher verdaut und kann so zu einem um etwa ein Drittel geringeren Methanausstoß führen.
Doch Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversitäts- und Klimaforschungs-Zentrum verweisen dabei auf einen weiteren Prozess. Durch die Erderwärmung haben die in wärmeren Regionen wachsenden Futterpflanzen einen geringeren Nährwert. Die Wiederkäuer müssen deshalb mehr davon fressen, produzieren dann aber auch mehr Methan. Man hat berechnet, dass der Methanausstoß unter diesen Bedingungen bis zum Jahr 2050 um bis zu 4,5 % ansteigen könnte. Vielleicht nicht allzu viel, würde man denken. Doch wenn gleichzeitig die Viehbestände zur Deckung des Fleisch- und Milchbedarfs der Menschheit drastisch ansteigen sollten, erhöht sich dieser Prozentsatz bis 2050 leicht auf einen mittleren zweistelligen Betrag.
In Deutschland ist der Viehbestand allerdings eher rückläufig: Nach dem Statistischen Jahrbuch, Tab. 3100300 und 3100900, gab es in Deutschland im Mai 2022 noch etwa 11 Mio. Rinder, darunter knapp 4 Mio. Milchkühe; 1950 waren es dagegen noch rund 7,4 Mio. Kühe.
Treibhausgase aus der Landwirtschaft in Deutschland
Zu den Treibhausgas-Emissionen der Wiederkäuer gibt es Daten des Umweltbundesamtes (UBA), und zwar für den Sektor Landwirtschaft. So hat das UBA im Frühjahr 2022 eine Aufteilung der Kohlendioxid-Äquivalente (CO2e) für Deutschland in einzelne Kategorien ab 1990 bis 2021 veröffentlicht, siehe Bild 31. Demnach war die gesamte deutsche Landwirtschaft im Jahr 2021, damals noch ein Schätzjahr, für 54,8 Mio. t Treibhausgase (CO2e, CO2-Äquivalente) verantwortlich. Dies entspricht etwa 7 % sämtlicher Treibhausgase des Landes in diesem Jahr, ein durchaus substantieller Anteil. 2022 stiegen die durch die Landwirtschaft erzeugten Treibhausgase auf 62 Mio. t CO2e, um in 2023 auf 60 Mio. t zu sinken.
Man sieht aus Bild 31, dass trotz individueller Unterschiede in den sieben Kategorien die Summe der CO2-Äquivalente nach einer vorübergehenden Abnahme in der Zeit anschließend zwischen 2001 bis 2013 über mehrere Jahre hinweg mehr oder weniger konstant blieb. Erst seit 2017 geht sie langsam zurück, was unter anderem auch die Folge der extremen Dürre im Jahr 2018 war.
Abschätzung der deutschen Methanemissionen durch Rinderhaltung
Die Gesamtmenge der 54,8 Mio. t Treibhausgase der deutschen Landwirtschaft im Jahr 2021 bestimmen die in der Bildlegende unter dem Balkendiagramm von Bild 31 angeführten sieben Kategorien. Die Anteile der Treibhausgase sind 4,7 % Kohlendioxid, 38,8 % Lachgas und 56,4 % Methan. Methan entsteht im Agrarbereich bei folgenden drei Prozessen (in Klammern die jeweiligen Anteile, nach dem UBA):
In diesem Kapitel wird nur die CH4-Menge bzw. die Menge der Kohlendioxid-Äquivalente bei der Fermentation der Rinder und Kühe bestimmt. Sie ergibt sich für alle im Jahr 2021 in Deutschland gehaltenen Wiederkäuer zu
54,8 Mio. t CO2e x 0,427 = 23,4 Mio. t CO2e
95 % davon sind laut UBA auf die Haltung von Rindern und Kühen zurückzuführen, nur 5 % auf die Haltung aller übrigen Wiederkäuer. Damit verursachen Rinder und Kühe
23,4 Mio. t CO2e x 0,95 = 22,2 Mio. t CO2-Äquivalente je Jahr
Will man dies in die entsprechende Methan-Menge umrechnen, gilt zu berücksichtigen, dass Methan (auf 100 Jahre gesehen) 25 Mal so treibhausgaswirksam wie CO2 ist. D.h., 1 t CH4 entspricht 25 t CO2-Äquivalenten. Demzufolge sind 22,2 Mio. t CO2-Äquivalente
22,2 Mio. t ./. 25 = 0,89 Mio. t CH4.
Bei ca. 11 Mio. Rindern und Kühen in Deutschland trifft demzufolge auf jedes Tier im Durchschnitt je Jahr
890.000 kg CH4 ./. 11 Mio. = 81 kg CH4
Interessant ist auch, wie viele Emissionen durch die Milchproduktion in Deutschland freigesetzt werden, die derzeit auf rund 33 Mio. t jährlich geschätzt wird (Staude, 2024). Die Zahl der Milchkühe in Deutschland lag 2024 bei knapp 3,7 Millionen. Nach Angabe der Verbraucherorganisation Foodwatch und des tierhaltungskritischen Vereins Faba Konzepte entstehen bei der Herstellung von 1 l Kuhmilch bei normaler Weidehaltung 0,9 - 1,1 kg CO2e. Da Kühe in Deutschland jedoch zum Teil auf entwässerten Mooren gehalten werden, ist eher ein Wert von 1,4 kg CO2e je 1 l Milch realistisch. Wird das Tierfutter importiert und werden dafür anderswo Wälder abgeholzt, kann 1 l Milch sogar zwischen 8 und 9 kg CO2e verursachen.
Die Situation weltweit
Die meisten Rinder werden nicht in Deutschland, sondern in Indien (ca. 300 Mio. Tiere) und in Südamerika gehalten. Allein in Argentinien gibt es rund 55 Mio. und in Brasilien über 220 Mio. Rinder/Kühe. Weltweit wird die Zahl der großen Wiederkäuer (Bild 32) gegenwärtig auf rund 1,5 Milliarden Tiere geschätzt.
Der weltweite Nutztierbestand, also außer Rinder noch Büffel, Schweine, Geflügel, Schafe und Ziegen bewirkt nach einer Studie der Welternährungsorganisation (FAO) 12 % des gesamten menschlichen Treibhausgas-Ausstoßes (Spiegel Wissenschaft, 8.12.2023), wobei mit 62 % der größte Anteil auf die Rinder entfallen. Rund 60 % der Treibhausgase aus der Viehzucht entstehen direkt durch Blähungen und Ausscheidungen der Tiere, etwa 40 % durch die Produktion von Pflanzenschutzmitteln und Dünger, durch Viehtransporte und Urwaldrodungen zur Schaffung von Feldern und Plantagen für die Tierfutterproduktion.
Wie viel ist das nun in konkreten Zahlen? Laut EDGAR (2023 Report) verursachte die Menschheit im Jahr 2022 etwa 53.790 Mio. t an Treibhausgasen (CO2e), 21 % mehr als noch 1990 und 1 % mehr als im Vorjahr 2021. Davon entfielen im Jahr 2022 rund 7.700 Mio t CO2e auf die Landwirtschaft (etwas mehr als sich nach den Daten der FAO ergibt). 4.620 Mio. t CO2e entstanden also durch die Blähungen und Ausscheidungen der Nutztiere, 3.080 Mio. t CO2e durch die indirekten Emissionen.
Die derzeitige weltweite Nachfrage nach Rindfleisch ist weiterhin ungebremst und liegt bei durchschnittlich 9,5 kg je Person und Jahr. Die Industrieländer verbrauchen im Mittel pro Kopf und Jahr etwa 14,6 kg Rindfleisch, Entwicklungsländer dagegen nur etwa 4,5 kg. Dabei ist man sich meist nicht bewusst, dass die Produktion von 1 kg Rindfleisch bis zu 30 kg Treibhausgase (CO2e) verursachen kann, die von Obst oder Gemüse dagegen nicht einmal 1 kg CO2e. Würde die (Mittel- und Oberschicht der) Weltbevölkerung ihren Konsum an Rindfleisch auf die Hälfte verringern, könnten durch die Reduzierung des weltweiten Rinderbestandes rund 1,5 Mrd. t Treibhausgase (CO2e) vermieden werden, ein großer Betrag zum internationalen Klimaschutz. Was hier speziell für die Rinder- und Kuhhaltung festgestellt ist, gilt auch für den gesamten Fleischverbrauch. Es sollte zu denken geben, dass beispielsweise im Jahr 2018 weltweit rund 360 Mio. t Fleisch verzehrt wurden, in den 1970er-Jahren aber nur ein Drittel der heutigen Menge. Dabei schätzt die FAO, dass die Fleischproduktion in den nächsten zehn Jahren nochmals um weitere 40 Mio. t steigen wird (Chemnitz und Unmüßig, 2021).
Interessant ist noch eine andere Zahl: Weltweit tragen tierische Lebensmittel mit nur etwa 18 % zur globalen Kalorienversorgung bei, doch für deren Produktion werden rund 80 % der gesamten globalen landwirtschaftlichen Fläche benötigt. Die Frage stellt sich daher, ob es nicht sinnvoller - und klimagerechter - wäre, auf einen Teil der Ackerflächen, die derzeit noch für die Erzeugung von Futter für die zahlreichen Nutztierherden benötigt werden, künftig pflanzliche Lebensmittel für die Menschheit anzubauen. Eine Wende hin zu mehr pflanzlicher Ernährung würde nicht nur den Treibhausgas-Ausstoß verringern, sondern auch den Preisanstieg bei Lebensmitteln abbremsen. Wenn Fleisch, dann sollte eher Schweinefleisch bevorzugt werden, denn seine Herstellung verursacht nur ungefähr ein Drittel der Rinderfleischproduktion. Etwas besser schneidet Geflügel ab.
Die Ernährungsweise hat also einen großen Einfluss auf den persönlichen CO2e-Fußabdruck des Menschen. So entspricht der Verzehr eines Frühstücks mit Ei, Speck und Wurst so viel an Treibhausgas-Emissionen wie die CO2e-Bilanz eines PKW bei ungefähr 20 km Fahrtstrecke (myclimate 2022).
Zu guter Letzt: Zählen die Methanemissionen der Wiederkäuer zu den anthropogenen Treibhausgasen?
Die Frage scheint berechtigt, denn die globale Produktion und der Konsum von Fleisch sind in den letzten Jahrzehnten sowohl durch die zunehmende Weltbevölkerung als auch durch das wachsende Einkommen der Mittel- und Oberschicht zu einem sehr gefragten Konsumgut geworden.
Die Antwort auf die Frage ist jedoch Ja, denn die bei der Wiederkäuer-Haltung entstehenden Treibhausgase zählen nicht zu den anthropogenen, also von der Menschheit verursachten Klimagasen. Etwas vereinfacht formuliert produzieren die Tiere nämlich nur so viel Treibhausgase, wie die von ihnen verzehrten Pflanzen aus der Luft aufgenommen hatten. Es handelt sich also quasi um ein „Nullsummen-Spiel“. Rinder und Kühe können also nicht für den menschgemachten Klimawandel verantwortlich gemacht werden. Trotzdem ist festzuhalten, dass die gewaltige Fleischproduktion schon bald zu weitreichenden ökologischen, sozialen und ethischen Problemen führen dürfte und mit den Nachhaltigkeits- und Klimazielen der UN nicht vereinbart ist.
Online am 6. August 2022; erfolgte Aktualisierungen: 3.9.2022, 17.10.2022, 2.5.2023, 19.7.2023, 30.12.2023, 1.11.2024
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Kapitel 12: Natürliche Kohlendioxid-Senken: Ozeane, Moore, Wälder
Ozeane retten die Welt
In Kapitel 2 ist ausgeführt, dass die Weltmeere, die rund 71 % der Erdoberfläche bedecken, seit Beginn des industriellen Zeitalters, also seit 1850 - 1900, beträchtliche Mengen des menschgemachten CO2 aufgenommen haben – und dies zum Glück auch noch weiterhin tun. Die genauen Zahlen waren allerdings bis jetzt nur bis 1994 bekannt. Da seit 1994 die jährlichen CO2-Emissionen deutlich zugenommen haben, hat ein Schweizer Forscherteam in enger Zusammenarbeit mit dem Kieler GEOMAR-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung die Situation zwischen 1994 und 2007 näher untersucht (Gruber et al., 2019). Dabei wurden bei mehr als 50 Ozean-Forschungsfahrten auf den verschiedenen Weltmeeren neben der CO2-Konzentration weitere chemische und physikalische Größen teils bis in 6 km Wassertiefe aufgezeichnet. Das Ergebnis der Forscher: In den 13 Jahren haben die Weltmeere etwa 34 Mrd. t. Kohlenstoff (C) aus den anthropogenen Emissionen aufgenommen (d.h. jährlich durchschnittlich etwa 2,6 Mrd. t C). Das entspricht etwa 124 Mrd. t CO2. Dies wiederum sind 31 % der gesamten anthropogenen Kohlendioxid-Emissionen in diesem Zeitraum. In erster Linie verdankt es die Menschheit also den Ozeanen, dass sich die globale Durchschnittstemperatur der Erde, Land und Meere zusammengenommen, bisher auf einen Wert von "nur" 1,2 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit erhöht hat (Kapitel 2).
Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass prozentual gesehen die Ozeane gleich viel Kohlendioxid aufgenommen haben wie im gleich langen früheren Zeitraum bis 1994, obwohl der CO2-Gehalt in der Luft inzwischen angestiegen war. Die Ozeane haben also quasi Schritt gehalten und sind glücklicherweise noch weit von einer CO2-Sättigung entfernt. Ob die Pufferwirkung allerdings für alle Zeiten in voller Stärke besteht, ist eher zweifelhaft. Schon jetzt sieht es so aus, als ob es einzelne Meeresregionen gibt, die wegen ihrer hohen Wassertemperatur zeitweise mehr CO2 abgeben als sie über das gesamte Jahr gesehen aufnehmen. Dies traf beispielsweise 2022 auf das östliche Mittelmeer zu, dessen Temperatur auf ungewöhnliche 30 °C angestiegen war.
Die erfreuliche erhebliche CO2-Aufnahme der Meere hat, wie verschiedene Stellen dieser Website aufzeigen, schon jetzt eine negative Seite für die marinen Ökosysteme: Wassererwärmung, Versauerung bis hinab in 3.000 m Wassertiefe, Meeresspiegelanstieg und Veränderung von globalen Meeresströmungen. Ein Aspekt ist dabei besonders wichtig: Wärmeres Meerwasser nimmt weniger CO2 auf als kaltes. Dies heißt, dass vergleichsweise etwas mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre verbleibt und demzufolge den Treibhausgas-Effekt weiter verstärken wird.
In den Kapiteln 6 und 7 wurde erwähnt, dass durch den Treibhauseffekt im gesamten Klimasystem der Erde zusätzliche Wärmeenergie entsteht. Etwa 91 % dieser Energie werden von den Ozeanen aufgenommen und im Mittel 1,3 % verbleiben in der Atmosphäre. 5 % werden von den Landmassen (Kontinenten) aufgenommen und der Rest, 2,7 %, von den Eismassen. Wie das Deutsche Klima-Konsortium im September 2022 erläuterte, ist die geringe Wärmeaufnahme durch die Lufthülle die Erklärung dafür, dass die Temperatur in der Atmosphäre durchaus stagnieren oder sogar geringfügig abnehmen kann, selbst über ein paar Jahre hinweg, während die Meerestemperatur durch den fortschreitenden Klimawandel weiter ansteigt. "Der Wärmeinhalt der Ozeane ist damit ein besserer Indikator für die Klimaerwärmung als die stärker und kurzfristig schwankende Lufttemperatur", so das Deutsche Klima-Konsortium.
Die CO2-Aufnahme der Ozeane erfolgt offensichtlich in zwei Stufen: Zunächst wird das Kohlendioxid im Oberflächenwasser gelöst. Nach den neuen Erkenntnissen findet sich etwa die Hälfte des seit 1994 aufgenommenen Kohlenstoffs in den oberen 400 m der Weltmeere. Im zweiten Schritt wird das gelöste CO2 durch Strömungen und Vermischungsprozesse von den oberen Meeresschichten in die Tiefe der Ozeanbecken transportiert, wo es über lange Zeiträume hinweg verbleibt und sich im Lauf der Zeit anreichert. Somit ist die eigentliche marine CO2-Senke das mittlere Tiefenwasser: Mehr als drei Viertel des vom Wasser aufgenommenen anthropogenen CO2 sind in den oberen 1.000 m verteilt; rund 7 % liegen unterhalb von 2.000 m vor.
Interessant an den Forschungen der Wissenschaftler aus der Schweiz und Deutschland ist auch, dass der Nordatlantik zwischen 1994 und 2007 etwa ein Fünftel weniger CO2 als erwartet aufgenommen hat. Der Grund dafür könnte in der Schwächung der nordatlantischen Umwälzpumpe Ende der 90er-Jahre infolge des Klimawandels liegen (siehe Kapitel 8). Da der Südatlantik jedoch im Untersuchungszeitraum gleichzeitig mehr CO2 aufgenommen hat, haben sich die Werte insgesamt ausgeglichen.
Lange verkannt: Moore als Kohlendioxid-Senken
Die Moore, die wertvolle Ökosysteme darstellen, nehmen weltweit knapp 4 % der Landfläche ein; dies sind ungefähr 350 Mio. ha (Hektar). Sie entstanden mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 bis 12.00 Jahren. Bevorzugte Entstehungsgebiete waren die Verlandungsbereiche von Schmelzwasserseen und andere Feuchtgebieten. Dort sammelten sich abgestorbene Pflanzen, die sich wegen des Sauerstoffmangels nicht zersetzen konnten. Im Laufe der Jahrtausende entstand langsam (1 mm/Jahr) Torfschicht auf Torfschicht und bildete meterhohe Moore. Ursprünglich standen sie immer mit Grundwasser in Kontakt; bis zu 95 % des Torfvolumens war Wasser (Bild 34 und 35). Wird das Wasser jedoch abgepumpt, etwa zu landwirtschaftlichen Zwecken, oder wird der Zufluss von Wasser ins Moor unterbunden, trocknet es nach und nach aus – mit fast dramatischen Folgen.
Da Torf, nicht ganz zersetzte pflanzliche Biomasse, fast nur aus Kohlenstoffverbindungen besteht, war er früher ein beliebtes, weil leicht zu gewinnendes preiswertes Brennmaterial. Mit speziellen Werkzeugen ausgerüstet brachen die Torfstecher Soden heraus, trockneten und verkauften sie, obwohl die Energiedichte (Heizwert) relativ gering ist. Was man nicht wusste, war, dass die natürlichen, also nassen Moore weltweit mehr als doppelt so viel Kohlenstoff und damit klimawirksames Kohlendioxid wie alle Wälder zusammen speichern, und damit eine große Bedeutung für den Klimaschutz haben. Denn global gesehen ist ungefähr ein Drittel des im Boden vorhandenen Kohlenstoffs, etwa 475 Gt C, in Mooren gebunden. Ein Hektar Moor kann durchschnittlich 700 t C speichern. Und noch eine weitere interessante Zahl: Eine 10 - 15 cm starke Torfplatte enthält etwa so viel Kohlenstoff wie ein 100-jähriger Wald auf gleicher Fläche.
Warum entwässerte Moore dem Klima schaden
Werden Moore aus wirtschaftlichen oder aus anderen Überlegungen trockengelegt - die Entwässerung führt dazu, dass die ehemals im Wasser liegenden Torfschichten nicht mehr gestützt werden und absacken -, wird der gebundene Kohlenstoff frei, und zwar nicht etwa nur einmalig und kurzzeitig, sondern jahrzehnte- bis sogar jahrhundertelang. Der freie Kohlenstoff verbindet sich dann mit dem Luftsauerstoff zu CO2. Allein die degradierten großen Moore Sumatras und Borneos geben jährlich rund 400 Mio. t CO2 an die Umgebung ab (Quelle: BfN). Weltweit sind trocken gelegte Moore nach Abschätzungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) von Oktober 2020 für ungefähr doppelt so viele Treibhausgase verantwortlich, wie der gesamte internationale Luftverkehr emittiert.
In Deutschland entstehen aus entwässerten (degradierten) Mooren - über 92 % der deutschen Moorflächen sind trockengelegt - jährlich etwa 53 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e). Dies entspricht rund 7,5 % der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen bzw. 36 % der landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen (Anonym, 2022a; Pressemitteilung Umweltbundesamt vom 1.3.2023). Ein früheres Moor, aus dem heute Weide- oder Anbauland oder ein Standort für die Aufstellung von Windkraftanlagen geworden ist, emittiert zwischen 21 und 29 t CO2 pro ha und Jahr.
Als die Brennstoffverwertung des Torfs zu unattraktiv wurde, ging die Moorentwässerung trotzdem weiter. Die ehemaligen nassen Moore wurden nun land- oder forstwirtschaftlich genutzt oder teilweise sogar bebaut. Heute sind fast 95 % der deutschen Moorlandschaften entwässert. Neben ihrer unerwünschten Funktion als CO2-Quelle geht von ihnen eine mögliche Gefahr aus, der Torfbrand. Zumeist handelt es sich dabei um unterirdische Schwelbrände, deren Zahl mit zunehmender Erwärmung der Erde künftig weiter zunehmen wird. Weil die Brandherde nur schwer auszumachen sind und die Torfschichten wie in Indonesien bis zu 40 m dick sein können, ist die Löschung von Torffeuern sehr aufwändig und schwierig.
Doch langsam setzt ein Umdenken ein, vor allem seit bekannt wurde, dass manche ausgetrocknete Moorregionen mehr CO2 emittieren können als die gesamte Industrie und der gesamte Verkehr eines Landes zusammen.
Warum Renaturierung sinnvoll ist
Die Wiedervernässung zur Rettung ausgetrockneter Moore (Bild 36), Renaturierung genannt, leistet somit einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. Gleichzeitig wird die vielfältige Pflanzen- und Tierwelt nasser Moore, die biologische Vielfalt, wiederhergestellt. Ein weiterer Vorteil: Nasse oder wiedervernässte Moore bilden bei Waldbränden eine natürliche Brandschneise.
Natürliche und ebenso wiedervernässte Moore speichern zwar große Mengen an CO2, sie emittieren aber gleichzeitig - wenn auch in geringer Menge - klimabelastendes Methan (CH4). Was die Klimawirkung dieser beiden gegensätzlich wirkenden Gase betrifft, überwiegt der positive Effekt der CO2-Speicherung deutlich gegenüber der schädlichen CH4-Emission. Deswegen lohnt sich auch die Renaturierung, d.h. die Wiederbenässung ausgetrockneter Moore. Allein in Bayern könnten durch eine gezielte Renaturierung degradierter Moore jährlich immerhin bis zu 5 Mio. t CO2-Äquivalente eingespart werden. Dies entspricht etwa 6 % des jährlichen bayerischen CO2e-Ausstoßes (Bayer. Landesamt für Umwelt, 2018). Das Potential ist in Bayern besonders groß. Denn früher waren 3 % der gesamten Landesfläche Bayerns mit Mooren bedeckt, heute sind lediglich noch 5 % dieser Moore naturbelassene Moorlandschaften.
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Die ausgetrockneten Moore müssen also renaturiert werden, selbst wenn durch die Wiedervernässung ihre früheren Umweltleistungen nicht mehr ganz erreicht werden können. Immerhin ist eine CO2e-Reduzierung bis zu 15 t je ha und Jahr durch gezielte Maßnahmen möglich. Deshalb wird das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für den Zeitraum 2022 bis 2026 einen Betrag von 115 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Der Freistaat Bayern hatte im Rahmen seines Klimaprogrammes 2020 (KLIP 2020) für Maßnahmen von 2008 bis 2011 bereits ein 350 Mio. Euro-Sonderprogramm genehmigt.
Im Juni 2024 hatte die EU-Kommission eine "Verordnung über die Wiederherstellung der Natur" (engl. "Nature Retoration Law", NRL) erlassen, die wohl wichtigste legislative Errungenschaft für den Naturschutz seit dem Jahr 1992. Ein Artikel dieser Verordnung beinhaltet konkrete Ziele zur Wiederherstellung von Mooren. Demnach müssen alle Mitgliedsstaaten der EU alle Moore, die sich nicht mehr im guten Zustand befinden, Wiederherstellungsmaßnahmen ergreifen, und zwar
Fraglich ist allerdings, ob diese Ziele erreicht werden können und, falls ja, ob sie dem Klimaschutz durch die Wiedervernässung von Mooren Auftrieb verleihen. Dies ist deswegen von enormer Wichtigkeit, weil auch die Wälder, neben aktiven Mooren zweiter wichtiger Emissionssenker im Sektor LULUCF (Land Use, Land Use Change and Forestry, Emissionsminderung aus Landnutzung, Landnutzungsänderung und Fortwirtschaft; siehe Kapitel 9 und dort die Tabelle 6) durch Krankheiten, Waldbrände und Rodung weniger CO2 als theoretisch möglich binden könnten. Dies gilt auch für Deutschland, wo bereits Maßnahmen zur Moor-Renaturierung laufen. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass die in der deutschen Moorschutzstrategie als Ziel genannten Einsparungen von 5 Mio. t CO2e bis 2030 eine weitaus höhere Emissionsminderung aus Moorböden als bisher als Ziel gesetzt erfordern (Disselhoff, 2025).
Bei der Wiedervernässung werden meist Entwässerungsgräben durch Torf gestaut oder einfache (Holz-)Dämme errichtet, um den Wasserhaushalt von Mooren wiederherzustellen und ihnen ihre CO2-Speicherfähigkeit zurückzugeben. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass eine zu schnelle Anhebung des Wasserstandes unterbleibt, da sonst die Methanproduktion einsetzt. In der Vegetationsperiode darf das Wasser deshalb höchstens bis zu etwa 10 cm unterhalb der Geländeoberfläche reichen. Die erfolgreiche Renaturierung inaktiver Moore erfordert viel Sachkenntnis und darf allein deshalb nicht ohne Einschaltung der zuständigen Behörden durchgeführt werden. Einige Landwirte sind gegen eine Moor-Renaturierung, weil sie Flächen verlieren. Es laufen jedoch Versuche mit sogenannten Paludikulturen, bei denen z,B. Schilf oder Rohrkolben kultiviert werden. Ein lohnender Ausgleich ist dies für die Moorbesitzer natürlich nicht, so dass für die unter allen Beteiligten abgestimmten Maßnahmen am Moor staatliche oder kommunale Entschädigungen gezahlt werden. Schön wäre es allerdings, wenn bei der Moor-Wiederherstellung bei den Landeigentümern der Klimaschutzgedanke mehr als bisher noch vor dem Gewinnstreben rangieren würde.
Gesunde Waldlandschaften – enorm wichtige Kohlendioxid-Senken
Jeder Waldspaziergänger fühlt und schätzt es: Die Luft im Wald ist reiner, feuchter und merklich kühler als in der Umgebung. Die Waldbäume setzen nämlich bei ihrer Photosynthese die einfallende Sonnenenergie in Wasserdampf um, der Luft und Boden anfeuchtet und die unmittelbare Umgebung kühlt. Neben Wasser wird dabei auch Sauerstoff frei. Auch wenn nachts die Bäume bei der Atmung wieder Sauerstoff verbrauchen, wird in der Tages-Gesamtbilanz mehr Sauerstoff produziert als die Bäume aufnehmen. So kann ein einzelner älterer Baum täglich 10 - 15 kg Sauerstoff erzeugen, womit zehn Menschen versorgt werden könnten. Darüber hinaus filtert der Wald Staub, Ruß und schädliche Gase aus der Luft.
Wälder tragen, wie die naturbelassenen Moore, zur CO2-Reduzierung bei. Dies ist ein wichtiger Faktor, denn allein eine Reduzierung der Treibhausgase reicht nicht aus, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten; dazu braucht es effiziente natürliche Senken - wie gesunde Waldlandschaften, die nicht nur kränkelnde Nadelholz-Monokulturen sein dürfen. Bäume speichern nicht das CO2 selbst, sondern den darin enthaltenen Kohlenstoff (C). Er macht im Durchschnitt etwa die Hälfte des Trockengewichts eines Baumes aus. Kohlenstoff und Kohlendioxid lassen sich leicht umrechnen. Hat ein Baum in seiner Biomasse beispielsweise 1 t C eingelagert, hat er der Luft insgesamt 3,67 t CO2 entzogen.
Positive Methanbilanz
Es ist schon länger bekannt, dass (Wald-)Bäume an ihrer Stammbasis aus dem Boden gewonnenes klimaschädliches Methan ausstoßen. Neuere Forschungen der University of Birmingham haben allerdings gezeigt, dass Mikroben in den Rinden der Bäume oberhalb von ca. 2 m Höhe andererseits überraschend viel Methan aus der Umgebung binden, das sie als Energiequelle für ihren Stoffwechsel nutzen. Insgesamt führt dies zu einer Netto-Methansenke durch den Baum. Vorsichtige Schätzungen zeigen, dass Bäume weltweit zu einer atmosphärischen Methanaufnahme von 25 bis 50 Mio. t CH4 je Jahr beitragen. Bäume sind also, mit gewissen Einschränkungen, klimafreundlicher als bisher gedacht.
Vom einzelnen Baum zum Wald
Die der Luft entnommene CO2-Menge hängt unter anderem von der Holzmasse und Holzdichte, vom Alter und der Größe der Bäume (Wurzeln, Äste, Stämme), von ihrem Gesundheitszustand und vor allem von der geografischen Lage ab. So schützen gesunde tropische Regenwälder aufgrund ihrer größeren Kohlenstoff-Speicherung das Klima wesentlich besser als etwa deutsche Wälder. Park- und Gartenbäume entnehmen aufgrund ihrer Solitärstellung der Luft ebenfalls mehr CO2 als gleich große Waldbäume, weil sie in der Regel besser ausgebildete Kronen und Wurzeln besitzen und entsprechend mehr Kohlenstoff einlagern. So hat der in Bild 37 abgebildete alte und hohe Ahornbaum einen von mir gemessenen Brusthöhen-Durchmesser von 1 m, seine Holzdichte beträgt 0,522 t/m3. Eine Abschätzung der in der gesamten Biomasse gebundenen Kohlenstoffmenge incl. Äste, Zweige und Wurzeln ergibt ungefähr 3,4 t C (LWF Bayern, Mitteilung vom 4.10.2022 an den Autor). Dieser Ahorn hat demzufolge im Verlauf seines bisherigen Lebens der Atmosphäre 3,4 x 3,67 = 12,5 t Kohlendioxid entnommen - durchaus eine beachtliche Leistung.
Genaue Angaben zu den CO2-Umsätzen von Bäumen sind verständlicherweise unsicher, so dass man sich mit Näherungsangaben zufriedengeben muss. So hat z.B. eine 25 m hohe und etwa 100 Jahre alte (gesunde) Waldfichte mit einem Stammdurchmesser von 45 cm (in Brusthöhe gemessen) mit Ästen und mit Wurzeln (die ebenfalls C speichern) in ihrem Leben der Umgebung etwa 1,8 t CO2 entzogen. Zum Vergleich: Die gleiche Menge CO2 stößt ein moderner Mittelklasse-PKW mit einem Diesel-Durchschnittsverbrauch von 6 l/100 km nach rund 16.500 km Fahrtstrecke aus.
Eine gleich alte und gleich hohe Waldbuche mit dem gleichem Stammdurchmesser entnimmt der Atmosphäre mit etwa 3,2 t CO2 deutlich mehr Kohlendioxid als eine Fichte (Bayer. Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft, 2018). Denn je schwerer das Holz ist, desto mehr CO2 wird umgesetzt und in Form von C in der Biomasse eingelagert. Generell hat bei gleichem Holzvolumen Laubholz (mit Ausnahme der Weichhölzer Pappel und Weide) eine höhere Holzdichte als Nadelholz. Hainbuche, Buche, Kastanie, Linde oder Eiche entziehen deshalb der Luft mehr CO2 als z.B. eine Fichte oder eine Tanne.
Als vereinfachte Faustformel gilt, dass 1 ha gesunder Wald über alle Altersklassen hinweg der Atmosphäre bis zu 12 t CO2 pro Jahr entnehmen kann. Ein Kubikmeter bzw. ein Festmeter frisch geschlagenes Holz hatte der Atmosphäre 750 kg bis 1 t CO2 entnommen. In den ersten 20 Jahren im Wachstum eines Baumes (in Europa) wird allerdings deutlich weniger umgesetzt. Man rechnet für diese Lebensspanne mit durchschnittlich nur 5,5 kg CO2 pro Jahr. Ist der Wald einmal deutlich über 60 Jahre alt, setzt er auch wieder weniger CO2 um als in seinem Haupt-Wachstumsalter zwischen 25 und 60 Jahren. Für einen mit 150 Jahren Alter noch jungen Riesen-Mammutbaum gilt dies allerdings nicht: Er kann der Luft jährlich bis zu 300 kg CO2 entziehen.
Das durchschnittliche Lebensalter eines typischen Stadtbaumes liegt zwischen 60 und 80 Jahren. Tropische Regenwaldbäume werden mit deutlich über 1.000 Jahren erheblich älter und höher und entziehen der Luft deutlich mehr CO2. Der größte Baum der Welt ist mit 84 m Höhe, einem Stammumfang von 31 m und einem Volumen von ca. 1.500 Kubikmeter der kalifornische "General German Tree".
Die Wälder Deutschlands
Die deutschen Wälder umfassen aktuell mit ca. 11,4 Mio. ha etwa 32 % der Gesamtfläche des Landes. 48 % der Waldgebiete befinden sich in Privatbesitz. Die häufigsten Bäume sind Fichten (ca. 25 %) und Kiefern (ca. 23 %), gefolgt von Buchen (ca. 15 %) und Eichen (ca. 10 %). Nach der Zwischen-Waldinventur aus dem Jahr 2017 betrug der Holzbestand 3,9 Mrd. Kubikmeter, wobei in der lebenden Biomasse etwa 1,23 Mrd. t C gespeichert waren. Der Kohlenstoffgehalt des im Wald liegenden Totholzes wurde im gleichen Jahr auf 33,6 Mio. t geschätzt.
Berechnungen ergaben, dass der deutsche Wald im Jahr 2017 der Atmosphäre fast 62 Mio. t CO2 entzogen hat. Im Vergleich zum gesamten menschgemachten CO2-Ausstoß im gleichen Jahr in Deutschland (= 786 Mio. t in allen Emissions-Sektoren) sind dies 7,9 %. Mit anderen Worten: Gäbe es die deutschen Wälder nicht oder würden sie der Atmosphäre kein CO2 entnehmen, wären im Jahr 2017 die CO2-Emissionen in allen Sektoren nicht 786 Mio. t, sondern rund 848 Mio. t gewesen.
Wird der deutsche Wald von einer CO2-Senke zur CO2-Quelle?
Die Basis für die genannten Zahlen ist die letzte Bundeswaldinventur 2012 des staatlichen Thünen-Instituts. Doch der Anfang Oktober 2024 erschienene neue Inventurbericht zeigte unerwarteterweise,
dass der Holzzuwachs der deutschen Wälder und damit die Menge des gebundenen Kohlenstoffs seitdem stagniert, denn die gesamte oberirdische Biomasse der Wälder sei mit ca. 3,6 Mrd. m3 gegenüber
2012 praktisch gleich geblieben. Gleiches gilt dann auch für den gespeicherten Kohlenstoff im Holz, der mit ca. 1,2 Mrd. t etwa gleich groß ist wie der Wert der Bundeswaldinventur 2012
(Krumenacker, 2024). Dies bedeutet, dass der deutsche Wald seit 2012 der Luft kein zusätzliches CO2 mehr entzogen hat, in dieser Zeit dann nicht mehr als zusätzliche CO2-Senke wirkt. Manche
Forstwissenschaftler befürchten sogar, dass der deutsche Wald demnächst zur CO2-Quelle werden könnte. Die Hauptgründe für diese erschreckende Situation sind: massives Absterben von Fichten und
Kiefern vor allem seit etwa 2017 durch die häufiger werdenden Jahre mit extremen Dürren und starken Stürmen, Borkenkäferbefall, Entweichen des im Boden gebundenen Kohlenstoffs wenn Flächen von
Totbäumen gesäubert werden, starke Holznutzung mit hohen Einschlagsmengen vor allem in alten Laubwäldern und viel zu langsame Umwandlung anfälliger Nadelforsten in klimastabile
Laubmischwälder.
Nach dem deutschen Klimaschutzgesetz sollen deutsche Wälder - zusammen mit den Mooren - von 2027 bis 2030 eigentlich jährlich im Mittel mindestens 25 Mio. t CO2 aufnehmen, um hohe Emissionen in
anderen Bereichen zu kompensieren. Dies basiert noch auf den zu optimistischen, jetzt nicht mehr gültigen Ausgangszahlen der Bundeswaldinventur 2012.Doch wenn sich der aktuelle Negativtrend nicht
wieder umkehrt, wird das Ziel deutlich verfehlt werden; die für 2045 für Deutschland angestrebte Treibhausgas-Neutralität wäre dann nicht mehr zu erreichen. Zu diesen negativen Schlagzeilen
gesellt sich nunmehr ausgerechnet eine Änderung der EU-Entwaldungsverordnung, die eigentlich Ende 2024 in Kraft treten sollte. Sie sollte als Baustein des Gesetzespakets zur Erreichung der
EU-Klimaneutralität bis 2050 verhindern, dass keine Produkte mehr in die EU gelangen, für deren Herstellung intakte Waldbäume gefällt wurden. Überraschend wurde Anfang Oktober 2024 bekannt, dass
die Verordnung infolge des Widerstands der Wirtschaft und Politikern der EVP-Fraktion wegen der notwendigen umfassenden Nachweispflichten um 12 Monate verschoben wird. Damit würde das Gesetz erst
ab dem 30.12.2025 für Großunternehmen und ab 30.6.2026 für kleinere und mittlere Firmen gelten. Dies bedeutet eine weitere Schwächung der Bestrebungen zur Bekämpfung der Erderwärmung in einer
Phase, in der die Zeit zum Handeln immer knapper und der Druck immer größer wird.
Wenn Holz entnommen wird oder Waldbäume absterben oder verbrennen
Auch wenn die Bedeutung des Waldes als Klimaschützer bis zum Greifen einer konsequenten, auf Schutz und Schonung ausgerichteten Reform der Forstwirtschaft geringer als früher sein mag, so speicherte er im Verlauf seines bisherigen Lebens doch riesige Mengen Kohlenstoff und trägt damit, langfristig gesehen, nach wie vor zum Schutz des Klimas bei.
Wälder können, von Jahr aufs Jahr betrachtet, nur so lange wertvolle Kohlendioxid-Senken sein, wie ihre Bäume mehr CO2 aus der Luft filtern als durch den Holzeinschlag und die spätere Holznutzung wieder freigesetzt wird. Wird der Wald durch äußere Einflüsse wie Sturmbruch, Krankheit, Käferbefall, Waldbrand oder extensive Abholzung geschädigt bzw. geschwächt, kann er der Umgebung nur noch wenig oder gar kein CO2 mehr mehr entziehen. Dann wird er im zunehmenden Maße zu einer CO2-Quelle und verstärkt damit den Klimawandel. Eine derartige Situation muss deshalb vermieden werden. Leider sieht die Realität anders aus, denn immer mehr Bäume sterben, und zwar nicht nur vereinzelt, sondern es gehen ganze Waldstücke unwiederbringlich verloren. Der derzeitige deutsche Wald ist auf die trocken-heißen Perioden nicht vorbereitet. Gleichzeitig vermehren sich Waldschädlinge wie der Borkenkäfer bei hoher Temperatur und geringem Niederschlag stärker als bei feucht-kühler Witterung, nutzen die Schwäche der angeschlagenen Bäume aus und fressen sich durch die Rinde. Dadurch werden die Nährstoff-Leitungen von den Wurzeln zu den Blättern bzw. Nadeln unterbrochen; der Baum verhungert quasi.
Nicht nur Bäume reduzieren den CO2-Gehalt der Luft, sondern auch Pflanzen. Sie entziehen der Atmosphäre deutlich mehr CO2 als bisher angenommen. Nach einer Mitte Juni 2024 publizierten internationalen Studie unter Leitung des Imperial College London sollen sie weltweit jährlich insgesamt etwa 80 Gt Kohlenstoff (C) in ihrer Biomasse binden, was bedeutet, dass sie der Luft 294 Gt CO2 entnehmen (FOCUS-Online, 28.6.2024). Angesichts der Tatsache, dass die Menschheit in allen Emissionssektoren nach EDGAR weltweit "nur" rund 39 Gt CO2 emittiert (2023), löst der Wert (294 Gt CO2) Fragen und Zweifel aus. Wie auch immer: Wenn Pflanzen im Herbst ihre Blätter verlieren bzw. vor Winterbeginn absterben, wird der Kohlenstoff frei und landet als CO2 wieder in der Luft, und zwar ungefähr so viel wie in den Monaten zuvor gespeichert wurde. So bleibt bis zur endgültigen Klärung noch offen, wie stark Pflanzen als CO2-Senke wirken.
Zurück zum Wald: die Szenarien
Baumfällung: Werden gesunde Waldbäume gefällt, richtet sich die CO2-Bilanz nach ihrer weiteren Verwendung. Wird das geschlagene Holz zu Bauholz, Anbauten, Gartenhäusern, Zäunen, Möbeln usw. verarbeitet, bleibt die bis zum Zeitpunkt der Holzentnahme gespeicherte C-Menge jahrzehntelang erhalten. Wird dagegen das Holz zu Brennmaterial wie Scheitholz oder Pellets verarbeitet, reagiert der Kohlenstoff bei der Verbrennung im Ofen mit dem Luftsauerstoff zu CO2. Alles was das Holz im jahrzehntelangen aktiven Baumleben der Luft an CO2 entnommen hat, wird nun schlagartig wieder frei, ein wenig wünschenswertes Szenario. Gleiches gilt für gewollte und ungewollte Waldbrände, durch die gewaltige Mengen an CO2 emittiert werden (siehe weiter unten). Die Abholzung gesunder Wälder zu Heizzwecken wirkt sich gleich mehrfach negativ auf das Klima aus, weil jeder gefällte gesunde Baum seiner Umgebung kein CO2 mehr entnimmt, ja, weil sogar CO2 emittiert wird und schließlich auch deswegen, weil Holz beim Verbrennen relativ hohe spezifische andere Emissionen (z.B. Feinstaub) erzeugt. An dieser prekären Situation ändert sich grundsätzlich auch dann nichts, wenn nur so viele Bäume zu Brennholz verarbeitet werden, wie im Wald wieder nachwachsen. Denn wie bereits erwähn dauert das Nachwachsen von neu angepflanzten Jungbäumen zu C-speichernden gesunden und großen Bäumen rund zwei Jahrzehnte.
Es führt also kein Weg daran vorbei, unsere Wälder zu schützen und nur erkrankte und stark käferbefallene Bäume sowie Bruchholz zu Brennmaterial zu verarbeiten. Allein in den deutschen Haushalten werden jährlich etwa 17 Mio. Festmeter Holz zur Erzeugung von Wärme in ungefähr 8,5 Mio. Kaminöfen (Stand 2023) verbrannt. Ob diese Menge immer aus minderwertigem Waldholz aus Baumkronen oder schlecht gewachsenem Stammholz stammt, das weder als Bauholz noch zur Möbelherstellung geeignet ist, sei dahingestellt. Denn oft werden Brennholz und Pellets aus unbekannter osteuropäischer Herkunft verwendet, Holz, das möglicherweise illegal in Naturschutzgebieten geschlagen und zu Heizmaterial weiterverarbeitet wurde. Insbesondere Pellets sollten ausschließlich aus Sägerestholz hergestellt werden, das bei der Waldpflege oder beispielsweise bei der Möbelproduktion anfällt.
Auch die Holzentnahme für die Papierherstellung ist ein gewaltiger Wald-Raubbau. Immerhin benötigt man für die Produktion von 1 kg Papier etwa 2,2 kg Baummasse. Da jeder Deutsche im Jahr im Mittel rund 230 kg Papier verbraucht, entspricht dies insgesamt ungefähr 20 Mio. t Holzmasse. Nicht ohne Grund steht Deutschland im Papierverbrauch international auf dem 4. Platz.
Viele Menschen, vor allem die im ländlichen Raum, sehen Brennholz als vermeintlich klimafreundliche und kostengünstige Alternative zu Gas oder Öl an. Vor allem in Deutschland sind die Brennholzpreise derzeit noch günstig, weil aktuell viele Fichtenbestände überreif sind und klimabedingt ein Umbau zu Mischwäldern ansteht. Dies dürfte sich allerdings um 2040 ändern. Nicht nur deshalb ist in Zeiten einer effizienten Klimawandel-Bekämpfung das Heizen mit Holz von gesunden Bäumen nicht länger haltbar, auch wenn es noch eine Weile dauern dürfte, bis der Verzicht auf Holz-, Pellet- und Hackschnitzelheizungen von der Bevölkerung akzeptiert wird. Holz ist deshalb allenfalls eine Übergangslösung. Typisch für diese Thematik war der monatelange erbitterte Streit um das - aus Klimasschutzgründen gerechtfertigte - neue deutsche Heizungsgesetz (Gebäude-Energiegesetz, GEG); Streit nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch unter Politikern. Die Bundesregierung war mehr oder weniger gezwungen, Verschärfungen für Holzheizungen im Neubau gegen den Widerstand der Bevölkerung auszusprechen, will es ihre ehrgeizigen Klimavorgaben auch nur annähernd erfüllen. Jeder Betreiber eines neuen Kaminofens oder einer Pelletheizung muss sich nach derzeitigem Stand (2024) durch das neue GEG künftig vergewissern, dass kein Konflikt mit dem Wärmekonzept seiner Stadt bzw. Kommune besteht. Erschwerend wird hinzukommen, dass Holzheizungen künftig strengere Feinstaub-Grenzwerte als bisher einhalten müssen, was möglicherweise den Einsatz (teurer) Staubabscheider erfordert. Beim Holzheizungstausch im Bestand sind in Deutschland (noch?) Scheitholz-, Pellet- oder Hackschnitzelheizungen erlaubt. Es ist sinnvoll, dabei die jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben und Bestimmungen zu beachten. Werden sie nicht erfüllt, können beispielsweise staatliche Zuschüsse bei den Anschaffungskosten entfallen.
In Deutschland wird derzeit immer noch nahezu die Hälfte des aktuell genutzten Holzes zur Erzeugung von Energie verwendet. Das Verbrennen von Holz verursacht aber nicht nur das Klimagas CO2, sondern auch Feinstaub, der mit zahlreichen Todesfällen in Verbindung gebracht wird, außerdem Kohlenmonoxid, Stickoxide, Methan und Ruß. Wenig bekannt ist, dass bei der Holzverbrennung sogar mehr Schadstoffe freigesetzt werden als bei der Verbrennung von Kohle, Gas oder Heizöl. Ruß ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern besonders klimaschädlich: Sein Treibhausgaspotential erreicht das 30.000-Fache (!) von CO2 und ist sogar noch erheblich schädlicher für unser Klima als Lachgas. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die CO2-Emissionen pro Energieeinheit bei der Holzverbrennung höher als bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern sind.
Welche Vorteile ein intakter Wald hat, zeigt beispielsweise Finnland, dessen Landfläche ungefähr zu drei Vierteln bewaldet ist. Finnland mit seinen nur knapp sechs Millionen Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 16 Personen je Quadratkilometer (Deutschland: 230 P/km2) emittierte beispielsweise im Jahr 2020 in sämtlichen Emissionssektoren etwa 41 Mio. t CO2 (2023 waren es nach EDGAR 32,3 Mio. t). Im gleichen Jahr, 2020, haben die finnischen Wälder der Umgebungsluft mit rund 17 Mio. t CO2 etwas über die Hälfte der insgesamt emittierten Menge entzogen. Kein Wunder, dass es sich das Land zutraut, schon 2035 klimaneutral zu werden und ab 2040 überhaupt kein CO2 mehr an die Atmosphäre abzugeben. Finnland kann sich dieses Versprechen leisten, auch weil es seinen grünen Strom zum großen Teil in Wasserkraftwerken produziert und außerdem im Gegensatz zu Deutschland auf Kernkraftwerke baut.
Totholz im Wald: Verbleiben durch Stürme umgeworfene und/oder gefällte kranke Bäume als Totholz im Wald, zersetzen sie sich allmählich durch den Einfluss von Insekten, Käfern und der Witterung. Bisher ging man davon aus, dass dabei der im Holzmaterial enthaltene Kohlenstoff im Laufe der Zeit vom Boden aufgenommen wird. Doch neuere Untersuchungen aus den Jahren 2020/21 durch weltweit 50 Forschungsgruppen an 55 verschiedenen Standorten haben ergeben, dass nicht alles, sondern nur ein Teil in den Boden gelangt, ein großer Teil aber in klimaschädliches CO2 umgewandelt wird und in die Atmosphäre gelangt. Trotzdem macht es aus Sicht der Forstwissenschaft wenig Sinn, das Totholz aus dem Wald zu entfernen, denn es ist nicht nur Kohlenstoffspeicher, sondern auch wichtig für die Biodiversität. Denn nur dort, wo die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe in verrottenden Bäumen weiterlaufen, können junge Bäume schnell nachwachsen und nach einiger Zeit der Luft wieder CO2 entziehen.
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit: Der Klimawandel kann Bäume zunehmend zu CO2-Schleudern machen
Dies alles zeigt, das der Wald ein sehr gut funktionierender C-Absorber ist und deshalb geschützt werden muss. Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass aktuell viele Bäume infolge der Erderwärmung, den gleichzeitigen Stress durch tierischen Schädlingsbefall und durch Pilze sowie als Folge von heftigen Stürmen früher sterben als bisher (Bild 38). Nach neueren Forschungsergebnissen wachsen sie zwar offensichtlich als Folge der CO2-Düngung durch den ansteigenden Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre anfangs schneller. Doch damit verkürzt sich ihr aktiver Lebenszyklus. Ein geschädigter Wald funktioniert also nur etwa zwei Jahrzehnte als CO2-Senke, und wird danach zur CO2-Quelle - ein regelrechter Teufelskreis.
Dass die Funktion unserer Wälder als CO2-Senke nachlässt, ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Im November 2021 wurde auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) eine UNESCO-Studie diskutiert, nach der zehn große Waldgebiete in streng geschützten Natur- und Kulturerbe-Stätten mittlerweile bereits mehr CO2 ausstoßen als sie binden. Dazu gehören der Grand Canyon (USA), tropische Wälder auf Sumatra (Indonesien) und das Biosphärenreservat Rio Platano (Honduras). Zu Sumatra: Der dortige Regenwald entnimmt zwar der Atmosphäre derzeit noch jährlich 1.200 t CO2 je ha und Jahr, gibt aber gleichzeitig 4.200 t CO2 je ha und Jahr ab. Fast gleichzeitig gab die Weltorganisation für Meteorologie (MWO) bekannt, dass auch Teile des Regenwaldes in Brasilien nicht mehr CO2-Senken, sondern CO2-Quellen geworden sind. Eine äußerst bedrohliche Entwicklung!
Dies ist zum großen Teil der radikalen Abholzung, den Rodungen und der Ausbeutung der Waldböden für landwirtschaftliche Zwecke geschuldet. Auch die Folgen des Klimawandels wie großflächige Waldbrände, Extremtemperaturen, Stürme und vielleicht auch Fluten spielen eine entscheidende Rolle. An dieser Stelle eine besonders bemerkenswerte Zahl: Dem Copernicus-Atmosphären-
Überwachungsdienst der EU zufolge wurden durch Brände allein in den beiden Monaten Juli und August 2021 weltweit 2.645 Mio. t CO2 (= 2,645 Giga t CO2) - zusätzlich - freigesetzt, davon mehr als die Hälfte in Nordamerika und in Sibirien. Was dies bedeutet, erkennt man, wenn man die Zahl in Relation zum globalen Jahres-CO2-Ausstoß von nahezu 36 Gt (35.963 Mio. t) in allen Emissionssektoren setzt. Es ist fast nicht zu glauben: In nur zwei Sommermonaten in 2021 entstand durch Brandrodung und durch andere Waldbrände mehr CO2, als Indien im gesamten Jahr 2020 mit 2.412 Mio. t CO2 (nach Tabelle 4) emittierte. Da wundert es schon, dass die UN-Klimakonferenz 2021 einen Stopp der weltweiten Abholzung erst ab 2030 und nicht ab sofort beschloss.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Unsere Wälder und andere Bäume in privaten Gärten und auf kommunalen Grundstücken sind für unser Klima nach wie vor von ganz besonderer Bedeutung, weil sie eine natürliche Treibhausgas-Bremse sind. Die Rodung, das Abbrennen und die Zerstörung großer Waldflächen an vielen Orten der Welt, entweder um Ackerflächen zu gewinnen oder um Heizmaterial zu erzeugen, muss deshalb aufhören. Es ist mehr als erschreckend, dass z.B. weltweit im Jahr 2022 durchschnittlich jede Stunde klimaschützende tropische Waldgebiete in der Größe von 4,71 km2 verschwunden sind - pro Minute sind dies rund elf Fußballfelder. Die Menschheit benötigt intakte und keine schwächelnde Waldlandschaften. Die EU war deshalb Mitte September 2022 mit einem wegweisenden Vorschlag für ein Waldgesetz über die Presse an die Öffentlichkeit gegangen. Angesichts der Tatsache, dass allein durch Europas Bedarf an importiertem Soja, Palmöl, Kaffee, Kakao, Mais, Holzmöbeln usw. jährlich etwa 200.000 Hektar Wald vernichtet und dabei 116 Mio. t CO2 freigesetzt werden, müssen Importeure und Großhändler nachweisen, dass die Herstellung ihrer Waren nicht zur Entwaldung beigetragen haben. Doch wie oben dargelegt werden die Verordnungen, 2022 mit großer Mehrheit beschlossen, nach einer 12-monatigen Verschiebung erst Ende 2025 bzw. Mitte 2026 nach einer 12-monatigen Verschiebung zum Gesetz. Und wieder geht wertvolle Zeit verloren ...
Im Zuge der durch den Krieg Russlands in der Ukraine notwendig gewordenen Sparmaßnahmen vor allem für Gas hatte beispielsweise die bayerische Staatsregierung im September 2022 ein Sondergesetz verabschiedet. Danach darf der Besitzer einer Gasheizung im Bestandsgebäude vorübergehend seinen alten Holzofen wieder in Betrieb setzen, selbst dann, wenn die derzeitigen Feinstaub-Grenzwerte nicht eingehalten werden können. Langfristig gesehen gilt aber, dass nur noch Bruch-, Käfer- und minderwertiges Abfallholz verheizt werden darf und keine intakten Waldbäume zur Produktion von Brennmaterial gefällt werden. Für Neubauten gelten in Deutschland künftig strengere Vorgaben. Weil nachhaltig erzeugte Holz-Biomasse nur begrenzt verfügbar ist, muss von Januar 2024 an nach den Plänen der Bundesregierung jede in Neubauten in Neubaugebieten eingebaute neue Heizung, auch eine Biomasse-Heizung, zu mindestens 65 % mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Es ist dabei nicht entscheidend, wie diese Zielmarke erreicht wird. Außerhalb von Neubaugebieten tritt für alle Bestandsgebäude und Neubauten die 65%-Regelung erst dann in Kraft, wenn die Gemeinde bzw. die Stadt einen Wärmeplan vorgelegt hat. Haus- und Wohnungsbesitzer sollten sich mit dem Gebäude-Energiegesetz und seinen vielen Neuerungen, Ausnahmen und Fördermöglichkeiten rechtzeitig auseinander setzen.
Ein wirksamer Waldschutz ist jedenfalls umso dringender, seitdem für Deutschland feststeht, dass selbst mit weiteren, derzeit noch nicht einmal implementierten Maßnahmen im Klimasektor "Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF)" weder die für 2030 festgesetzten Zielwerte (- 25 Mio. t CO2e), noch die für 2040 (- 35 Mio. t CO2e) erreicht werden (UBA-Pressemitteilung Nr. 28/2023 vom 22.8.2023). So gilt der Zielwert für 2030 jetzt frühestens für fünf Jahre später als ursprünglich vorgesehen (die LULUCF-Werte sind deshalb negativ, weil sie die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen reduzieren). Hier Angaben der deutschen Treibhausgas-Emissionen (CO2e) für das Jahr 2022 (Quelle: UBA):
Gesamte Treibhausgas-Emissionen ohne LULUCF: 749,9 Mio. t CO2e
Einsparung durch LULUCF: - 4,4 Mio. t CO2e
Tatsächliche Treibhausgas-Emissionen mit LULUCF: 754,3 Mio. t CO2e
Der Ersatz gefällter Bäume durch Jungpflanzen, wie dies bei kommunalen Bauvorhaben oder bei Kompensation von erzeugten Treibhausgasen bei Flugreisen meist erfolgt, schützt das Klima kaum, denn sie können das verloren gegangene Ökosystem für lange Zeit nicht gleichwertig ersetzen. Nochmals zur Erinnerung: Ein junger Baum erbringt seine volle Leistung als grüne Klimaanlage erst nach etwa 20 Lebensjahren. Davor bindet er als junger Baum durchschnittlich nur zwischen 5 und 6 kg CO2 pro Jahr,. Dies ist selbst im Ansatz kein gleichwertiger Ersatz für einen entnommenen älteren oder alten Baum, der der Luft CO2 entnimmt.
Online am 27. August 2022; erfolgte Aktualisierungen: 16.10.2022, 10.11.2022, 1.3.2023, 23.8.2023, 13.10.2023, 29.6.2024, 30.8.2024, 8.10.2024
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Kapitel 13: Maßnahmen zur Emissionsreduzierung
Es besteht kein Zweifel daran, dass zum Schutz unseres Planeten und seiner Bevölkerung kein Weg an einer massiven Reduzierung der von der Menschheit gemachten Treibhausgase vorbeiführt, denn die bisher oft nur halbherzig getroffenen oder gar nur angekündigten Umweltziele reichen nicht aus, die Erderwärmung dauerhaft auf weniger als + 2 °C gegenüber der industriellen Vorzeit zu bringen. Dies gilt in erster Linie für Kohlendioxid (CO2), aber auch für das wesentlich klimapotentere Gas Methan (CH4), für dessen Ausstoß die Landwirtschaft mit Nutztierhaltung in Deutschland beispielsweise im Jahr 2021 zu 56,4 % verantwortlich war. Da CH4 mit durchschnittlich 12,4 Jahren eine deutlich kürzere Aufenthaltsdauer in der Atmosphäre als CO2 besitzt, würden sich Einsparungen bei den Methanemissionen rascher auf die Verlangsamung der Erderwärmung auswirken als CO2-Reduktionen. Auf Initiative der USA und der EU im Vorfeld der UN-Klimakonferenz im Dezember 2021 in Glasgow erklärten sich aus diesem Grund über 100 Länder bereit, den Methanausstoß zu reduzieren. Doch es handelt sich dabei leider um eine enttäuschende Vereinbarung. Denn sie stellt nur eine unverbindliche Selbstverpflichtung der beteiligten Staaten dar; die tatsächliche Umsetzung wird nicht kontrolliert. Außerdem soll CH4 lediglich um 30 % verringert werden, und dies auch nur im Sektor Energie, also bei den CH4-Emissionen aus Förderung und Transport von Erdgas, Kohle und Öl. Die Landwirtschaft, die den Großteil der Methan-Emissionen ausstößt, bleibt in diesem Punkt ungeschoren. Methan scheint immer noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Medien verankert zu sein.
Einige größere Methanemissionen werden, ähnlich wie die Treibhausgas-Emissionen aus dem globalen Flugverkehr und der globalen Schifffahrt, nicht einmal erfasst, weil sie nicht aus nationalen Hoheitsgebieten stammen. Trotzdem sind sie im hohen Maße klimaschädlich. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die am 26. September 2022 in rund 80 m Tiefe entdeckten Gaslecks in den beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2 im Bereich der dänischen Ostseeinsel Bornholm, höchstwahrscheinlich verursacht durch eine Sabotageaktion. Nach ersten Abschätzungen führten die Lecks dazu, dass etwa 0,3 Mio. t CH4 in die Atmosphäre gelangt sind, was etwa 7,5 Mio. t CO2-Äquivalenten (CO2e) entspricht - etwa 1 % der deutschen Jahres-Treibhausgasemissionen (UBA-Pressemitteilung Nr. 41/2022 vom 28.9.2022). Liegen die Lecks auf dänischem Hoheitsgebiet, muss Dänemark die Emissionen seiner Klimabericht-Erstattung zuordnen, liegen sie aber im internationalen Gewässer, erscheinen sie in keiner Emissions-Berichterstattung.
Im April 2022 formulierte ich im Vorwort in der Unterseite „Inhaltsverzeichnis + Einleitung“ dieser Website die Frage, was wohl passiert, wenn Russland als Folge der dort wegen des Ukraine-Krieges zurückgehenden Gasverkäufe für die EU noch mehr als bisher übriges Erdgas abfackelt (weil Förderbohrungen bei einem Abnahmeeinbruch nicht so einfach verschlossen werden können). Fünf Monate später war klar, dass dieses Szenario bereits Wirklichkeit ist. Verlässlichen Berichten zufolge sollen durch das zusätzliche Abfackeln in Russland in der Nähe zur finnischen Grenze täglich rund 9.000 t CO2 mehr in die Atmosphäre gelangen, ohne dass dabei Nutzenergie erzeugt wird. Der Wert des verbrannten Gases beträgt rund 10 Mio. Euro, und zwar täglich!
Auch an anderen Stellen auf der Erde entweicht Methan, ohne dass genau bekannt ist, um welche Mengen es sich handelt. So stellte sich im September 2022 nach Messungen von Flugzeugen heraus, dass in den USA der Methanausstoß beim Abfackeln von ungenutztem Erdgas, bei dem Kohlendioxid entsteht, rund fünf Mal höher als angenommen ist. Das überwiegend aus Methan bestehende Erdgas entsteht als Nebenprodukt bei der Ölförderung; sein Abfackeln ist dann erlaubt, wenn es vor Ort keine Pipeline und keine anderweitige Verwendungsmöglichkeit gibt. Da Methan deutlich klimaschädlicher als CO2 ist, ist es sinnvoller, das Erdgas ungenutzt zu verbrennen anstatt es unverbrannt in die Atmosphäre zu leiten. Dennoch gelangt viel Erdgas in die Luft, weil nicht alles davon verbrennt und weil außerdem viele Fackeln nicht brennen, weil sie ausgegangen sind oder nicht richtig entzündet wurden. So wurden in den USA durch Abfackeln allein im Jahr 2021 rund 144 Mrd. m3 Gas frei. Mit dieser Menge könnte Strom erzeugt werden, der etwa für zwei Drittel des Strombedarfs der EU ausreichen würde. Die Frage muss schon erlaubt sein, warum kurz- und mittelfristig das bei der Ölförderung nach außen strömende Erdgas nicht in Gasmotoren vor Ort verbrannt wird, die wiederum Generatoren zur Stromgewinnung antreiben. Die idealere Lösung auf lange Sicht wäre freilich ein Verschließen eines Großteils der Ölbohrungen ... doch im Moment benötigt die Welt nach wie vor noch riese Mengen Erdöl.
Das neue Klimaschutzpaket der EU-Kommission
Ende 2022 war das neue europäische Gesetzgebungsverfahren „Fit for 55“ abgeschlossen (siehe dazu auch Kapitel 14). Die europäischen Energie- und Umweltminister hatten es im Juni 2022 als umfassendes Umweltschutzpaket auf den Weg gebracht. Zum ersten Mal wurden konkrete Ziele gesetzlich festgelegt:
→ Die EU-Kommission will im Vergleich zu 1990 bis 2030 mindestens 55 % der Treibhausgase einsparen und
→ bis 2050 völlig klimaneutral sein.
Die Umsetzung soll im Wesentlichen durch folgende Maßnahmen gelingen:
· Das EU-Emissionshandelssystem (siehe Kapitel 14) wird verschärft; bisher kostenlose Emissionszertifikate werden abgeschafft; Verkehr, Gebäude und die Schifffahrt (ab 2024) werden neu in den Emissionshandel einbezogen. Schrittweise Einführung einer Steuer für klimaschädliches fossiles Flugbenzin.
· Nach
Beschluss des Europarlaments vom 14.2.2023 in Straßburg als Teil des Pakets "Fit for 55" dürfen ab 2035 keine Autos und leichte Nutzfahrzeuge mehr mit Benzin- oder Dieselantrieb neu
zugelassen werden, sondern nur noch Fahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb. Dies gilt auch dann, wenn sie mit synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) fahren. Aus EU-Sicht bedeutet dies
praktisch das Ende der herkömmlichen Verbrenner-Fahrzeuge zum Jahresende 2024. Als Flottengrenzwert soll der CO2-Ausstoß von PKWs nach der EU alle fünf Jahre verschärft werden. Noch (2024)
liegt er bei 115,1 g CO2 je km pro Fahrzeug, ab 2025 soll er auf 93,6 g/km sinken und 2030 auf nur noch 49,5 g/km. Wird mehr CO2 ausgestoßen, drohen den Herstellern hohe Strafzahlungen. Derart
niedrige Werte sind aber nach Aussage der Autobranche nur zu erreichen, wenn überwiegend E-Autos oder Wasserstoff-Autos mit Null-CO2-Emissionen verkauft werden. Doch der E-Markt stagniert und
Wasserstoff-PKWs haben aktuell erst einen vernachlässigbaren Marktanteil. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die geplante CO2-Verschärfung der EU ab: 58 % von 5.052 Befragten in Deutschland
beantworteten die Frage "Wie bewerten Sie die für 2025 geplante Verschärfung der CO2-Ziele der EU für Neuwagen" mit "eher falsch" (11 %) und "eindeutig falsch" (47 %) (Civey-Umfrage vom
18./19.9.2024). Auf eine erneute Civey-Umfrage Ende November 2024 nach der Bewertung der Forderung des deutschen Bundeskanzlers Scholz an die EU-Kommission, auf Strafzahlungen von
Autoherstellern, die die Flottengrenzwerte für 2025 nicht einhalten, zu verzichten, stimmten 58 % der Befragten mit "eindeutig richtig" bzw. "eher richtig". Dies passt sehr gut zum
Umfrageergebnis von September 2024. Die EU lehnt eine Lockerung der CO"-Grenzwerte bisher ab, weil sie diese als zentralen Baustein für Klimaschutz und zugleich für fairen Wettbewerb sieht.
Auch den CO2-Ausstoß von leichten Nutzfahrzeugen möchte die EU reduzieren, und zwar bis 2030 um rund 50 % im Vergleich zu 2021.
Nach EU-Prognosen könnten die Verkaufszahlen für reine Elektroautos jedoch demnächst wieder steigen und vielleicht 2025 einen Marktanteil von etwa 20 % erreichen. Dann könnten die
Fahrzeughersteller ihre Flottenzielwerte zumindest für 2025 erreichen, so die EU, schließlich würden sie die CO2-Verschärfungen bereits seit 2019 kennen. Es sei aber an dieser Stelle vermerkt,
dass das Unternehmen BMW zuversichtlich ist, die CO2-Vorgaben für 2025 zu schaffen - und sich damit von den anderen KFZ-Herstellern und dem Branchenverband absetzt.
Bereits zugelassene Fahrzeuge dürfen nach dem aktuellen Stand ab dem 1.1.2035 noch weiter mit Benzin oder Diesel betrieben und auch noch als Gebrauchtwagen verkauft werden.
Die EU-Kommission hatte, ebenfalls am 14.2.2023, Vorschläge zur CO2-Reduktion bei Stadtbussen (Citybussen) vorgestellt. Hierfür fordert die EU-Kommission ab 2030 für Neuzulassungen sogar völlig
CO2-freie Stadtbusse, was de facto einem Verbrenner-Aus in diesem Sektor gleichkommt. Der in vielen europäischen Städten zu beobachtende Trend zu CO2-freien Bussen soll mit dem Vorschlag
unterstützt werden. Bei den LKWs und Reisebussen verzichtet die EU auf ein generelles Verbot des Verbrennungsmotors. Stattdessen sollen nach einem Beschluss der Verhandlungsführer des
Europaparlaments und der EU-Mitgliedsstaaten von Januar 2024 die CO2-Flottenwerte von LKWs mit einem Gewicht ab 7,5 t bis 2040 stufenweise wie folgt stärker als bisher vorgesehen reduziert
werden, wobei das EU-Parlament am 13.5.2024 den Plänen final zustimmte (das Vorhaben stand zeitweise auf der Kippe, weil sich die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP erst im letzten
Augenblick auf ihr Ja zu den verschärften Regeln geeinigt hatte):
bis 2030 um 45 % unter den Wert von 2019
bis 2035 um 65 % unter den Wert von 2019, und
bis 2040 um 90 % unter den Wert von 2019.
Außerdem ist vorgesehen, dass neue
Stadtbusse ab 2035 komplett emissionsfrei werden. Es bleibt dabei den Herstellern überlassen, mit welchen
Techniken sie diese Grenzwerte erreichen. Interessant ist, dass im Gegensatz zu den anfänglichen Vorschlägen der EU-Kommission ab 2035 auch sog. Berufsfahrzeuge (z.B. Müllfahrzeuge, Betonmischer,
Feuerwehr) von den neuen Grenzwerten betroffen sein werden. Dies gilt auch für nur in Kleinserien produzierten Sonder-LKWs.
Verständlich, dass sowohl die Transportbranche als auch die LKW- und Bushersteller die EU-Einigung als schwer erreichbar sehen, schon allein deshalb, weil es an alternativen Ladestationen und
Wasserstoff-Tankstellen fehlt. Allein um 2030 das EU-Ziel zu erreichen, müssten, so hört man aus diesen Kreisen, über 400.000 batteriebetriebene Elektro-und Wasserstoff-LKWs in Betrieb und
mindestens ein Drittel aller neu zugelassenen LKWs CO2-frei sein. Andererseits begrüßen die Umweltverbände und Klimaexperten die Grenzwerte. Man darf gespannt sein, wie die neuen EU-Vorgaben
umgesetzt werden und ob es gelingen wird, die derzeit hohen Verkehrsemissionen in Europa - vor allem in Deutschland -
deutlich abzusenken.
· Auf energieintensive Produkte vorwiegend aus der Stahl- und Energieindustrie, die in die EU eingeführt werden, wird ein CO2-Preis (CO2-Grenzausgleich) erhoben. Damit wird verhindert, dass europäische Unternehmen, die dem Emissionshandel unterliegen, bei Importen aus dem EU-Ausland benachteiligt werden bzw. dass die klimaschädliche Herstellung von Produkten einfach ins Ausland verlagert wird.
· Der Anteil erneuerbarer Energie am Gesamt-Energieverbrauch der EU soll vom bisherigen Ziel für das Jahr 2030 von 32 auf 40 % angehoben werden (der derzeitige Anteil in der EU beträgt etwa 20 %); die Bedingungen für den Start der Herstellung von grünem Wasserstoff, vor allem in Industrie und im Verkehr, werden verbessert. Was die Stromerzeugung betrifft, so kamen schon im Jahr 2022 rund 22 % der Elektrizität (2021: 19 %) in der EU aus Solar- und Windkraft, während nahezu 20 % aus Erdgas stammten. Der Anteil der Wind- und Solarenergie am deutschen Strommix ist allerdings noch geringer als der in anderen EU-Staaten.
· Der Kommissionsvorschlag sieht ein Gesamtziel für den CO2-Abbau durch Moore, Wälder und andere Naturflächen vor. Bis 2030 sollen 310 Mio. t CO2 von diesen drei Senken aufgenommen werden.
· Die EU-Staaten müssen Energie besser nutzen und (nach einer Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 8. November 2022) ihre klimaschädlichen Emissionen in bestimmten Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwesen bis 2030 schneller senken. Von der Wirtschaftskraft der einzelnen Staaten der EU hängt es ab, wie streng die Vorgaben sind. Die Reduktionsziele Deutschlands als die größte Volkswirtschaft Europas wurden von 38 auf 50 % angehoben, für das arme Bulgarien gilt ein Ziel von lediglich 10 %. Bei den fossilen Heizungen wird die EU demnächst bei ihren eigenen rund 130 Mio. Gebäuden Klimavorgaben beschließen und damit nach Vorgabe des EU-Industrieausschusses das Ende fossiler Heizsysteme einläuten. So sollen ab 2035 keine neuen Gaskessel mehr in Gebäude verbaut werden, ab 2050 soll dann der Gebäudebestand in der EU klimaneutral sein.
Die Umsetzung der ehrgeizigen EU-Klimaschutzpläne wird zum Teil auf mehrere Jahre gestreckt, damit Übergangsfristen möglich sind. Die Gesetzgebung selbst wird einige Jahre in Anspruch nehmen. Anpassungen sind nicht ausgeschlossen.
Ein entscheidendes Instrument zur Kontrolle der Wirkung der Klimavorgaben der EU ist die sog. Lastenverteilungsverordnung ESR (für Effort Sharing Regulation) aus dem Jahr 2022. Unter diese Verordnung entfallen rund 60 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen der EU. Nach ihr ist jedes EU-Mitgliedsland zur Reduzierung seiner Treibhausgase bis 2030 verpflichtet. Um dies entsprechend überprüfen zu können, muss jedes Mitgliedsland jedes Jahr einen Nationalen Energie- und Klimaplan vorlegen. Deutschland hat dies bereits 2020 getan und seine Aufstellung im August 2024 aktualisiert. Bereits 2023 war die EU-Kommission jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass das deutsche Papier den Anforderungen des EU-Rechts nicht genügt. Die Deutsche Umwelthilfe DUH kritisierte auch den aktuellen deutschen Energie- und Klimaplan von August 2024 und hat Ende Oktober 2024 eine Klimaklage eingereicht (siehe Kapitel 16).
Die Situation in Deutschland
Da Deutschland seine Klimaziele seit Jahren in einzelnen Sektoren zum Teil deutlich verfehlt und die EU-Kommission das oben erwähnte neue Klimaschutzpaket vorgelegt hat, musste die Bundesregierung - nicht zuletzt auf Druck des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 - seine Klimaschutzvorgaben nachschärfen. Die entsprechende Gesetzesnovelle wurde am 24. Juni 2021 im Bundestag beschlossen und passierte einen Tag später auch den Bundesrat. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Begründung vom Staat verlangt, dafür zu sorgen, dass Kinder und die derzeitige junge Generation künftig nicht unter unverhältnismäßigen Einschränkungen ihrer Freiheitsgrundrechte zu leiden haben (siehe auch Kapitel 16). In weiten Bevölkerungskreisen, in der Politik und in der Industrie fehlt diese Haltung bedauerlicherweise noch immer.
In dem geänderten deutschen Klimaschutzgesetz ist festgeschrieben, dass bis 2030 der Treibhausgas-Ausstoß mit 438 Mio. t CO2e gegenüber 1990 um 65 % verringert werden muss (2021 betrug der Ausstoß noch 760 Mio. t CO2e, im Jahr 2022 waren es mit 750 Mio. t CO2e 1,3 % weniger als 2021 und um rund 40 % weniger im Vergleich zu 1990; alle Werte nach UBA). Dies sind noch rund 10 % mehr als vorgesehen. Es betrifft alle wichtigen Sektoren, also Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft. Seit 2022 soll der Expertenrat für Klimafragen alle zwei Jahre ein Gutachten über das jeweils Erreichte und die voraussichtlichen Trends vorlegen. Bei Nichteinhaltung der Emissions-Budgets muss die Bundesregierung nachsteuern oder hohe Strafgebühren bezahlen. Das Mitte April 2024 von der Bundesregierung nach langer Diskussion endlich beschlossene sog. Solarpaket sieht vorwiegend auf Treiben der FDP eine wesentliche Änderung vor: Die einzelnen der in diesem Absatz aufgeführten CO2-Sektorziele werden zugunsten eines gemeinsamen Treibhausgas-Summenwertes abgeschafft. Dies bedeutet, dass z.B. die seit Jahren zu hohen Emissionsziele des Verkehrs durch Emissionsverbesserungen anderer Bereiche ausgeglichen werden können. Ob diese damit einverstanden sind, ist allerdings zweifelhaft. Ganz abgesehen davon gelten auf EU-Ebene weiterhin Sektorziele. Sorgt Deutschland also nicht für Verbesserungen im Sektor Verkehr, sind milliardenschwere Strafzahlungen fällig. Es ist völlig offen, wie Deutschland sein Gesetz von mindestens 65 % CO2-Reduktion gegenüber 1990 erreichen will, wenn ein derart massiver CO2-Emittent wie der Verkehrssektor quasi außen vor bleibt. Immerhin hat der Verkehr im Jahr 2023 knapp 13 Mio. t CO2 zu viel ausgestoßen...
Für das Jahr 2040 gilt nach den aktuellen Plänen ein Minderungsziel von mindestens 88 %; bis 2045 soll Deutschland dann ganz treibhausgasneutral sein (Bayern bereits 2040). Treibhausgasfrei bedeutet, dass Gleichheit zwischen den Treibhausgas-Emissionen und deren Abbau erreicht wird. Für die Zeit nach 2050 werden sogar negative Emissionen angestrebt. Dies heißt, dass mehr Treibhausgase von natürlichen Senken aufgenommen (und/oder von unterirdischen Speichern aufgenommen) werden als das Land ausstößt. Voraussetzung dafür ist freilich ein gut koordiniertes und sehr gut funktionierendes Instrumentenmix auf europäischer und deutscher Ebene.
Maßnahmen zur Treibhausgas-Reduzierung (nicht nur in Deutschland)
Maßnahmen zur Reduzierung der für den Klimawandel verantwortlichen Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger ergeben sich aus vielen Ausführungen in den voranstehenden Kapiteln. Sie werden unter anderem in Form der täglichen Berichte und Kommentare in den Medien thematisiert und müssen deshalb an dieser Stelle nicht im Detail wiederholt werden. Ich beschränke mich daher nachfolgend auf eine Liste mit einigen aus meiner Sicht wichtigen potentiellen Verbesserungsmaßnahmen in den verschiedenen Emissions-Sektoren zur Erreichung der deutschen Klimaziele. Natürlich sind zum Teil erst die technischen, vor allem auch finanziellen Voraussetzungen für die Umsetzung zu schaffen. Doch die Alternative – nämlich nichts zu tun und dem Klimawandel seinen weiteren Lauf zu lassen – darf angesichts der drohenden massiven Konsequenzen der sich beschleunigenden Erderwärmung wirklich nicht zur Diskussion stehen. Die Erderwärmung nimmt nämlich mittlerweile mit einer Geschwindigkeit von nahezu 0,3 °C je Jahrzehnt zu; im Zeitraum 1901 bis 1950 waren es nur etwa 0,1 °C je Jahrzehnt. Auf der Messstation auf Hawaii wurde im Mai 2023 ein CO2-Durchschnittswert von 424 ppm gemessen, rund 3 ppm mehr als noch einen Monat davor. Aktuell, am 13.7.2024, waren es bereits 427,37 ppm (siehe auch Kapitel 3, Tabelle 1). Diese Zahlen geben zu denken.
Verkehr und Transport:
Kraftwerke (Energieerzeugung):
Flugverkehr und Schiffsverkehr:
Häuser, Gebäude, Heizung:
Erneuerbare Energien:
Sonstiges:
Wasserstoff – wichtiges Element der Energiewende
Grüner Wasserstoff ist, wie in Kapitel 10 und in diesem Kapitel mehrfach erwähnt, eine reale Option in der Energieversorgung und damit ein wichtiger Baustein bei der Energiewende, denn eine Klimaneutralität wird allein mit einem noch so massiven Ausbau von PV-und Windkraftanlagen kaum gelingen. Die Zahl seiner Befürworter nimmt zu, doch wegen der noch extrem hohen Produktionskosten - sie sind aktuell etwa drei Mal höher als für konventionellen (grauen) Wasserstoff - und des gewaltigen Stromverbrauchs bei der Herstellung von grünem Wasserstoff werden auch skeptische Stimmen laut. Fakt ist, dass grüner Wasserstoff fast überall, beispielsweise im Verkehr, beim Antrieb großer Seeschiffe oder in der Industrie, vor allem in der Stahl-, Zement- und Ziegelherstellung, fossile Brenn- und Treibstoffe dort ersetzen könnte, wo eine direkte Elektrifizierung nicht realisierbar ist, siehe die Anmerkungen dazu weiter oben (Bild 40). Das derzeitige Kostenniveau wird allerdings mit Beginn einer Wasserstoffherstellung im großen Maßstab sinken und wettbewerbsfähig werden. Nicht wegzureden ist freilich die geringe Effizienz der Wasserstoffnutzung für die verschiedenen Anwendungsfelder. Durch die benötigten Umwandlungsstufen geht viel Energie verloren; besonders viel ist es bei Wasserstoff-Brennstoffzellen-PKWs mit den Umwandlungsstufen von der Sonne zu Strom, vom grünen Strom zu Wasserstoff und in der Brennstoffzelle vom Wasserstoff wieder zu Strom.
Wasserstoff gilt als d e r Energieträger der Zukunft, doch seine Herstellung über die Elektrolyse von Wasser oder die Methan-Reduktion ist aufwändig und damit teuer. Fast eine Sensation war deshalb der Anfang 2024 bekannt gewordene Bericht eines Wissenschaftlerteams der Universität Grenoble-Alpes. Es hatte in einem nahe von Tirana in Albanien gelegenen Bergwerk Indizien für ein großes Wasserstoff-Reservoir im Untergrund gefunden. Genauere Nachmessungen in den Schächten der Mine mit einem Netzwerk von Wasserstoff-Sensoren und Durchflussmessern über mehrere Jahre hinweg führten die Forscher zu der Schlussfolgerung, dass die Mine jährlich mindestens 200 t Wasserstoff freisetzt. Diese Zahl gilt aber nur für die tatsächlich überwachten Messstellen und stellt deshalb auch nur einem Bruchteil der gesamten aus der Mine austretenden Gase dar, die fast nur aus reinem Wasserstoffgas bestehen. Nach Hochrechnungen der Wissenschaftler könnten allein unter dem albanischen Bergwerk zwischen 5.000 und 50.000 t Wasserstoff gespeichert sein (Podbregar, 2024).
Ob sich dies bestätigt, und ob und wie man den Wasserstoff aus diesen und evtl. weiteren geologischen Formationen kommerziell rentabel extrahieren könnte, werden weitere Forschungen und die Suche nach anderen geeigneten Formationen zeigen müssen. Doch noch eine andere Alternative erscheint sinnvoll und durchaus relativ rasch realisierbar. In zahlreichen PV-Anlagen wird die maximal erzeugte Strommenge auf 70 % begrenzt. Windkraftanlagen werden an sonnenreichen Tagen, wenn die privaten PV-Anlagen und PV-Farmen ohnehin "zu viel" Strom produzieren, abgeregelt bzw. abgestellt (die Betreiber bekommen dafür einen finanziellen Ausgleich). Dies erfolgt nur, weil der erzeugte grüne Strom nicht abgenommen werden oder das lokale Stromleitungsnetz ihn nicht aufnehmen bzw. weiterleiten kann. Diese unbefriedigende und reichlich unwirtschaftliche Situation könnte vermieden werden, wenn mit dem überschüssigen Strom in lokalen Elektrolyse-Anlagen grüner Wasserstoff erzeugt würde. Dieser Wasserstoff könnte dann beispielsweise der örtlichen Industrie oder Wasserstoff-Tankstellen in der Umgebung zur Verfügung gestellt werden.
Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind Elektrofahrzeuge und erzeugen keine Abgase, sondern nur kondensiertes Wasser (grüner Wasserstoff könnte auch direkt in Wasserstoff-Verbrennungsmotoren, vom PKW über den Schwerlastverkehr bis hin zu großen Seeschiffen, verbrannt werden). So waren auf der Messe IAA Transportation Mitte September 2022 in Hannover unter anderem Prototypen eines 15-Tonnen-Nutzfahrzeuges mit einer 80-kW-Brennstoffzelle und 30 kg Wasserstoffkapazität und eines 44-Tonnen-Schwerlast-Sattelzugschleppers des 2019 gegründeten Unternehmens Quantron aus Gersthofen bei Augsburg zu sehen. Der 15-Tonner kann im Solobetrieb bis zu 500 km weit fahren, der H2-Sattelschlepper bis zu 700 km, in einer größeren Version für den US-Markt mit einem 80 kg-Wasserstofftank sogar bis zu 850 Meilen (ca. 1.360 km). Ende 2022 erhielt Quantron vom US-Logistikunternehmen TMP einen Milliarden-Auftrag über die Lieferung von bis zu 500 Quantron-Brennstoffzellen-LKWs, doch das Rahmenabkommen ruht derzeit wegen finanzieller Schwierigkeiten des Unternehmens; seit Ende Oktober 2024 befindet es sich im vorläufigen Insolvenzverfahren. Das vorgesehene Fahrzeug basiert auf einem MAN TG3, dessen Diesel-Antriebseinheit ausgebaut und durch einen Brennstoffzellen-Antrieb ersetzt wurde. Der Antrieb soll durch zwei neu entwickelte Ballard-Brennstoffzellen von je 120 kW Leistung und einer integrierten 420 kW starken E-Achse erfolgen. Die vollständig ins Chassis integrierten Wasserstofftanks fassen bis 54 kg Wasserstoff. Beide Fahrzeuge dürften anfangs noch mit sog. grauem, aus Erdgas entstandenem und damit klimaschädlichen Wasserstoff fahren.
Ein anderer Aussteller präsentierte auf der gleichen Messe einen umgebauten LKW, ebenfalls unter dem Motto "Diesel raus - Brennstoffzelle rein". Auch bei dieser Variante ist der Verbrennerstrang durch Brennstoffzellen-Technik und einer E-Achse ersetzt. Die elektrische Leistung für die zwei Radmotoren mit je 2 x 140 kW (2 x 190 PS) bezieht der umgerüstete LKW aus einer 240 kW-Wasserstoff-Brennstoffzelle, unterstützt durch einen Batteriespeicher mit einer Kapazität von 100 kWh. Der Tank fasst 42 kg Wasserstoff bei 350 bar Druck. Die Reichweite liegt bei etwa 500 km.
Der Tiroler Lebensmittel-Großhändler Mpreis betreibt seit Anfang 2023 den ersten von 70 bestellten wasserstoffbetriebenen Hyzon-Schwerlast-Sattelschleppern vom Typ Hymax 250 und beliefert damit seine Filialen, die zwischen der Firmenzentrale in Völs bei Innsbruck und Kufstein liegen. Der H2-Sattelschlepper wiegt ohne Aufleger 19 t. Er besitzt eine 120-kW-Brennstoffzelle und einen 250-kW-Peak-E-Motor. Der Tank enthält etwa 39 kg Wasserstoff, vollgetankt ist er nach rund 11 Minuten. Die Reichweite liegt bei 450 km plus 60 km Batterie-Reichweite. Den grünen Wasserstoff für das Fahrzeug, das als Fahrzeugkombination auf 40 t kommen kann, stellt Mpreis selbst her und hat dafür in Völs eine eigene Elektrolyseanlage und eine Wasserstoff-Tankstelle errichtet. An der Tankstelle können täglich etwa 40 H2-LKWs betankt werden.
Einen ähnlichen 40-Tonner-Brennstoffzellen-Hyzon-LKW at seit Anfang 2023 auch der deutsche Logistikdienstleister DB Schenker im im täglichen Verkehr zwischen seinem Firmensitz in Köln und dem belgischen Eupen in Betrieb. Dieser erste in Deutschland eingesetzte und für den regulären Betrieb zugelassene H2-Truck in dieser Gewichtsklasse ist vom Unternehmen Hylane geleast. Der Logistikkonzern gibt als Reichweite etwa 400 km an. Auch das Unternehmen Daimler Truck hat - im Juli 2024 - seine ersten Wasserstoff-LKWs mit Brennstoffzellenantrieb zu Testzwecken an fünf Transportunternehmen für den Güter-Fernverkehr übergeben. Im Gegensatz zu Brennstoffzellen-LKWs anderer Hersteller setzen die Daimler Truck-LKWs nicht auf H2-Druckgastanks, sondern tanken verflüssigten Wasserstoff.
Der Allgäuer Landtechnikhersteller Fendt beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung von Wasserstoff-Traktoren und hat im Frühjahr 2023 seine ersten Prototypen mit Brennstoffzellen präsentiert. Die ersten Vorserienfahrzeuge sind Teil des H2-Agrarprojektes des Landes Niedersachsen; sie gehen ins Emsland, wo sie von einigen Landwirten für die tägliche Feldarbeit eingesetzt werden. Ein Windpark erzeugt dort nachhaltigen Strom, ein Elektrolyseur für die Produktion von grünem Wasserstoff und eine H2-Tankstelle, bei der erstmals auch Traktoren betankt werden können, sind einsatzbereit. Das Unternehmen rechnet allerdings damit, dass es noch bis zum Ende dieses Jahrzehnts dauern wird, bis H2-Großtraktoren tatsächlich serienreif sind.
Diese wenigen von vielen bekannt gewordenen Beispielen mögen aufzeigen, dass mit grünem Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen-Nutzfahrzeuge keine Utopie mehr sind, sondern anfangen, sich frühzeitig einen gewissen Markt zu erobern - auch wenn die nötige Wasserstoff-Infrastruktur bisher noch fehlt.
Als Beispiel für Wasserstoff-Verbrennungsmotoren nach dem Dieselprinzip als Antrieb moderner Nutzfahrzeuge seien hier die Entwicklungen des Münchner Unternehmens Keyou genannt. Keyou hatte bereits 2022 auf der IAA Transportation Prototypen eines 18 t-LKWs und eines 12 m-Stadtbusses präsentiert. Beide Fahrzeuge werden mit je einem 7,8 l-Wasserstoffmotor mit einer Leistung von 210 kW (286 PS) angetrieben und sollen über 500 km Reichweite erreichen. Die ersten acht H2-LKWs werden Ende 2023 bei Pionierkunden in den Alltagsbetrieb integriert. Erster Kunde war die Regensburger Spedition EP-Trans, die 2023 auf der Messe Transport Logistic den Vertrag für die ersten beiden 18-Tonner-H2-LKWs unterschrieb.
Grüner Wasserstoff bietet sich zur Dekarbonisierung vieler Bereiche in der Schwerindustrie an. Allein die Stahlindustrie ist in Deutschland aktuell für etwa 30 % des industriellen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Ein Beispiel: Dort wo bisher bei der Herstellung von Roheisen Kohlenstoff dem Eisenerz den Sauerstoff entzieht und dabei große Mengen an CO2 freisetzt, könnte diese Aufgabe künftig von grünem Wasserstoff übernommen werden. Ähnliche Anwendungsgebiete gibt es in der Zementindustrie (die Herstellung von 1 t Zement verursacht bis zu 600 kg CO2; die weltweite Zementproduktion ist für vier Mal so viel CO2 verantwortlich wie der gesamte internationale Flugverkehr) und in Gießereien.
Grüner Wasserstoff wird künftig auch im Wärmemarkt als Alternative zu Wärmepumpen eine Rolle spielen. Bereits heute gibt es "H2-ready"-Gasheizungen, die mit 20 % Wasserstoff-Zumischung betrieben werden. Man erwartet, dass ab 2025 Gasheizungen für 100 % Wasserstoff angeboten werden. Dafür müssen nicht nur wind- und sonnenreiche Regionen (und Länder) in die H2-Produktion einsteigen, sondern auch ein H2-fähiges Leitungsnetz geschaffen werden, z.B. vom Norden Deutschlands in den Süden oder, international gesehen, vom sonnenreichen Mittelmeerraum in den Norden. Die deutsche Ampelregierung möchte im Sommer 2023 Pläne zum Aufbau eines Hauptleitungsnetzes für grünen Wasserstoff vorlegen. Offen ist dabei noch, wer dieses Netz bezahlen soll.
Denkbar ist es auch, zur Sicherung der Stromversorgung in künftigen Gaskraftwerken statt Erdgas klimaneutralen grünen Wasserstoff zu verbrennen. Wo heute noch grauer, d.h. aus Erdgas produzierter Wasserstoff verwendet wird, muss auf grünen Wasserstoff gewechselt werden. In Deutschland wird derzeit jährlich erst etwa 1,65 Mio. t Wasserstoff verbraucht, vor allem durch die chemischen Industrie. Das Allermeiste davon wird mit Hilfe von viel Energie aus einem Ausgangsstoff, z.B. Methan, abgespalten und ist deshalb schädlich für das Klima.
Noch fehlen neben den Verteilnetzen ausreichend Elektrolyseanlagen, in denen der grüne Wasserstoff vom Herstellungsort zum Nutzer gepumpt wird. Doch es gibt bereits erste vielversprechende Schritte zur Verbesserung der Situation. So ging Mitte September 2022 in Wunsiedel Bayerns bisher größter Elektrolyseur, eine privatwirtschaftliche 20-Millionen-Euro-Anlage, in Betrieb. Mit einer elektrischen Leistung von 8,75 MW sollen dort anfangs jährlich 1.350 t grüner Wasserstoff erzeugt werden können.
Das deutsche Wasserstoffnetz soll bis 2030 ungefähr 5.100 km lang werden, wobei etwa 3.700 km davon auf bereits bestehenden, für Wasserstoff umzurüstende Erdgasleitungen basieren. Vorstellbar ist, dass direkt neben beispielsweise Chemiewerken und anderen Wasserstoff-Großverbrauchern entsprechende Elektrolyseure gebaut werden, so dass vor Ort keine langen Transportleitungen notwendig werden. Doch selbst wenn einmal genügend Wasserstoffleitungen und zahlreiche Elektrolyseanlagen im Lande existieren, wird Deutschland grünen Wasserstoff zukaufen müssen. So gilt das im August 2022 mit Kanada geschlossene Bündnis zur Erzeugung und dem Transport von grünem Wasserstoff bei der Bundesregierung als ein Meilenstein. Weitere derartige Vereinbarungen mit Ländern wie Schottland, Tunesien, Australien oder Chile, die aufgrund ihrer großen Offshore-Wind- bzw. Solarparks erneuerbaren Strom bzw. direkt grünen Wasserstoff in großen Mengen und relativ preisgünstig produzieren könnten, müssen folgen.
Illusion oder Option für die nahe Zukunft: „Einfangen“ und unterirdische Speicherung von CO2
Prinzipiell ist eine CO2-Entfernung dadurch möglich, dass das Gas aus der Luft oder, noch besser, mit technischen Hilfsmitteln gleich unmittelbar am Kaminaustritt von Industrieanlagen, z.B. Kohlekraftwerken, abgeschieden, unter Druck verflüssigt und dauerhaft unterirdisch eingelagert wird (storage). Die Speicherung ist beispielsweise in leeren Gas- oder Erdöllagerstätten, in salzwasserführenden Gesteinsschichten oder im Meeresgrund denkbar. Es handelt sich dabei um ein CO2-Abscheide-Verfahren, denn die eigentliche Entstehung von CO2 wird dadurch nicht vermieden. Dies heißt aber auch, dass durch das Abscheide-Verfahren der CO2-Gehalt der Atmosphäre unverändert bleibt. Damit der CO2-Gehalt der Luft reduziert wird, müsste also das zu speichernde CO2 bzw. sein Kohlenstoffanteil direkt aus der Atmosphäre geholt werden. Berechnungen dazu haben gezeigt, dass zur Einhaltung der Erderwärmung auf + 1,5 °C bis zum Jahr 2100 theoretisch bis zu 400 Gigatonnen (Gt) CO2 (mit 109 Gt Kohlenstoff) aus der Luft entfernt werden müssten. Um dies technisch ausschließlich mit einer CO2-Entnahme aus der Atmosphäre zu erreichen, müssten 16.000 Anlagen mit der gleichen Leistung, wie sie die derzeit größte geplante haben soll (500.000 t CO2 pro Jahr), 50 Jahre lang hintereinander arbeiten! Die dabei entstehenden Kosten sind mit bis zu 1.000 US-$ je Tonne eingespeichertes CO2 enorm!
Diskutiert wird das Verfahren schon seit mindestens zwei Jahrzehnten (z.B. Ginsky et al., 2011), vermutlich schon noch länger. In der Fachsprache spricht man von „Carbon Capture and Storage“ (CCS), also von „CO2-Abscheidung und -Speicherung“. Bis zur praktischen Realisierung dieser Technologie, die in Deutschland bislang ebenso verboten ist (Ausnahme: Forschungsvorhaben) wie der Export von CO2, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern. Vor allem die Grünen waren jahrelang gegen die Anwendung von CCS in Deutschland, zumal erste Ergebnisse von kleineren Pilotanlagen nicht allzu überzeugend ausfielen (Spiegel-Klimabericht, 2.9.2022). Ernstzunehmende Umweltrisiken wie CO2-Leckagen aus den Speichern in die Umwelt, Versauerung und/oder Verschmutzung von Grundwasser, Freisetzung von Schadstoffen im Untergrund, sogar Auslösung von Erdbeben, weniger Interesse an Investitionen in die Entwicklung sauberer Technologien zur CO2-Minimierung oder Einschränkung der Nutzung weiter Bereiche des tiefen CO2-Untergrunds durch andere sinnvolle Nutzungen (Geothermie, Erdgasspeicherung) sind nicht auszuschließen. Es gibt außerdem kaum verlässliche Aussagen über die Eignung und Sicherheit geologischer Speicherformationen, zumindest nicht in Deutschland. Auch das Umweltbundesamt (UBA) zeigte sich bisher skeptisch: "Wenn wir es nicht schaffen, von den fossilen Energieträgern wegzukommen, wird uns CCS nichts nützen. .. Es ist kein Allheilmittel für den Klimaschutz" (UBA-Pressemitteilung vom 25.9.2023).
Schon bei der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai im Dezember 2023 war dagegen vor allem von den ölfördernden Ländern immer wieder zu hören, dass man bei einer unterirdischen bzw. untermeerischen Einbringung von CO2 nicht aus der fossilen Energie aussteigen müsse, dass quasi im Moment alles so bleiben könne wie es ist. Das Argument: Es spiele keine Rolle, wenn das 1,5 °C- oder auch das 2°C-Ziel nicht erreicht wird, denn man könne ja Jahrzehnte später nachträglich durch CCS oder verwandte Techniken überschüssiges CO2 aus der Luft entfernen. Zu Recht bezeichnet die Fachwelt diesen Ausweg , "Klima-Overshoot" genannt, als Selbsttäuschung und als reine Ausrede dafür, keine zeitnahen effizienten CO2-Einsparmaßnahmen ergreifen zu müssen. Was meist nicht bedacht wird: Übersteigt die dauerhafte Erderwärmung 1,5°C (was beim heutigen Stand als sicher gilt) oder erst Recht 2°C, kann dies dazu führen, dass die drohenden Klima-Kipppunkte (siehe Kapitel 8) schneller als befürchtet erreicht werden. Dann nützen selbst die besten CO2-Minderungstechniken nichts mehr, weil die dann ausgelösten Vorgänge unumkehrbar sind. Beispiele: Auftauende Permafrostböden könnten Milliarden Tonnen Treibhausgase, vor allem Methan, und andere Schadstoffe freisetzen; bricht der Grönländische Eisschild zusammen, kann er nicht mehr regeneriert werden; verwandelt sich der amazonische Regenwald in eine Savanne, wird er nie wieder zum CO2-abbauenden Regenwald; steigende Meeresspiegel werden zu einem Dauerprozess (Auer, 2024).
Zusammenfassend kann gesagt werden: Zu energieaufwändig, ohne staatliche Förderung viel zu teuer, zu riskant und noch nicht marktreif ist das Verfahren. Derzeit entnehmen Maßnahmen wie das CCS weltweit erst lediglich 0,000025 % der durch fossile Energieträger verursachten Emissionen (www.tagesschau.de, 5.12.2023), dürften somit mittelfristig keine wesentliche Rolle spielen. Trotzdem wurde 2023 eine überraschende Kehrtwende der deutschen Regierung bekannt. Da die Klimaziele mehrfach verfehlt wurden, regte das Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium (Robert Habeck) im Februar 2024 an, sich mit CCS trotz aller Bedenken näher zu befassen. Der Vorteil des Verfahrens wäre, so heißt es, dass gewisse deutsche Industriebetriebe, z.B. die Zementindustrie, CO2 und andere Treibhausgase wie bisher weiter ausstoßen dürfen, aber trotzdem klimaneutral werden könnten. Zitat von Robert Habeck bei seinem Besuch im Januar 2024 in Norwegen, das Land das als weltweiter Vorreiter der CCS-Technik gilt: "Kohlendioxid im Boden ist allemal besser als in der Atmosphäre". Im September 2024 wurde es noch konkreter. In einem umfangreichen Strategiepapier des Umwelt- und Wirtschaftsministeriums werden für Deutschland bis spätestens 2030 drei CO2-Abscheidevorhaben angekündigt: Je eines in einer Zement- bzw. Kalkfabrik und ein drittes in einer Müllverbrennungsanlage. Dies kommt einem (weiteren !) Bruch des bisherigen grünen Klima-Tabus gleich, denn jahrelang lehnten nicht nur Robert Habeck in seiner Zeit als ehemaliger Umweltminister von Schleswig-Holstein, sondern auch Umwelt- und Bürgerverbände das CCS-Verfahren strikt ab.
Ich zähle seit langem zu denen, die in CCS einen großen Nachteil beim Klimaschutz sehen, auch wenn es das Verfahren vielen Betreibern von Gaskraftwerken, die eigentlich abgeschafft werden müssten, ermöglicht, ihre CO2-Emissionen in den Boden zu entsorgen. Mehrere Länder werden wahrscheinlich nicht auf CCS verzichten. Ein Beispiel dafür ist China: Das Land hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden, wird aber trotzdem nicht auf seine klimaschädlichen Kohle- und Gaskraftwerke verzichten. Klimaneutralität gelingt China nur mit Hilfe der CCS-Technik: Kohle- und Gaskraftwerke und dazu noch fragwürdige CCS-Anlagen - ein wahrer Alptraum für jeden klimabewussten Menschen!
Trotz aller Bedenken stellte das Bundeswirtschaftsministerium Ende 2022 klar, dass die CCS-Technik mittlerweile "ausgereift und nötig" sei, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Tatsächlich wird die theoretische CO2-Speicherkapazität in Deutschland an Land und im Meeresgrund von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf maximal 100 Mrd. t CO2 geschätzt. Dies würde - theoretisch - zwar ausreichen, um die gesamten deutschen CO2-Emissionen des Jahres 2023 (ca. 583 Mio. t) 170 Mal einzulagern. Doch völlig unklar ist bis heute, wie viele Böden unter Land und Meer sich für eine sichere, also gefahrlose CO2-Einlagerung eignen würden.
Die Bundesregierung kann sich vorstellen, künftig zwischen 34 und 73 Mio. t CO2 von Unternehmen mit nicht vermeidbaren Klimagasen (vor allem Zement-, Kalk- und Glasindustrie) mehrere 100 m tief in den Boden einzulagern (Hummel, 2022). Man darf gespannt sein, ob und wie sich diese Pläne weiter entwickeln. Die EU hält bezüglich CCS einen klaren Kurs ein: Wenn überhaupt, darf es Technologien wie CCS nur für die Schwerindustrie geben.
Es gibt bereits kleinere Pilotprojekte, allerdings nicht in Deutschland. So startete beispielsweise Dänemark im März 2023 im ausgeförderten Ölfeld Nini-West in der dänischen Nordsee unter dem Projektnamen Greensand die europaweit erste CO2-Einspeicherung in den Nordseegrund. Zentrale Beteiligte sind die BASF-Tochter Wintershall Dea und die britische Ineos als Betriebsführerin; außerdem wirken rund 20 Start-Ups und Dänemarks geologisches Forschungsinstitut GEUS mit. Von einem großen Durchbruch für den Klimaschutz kann man freilich selbst beim vollständigen Gelingen des Vorhabens nicht sprechen, denn ab 2025/26 könnten höchstens 1,5 Mio. t CO2 jährlich eingespeichert werden, in der letzten Ausbaustufe ab 2030 immerhin rund 8 bis möglicherweise 13 Mio. t CO2. Relativierend sei hier angemerkt, dass Dänemark im Jahr 2023 insgesamt lediglich knapp 27 Mio. t CO2 emittierte - da wären 13 Mio. t eingelagertes CO2 schon die Hälfte. Auch Norwegen investiert unter Führung von Wintershall Dea und dem norwegischen Energiekonzern Equinor in die CO2-Reduzierung durch das CCS-Verfahren: 2024 soll damit begonnen werden, verflüssigtes CO2 unter dem Meeresboden vor der norwegischen Küste einzubringen. Es ist eine etwa 900 km lange CO2-Pipeline von Deutschland nach Norwegen geplant. Seit Anfang 2023 besteht eine Energiepartnerschaft zwischen den beiden Ländern.
Eleganter und sinnvoller als das "Einfangen" und bloße "Verstecken" von CO2 im Boden wären echte klimafreundliche Konzepte für die Verwendung von abgeschiedenem CO2 aus der Luft bzw. aus Abgasen der Industrie. Möglichkeiten im technischen Bereich gäbe es genug - z.B. Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus CO2, CO2 zur Kühlung als Trockeneis, als Kohlensäure in Getränken, in Feuerlöschern, Schutzgas beim Schweißen usw.
Bürden wir mit CCS, das mit hohen politischen, juristischen, finanziellen und geologischen Hürden verbunden ist, unseren nächsten Generationen nicht so etwas wie eine tickende Zeitbombe im Boden bzw. im Meeresgrund auf? Deshalb: Das sofortige Einsparen und Vermeiden von CO2 muss klar im Vordergrund stehen, nicht das Einfangen und Einspeichern von freigesetztem fossilem CO2 aus (wenigen ?) Industriefeldern. Jedes Einbringen von CO2 in unterirdische Speicher bedeutet großräumige technische Eingriffe in unser äußerst komplexes Klimasystem. Ja, die Vorstellung, dass die Menschheit das 2 °C-Ziel zunächst verfehlt (das 1,5 °C-Ziel ohnehin), aber den bisherigen Zustand nachträglich durch technische Verfahren trotzdem noch erreicht, klingt verlockend. Doch dabei wird vergessen, dass ein Stopp der Erderwärmung allein durch CCS selbst in mehreren Jahrzehnten kaum realisierbar sein dürfte.Die Welt muss jetzt deutlich weniger CO2 produzieren. Ja, mit technischen Methoden kann man die emittierten Treibhausgase in der Luft reduzieren, aber für immer verschwunden sind sie nicht, wenn sie im Boden eingelagert werden.
Unverzichtbar: Das persönliche Verhalten zählt
Meine Sorge ist, dass die aktuellen Vorgaben der EU und auch die der deutschen Bundesregierung für die Jahre 2030, 2045 und 2050 trotz steigender Nachfrage nach Wärmepumpen, PV- und Solaranlagen, E-Autos, Windkraftanlagen und staatlicher Förderungen nicht erreicht werden können. Damit dürfte auch das 2,0 °C-Ziel verfehlt werden, ganz zu schweigen vom 1,5 °C-Temperaturziel. Unverzichtbar ist deshalb ein klimabewussteres Leben und Handeln der Weltbevölkerung im persönlichen Bereich, vor allem in Deutschland. Zwar ist Deutschland nur für 1,8 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich (siehe Tabelle 4 in Kapitel 9), doch pro Kopf seiner Bevölkerung emittierte Deutschland im Jahr 2021 8,1 Mio. t CO2, während die weltweite Pro-Kopf-Emission im gleichen Jahr mit nur 4,8 Mio. t CO2 deutlich geringer war. Die deutschen Pro-Kopf-Emissionen, man könnte auch vom Pro-Kopf-Energieverbrauch sprechen, müssen dramatisch gesenkt werden.
Deutschland hat im Gegensatz zu manch anderen Ländern die Größe, die Wirtschaftskraft und vor allem das Know-how, bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung eine Vorbildrolle einzunehmen – und sollte dieser Aufgabe auch mit Nachdruck nachkommen. Schließlich ist Deutschland ein Land, in dem seit Jahrzehnten zahlreiche international bekannte Klimaforscher tätig sind.
Selbst kleine Änderungen der persönlichen Gewohnheiten sind hilfreich. Dazu zähle ich beispielsweise den Verzicht auf das Rauchen, auch wenn dies zahlreichen Rauchern äußerst schwer fallen dürfte. Wie die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2022 in einer Studie errechnete, entstehen durch die Herstellung und den Konsum von Tabak jährlich weltweit ungefähr 84 Mio. t CO2; dies entspricht zwar nur 0,22 % des gesamten globalen CO2-Ausstoßes im Jahr 2021 (siehe Tabelle 10), doch viele ähnlich kleine Schritte addieren sich. Außerdem kosten Tabakherstellung und -Konsum nach WHO-Angaben das Leben von mehr als acht Millionen Menschen weltweit, von etwa 600 Mio. Bäumen, sowie einen Wasserverbrauch von 22 Mrd. t. Als zweites Beispiel sei hier das beliebte Grillen genannt. Grillen mit einem Gasgrill ist zwar klimafreundlicher als mit einem Holzkohlegrill, doch von größerem Einfluss auf die Entstehung klimarelevanter Emissionen ist das Grillgut selbst. Der größte Klimasünder ist Rindfleisch mit einer Treibhausgas-Emission von etwa 2,9 kg CO2e je 200 g, gefolgt von Käse mit etwa 1,9 kg CO2e für die gleiche Menge. Am besten schnitt bei den Grilltests gegrillter Mais mit nur 50 g CO2e je 200 g ab (Atlantic Consulting, Schweiz).
Auch der Verzicht auf den einen oder anderen dicken und schweren Versandhauskatalog nützt dem Klima, ebenso ein Abgehen von der Praxis, Pakete mit im Internet bestellten Waren umzutauschen oder abzulehnen, und damit hin- und herzuschicken. Jeder Transport verursacht Treibhausgase! Zur Herstellung für die Kataloge und für Verpackungskartons müssen außerdem Hunderttausende Bäume gefällt werden, die kein CO2 mehr aus der Luft herausfiltern werden. Deutschland steht hier in der Kritik weit vorne, belegt es doch im weltweiten Vergleich nicht nur den vierten Platz im Papierverbrauch, sondern ist nach China, den USA und Japan auch der viertgrößte Papierproduzent. Dazu eine eindrucksvolle Zahl: Allein im Jahr 2020 hat Deutschland bei der Herstellung von Papier und Pappe über 14 Mio. t CO2 ausgestoßen. Schon der Wechsel vom normalen auf recyceltes Papier wäre ein klimafreundlicher Schritt, denn 1 kg Papier verursacht bei der Herstellung durchschnittlich etwa 1 kg CO2, bei recyceltem Papier sind es nur 0,7 kg CO2. Denken wir beim Papierverbrauch daran, das jedes Blatt normales Büropapier mit einem Gewicht von 80 g/m2 einen CO2-Ausstoß von 5 g verursacht hat. Wir würden zum Klimaschutz beitragen, wenn wir an Papier sparen, Druckerpapier doppelseitig bedrucken oder auf das Ausdrucken ganz verzichten, Warenangebote nicht in schweren Katalogen, sondern im Internet studieren und Waren im Versandhandel so bestellen, dass kein Paket-Rückversand erforderlich wird.
Als früherer Hobby-Skifahrer habe ich heute, rund 75 Jahre später, eine andere Sicht auf diesen beliebten Freizeitsport. Da der Schnee vor allem in mittleren Höhen der Berge durch die fortschreitende Erderwärmung oft fehlt, werden die Pisten künstlich durch energieintensive Schneekanonen beschneit. Der jährliche Wasser- und Stromverbrauch dieser Geräte für die Beschneiung einer Fläche von 1 ha in den Alpen mit einer 30 cm dicken Schneedecke liegt bei rund 4.000 m3 Wasser und einem Strombedarf von 25.000 kWh. Im Vergleich dazu die mittleren Jahresverbräuche einer vierköpfigen Familie: 2.000 m3 Wasser und 4.500 kWh Strom. Doch es sind nicht die Schneekanonen allein, die das Klima zusätzlich belasten, sondern vor allem die durch den Transport und den Aufenthalt der Skifahrer entstehenden Emissionen. Denn nach Angabe des Deutschen Alpenvereins (DAV) schlägt ein einwöchiger Skiurlaub einer vierköpfigen Familie bei 600 km Anfahrt per PKW und Übernachtung in einem 3-Sterne-Hotel mit 1,7 t CO2 zu Buche. Der gelegentlich zu hörende Hinweis von Wintersport-Fans, dass der Abkühleffekt durch die erhöhte Rückstrahlung der künstlich erzeugten weißen Schneedecke die Erwärmung einer gleich großen schneefreien Fläche übersteigt, die Beschneiung also im Grunde klimafreundlich sei, wird von der Wissenschaft bestritten. Jeder Skibegeisterte sollte sich dieser Zusammenhänge vor Beginn eines Skiurlaubs oder einer Fahrt als Zuschauer bei einem Skirennen oder einem Skiflug-Wettbewerb bewusst sein. Maßhalten also zugunsten des Klimaschutzes ist auch beim Wintersport gefragt.
Die abschließend aufgeführten Beispiele versprechen zwar auf den ersten Blick nur eher geringe Einsparungen von Treibhausgasen bzw. CO2-Emissionen, doch die zunehmende Menge der klimabewusst Handelnden wird dies ändern. Multiplizieren Sie, liebe Leser, einfach die hier pro Einzelperson angegebenen Emissionsminderungen mit dem Faktor 10 Mio. (für 10 Mio. Personen; ich hoffe allerdings, dass einmal deutlich mehr Menschen in Deutschland Verantwortung für unsere Folgegenerationen zeigen werden). Gerade das Energiesparen im häuslichen Bereich schont in Zeiten der Preisexplosion von Strom, Öl und Gas und der fortschreitenden Inflation nicht nur die Umwelt, sondern lohnt sich finanziell. Es sollte auch deutlich klimabewusster eingekauft werden. Ein in Deutschland hergestelltes T-Shirt aus biologischer Baumwolle verursacht 0,7 kg Treibhausgas-Äquivalente (CO2e), ein qualitativ gleichwertiges Shirt aus China durch die hohen Flugemissionen aber 4,8 kg CO2e, also fast das Siebenfache. Erschreckend auch, wenn man mit ansieht, wie das Bewusstsein für den Wert alltäglicher Dinge sinkt. Allein in Deutschland gehen durch Lebensmittelverschwendung jährlich rund 12 Mio. t Lebensmittel verloren bzw. werden weggeworfen, weltweit sind es etwa 1,3 Mrd. t. Wie viele Treibhausgas-Emissionen damit verbunden sind, sieht man allein an der Zahl für die EU: etwa 170 Mio. t CO2e sind es jährlich, die durch die Entsorgung und die Beseitigung von Lebensmitteln ausgestoßen werden (myclimate 2022).
1. Leitungswasser statt Mineralwasser
Eine dreiköpfige Familie verbraucht jährlich 150 l Mineralwasser je Person. Von der Förderung bis zum Konsum (incl. Flaschenherstellung, Flaschenreinigung und Abfüllung, Verteilung, Transport) erzeugt dieser Haushalt 91,4 kg an Treibhausgasen (CO2e). Wird dagegen statt Mineralwasser die gleiche Menge unseres qualitativ hervorragenden Leitungswassers konsumiert, entstehen lediglich 0,167 kg CO2e, also 91 kg CO2e weniger. Dies mag für manche Bürger verschwindend wenig sein, doch wenn nur 1.000 dieser Familien von Mineralwasser auf Leitungswasser umsteigen, werden jährlich insgesamt 91 t Treibhausgase eingespart bei 100.000 sind es schon 9.100 t im Jahr.
2. Keinen Gärtnertorf verwenden
Auf die Bedeutung des Schutzes unserer Moore ist in dieser Website mehrfach hingewiesen. Leider werden in Deutschland jährlich immer noch rund 8 Mio. t Torf zur Bodenverbesserung und zum Schutz vor Verkrustung aus entwässerten Mooren gewonnen. Die Torfgewinnung und damit die Entwässerung weiterer nasser CO2-speichender Moore könnte dann weitgehend gestoppt werden, wenn Gartenbetriebe und Hobbygärtner statt Gärtnertorf torffreie Produkte verwenden. Denn ein einziger 70-l-Sack Gärtnertorf steht für den Ausstoß von 3,5 kg Treibhausgasen (Höppe, 2007), bei 10.000 Säcken sind dies immerhin beachtliche 35 t CO2e.
3. Bewusstes Arbeiten mit PC und Co.
Während meiner üblichen Büroarbeiten bei einem 50-stündigen Einsatz meines „genügsamen“ alten PCs an neun aufeinanderfolgenden Tagen (mit Internet-Recherchen, aber kein Streaming, keine Spiele und Filme, keine Videokonferenzen) betrug der Stromverbrauch von PC mit Drucker nach eigenen Messungen insgesamt 4,3 kWh. Dies war für mich überraschend, denn die Geräte wurden während der Arbeitspausen und vor allem nachts komplett ausgeschaltet und der Stecker zum Netz gezogen. Bei meinem derzeitigen Strommix (56 % Strom aus erneuerbaren Energien, bei nächster Gelegenheit wird auf 100 % Ökostrom umgestiegen) bedeutet dies für die Messdauer von 50 Stunden einen CO2-Ausstoß von etwa 1 kg. Hochgerechnet auf ein Jahr PC-Nutzung bei rund 5 ½ PC-Stunden pro Tag sind dies 40 kg CO2. Bei nur einer Million regelmäßiger PC-Anwender in Deutschland multipliziert sich dies auf beachtliche 40.000 t CO2 jährlich.
Der Versand und das Lesen einer einzigen kurzen E-Mail ohne Anhang verursacht etwa 2 g Kohlendioxid-Äquivalente (CO2e), mit großem Anhang aber schon bis zu 30 g CO2e. Jede ungeöffnete Spam-Mail bedeutet rund 0,3 g CO2e und jede Google-Suchanfrage 0,1 - 0,2 g CO2e. Was noch interessant ist: Bei jeder einstündigen Kamera-Videokonferenz oder bei einem gleich langen Streaming entstehen durchschnittlich 0,575 kg Kohlendioxid.
Auch der Ausdruck von Texten und Dateien auf Papier verbraucht viel Energie und Ressourcen. Der Ausdruck jeder Seite kostet nicht nur 50 Wh an elektrischer Energie und 5,2 g CO2, sondern 15 g Holz und 260 ml Wasser.
Sinnvoll ist es auch, den Router nachts stromfrei zu halten, denn bei einem Dauerbetrieb über das ganze Jahr gesehen fallen nach dem Öko-Institut e.V. je Router rund 50 kg Kohlendioxid-Äquivalente (CO2e) an. Wenn das WLAN nachts immer aus ist, trägt der Benutzer nicht nur ein Stück zur Schonung unseres Klimas bei, sondern spart gleichzeitig je nach Gerät, Verbrauch und seinen Energiekosten zwischen 5 und 25 Euro im Jahr.
Entscheidend für die Rettung unseres Klimas ist, um hier einige wenige Beispiele zu nennen,
- dass viel mehr Industrieunternehmen ihre derzeit noch emissionsreiche Produktion auf umweltschonende Verfahren umstellen und dass alle Firmen sich bei ihren Verbesserungen an den Grenzen orientieren, die es einzuhalten gilt, um die Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern,
- dass viel mehr große Bauträger den klimafreundlichen Carbon-Beton statt Zement verwenden,
- dass sich viel mehr Bauherren für Passivhäuser mit Wärmepumpe, PV- und /oder Solaranlagen entscheiden,
- dass viel mehr Hausbesitzer mit eigenem Garten bei schönem Wetter ihre Wäsche an der Luft anstatt im Trockner trocknen (ein 4-Personen-Haushalt könnte dadurch jährlich etwa 130 kg Treibhausgase einsparen),
- dass in allen Haushalten alte Glühlampen gegen moderne stromsparende LED-Lampen ausgetauscht werden,
- dass viel mehr Holzofenbesitzer darüber nachdenken, welche nachteiligen Folgen die Verbrennung von Holz eigentlich hat,
- und dass viel mehr PC- und Laptop-Nutzer die Standby-Funktion vor längeren Arbeitspausen und vor allem nachts abstellen und den Stecker zum Netz ziehen.
Nein, umweltfreundliches Arbeiten, Leben, Einkaufen, Urlauben und anderes mehr muss in der großen Breite erfolgen, und zwar weltweit. Um hier nochmals mit den Worten der jungen Klimaaktivistin Aimée van Baalen zu sprechen (siehe Kapitel 2): Nur möglichst viel zu tun, reicht für den Klimaschutz nicht aus, vielmehr müssen sämtliche Anstrengungen unternommen werden, dass es nicht zu einer Überschreitung der Kipppunkte kommt (Kapitel 8). Nur dann kann dem Klimawandel noch rechtzeitig Einhalt geboten und eine drohende Klimakatastrophe vermieden werden. Und nur dann bleiben unsere natürlichen CO2-Speicher Ozeane, Moore und Wälder (Bild 41) intakt und nehmen weiterhin große Mengen Kohlendioxid (bzw. Kohlenstoff) auf.
Online am 22. September 2022; erfolgte Aktualisierungen: 13.10.2022, 31.10.2022, 20.11.2022, 15.12.2022, 25.1.2023, 12.2.2023, 5.4.2023, 18.6.2023, 31.7.2023, 15.8.2023, 20.10.2023, 23.11.2023, 29.1.2024, 18.2.2024, 22.5.2024, 30.9.2024, 3.12.2024
Kapitel 14: Emissionskompensation und Emissionshandel
CO2-Kompensation – doch viel sinnvoller ist es, so viele Treibhausgase wie möglich zu vermeiden
Wenn ein umweltbewusst denkender, in den USA lebender Bürger zur Beerdigung seiner verstorbenen Mutter nach Deutschland kommen will, bleibt ihm nur das Flugzeug. Dann könnte eine freiwillige Kompensationszahlung für die durch seine Flugreise verursachten Emissionen seinem persönlichen „Klimakonto“ angerechnet werden. Zahlreiche private Dienstleister wie Atmosfair oder Klima-Kollekte bieten Kompensationen an. Diese Unternehmen berechnen die Höhe der klimawirksamen Emissionen einer bestimmten Flugaktivität und dann daraus die Höhe der Kompensationszahlung. Dies gilt nicht nur für Flugreisen, denn auch lange Auto- oder Bahnfahrten, der häusliche Energieverbrauch, der Druck und der Versand von abertausenden kilogrammschwerer Kataloge oder auch die Durchführung von internationalen Konferenzen kommen infrage. Im Prinzip funktioniert dies, weil es keine Rolle spielt, an welcher Stelle der Erde die Treibhausgase entstehen. Ihr Ausstoß kann deshalb durch ein zielgerichtetes finanzielles Engagement in einem ganz anderen Land reduziert werden. Das Umweltbundesamt beschreibt das Verfahren so: „Die Kompensation erfolgt über Emissionszertifikate, mit denen dieselbe Emissionsmenge in Klimaschutzprojekten ausgeglichen wird. Wichtig ist, dass es ohne den Mechanismus der Kompensation das Klimaschutzprojekt nicht gegeben hätte“. Meist sind derartige Projekte in den Schwellen- und Entwicklungsländern angesiedelt, wie beispielsweise der Kauf einer neuen Biogasanlage in einem Dorf in Indonesien.
Hier ein konkretes Beispiel für die Höhe einer Kompensation: Für die etwa 3.300 km lange Flugreise Berlin - Palma de Mallorca - Berlin für eine einzelne Person in der Economy-Klasse wurden 2023 je nach Anbieter zwischen 10 und 22 Euro fällig, für einen One-Way-Flug von Deutschland nach New York etwa 35 € – aus meiner Sicht viel zu geringe Beträge, die kaum jemanden vom Fliegen abhalten dürften. Die Klimawirkungen dieser konkreten Reise berechnen die Anbieter unterschiedlich mit 670 bis 960 kg CO2-Ausstoß (Schwarz, 2022). Oftmals werden allerdings die pro Flugreise berechneten CO2-Mengen heruntergerechnet oder sogar falsch berechnet, bewusst oder unbewusst. Der Zertifikatehandel ist unreguliert, es gibt weder gesetzliche Mindeststandards noch unabhängige Kontrollen. So mancher Kompensationsrechner zieht nicht alle klimaschädlichen Auswirkungen eines Fluges in seine Berechnung mit ein, vielleicht auch deswegen, weil sie nicht im Detail bekannt sind. Trotzdem zahlen nur wenige Fluggäste freiwillig eine CO2-Kompensation. Beispiel: Allein Lufthansa hatte im Flugjahr 2022 bei ihrem wegen der Corona-Pandemie in 2020/21 noch reduzierten Flugbetrieb 7,3 Mio. t Kerosin verbraucht und damit nahezu 23 Mio. t CO2 emittiert. Nur 0,43 Mio.t davon, also lediglich 1,9 %, wurden durch ihre Passagiere bzw, das Unternehmen selbst kompensiert.
Ich gehöre schon immer zu den Personen, die die CO2-Kompensation skeptisch sehen. Mit einer freiwilligen, noch dazu sehr geringen Zahlung mag zwar das persönliche Gewissen (manche Zeitgenossen sprechen sogar von "Ablasshandel") beruhigt werden, aber es findet kein eigenes Vermeiden oder wenigstens ein Reduzieren schädlicher energiebedingter Emissionen statt, was immer Vorrang haben sollte. Die relativ niedrigen Kompensationsbeträge könnten sogar dazu führen, dass noch mehr Flüge als bisher gebucht werden, „weil man ja bereits eine Ausgleichszahlung geleistet hat“. Dadurch wird dem Klima noch mehr geschadet. Zertifikate-Händler und Zertifizierer müssen sich außerdem finanzieren und Gewinne erzielen, d.h. nicht die gesamte Kompensationszahlung kommt letztendlich den Klimaschutzprojekten zugute. Es ist darüber hinaus nicht selbstverständlich, dass die durch die Zahlungen durchgeführten Maßnahmen auf Dauer wirklich hilfreich für die Eindämmung der Erderwärmung sind. Wem ist beispielsweise geholfen, wenn in Südamerika der Bau eines Wasserkraftwerks mitfinanziert wird, aber die Stromproduktion wegen sinkender Flusspegel mehr und mehr sinkt oder der Betrieb am Ende sogar eingestellt werden muss? Kann denn immer ausgeschlossen werden, dass eine durch Kompensationen erfolgte Anschaffung von solarelektrischen Kochern in der Schule eines kleinen afrikanischen Dorfes als Ersatz für eine primitive offene Feuerstelle (Bild 41) nur kurze Zeit funktioniert, weil Neider aus dem Nachbardorf die Einrichtung zerstören oder Teile davon stehlen? Ist überhaupt gewährleistet, dass bei der Realisierung von Umweltprojekten durch vorwiegend heimische Handwerker westliche Standards erfüllt werden? So habe ich in einem ostafrikanischen Dorf selbst miterlebt, wie eine in einen Container eingebaute Wäscherei monatelang nicht in Betrieb gehen konnte, weil die im Boden ohne metallische Schutzrohre verlegten elektrischen Leitungen in kurzer Zeit von aggressiven Ameisen fast vollständig zerfressen wurden. Oder: Welchen Sinn macht die Mitfinanzierung der Wiederaufforstung abgebrannter Waldgebiete in Brasilien oder in Australien oder anderswo auf der Welt, wenn die Jungpflanzen erst rund 20 Jahre nach ihrer Pflanzung der Luft nennenswerte CO2-Mengen entnehmen können, die CO2-Reduzierung aber möglichst schnell erfolgen muss - nicht erst in einem Jahrzehnt, oder nach noch längerer Zeit? Neuerdings stehen einige Waldschutzprojekte, die nicht aufforsten, sondern nur schützen, in der Kritik, weil ihr Beitrag zum Klimaschutz um ein Mehrfaches überschätzt wird. Große Teile der CO2-Zertifikate, mit denen derzeit mehr als 50 Fluggesellschaften weltweit ihre schädlichen Emissionen kompensieren, sind damit wertlos.
Dass diese Anmerkungen alles andere als übertrieben sind, zeigt eine im April 2024 bekannt gewordene Studie des deutschen Netzwerkes CORRECTIV in Zusammenarbeit mit mehreren renommierten Partnern zum Thema Heizen. In dieser Studie für die Jahre 2011 bis 2024 wurden die CO2-Kompensationen von Gastarifen von über 100 deutschen Gasversorgern, darunter vielen Stadtwerken, näher unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Mit dem Versprechen der meisten dieser Anbieter, wie z.B. "mit Gas heizen und gleichzeitig das Klima retten", wurden vermutlich Hunderttausenden Kunden falsche Versprechungen gemacht. Denn im Gegensatz zu den unrichtigen Behauptungen der Gasanbieter wurden mindestens etwa 10 Mio. t CO2 nicht eingespart bzw. reduziert. Man darf gespannt verfolgen, wie die Gasanbieter auf diese Fakten reagieren werden.
Neuere Recherchen haben wiederholt gezeigt, dass zum Teil in betrügerischer Weise vermeintlich neue Klimaprojekte unterstützt werden. Sie wurden zuvor von den entsprechenden Stellen in Deutschland validiert, zertifiziert und dann sogar vom Umweltbundesamt (UBA) anerkannt. So präsentierte das deutsche Fernsehen Ende Mai 2024 unter mehreren Betrugsfällen ein besonders drastisches Beispiel: Ein förderungswürdiges Klimaschutzprojekt in China entpuppte sich vor Ort als alter, leerer und im Zerfall begriffener Hühnerstall! Dies muss rechtliche Konsequenzen für die betrügerischen Firmen haben, aber auch für jene Stellen, die mangels einer genauen Prüfung auf die betrügerischen Zertifikate hereinfielen. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass nur Methoden Berücksichtigung finden, die nachweislich verlässlich und nachprüfbar Emissionen einsparen. Gelder aus dem Zertifikatehandel dürfen niemals an Projekte gehen, die von westlichen Stellen nie kritisch in Augenschein genommen wurden.
Interessanterweise kommt neuerdings Kritik an den CO2-Kompensationen aus der Luftfahrtbranche selbst. So bezeichnete der Chef der US-Fluggesellschaft United Airlines (Scott Kirby) die meisten der zur Auswahl stehenden Ausgleichspraktiken als reinen Betrug. Seine Begründung: Bei den meisten Initiativen handelt es sich um Wälder, die ohnehin nicht abgeholzt werden oder um Bäume, deren Pflanzung schon lange beschlossen wurde. Airllne-Chef Kirby wendet sich auch gegen die Bezeichnung "zero emissions". Diese Aussage sei eine Täuschung der Öffentlichkeit, weil ein emissionsfreier Flugbetrieb nicht möglich ist. United Airlines möchte bis 2050 CO2-neutral werden und setzt dabei auf die ganzheitliche Reduzierung von CO2, unter anderem durch nachhaltige Kraftstoffe. Bis es so weit ist, muss versucht werden, den Flugbetrieb so umweltverträglich wie möglich zu gestalten - etwa durch sparsamere Triebwerke, kürzere bzw. direktere Flugrouten und weitgehend elektrifizierten Flughafenbetrieb am Boden. Und natürlich durch den Verzicht auf die eine oder andere Flugreise. Wer nur zum Einkaufen nach London fliegt oder zu einem Stadtbummel nach Rom, handelt aus meiner Sicht unverantwortlich.
Der Handel mit Emissionsrechten
Der Emissionshandel in der EU, EU-ETS1 (ETS = European Emissions Trading System), ist ein entscheidendes, aber recht komplexes Instrument, um auf marktwirtschaftlicher Basis die europäischen und die deutschen Klimaziele zu erreichen (von Wysiecki Nikolas und Storcks Lisa, 2022). Die Grundidee ist, dass bestimmte Unternehmen, die die Umwelt mit Treibhausgasen belasten, je Tonne ausgestoßenes CO2 einen Preis bezahlen, indem sie dafür Zertifikate erwerben. Der Preis für diese Zertifikate bildet sich durch den Handel am Markt. Je weniger Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, desto knapper und damit teurer werden die Zertifikate. So werden die Verursacher immer mehr dazu gebracht, Energie zu sparen bzw. Schadstoffemissionen zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Der EU-ETS1 umfasst die Anlagen der emissionsintensiven Industrie, der Energieerzeugung, des innereuropäischen Luftverkehrs und - seit 2024 - des Seeverkehrs. Dazu zählen u.a. stationäre Anlagen wie Kraftwerke, Raffinerien und Stahlwerke. Voraussichtlich wird es ab 2027 ein zweites Emissions-Handelssystem, EU-ETS2, mit jährlich sinkender Obergrenze für die CO2-Emissionen von Kraft- und Brennstoffen geben. die nicht schon vom EU-ETS1 für dessen rund 15.000 große industrielle Anlagen und Kraftwerke reguliert sind.
Das System EU-ETS ist Teil des sog. Fit-for-55-Pakets der Europäischen Kommission. Es soll den EU-Ländern helfen, die europäischen Netto-CO2-Emissionen bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 ganz klimaneutral zu machen. Und so möchte die EU die Emissionen in Europa reduzieren (BR24, 9.12.2023):
Sollte dies tatsächlich erreicht werden, wäre die EU der erste klimaneutrale Kontinent der Welt. Der CO2-Zertifikatehandel gilt als das einzige marktwirtschaftliche Lenkungsinstrument, das bis jetzt Emissionen wirklich reduziert. Wie erfolgreich das System bisher ist, zeigen die Zahlen für das Jahr 2023 in Deutschland (Umweltbundesamt, Pressemitteilung Nr. 32/2024 vom 16.7.2024): Die vom EU-ETS1 erfassten 1.725 stationären deutschen Anlagen emittierten etwa 289 Mio. t CO2e. Dies ist im Vergleich zu 2022 rund 18 % weniger, der größte Rückgang seit der Einrichtung des EU-ETS1 im Jahr 2005. Gleichzeitig hat Deutschland mit der Versteigerung der Zertifikate über 18 Mrd. Euro eingenommen. Diese Erlöse flossen in den deutschen Klima- und Transformationsfonds, mit dem unter anderem der Einbau neuer Heizungen, die Elektromobilität und die Wasserstoffwirtschaft gefördert werden. Doch nicht nur in Deutschland gingen 2023 die klimaschädlichen Emissionen zurück, sondern auch in allen 27 Mitgliedsstaaten und in Island, Liechtenstein und Norwegen. Die Emissionen aller am EU-ETS1 teilnehmenden Anlagen in diesen Ländern sanken um etwa 17 % auf rund 1,01 Mrd. t CO2e, ein Rückgang von etwa 48 % gegenüber dem ersten Jahr des Emissionshandels (in 2005).
Doch ein gewisser Nachteil des europäischen Handels mit Zertifikaten darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Die Erlöse aus ihrem Verkauf fallen an die EU-Mitgliedsländer. Da die Verschmutzungs-Zertifikate aber regelmäßig reduziert werden sollen, werden immer weniger Gelder in die nationalen Haushalte gehen.
In Bild 42 sind die wichtigsten Prinzipien des vorgeschlagenen europäischen Emissionshandelssystems ETS (Emission Trading System) sowie des deutschen Emissionshandelssystems erläutert (Stand Mitte 2022). Neben diesen beiden Handelssystemen gibt es in anderen Ländern andere, teils unterschiedliche Maßnahmen für die CO2-Bepreisung, wie beispielsweise die CO2-Steuer („carbon tax“) in Frankreich.
Das Handelssystem war für die Eindämmung des Klimawandels anfangs nur wenig hilfreich, weil die Zertifikate zu billig oder sogar kostenlos ausgegeben wurden. Nach dem nachgebesserten Beschluss der EU-Kommission von Juni 2022 war vorgesehen, die bisher kostenlos verteilten Verschmutzungs-Zertifikate herunterzufahren und im Jahr 2032 ganz auslaufen zu lassen, was vor allem Industriezweige wie Stahl, Zement oder Chemie trifft. Die Sektoren Schifffahrt, Verkehr und Gebäude (Wärme) waren, obwohl es sich um starke CO2-Emittenten handelt, zunächst unverständlicherweise vom europäischen Emissionshandel ETS ganz ausgespart gewesen. Der Klimaschutz profitierte von den bisherigen Emissions-Maßnahmen in der Luftfahrt nur zum Teil: Wie Transport & Environment ermittelte, musste beispielsweise Lufthansa im Jahr 2023 nur für etwa 20 % ihrer Emissionen von 9,5 Mio. t CO2 (siehe Kapitel 10) bezahlen, weil Langstreckenflüge außerhalb Europas nicht unter die europäischen Emissionshandelssysteme fallen; sie sind nur auf innereuropäische Flüge beschränkt (Transport & Environment, Pressemitteilung vom 18.4.2024). Um die Emissionen im Luftverkehr stärker zu senken, ist es unerlässlich, das Emissionshandelssystem auf alle in Europa beginnenden Flüge auszuweiten. Parallel dazu sollte nichts unversucht bleiben, um den Geschäftsreiseverkehr zu reduzieren. Sind die Firmen dazu nicht bereit, könnte eine höhere Ticketsteuer für Business-Class-Sitze Wirkung zeigen. Denn zahlreiche deutsche Großkonzerne wie Siemens, Bayer, SAP, VW und Thyssenkrupp sind weltweite Vielflieger, haben aber bisher keine Ziele zur Reduktion der Emissionen ihrer Geschäftsreisen oder handeln nicht schnell genug. Es ist schon bezeichnend, dass 25 deutsche Vielflieger gegenüber der Bevölkerung und vor allem ihren Aktionären immer wieder mit ihrer angeblichen Umweltfreundlichkeit werben, doch keine Pläne haben, ihre umweltschädlichen Geschäftsflüge zu reduzieren. Würden diese 25 Unternehmen die Hälfte ihrer Flüge streichen, ließen sich innerhalb von weniger als zwei Jahren knapp 6 Mio. t CO2 einsparen; dies ist so viel wie die Emissionen von drei Millionen PKWs in einem Jahr (Travel Smart und Transport & Environment, Pressemitteilung vom 12.3.2024).
Europäische Anbieter von Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin müssen voraussichtlich ab 2026 Zertifikate kaufen. Frühestens 2029 ist dann auch für Privatkunden Ähnliches geplant, um Anreize für einen sparsameren Energieverbrauch und den Klimaschutz zu setzen (dass Verbraucher innerhalb der EU ab 2027 einen CO2-Preis für Heizen und Tanken bezahlen müssen, ist in Deutschland bereits seit 2021 der Fall). Die EU-Vereinbarung für Privatpersonen für die Bereiche Verkehr und Gebäude könnte auch erst 2028 in Kraft treten, nämlich dann, wenn Menschen zu sehr unter hohen Energiepreisen leiden. Damit der CO2-Preis sozialverträglich bleibt, hat die EU Mitte April 2023 einen Klima-Sozialfond auf den Weg gebracht. Er ist (auf Druck von Deutschland - lediglich) mit 86,7 Mrd. Euro ausgestattet. Ab 2026 sollen davon einkommensschwächere Verbraucher und kleine und mittelständische Unternehmen vor allem in den ärmeren EU-Mitgliedsstaaten profitieren.
Die Situation in Deutschland
Der CO2-Preis für Diesel, Benzin und (Heiz-)Öl ist ein Festpreis und wird je Tonne ausgestoßenes CO2 berechnet. Er verteuert bewusst fossile Brennstoffe, um den Umstieg auf erneuerbare Energien zu beschleunigen. So kann er als eine Art "Strafe" angesehen werden, etwa nach dem Motto, was für die Umwelt schlecht ist, muss auch mehr kosten. Der Startpreis im Jahr 2021 betrug 25 Euro je Tonne CO2 und im Jahr 2022 30 €/t. Für 2023 war ursprünglich eine Erhöhung der Klimaabgabe auf 35 €/t vorgesehen. Am 28.10.2022 gab der Bundesrat zur Entlastung der Bürger jedoch grünes Licht zur Aussetzung dieser Erhöhung um ein Jahr. 2024 soll er dann aber gleich auf 45 €/t steigen, 2025 voraussichtlich auf 50 €/t. 2026 wird er vermutlich zwischen 55 - 65 €/t liegen. Nach 2026 werden die Verschmutzungsrechte per Auktion ersteigert. Alle Einnahmen fließen in den deutschen Klima- und Transformationsfonds, dem zentralen Instrument für Investitionen in die Energiewende. Allerdings, ob sich die geplante stärkere Anhebung auf 45 €/t CO2 ab 1.1.2024 deutlicher als bislang in einer Abkehr der Bevölkerung von fossilen Energien auswirken wird, bleibt offen, denn rein rechnerisch beträgt der CO2-Preis für Benzin 11,40 ct/l und für Diesel 12,74 ct/l, was gegenüber 2023 eine Erhöhung um nur 2,9 ct/l (Benzin) bzw. 3,2 ct/l bedeutet. Ob es allerdings bei diesem eher moderaten Anstieg bleibt, ist unsicher, denn die Mineralölkonzerne könnten die Situation dazu nützen, Benzin, Diesel, Öl und Gas zusätzlich zu erhöhen.
Entsprechend der Klimaziele wird die Gesamtmenge der Zertifikate für den CO2-Ausstoß begrenzt, wodurch sich der CO2-Marktpreis durch Angebot und Anfrage regelt. Seit 2021 werden damit CO2-intensive Produkte teurer und klimaschonende Güter billiger und geben Anreize zur Nutzung klimaschonender Techniken. Ziel ist es also auch hier, dass Verbraucher ihr Umweltverhalten verbessern. Auch wenn die Teuerungen (nicht nur) in den Bereichen Heizung und Kfz-Mobilität die Bevölkerung hart trifft, sehen Wirtschaftswissenschaftler und auch Klimapolitiker in diesem System den volkswirtschaftlich kostengünstigsten Weg, um Energie einzusparen, auf diesem Wege die Emissionen zu reduzieren und damit die Klimaziele zu erreichen. Denn durch steigende Energiepreise für Heizen und Tanken wird es für die Bevölkerung zunehmend lohnender, ihren Verbrauch zu senken, z.B. durch die Anschaffung eines kleineren Autos oder eines E-Autos, durch eine umweltfreundlichere Heizung, durch Wärmedämmung und dergleichen mehr.
Doch wie rasch die deutsche Politik die strengen Zielvorgaben der EU im Nachhinein "aufweicht", zeigte sich anfangs Dezember 2023. Unter dem starken Druck der deutschen Regierung einigten sich am 7.12.2023 die Unterhändler der 27 EU-Mitgliedsstaaten und des Europaparlaments auf einen Kompromiss für die Emissionssparmaßnahmen im Gebäudesektor, der immerhin für rund 36 % der Treibhausgas-Emissionen in der Union verantwortlich ist. Der "EU-Sanierungszwang" für Millionen von älteren Gebäuden in Gestalt installierter neuer Solaranlagen auf den Hausdächern und Austausch von Gasheizungen gegen teure Wärmepumpen ist zwar mit Rücksicht auf die häufig begrenzte finanzielle Situation der zahlreichen Besitzer älterer Anwesen aufgeweicht, doch der erforderliche gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel ebenfalls. Ganz ohne Kosten kommen Eigenheim-Besitzer allerdings nicht davon, denn der erzielte neue Kompromiss besagt, dass der Energieverbrauch von Wohngebäuden in der EU bis 2030 durchschnittlich um 16 % und bis 2035 um 20 - 22 % sinken muss. Es ist nun den einzelnen EU-Ländern überlassen, festzulegen, wie diese Einsparungen erreicht werden.
Im Nutzfahrzeugbereich hat die Bundesregierung (im Juni 2023) einen starken Anreiz zur Anschaffung klimafreundlicher Fahrzeuge gesetzt. Emissionsfreie LKWs und Transporter sollen nach dem Gesetzesentwurf bis 2025 von der Maut befreit werden. Anschließend werden nur noch 25 % des regulären Satzes erhoben - zusätzlich zu den Maut-Teilsätzen für Lärm und Luftverschmutzung. Für konventionelle Nutzfahrzeuge soll ab Dezember 2023 zusätzlich zur bisherigen Maut ein CO2-Aufschlag von 200 Euro pro t CO2 eingeführt werden. Bei schweren Nutzfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 6 mit hoher CO2-Emission macht der zusätzliche Aufschlag je gefahrenen Kilometer bis zu 15,8 cent aus. Das Verkehrsministerium wird bis 2026 für die Beschaffung klimafreundlicher Nutzfahrzeuge insgesamt etwa 2,2 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Außerdem stehen bis 2026 fast 10 Mrd. Euro bereit, um eine Tank- und Ladeinfrastruktur für klimafreundliche PKWs und LKWs aufzubauen bzw. zu erweitern (electrive.net, 15.6.2023).
Selbstverständlich sind deutsche Unternehmen vom nationalen CO2-Preis dann befreit, wenn sie für den Ausstoß klimaschädlicher Gase schon Verschmutzungszertifikate über den europäischen Emissionshandel ETS erworben haben. Umso erstaunlicher ist, das der Bundestag eine mögliche Doppelbesteuerung erst durch eine Verordnung vom 26.1.2023 ausgeschlossen hat.
Ob der CO2-Preis tatsächlich wie vorgesehen jedes Jahr steigt, war bis vor Kurzem noch fraglich. Um soziale Härten zu vermeiden, dachte nämlich die Bundesregierung ursprünglich daran, die geplante CO2-Preiserhöhung auf dem aktuellen Niveau einzufrieren (Germanwatch Kompakt, 5.10.2022). Dies wäre ein bedauerlicher Abstrich für den Klimaschutz, vor allem auch ein fatales Signal gegenüber anderen Ländern, die dann dazu neigen könnten, ihre eigenen Anstrengungen zur Treibhausgas-Einsparung ebenfalls zu lockern. Das Zusammenspiel von Sicherung der Gasversorgung trotz der russischen Blockade seit dem Frühjahr 2022, Beschleunigung der Energiewende und Vermeidung von sozialen Härten ist schon schwierig genug. Kommt dann noch der Klimaschutz als weiterer Faktor hinzu, ist weitsichtiges Handeln dringender denn je.
Die Bevölkerung benötigt überraschend lange, um sich an Situationen zu gewöhnen, die ein Verlassen des bisher Gewohnten bedeuten. Dies zeigt deutlich das Beispiel der markant steigenden Energiepreise seit etwa Mitte 2022 als Folge des Beginns des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Denn der Appell der Bundesregierung, den privaten Gasverbrauch zu reduzieren um die Gasversorgung im Winter 2022/23 zu sichern, fand eher nur begrenzt Resonanz, obwohl steigende Preise es eigentlich lohnend machen, am Verbrauch zu sparen (2023 ist das Preisniveau für Öl und Gas wieder gesunken) . Dabei wird sich die gesamte Weltbevölkerung beim Klimaschutz noch auf ganz andere Einschränkungen und auf deutlich massivere Kosten in Billionenhöhe einstellen müssen, damit eine Klimakatastrophe vermieden wird. Dass dies realistisch ist, sieht man beispielsweise schon daran, dass allein in den USA in den fünf Jahren zwischen 2017 und 2021 infolge von insgesamt 89 extremen Wetter- und Klimaereignissen 4.557 Todesfälle zu beklagen waren und 790 Milliarden US-Dollar an Schäden entstanden (Climate Control, 13.10.2022).
Zu glauben, dass einfache Vorsorgemaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels ausreichen, ist zu kurz gedacht (Bild 43). Aktuell steht zwar die Energiesicherheit in Europa ganz oben auf der Agenda, doch mittelfristig kann die Energieunabhängigkeit - und der Klimaschutz - nur mit klimafreundlicher Energie und nicht mit Kohle, Öl, Erdgas, frisch geschlagenem Holz und Co. gelingen.
Das klingt für viele Leser dieser Zeilen sicherlich nicht gerade ermutigend. Vielleicht muss sich Deutschland wieder mit dem Gedanken der Nutzung von Kernkraft anfreunden. Neue Kernkraftwerke müssten allerdings kostengünstiger, effizienter und sicherer als die früheren deutschen Anlagen werden.
Solarkraftwerke in der Erdumdlaufbahn - Nutzung der Fusionsenergie
Doch zwei winzige Hoffnungen für einen - allerdings erst in fernerer Zukunft realisierbaren - totalen Ausweg aus der Abhängigkeit von fossilen Kraft- und Brennstoffen bleiben uns. Zum einen denke ich dabei an riesige Solarkraftwerke im Weltall, wo die Sonne ohne Beeinträchtigung durch Wolken und Nebel 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr mit höherer Strahlungsintensität als am Erdboden und vor allem gleichmäßig scheint. Jedes dieser Solarkraftwerke mit ihren quadratkilometergroßen Solarzellenträgern, die in 36.000 km Höhe auf einer sog. geostationären Umlaufbahn immer exakt über denselben Punkten der Erde schweben, würde so viel Strom wie ein Kernkraftwerk erzeugen. Der erzeugte Strom könnte als Mikrowellenstrahlung von einer Antenne im Orbit punktgenau an eine Empfangsantenne auf der Erde gesendet und dort wieder in elektrische Energie zurückverwandelt werden. Mehrere Länder forschen bereits seit mehreren Jahren an dieser Technologie. Die besondere technische Herausforderung neben dem Transport und dem Ausrollen der riesigen Solarzellenflächen im geostationären Orbit: Der Mikrowellenstrahl muss äußerst genau ausgerichtet sein, weil anderenfalls Schäden für die Landschaft und für Lebewesen drohen.
Ferne Zukunftsmusik ist daneben die Nutzung der extrem hohen Fusionsenergie als Energiequelle für die Menschheit. Seit rund 60 Jahren wird in verschiedenen Ländern bereits an der kontrollierten Fusionsreaktion gearbeitet, die erzielten Fortschritte sind bisher allerdings sehr gering. Vor rund 25 Jahren wurde am europäischen Fusionsreaktor JET (Joint European Torus) im englischen Oxfordshire bei einer Fusionsreaktion erstmals die nennenswerte Leistung von 16 Megawatt (MW) erzielt, allerdings mussten 24 MW an Energie in den Prozess hineingesteckt werden. Ein Vergleich: 16 MW ist ungefähr vergleichbar mit der Leistung eines Viertakt-Dieselmotors für den Schiffsantrieb. Außerdem ist es bisher den Forschern nicht gelungen, die Kernfusion über einige wenige Sekunden hinaus am Laufen zu halten. Im Oktober 2023 hat JET einen neuen "Weltrekord" bei der Energieerzeugung aufgestellt, als man aus 0,2 mg Fusionsbrennstoff 69 MJ Energie gewinnen konnte. Dies ist ungefähr so viel Energie, die man benötigt, um drei gut gefüllte Badewannen auf Badetemperatur zu erwärmen. Aber auch bei diesem Experiment musste rund drei Mal so viel Energie aufgewandt werden als letztendlich herauskam. Wenige Wochen später wurde die Anlage außer Betrieb gesetzt. Es gibt mittlerweile effizientere und leistungsstärkere Fusionsforschungsreaktoren.
Ein gewisser Hoffnungsschimmer stellt das im Dezember 2022 bekannt gewordene Ergebnis eines Wissenschaftlerteams in Kalifornien dar. In der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory ist es erstmals gelungen, bei einer Kernfusion mehr Energie zu erzeugen als für den Vorgang selbst verbraucht wurde. Dies kommt einem Meilenstein auf dem Weg zur Erschließung alternativen Energiequellen gleich. Dennoch besteht hier noch ein weites und verlockendes Arbeitsfeld für talentierte Wissenschaftler und Ingenieure der kommenden Generationen.
Mit dem Emissionshandel kann Geld verdient werden, vorausgesetzt er verläuft fair. Es lohnt sich also, in den Klimaschutz zu investieren. So wurde im Sommer 2022 bekannt, dass der amerikanische Elektroauto-Hersteller Tesla zwar Probleme im eigenen Geschäft hat, dafür aber viel Umsatz mit der schlechten Umweltbilanz seiner US-Konkurrenten generiert. So haben beispielsweise die SUV- und Pick-up-Trucks von General Motors (GM) und Fiat Chrysler einen hohen Flotten-Spritverbrauch und kommen deshalb nicht mit den strikten US-Umweltvorgaben zurecht. Presseberichten zufolge haben sie Tesla seit 2010 Emissionszertifikate im Wert von rund 2 Milliarden Dollar abgekauft, die der amerikanische E-Autobauer nicht mehr benötigte.
Auch die Bundesregierung erzielt mit der Ausgabe von CO2-Verschmutzungsrechten dringend benötigte Einnahmen. Sie erhielt im Jahr 2022 insgesamt 13,2 Mrd. Euro, das sich aus 6,8 Mrd. Euro aus dem europäischen und 6,4 Mrd. Euro aus dem nationalen Emissionshandel zusammensetzt. 2021 waren es noch 12,5 Mrd. Euro; davon kamen über 7 Mrd. Euro aus dem nationalen Emissionshandelssystem. Die Gelder fließen in den Klima- und Transformationsfond KTF. Der Staat reinvestiert diese Einnahmen in Klimaschutzmaßnahmen, z.B. für einen klimaschonenden Verkehr, für den Aufbau der Wasserstoffindustrie, für energieeffizientere Gebäude und einen Teil davon als Entlastungsmaßnahmen für die deutsche Bevölkerung, wie ein höheres Wohngeld oder Anhebung der steuerlichen Entfernungspauschale.
Doch nicht nur der Naturschutzbund NABU stellt sich Fragen (NABU, 2022): Bei welchen Produkten ändern Verbraucher bei steigenden Preisen auch wirklich ihr Verhalten? In welchen Märkten wird es zu klimafreundlichen Alternativen kommen und in welchen nicht? Können die Mehrkosten für die Bürger wirklich sozial verteilt werden? Ist der Handel mit Zertifikaten tatsächlich wirkungsvoller als die Festlegung von Maßnahmen, die sich direkt an den Klimazielen ausrichten?
Online am 12. Oktober 2022; erfolgte Aktualisierungen: 17.10.2022, 20.12.2022, 28.1.2023, 19.5.2023, 18.6.2023, 15.8.2023, 19.9.2023, 10.12.2023, 19.4.2024, 30.5.2024
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Kapitel 15: Rettet ein Stopp des Bevölkerungswachstums das Klima?
Die Erde: Für uns alle zu klein geworden
Falls die in den vorangegangenen Kapiteln aufgelisteten möglichen Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase nicht bis 2030 wenigstens zu einer Halbierung führen sollten, dürfte die mittlere globale Erderwärmung bis 2100 auf + 3 °C gegenüber dem vorindustriellen Mittel zusteuern. Dies wäre ein Niveau, das die Welt seit über drei Millionen Jahren nicht mehr hatte - und damit ein Desaster. Damit wird das Kyoto-Ziel, die Erwärmung auf höchstens + 2 °C und nach Möglichkeit auf + 1,5 °C zu begrenzen, massiv verfehlt. So müssten wir bei + 1,5 °C alle vier Jahre mit einer katastrophalen Hitzewelle rechnen (siehe Kapitel 7), doch bei stärkeren Anstiegen von 2,5 bis 3 °C wären extreme Hitzesommer wie beispielsweise 2017 im Süden Europas oder 2018 in Nordeuropa so etwas wie sehnsüchtig erhoffte kühle Ausnahmen (Otto, 2019).
Dann bleiben der Welt nur noch zwei Möglichkeiten, nämlich über eine gerechtere Nutzung der Ressourcen und über den Stopp einer weiteren Zunahme der Bevölkerung bzw. über deren Reduzierung nachzudenken. Beides sind äußerst unpopuläre und von öffentlicher Seite und den Medien bis jetzt weitgehend vermiedene bzw. nicht weiter ausgeführte Themen (Schneider, 2019; Steffens und Haberkus, 2020). Nach heutigem Wissensstand begann die Geschichte des modernen Menschen "erst" vor rund 300.000 Jahren mit dem Auftauchen des Homo sapiens. Vor ca. 2.000 Jahren bevölkerten erst etwa 300 Mio. Menschen die Erde, nicht einmal 4 % von heute. Um das Jahr 1800 dürfte die Erde von 1 Mrd. Menschen bewohnt gewesen sein und 1927 wurde die 2 Mrd.-Grenze überschritten.. Als ich 1955 als 14-Jähriger konfirmiert wurde, lebten auf der Welt knapp 3 Mrd. Menschen. Danach wuchs die Bevölkerung rasant: 1987 lebten bereits fünf, 2012 sieben und 2021 schon 7,91 Mrd. Menschen (Bild 44). Mitte November 2022 wurde dann die 8 Mrd.-Grenze überschritten.
Zum Glück schwächt sich seit einigen Jahrzehnten die Wachstumsgeschwindigkeit etwas ab, auch wenn die Weltbevölkerung nach wie vor wächst - möglicherweise sogar noch bis zum Jahr 2084, wenn die Welt nach neueren Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2024 von rund 10,3 Mrd. Menschen besiedelt sein könnte. Ohne Zweifel ist dies für den Klimawandel eine denkbar schlechte Prognose. Der Anstieg verläuft seit etwa 1990/95 nur noch linear und nicht mehr exponentiell (Bild 44). Zwischen 2020 und 2022 betrug die Zunahme rund 55 Millionen Menschen pro Jahr; im Zeitraum 1970-1980 waren es jährlich noch etwa 74 Millionen.
Die Geburtenzahlen (Fertilitätsraten) der gebärfähigen Frauen im Verlauf ihres Lebens sahen im Jahr 2022 folgendermaßen aus: Afrika 4,3 Kinder je Frau, gefolgt von Australien mit Ozeanien (2,1 Kinder) Lateinamerika mit der Karibik sowie Asien (jeweils 1,9), Nordamerika (1,6) und Europa (1,5).Weltweit gesehen liegt die Fertilitätsrate derzeit bei 2,3 (de.statistika.com/statistik/daten/, gesehen im Dezember 2023). Die relativ geringe Geburtenrate in Europa ist auch der Grund dafür, dass auf diesem Kontinent mit seinen derzeit etwa 745 Mio. Menschen kaum noch ein Bevölkerungswachstum verzeichnet wird. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnte die Bevölkerungszahl sogar bis auf knapp 600 Mio. geschrumpft sein. Ganz anders ist die Tendenz in Afrika, vor allem in der Region südlich der Sahara. Dort erwartet die UNO bis zum Jahr 2100 eine Veränderung von mehr als 2 Mrd. auf dann mehr als 3 Mrd. Menschen erwartet.
Das weltweite mittlere Geburtenniveau ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen, von durchschnittlich noch fünf Kindern je Frau in den 1960er-Jahren auf aktuell 2,3 Kinder. In Afrika sind die Spitzenreiter die Länder Niger (6,75 Kinder pro Frau), Somalia (5,88 Kinder) und die Demokratische Republik Kongo (5,8 Kinder). In Europa bringen die Frauen in Malta, der Ukraine, Spanien, Bosnien und Herzegowina dagegen nur jeweils 1,2 Kinder zur Welt. Auch in fast allen reichen Industrieländern nimmt die Geburtenrate ab, beispielsweise in Deutschland im Jahr 2022 um 7,1 % gegenüber dem Vorjahr. Dieser Trend setzte sich auch 2023 fort, denn allein zwischen Januar und September 2023 kamen erneut 7,4 % weniger deutsche Kinder zur Welt als im gleichen Zeitraum des Jahres 2022. Die aktuelle Geburtenziffer liegt in Deutschland aktuell (2024) bei 1,35 Kindern je Frau - die Hälfte aller deutschen Familien hat nur noch ein Kind. Weltweit am wenigsten Kinder wurden (2021) in Singapur (1,1 Kinder), Südkorea (0,9), Puerto Rico und Malta (jeweils 0,9 Kinder je Frau) geboren (https://www.ardalpha.de / wissen / umwelt / nachhaltigkeit vom 11.7.2022; Deutsche Stiftung Weltbevölkerung). Dass die Weltbevölkerung trotz zurückgehender Geburtenzahlen weiter steigt, hängt unter anderem mit dem gestiegenen Lebensalter der Menschen dank moderner Medizin und leichter erhältlichen und wirksameren Medikamenten bei gleichzeitig stark sinkender Kindersterblichkeit zusammen. Ein weiterer Aspekt: Haben Familien weniger Nachwuchs, verteilt sich ihre Aufmerksamkeit und Fürsorge auf wenige Kinder; es kommt dann nicht mehr zu der extrem hohen Kindersterblichkeit von früher. So starben beispielsweise von den sechs Geschwistern von Wolfgang Amadeus Mozart fünf Kindere im frühen Alter. Von den neun ab 1888 geborenen Kindern meiner eigenen Urgroßeltern mütterlichseits erreichten nur drei das Erwachsenenalter. Nicht außer Acht zu lassen ist schließlich auch, dass der Kinderwunsch aus ökonomischen Gründen nicht mehr ganz an erster Stelle steht.
Die Sache mit dem „ökologischen Fußabdruck“
Jeder Mensch benötigt eine bestimmte bewohnbare Mindestfläche, will er autark leben, arbeiten, sich erholen und gleichzeitig seine Bedürfnisse an Nahrung, Heizung, Baumaterial, sauberer Luft, Trinkwasser usw. erfüllen. Das Stichwort dafür ist „ökologischer Fußabdruck“. Er gibt an, welche Fläche jede Person bei einem bestimmten Lebensstandard benötigt. Da die bewohnbare Landfläche der Erde jetzt schon begrenzt ist und sich künftig durch die Folgen der Klimaänderung verringern wird, heißt dies zwangsläufig, dass die Erde große Menschenmassen nur noch bei einem niedrigerem Lebensstandard aufnehmen kann.
Doch schon seit 1995/96 ist klar, dass der „ökologische Fußabdruck“ der Menschheit größer als die ihr zur Verfügung stehende nutzbare Fläche ist. Damals bot sie gerade noch ausreichend Platz für die knapp sechs Milliarden Menschen - bei mittlerem Lebensstandard. Bei gehobenem Lebensstandard für alle könnte die Erde laut Abschätzungen der Wirtschaftswissenschaft nur knapp zwei Milliarden verkraften (Stern, 2007). Nur ein paar Jahre später, 1999, überstieg der „ökologische Fußabdruck“ der Menschheit die zur Verfügung stehende Erdfläche um gut 20 %. Einige weitere Zahlenangaben dazu: 1999 lag die zur Verfügung stehende nutzbare Fläche je Person im Schnitt bei 1,9 Hektar (ha), der mittlere „ökologische Fußabdruck“ aber bei fast 2,3 ha. Von Land zu Land gab und gibt es dabei noch deutliche Unterschiede: USA als Spitzenreiter 9,7 ha, England und Frankreich 5,4 bzw. 5,2 ha, Deutschland 4,7 ha. Dagegen schwankt der ökologische Kennwert bei einkommensschwachen Ländern zwischen 0,9 und 1,8 ha pro Person, liegt also um gut das Sechsfache darunter. Im Grunde bräuchten wir also einen zweiten bewohnbaren „Reserveplaneten“.
Schafft es die Weltgemeinschaft nicht, den Ausstoß von Treibhausgasen durch untereinander abgestimmte und akzeptierte Maßnahmen auf Dauer mindestens zu halbieren, oder besser noch, zu dritteln oder vielleicht zu vierteln und damit die Erderwärmung einzudämmen, bleibt zusätzlich zu den in dieser Website beschriebenen (technischen) Maßnahmen nach meiner Auffassung nur ein Stopp der Bevölkerungszunahme, denn selbst nur eine Verlangsamung des Bevölkerungswachstums wäre nicht ausreichend. Eigentlich müsste die Bevölkerung der Erde schrumpfen. Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass weniger Menschen auf der Erde gut für das Klima und damit für die Menschheit ist. Nur einige von vielen positiven Veränderungen: Weniger Energieerzeugung und Energieverbrauch, weniger Verkehr, weniger Industrie, Handel und Landwirtschaft, weniger Abfälle, weniger sonstige Verschmutzung, Rückgang der angestiegenen Meeresspiegel, Erholung des Weltklimas, bessere Lebensbedingungen für Mensch, Tier und die Natur. Dann könnten sich zumindest unsere Urenkel wieder an sauberen Flüssen und Seen und intakten mikroplastikfreien kühlen Ozeanen mit gesundem artenreichen Fischbestand und blühenden Korallen, an fruchtbaren Äckern ohne Zwang zur mehrfachen jährlichen Düngung und Intensivbewirtschaftung von Äckern und Feldern, an ausreichend Nahrung und Rohstoffen für alle, an gesunden Wäldern und an geschützten Lebensräumen für Millionen von Arten erfreuen. Und die Menschen könnten wieder durch Städte flanieren, deren Straßen nicht von Tausenden qualmender Autos verstopft sind.
Bevölkerungskontrolle durch weniger Geburten
Trotz ständig wachsender Weltbevölkerung hat die Menschheit zum Überleben bisher immer eine entsprechende Ertragssteigerung geschafft, wenn auch zunehmend auf Kosten der ärmeren Länder und vor allem der Umwelt. Doch dies kann nicht auf ewige Zeiten so bleiben. Immerhin leiden schon heute rund 10 % der Weltbevölkerung an Hunger. Eine Möglichkeit der Verbesserung dieser Situation wäre es, das Bevölkerungswachstum zu stoppen oder, besser, den Wachstumstrend umzukehren, und zwar durch eine freiwillige Geburtenkontrolle. Dabei sollte aber eine strikte staatliche Geburtenkontrolle, erst Recht eine Zwangssterilisation oder ähnliches vermieden werden. Von einer restriktiven Familienpolitik mit Geburtenkontrolle hatte sich die Weltgemeinschaft ohnehin bereits auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo verabschiedet. Aber was soll angesichts der krassen Überbevölkerung der Erde geschehen? Wir müssen in diesem Zusammenhang vermeiden, neu geborene Kinder mit CO2 zu verrechnen, etwa mit der öfters zu lesenden Aussage, dass jedes nicht geborene Kind eine CO2-Einsparung von jährlich etwa 50 t bedeutet (Universität Lund, Schweden, 2017). Ähnliche Statements stammen von mehreren ökologischen Aktivisten, auch vom Club of Rome. Die Reaktionen darauf waren und sind noch heute zum großen Teil aggressiv und unversöhnlich. Als der Club of Rome damals vorschlug, Frauen zu belohnen, wenn sie nur noch ein oder gar kein Kind bekommen, wurde ihm von den Medien die Abschaffung der Menschheit vorgeworfen. Viele Menschen können oder wollen es offensichtlich immer noch nicht einsehen, dass eine weiter wachsende Erdbevölkerung nicht nur das Klima und die Umwelt, sondern darüber hinaus die Wirtschaft und das Wohlergehen der gesamten Menschheit bedroht. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass die Bevölkerungszunahme den Klimawandelprozess entscheidend antreibt.
Andererseits ist die Frage, wie viele Kinder Familien künftig haben sollen, eine sehr persönliche Angelegenheit. Doch fragen wir uns: Wären weniger freiwillige Geburten als Alternative zu einer drohenden globalen Klima-Katastrophe - und nicht nur einer Klima-Krise - noch die weitaus bessere Alternative? In der Tat wäre viel gewonnen, wenn die Frauen der Erde im Verlauf ihres gebärfähigen Alters im Schnitt künftig nur ein Kind gebären anstatt aktuell noch 2,3 Kinder. In einigen Ländern liegen die Fertilitätsraten schon heute um den Wert von 1,0 und wie erwähnt zum Teil sogar darunter. Die Behauptung, dass rechnerisch etwa zwei Kinder je Frau geboren werden müssen, um die Bevölkerung ohne Zuwanderung langfristig auf konstantem Niveau zu halten, damit es zu keinem Einbruch des Wirtschaftswachstums kommt und ein Land an den Rand des Ruins bringt, scheint längst überholt, wie die Situation in den oben erwähnten Regionen mit Geburtenzahlen um oder wenig über eins zeigen. Ein Beispiel dafür ist auch die Schweiz, das trotz einer Geburtenrate von weniger als zwei Kindern je Frau nicht schrumpft.
In vielen Ländern liegt die mittlere Fertilität derzeit noch deutlich höher als der Weltdurchschnitt, vorrangig in Afrika. Besonders extrem ist die Entwicklung in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Die Bevölkerung hat sich dort allein zwischen 1989 und 2019 verdoppelt. Man schätzt, dass sie sich bis 2030 auf etwa 260 Millionen und bis 2050 vielleicht sogar auf etwa 400 Millionen erhöhen wird. 400 Millionen Menschen wären dann etwa so viele Personen, wie um 1400 auf der gesamten Erde lebten!
Wie China seine Bevölkerungszunahme per Gesetz abschwächte
Die 1949 gegründete Volksrepublik China ist das einzige große Land, das in der Vergangenheit seine Bevölkerung kraft Gesetz im nennenswerten Ausmaß veränderte. Dies konnte nur bei der strengen Diktatur des Landes durchgesetzt werden. Im Jahr 1955 hatte das kommunistische Land noch 609 Millionen Einwohner, die mittlere Fertilität der Frauen lag seinerzeit bei 6,0. Die Probleme einer hohen Einwohnerzahl, unter anderem steigende Arbeitslosigkeit in ländlichen Regionen durch Mangel an geeigneten Arbeitsplätzen, wurden in den folgenden Jahren immer deutlicher: 1974 zählte man bereits 900 Millionen Chinesen und 22,3 Millionen Geburten (bei 6,6 Millionen Todesfällen bedeutete dies eine Änderung von + 15,7 Millionen). Ab 1973/74 kam es deshalb schrittweise zur „1-Kind-Politik“. Ab 1979 wurde es bindendes Gesetz. Jede Familie durfte nur noch ein Kind haben, es sei denn, eine Bauernfamilie besaß eine Tochter, benötigte jedoch einen Sohn für die Hofarbeit, oder eine Familie hatte ein missgebildetes erstes Kind. Verstöße gegen die Verordnung hatten hohe Geldstrafen zur Folge, während Paare mit nur einem Kind mit Verdiensturkunden, Geldleistungen, längerem Mutterschaftsurlaub, besserer Kinderbetreuung und günstigeren Wohnungsmieten belohnt wurden. Als Gegenleistung mussten sie sich verpflichten, keine weiteren Kinder mehr zu bekommen. Die Schwangerschaften wurden kontrolliert. Waren sie nicht genehmigt, wurden die Frauen zur Abtreibung genötigt.
Vorrangiges Ziel des chinesischen „1-Kind-Programmes“ war es, die explodierende Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2000 auf höchstens 1,2 Milliarden Menschen zu begrenzen. Mit 1,263 Milliarden wurde diese Vorgabe im Jahr 2000 auch tatsächlich fast erreicht (Bild 46); die Fertilitätsrate der chinesischen Frauen war zu diesem Zeitpunkt auf 1,45 gesunken. Man zählte im Jahr 2000 ungefähr 17,7 Millionen Neugeburten (Wikipedia: Demografie der VR China, aufgerufen 5.11.2022).
Doch es zeigten sich bald auch Nachteile der chinesischen "1-Kind-Politik". Die wichtigsten: Verschiebung der Geschlechter-Verhältnisse der Kinder, weil sich die Eltern aus kulturellen Gründen eher Buben als Mädchen wünschten und weibliche Föten häufiger abtrieben als männliche, die große Zahl von verwöhnten Einzelkindern, Furcht vor Überalterung der Gesellschaft und dem damit verbundenen Mangel an Arbeitskräften (Letzteres war ein spezielles chinesisches Problem, weil gleichzeitig mit der Reduzierung der Geburtenziffern der Industriesektor und der internationale Handel massiv ausgeweitet wurden). Die äußerst rigiden Kontrollen wurden deshalb nach und nach gelockert. Im Oktober 2015 wurde die „1-Kind-Vorgabe“ bei einer Bevölkerungszahl von 1,374 Milliarden schließlich ganz abgeschafft; die Fertilität hatte sich zu diesem Zeitpunkt auf 1,60 eingependelt; 16,5 Millionen Kinder kamen 2015 in China zur Welt, nahezu 6 Millionen weniger als im Jahr 1974. Westlichen Experten zufolge würden heute in China ohne die frühere Kinder-Politik des Landes etwa 350 Millionen mehr Menschen leben, also statt etwa 1,41 Milliarden ungefähr 1,76 Milliarden. Könnte man diese restriktive Familienpolitik auf die gesamte Welt übertragen, würden heute auf unserem Planeten nicht etwas über 8 Milliarden, sondern ungefähr nur 6,4 Milliarden Menschen leben. Nach Bild 44 sind dies etwa so viele wie 2005. Die Klimaproblematik wäre dann weniger bedrohlich als es heute der Fall ist.
Doch als wohl wichtigstes Ergebnis der früheren drastischen chinesischen Familienpolitik bleibt festzuhalten, das zwar die Zahl der Geburten - nach überraschender anfänglicher Steigerung in den ersten zehn Jahren - zurückging, die Bevölkerungszahl jedoch trotzdem leicht anstieg, zumindest bis 2021/22 (Bild 46).
Im Jahr 2016, ein Jahr nach der Abschaffung der chinesischen "1-Kind-Politik" aus Sorge vor einer schnell alternden Bevölkerung, begann nach 37 Jahren die „2-Kind-Politik“. Überraschenderweise stiegen die jährlichen Geburtenzahlen trotzdem kaum noch an. Im Jahr 2018 sank sie mit etwa 15,2 Millionen Neugeburten sogar auf den niedrigsten Stand seit Gründung der Volksrepublik. Ganz offensichtlich hatten sich Chinas Paare im Laufe der Jahrzehnte daran gewöhnt, ebenso wie ihre Eltern nur noch ein Kind zu bekommen, zumal gleichzeitig hohe Mieten und teure Schulausbildung den Familienetat bei zwei und mehr Kindern stark belasteten. So war es nur eine Frage der Zeit, bis China im Jahr 2021 seine Familienpolitik erneut änderte und es seinen Paaren gestattete, künftig auch drei Kinder zu haben.
Doch selbst dadurch wurden die demografischen und wirtschaftlichen Aussichten Chinas nicht besser. Im Gegenteil, nach dem Pekinger Statistikamt war die Bevölkerung Ende 2022 auf 1,411 Milliarden Menschen geschrumpft, 2021, im Jahr zuvor, waren es noch 1,56 Milliarden. 2022 kamen nur 9,56 Millionen Babys zur Welt, ein historischer Tiefpunkt wenn man den Statistikwerten Chinas trauen darf, während 10,41 Millionen Menschen starben (Andreas Landwehr, dpa/dh). Eine derart hohe Sterberate hat es in China nach 1950 nie gegeben. Die Gründe für die aktuelle Lage in China: Ein Kind scheint im heutigen China die soziale Norm geworden zu sein, hohe Kosten für Wohnungen, Bildung und Gesundheitsversorgung, wenig Lust auf Heirat, Corona-Pandemie, Arbeitslosigkeit. Im August 2023 vermeldete China die niedrigste Geburtenrate in seiner Geschichte: Im Schnitt bekommt dort jetzt jede Frau 1,09 Kinder.
Nicht wenige Demografen sind heute der Meinung, dass die chinesische „1-Kind-Ehe“ ab 1979 unnötig war, wobei wegen der vielen Ausnahmen und der hohen Zahl an nicht registrierten und verschwiegenen Geburten die tatsächliche Kinderzahl je Frau vermutlich näher bei 2 als bei 1 lag (die Frage ist, wie seriös die aus China kommenden Bevölkerungszahlen sind). Das gleiche Ergebnis könne man heute durch eine bessere Aufklärung und freiwillige Geburtenkontrolle erreichen, heißt es aus Expertenkreisen. Falls es wirklich zutrifft, dass ein Drittel aller Geburten weltweit ungewollt ist und wenn all diese Kinder nicht zur Welt kommen würden, wäre das Thema der sich verstärkenden Erderwärmung infolge Überbevölkerung der Erde vom Tisch. Zuversichtlich stimmt in diesem Zusammenhang, dass nach einer aktuellen deutschen Umfrage heute knapp 40 % der jungen Menschen angesichts der Klimaproblematik ernsthaft überlegen, Kinder zu bekommen. Jedenfalls steigt die Zahl der jüngeren Frauen, die bereit sind, entweder nur noch ein Kind zu bekommen oder auf Kinder ganz zu verzichten. Es besteht durchaus Hoffnung, dass sich diese Einstellung ausbreitet. Allerdings darf es nicht noch viele Jahrzehnte dauern, bis die weltweite Bevölkerung abnimmt – so viel Zeit hat die Menschheit zur Begrenzung der Erderwärmung nicht. Ich setze darauf, dass sich die Menschheit nach und nach der tatsächlichen Bedrohung durch die Erderwärmung bewusst wird. Fakten wie z.B. die extrem hohen weltweiten volkswirtschaftlichen Schäden in Höhe von 270 Milliarden Dollar (2022) durch Naturkatastrophen als Folge der Klimaänderung oder ein Temperaturrekord nach dem anderen in kurzen Zeitabständen - das Jahr 2022 war in Europa nach 2020 das zweitwärmste seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Und 2023 war es noch heißer. Dies darf nicht länger ignoriert oder einfach hingenommen werden.
Aber wo anfangen – vielleicht in Afrika?
Wie die Angaben zur mittleren Fertilität in Tabelle 10 zeigen, ist das Geburtenniveau in Afrika weltweit am höchsten. Für den Kinderreichtum auf diesem Kontinent gibt es mehrere Gründe: Geringer Bildungsstand eines Großteils der Bevölkerung, gezielter Kinderreichtum zur späteren Versorgung der Eltern, kaum Mitspracherecht der Frauen bei der Familienplanung, Mangel an ausreichend und vor allem an bezahlbaren modernen Verhütungsmitteln, immer noch höhere Sterblichkeit als in anderen Kontinenten. Meist werden in der Öffentlichkeit deshalb afrikanische Länder genannt, wenn es um die Frage geht, welche Länder sich verstärkt beim Einsparen von Treibhausgasen durch Reduzierung ihrer Geburtenziffern engagieren müssten. Doch mit dem Finger auf Afrika zu zeigen ist falsch. Ein Blick auf die Tabelle 10 mit den CO2-Zahlen für das Jahr 2021 beweist dies eindrucksvoll. So hat z.B. Tansania bei einer Bevölkerungszahl von derzeit knapp 65 Millionen zwar eine durchschnittliche Fertilität der Frauen von 4,77, emittiert aber pro Kopf und Jahr nur 0,207 t CO2, fast 40 Mal weniger als jeder Deutsche. Im dünner besiedelten Somalia ist mit 5,88 die Fertilität noch höher, doch trotzdem ist der Pro-Kopf-Ausstoß mit lediglich 0,046 t CO2 noch erheblich geringer als in Tansania. Auch Kenia (Fertilität 3,36) emittiert im Vergleich zu nicht-afrikanischen Ländern mit 0,409 t CO2 außerordentlich wenig. Dies kommt nicht von ungefähr, denn Kenia erzeugt mit seinen knapp 55 Millionen Einwohnern schon heute rund 80 % des Stroms regenerativ. Natürlich ist dabei die niedrigere Basis (elektrische Leistung je Einwohner) ein begünstigender Faktor. Bemerkenswert ist jedoch, dass Kenia schon 1981 ein erstes geothermisches Kraftwerk in Betrieb nahm und sich seitdem bemüht, diese sichere und preiswerte Ressource weiter auszubauen. Künftig wird das Land vermehrt auch auf Wind- und Solarstrom setzen.
Den höchsten CO2-Ausstoß und ebenso den größten Ressourcenverbrauch haben also nicht die Länder mit der größten Bevölkerungszunahme, sondern die mit dem höchsten Konsum. Die sind es, auch Deutschland, die vorrangig die Klimaveränderung bewirken (Tabelle 10).
Wie falsch es ist, Afrika die „Hauptschuld“ am globalen Klimawandel zu geben, zeigen unter anderem die hohen absoluten und spezifischen CO2-Emissionen von Katar, Kuweit, USA und Russland, nicht zu vergessen die von China und auch von Deutschland (Tabelle 10; die dort angegebenen CO2- und CO2-je-Kopf-Angaben gelten für das Kalenderjahr 2021, die in Tabelle 4 in Kapitel 9 aufgeführten CO2-Emissionen dagegen für das Jahr 2020). Man beachte dabei die gestiegenen Emissionen pro Person für Deutschland: 2020 = 7,72 t CO2/Kopf, 2021 = 8,063 t CO2/Kopf und 2022 8,15 t CO2/Kopf. Trotz einer Fertilitätsrate von 1,83 hat das dicht besiedelte, verschwenderische Katar mit 34,4 t CO2 pro Kopf weltweit den höchsten CO2-Ausstoß und bietet anderen Ländern damit ein denkbar schlechtes Beispiel in Sachen Klimaschutz. Als Beispiel eines der ärmsten Länder der Welt ist in Tabelle 10 als Gegenpol Armenien aufgeführt. Einwohnerzahl und Fertilität sind ähnlich wie die von Katar, doch der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß des Landes ist 15 Mal geringer.
Hingewiesen zur Einwohner-Spalte von Tabelle 10 sei noch, dass China am 1.1.2023 1,426 Milliarden Einwohner hatte und Indien 1,422 Milliarden. Mitte 2023 hatte Indien dann China überholt - Indien hatte zu diesem Zeitpunkt bereits knapp 3 Millionen mehr Einwohner als China - und ist seitdem bevölkerungsreichstes Land der Welt.
Unabhängig von der Fertilitätsrate müssen vor allem die Industrieländer künftig ihre Treibhausgase drastisch reduzieren und sie idealerweise möglichst nahe in den Bereich von Null bringen. Dafür darf es seitens der Politik nicht wie bisher bei unverbindlichen Ankündigungen, Zielvorgaben oder vagen Versprechungen bleiben, sondern es müssen Taten erfolgen. Dies gilt auch für Deutschland, denn trotz der warmen Jahre 2022 und 2023 mit entsprechend weniger Verbrauch von Öl, Gas und Kohle und einem weiter gestiegenen Anteil an Erneuerbaren hat Deutschland sein CO2-Budget in diesen beiden Jahren wieder einmal überzogen.
Angebracht ist es also, kritisch die Emissionen der Reichen und Superreichen zu analysieren. Denn wie die britische Entwicklungsorganisation Oxfam ermittelt hat (www.klimareporter.de/gesellschaft, 7.11.2022), ist für den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen in den letzten Jahren nicht wie bisher angenommen die globale Mittelschicht verantwortlich, sondern vorrangig die reichsten 10 % der Weltbevölkerung. Oxfam hatte die CO2-Bilanzen von 125 Milliardären untersucht und festgestellt, dass diese zahlenmäßig begrenzte Gruppe jährlich etwa 393 Mio. t CO2 emittiert, 30 % mehr als Frankreich und Monaco zusammen (2021: 302 Mio. t CO2). Das reichste Prozent der Weltbevölkerung verursache so viel an Treibhausgasen, wie die 5 Mrd. Menschen, die die ärmeren zwei Drittel ausmachen. Die Organisation fordert daher unter anderem zu Recht eine Vermögenssteuer für die Reichsten und einen zusätzlichen Aufschlag auf Vermögen, wenn diese durch klimaschädliche Investitionen und Produkte gebildet wurden.
Persönliches Fazit
Aus der intensiven Beschäftigung mit dem Inhalt dieses Kapitels komme ich zu dem in den nachfolgenden Abschnitten beschriebenen Ergebnissen. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es natürlich, wenn sich die Geburtenzahlen und die Sterbezahlen etwa angleichen würden. Dann würde die Weltbevölkerung kaum noch zunehmen, sondern etwa konstant bleiben. Allerdings reicht dies allein für die wirksame Bekämpfung des Klimawandels noch nicht aus, denn nötig wäre ein Rückgang der Weltbevölkerung um mehrere Milliarden, etwa auf das Niveau der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. So lange her ist dies noch nicht, warum also sollte es nicht gelingen, die Weltbevölkerung in den nächsten etwa 50 Jahren wieder auf den damaligen Wert zu reduzieren? Der frühere Fehler Chinas bei der "1-Kind-Politik" bei gleichzeitiger massivster Ausweitung von Industrie und Handel muss allerdings vermieden werden - die Volkswirtschaft darf nicht mehr auf dem jetzigen hohen Niveau arbeiten, sondern muss weniger Reichtum produzieren. Dies bedeutet z.B. Verringerung der Produktion, weniger Umsatz, weniger Gewinn, weniger Rendite. Dies ist in der Tat eine radikale Umkehr vom bisher Gewohnten. Doch all dies muss nicht in die Verarmung der Menschheit führen, denn allein schon die hohen Lebenshaltungskosten bei reduziertem Einkommen, Wohnungsknappheit und weniger Arbeitsmöglichkeiten werden dazu führen, dass die kinderreichen Jahrzehnte der Vergangenheit angehören.
In Afrika lassen sich die zurzeit noch hohen Geburtenraten durch ein besseres Bildungsniveau der Bevölkerung und durch Zugang zu preiswerten Verhütungsmitteln bei entsprechender Aufklärung deutlich reduzieren. Erfahrungsgemäß gebären Frauen mit höherem Lebensstandard nicht mehr als durchschnittlich 1,5 bis 2 Kinder. Bei weniger Armut und gehobenerem Lebensstil werden natürlich auch die Wünsche und Bedürfnisse der afrikanischen Bevölkerung steigen, und damit zwangsläufig - wahrscheinlich aber nur vorübergehend - auch die Entstehung und der Ausstoß von Treibhausgasen. Dies muss man akzeptieren: aus diesem Grund sind Afrikas Veränderungen der Geburtenzahlen, des Lebensstandards und der schädlichen Emissionen genau zu beobachten und zu bewerten. Bei der Entwicklung der ärmeren Länder müssen die früheren Fehlentscheidungen der westlichen Industrienationen vermieden werden. Im Gegensatz zu Europa sind die Aussichten für eine Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent freilich vergleichsweise günstig, weil der Aufbau der Energieversorgung von Anbeginn an weitestgehend regenerativ erfolgen kann.
Die Hauptverursacher des Klimawandels bleiben auf absehbare Zeit die wohlhabenden Länder, wie die USA, Deutschland und die anderen EU-Länder. Dies bedeutet, dass die reichen Länder nicht nur eine noch geringere Fertilitätsrate der Frauen als heute anstreben, sondern Schadstoffausstoß und Ressourcenverbrauch deutlich absenken müssen. Die Fortsetzung der Immer-Mehr-Ideologie muss einfach aufhören. Wir alle müssen mit einem gewissen Rückgang unseres Wohlstands einverstanden sein und bescheidener werden. Ein Weiter-So mit immer mehr Wachstum, immer mehr Reichtum, immer mehr Bequemlichkeit, immer noch schnellerem und größeren Autos und immer tolleren und häufigeren Urlauben in weit entfernten Destinationen ist in Zeiten der Erderwärmung einfach nicht mehr angebracht, so unbequem und fremd heute diese Vorstellung vielen Menschen noch erscheinen mag. Die Welt wird einfach nicht mehr die gleiche sein wie heute.
In unsicheren Zeiten, wie sie mit einem fortschreitenden Klimawandel und den weltweiten Pandemien vermehrt auf die Menschheit zukommen werden, ist, so glaube ich, der Wunsch nach vielen Kindern in der Tendenz ohnehin eher gering. Die Zunahme gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Ehen und die zumindest im Westen steigende Zahl von Single-Haushalten könnte die Geburtenziffer zusätzlich drücken. Die weltweiten Geburtenzahlen sinken zudem durch andere Effekte. Einer davon ist, dass jährlich Millionen von Menschen aufgrund der Klimawandelfolgen vorzeitig versterben, so tragisch sich dies anhört. Denkt man dann noch daran, welche Gefahren bis hin zu nicht auszuschließenden weltweit grassierenden Seuchen künftig von auftauenden "giftigen" Permafrostböden ausgehen könnten (siehe Kapitel 8), sind ebenfalls hohe Todeszahlen zu befürchten. Auch eine damit zusammenhängende größer werdende Unfruchtbarkeit von Frau und/oder Mann kann nicht ausgeschlossen werden: Schon heute ist zu beobachten, dass - zumindest in Deutschland - die Zahl der kinderlos bleibenden Paare ansteigt - zuletzt bleibt fast jedes zehnte deutsche Paar zwischen 25 und 59 Jahren Alter ungewollt kinderlos. Ich denke an die Spanische Grippe, die in den Jahren 1918 bis 1920 die Erde heimsuchte und allein in diesen wenigen Jahren weltweit rund 50 Millionen Menschenleben kostete. Dies entsprach ca. 2,8 % der damaligen Weltbevölkerung von etwa 1,8 Milliarden Menschen. Auf die heutige Weltbevölkerung hochgerechnet wären dies über 220 Millionen Tote.
Demzufolge ist der ohnehin aberwitzige Vorschlag des amerikanischen Milliardärs und Multi-Unternehmers (Tesla, SpaceX) Elon Musk, den Klimawandel durch die Aussiedelung von einer Million Menschen auf den Planten Mars bremsen zu wollen, nicht mehr als reine Utopie. Abgesehen von der mindestens in den nächsten gut 50 Jahren nicht durchführbaren technischen Realisierung und den dafür notwendigen immensen Kosten hätte es auf den Klimawandel keinerlei Auswirkungen, wenn die Menschheit nur um eine Million Menschen schrumpfen würde. Bei den Musk'schen Ideen erinnere ich mich an die Visionen des bekannten deutschstämmigen Raketeningenieurs und -Managers Wernher von Braun, der in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts bemannte Mars-Raumschiffe mit 70 Personen Besatzung beschrieb. Was heute, mehr als 70 Jahre später, tatsächlich realisiert wurde, ist die Internationale Raumstation ISS mit maximal 10 Personen Besatzung - die allerdings nicht auf dem lebensfeindlichen Mars steht, sondern auf einer 400 km hohen Bahn um die Erde kreist und seit ihrem Baubeginn im Jahr 1998 bis heute (2024) rund 150 Mrd. US-$ gekostet hat.
Der Weg der Emissionsreduzierung nur über eine geringere Weltbevölkerung ist langwierig und für viele Menschen sicherlich ethisch auch fragwürdig. Andererseits lassen die drohenden Klimawandelfolgen aus meiner Sicht kaum Alternativen zu. Eines ist klar: Lediglich mit der Bereitstellung der hohen Kosten für die Beseitigung der Folgen des Klimawandels, also ohne eigentliche Gegenmaßnahmen und deren Umsetzung und Kontrolle, ist der Menschheit nicht geholfen.
Deshalb muss endlich die emissionsstarke Energieerzeugung durch Kohle, Öl und Gas (incl. LNG) endgültig verlassen werden und die Wende hin zu regenerativer Energie und zur (grünen) Wasserstoffwirtschaft schnellstens erfolgen. Denn jedes weitere Jahr mit Betrieb von Kohle- und Gaskraftwerken und Öl- und Gasheizungen in unseren Wohnungen und Häusern bedeutet mehr Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele. Die von Politikern oft geäußerte Vorstellung, mit dem Beginn der wirksamen Maßnahmen noch ein oder zwei Jahre abzuwarten (z.B. bis der Krieg in der Ukraine beendet ist), ist nicht zielführend, weil es beim Klima auf die kumulativen Emissionen ankommt.
Energieerzeugung in Kernkraftwerken?
Zumindest die Forschung und die Entwicklung neuer sicherer, möglicherweise kleinerer und deshalb auch kostengünstigerer Atomkraftwerke (AKWs) muss mit Blick auf den Strombedarf kommender Generationen weitergehen. Zahlreiche Länder gehen diesen Weg bzw. haben AKWs bereits im Dauereinsatz. Beispielsweise baut China aktuell rund 50 neue Kernkraftwerke. Ganz anders in Deutschland, das am 15.4.2023 die letzten drei noch im verlängerten Betrieb befindlichen Kernkraftwerke abgeschaltet hat. 2012, ein Jahr nachdem der Atomausstieg beschlossen wurde, betrug der Anteil der Kernkraft an der deutschen Bruttostromerzeugung (= 622,8 Mrd. kWh gesamt) noch 16 %, 2022 (= 573,8 Mrd. kWh gesamt) immerhin noch 6 %. Über 60 Jahre lang haben deutsche Kernkraftwerke Strom erzeugt, zwischen 1961 und Ende 2021 insgesamt etwa 5.560 Mrd. kWh, wobei der Anteil der Kernenergie am Strommix über viele Jahre hinweg bei ungefähr einem Drittel (!) lag.
Der völlige Atomausstieg Deutschlands war und ist über die Parteien und alle Bevölkerungsschichten hinweg ein heiß umstrittenes Thema. Auch wenn hierzulande der Atomkraft die nahe Zukunft nicht gehören dürfte, sondern den erneuerbaren Energien und einer effizienteren Energienutzung, hätten die letzten drei AKWs zur Strom-Grundversorgung bzw. als Notreserve noch ein paar Jahre länger laufen können, um das Wasserstoffzeitalter besser vorbereiten zu können. Die politische Entscheidung in Deutschland, gleichzeitig aus der Atomkraft und der Kohleverstromung auszusteigen, war jedenfalls falsch, zumal der Krieg in der Ukraine wegen der ausgesetzten Gasimporte aus Russland zu einem nicht geplanten Weiterbetrieb der klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke und zu einem beschleunigten Bau von (zu !) vielen LNG-Terminals geführt hat. Allein die Stilllegung und der auf insgesamt 17 Jahre veranschlagte Abbau des bayerischen Kernkraftwerkes Isar 2 kostet dem Steuerzahler ungefähr 1 Mrd. €, Geld das nunmehr für den dringend benötigten Ausbau der Erneuerbaren fehlt.
Es stimmt: Kernkraftwerke sind im Betrieb teuer und wegen ihrer Risiken nicht versicherbar (sie sollten allerdings auch nicht in Erdbebengebieten errichtet werden - siehe die zweitgrößte Nuklearkatastrophe der Menschheit im japanischen Fukushima im März 2011 als Folge eines schweren Seebebens vor der Ostküste Japans und einem dadurch ausgelösten starken Tsunami). In erster Linie wird von Kernkraftgegnern der Sicherheitsaspekt angeführt. Doch ein gewisses Sicherheitsrisiko besteht noch weiterhin vor allem für die Grenzregionen, weil Deutschland nach dem Atomausstieg zur Deckung seiner Stromlücke vermehrt (teuren) Atomstrom aus den alten und zum Teil auch maroden AKWs der Nachbarländer nur kurz hinter der Grenze importieren muss. Andere Atomkraftgegner ebenso wie einige Klimaforscher erklären, dass der Betrieb von Atomkraftwerken schon deswegen ein Risiko darstellt, weil sie in heißen Sommermonaten infolge sinkender Pegel der Flüsse, aus dem das Kühlwasser entnommen wird, nicht mehr ausreichend gekühlt werden können. Doch in einer derartigen Situation lässt sich die AKW-Leistung rechtzeitig entsprechend reduzieren. Dieses Szenario ist in den Wintermonaten, wenn Strommangel herrscht weil PV-Anlagen nur wenig Strom erzeugen (zu wenig Sonnenstunden, Schneebedeckung der PV-Module), eher unwahrscheinlich. Denn im Winter sind die Flusspegel in der Regel wieder angestiegen. Außerdem könnten künftige neue AKWs vermehrt entlang der Küsten errichtet werden. Dort erhöht sich der Meeresspiegel durch die Erderwärmung, so dass kein Mangel an Kühlwasser besteht. Als Hauptnachteil der Atomkraftwerke bleibt allerdings die Notwendigkeit, die jeweils nach einigen Betriebsjahren auszutauschenden Brennelemente und den sonstigen radioaktiven Müll bis zur Endlagerung bzw. Weiterverarbeitung zwischenzulagern. In Deutschland existiert noch kein Endlager für radioaktive Abfälle. Doch auch bei Windkraftanlagen entsteht nach ihrer Betriebsdauer von 20 - 25 Jahren (20 Jahre lang erhalten die Betreiber staatliche Förderung) beim Rückbau ein Entsorgungsproblem: Zwar können bis zu 90 % einer Windkraftanklage recycelt werden, doch die Rotorblätter stellen bis heute ein Entsorgungsproblem dar. Schon im Jahr 2023 sind rund 20.000 t Rotorabfälle zu erwarten. Diese Zahl wird jährlich steigen, in den 2030er-Jahren auf bis zu 50.000 t jährlich. Zu erwarten ist freilich, dass mit dem Technikfortschritt auch Technologien zur Aufarbeitung ausgedienter Rotorblätter gefunden werden.
Ohne Kompromisse, auch die Energiepreise betreffend, wird es im künftigen Energiesektor nicht gehen. Trotz der Nachteile von Kernkraftwerken akzeptieren es inzwischen immer mehr Menschen, künftig wieder AKWs im Land zu haben. Denn nicht nur ich frage mich, wie grüner Strom den künftigen steigenden Bedarf (Stichwort: E-Autos, Wärmepumpen für Heizungen usw.) ohne Kernkraft decken kann, wenn zu wenige Windkraftwerke und PV-Anlagen betrieben werden und überdies Stromtrassen und leistungsfähige Großstromspeicher fehlen. Aus Klimaschutzgründen ist es jedenfalls nicht zu akzeptieren, dass, wie noch im Jahr 2022 rund 46 % des deutschen Stroms aus fossilen Energieträgern erzeugt wird (2012 waren es ca. 58 %). Im Jahr 2023 wird dieser Prozentsatz noch höher sein.
Atomkraftwerke könnten insbesondere dann emissionsfeien Strom liefern, wenn die Stromerzeugung durch die Photovoltaik und die Windkraft infolge der Wettereinflüsse reduziert ist. Sie würden so inmitten unserer Energie- und Klimakrise eine wichtige Aufgabe erfüllen.
Zusammenfassend sehe ich als Lösung des weltweiten Klimaproblems folgende vier Hauptmaßnahmen, die alle gleichzeitig durchzuführen sind:
Ambitionierte Schritte sind meiner Meinung nach angesichts der Klimaproblematik unerlässlich. Nochmals die Frage an die Leser dieses Kapitels: Wie schrecklich wären die Folgen für unsere Nachkommen in 50 oder 100 Jahren, wenn die Weltgemeinschaft jetzt nichts oder zu wenig gegen die Erderwärmung unternimmt? Alle Länder müssen in einer weitgehend CO2-freien Welt ihr Hauptziel sehen. Denn fällt nur einer der vier CO2- Hauptemittenten der Länder weg (China, USA, Indien, Russland; siehe Tabelle 4 in Kapitel 9 und Tabelle 10 in diesem Kapitel), wäre dieses Ziel trotz aller Anstrengungen der übrigen Nationen massiv gefährdet. Man sehe mir die folgende Prognose nach: Für die Menschen ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts gäbe es ansonsten ein böses Erwachen.
Online am 14. November 2022; erfolgte Aktualisierungen: 20.1.2023, 6.4.2023, 20.4.2023, 18.9.2023, 19.12.2023, 28.2.2024
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Kapitel 16: Wenn Kinder, Privatpersonen und Verbände Regierungen verklagen
Im letzten Hauptkapitel dieser Website soll nicht das Verhalten von Großkonzernen in der Klimaproblematik im Mittelpunkt stehen, sondern vor allem der berechtigte Protest (Bild 47) und die beispielgebende Vorgehensweise von Kindern, Jugendlichen, Privatpersonen und Institutionen bzw. Verbände vor Gericht gegen Klimasünder. Es geht dabei um die zugegebenermaßen schwierige Frage, ob Firmen und Konzerne, die große Mengen an CO2 und anderer Treibhausgase ausstoßen und damit die Erderwärmung mit verursachen und durch Unterlassung verstärken, für den daraus entstehenden Schaden aufkommen müssen und wie hoch dann die Entschädigungssumme ist. Die Schwierigkeit dabei ist, dass in jedem einzelnen Fall ausgeführt werden muss, dass ein Unternehmen für die Klimaschäden des oder der Kläger verantwortlich ist. Nicht selten steht dabei Aussage gegen Aussage, und so manches Gericht weist die Klagen auch ab. So geschehen z.B. Mitte Februar 2023 mit der Klage von Greenpeace gegen VW vor dem Landgericht Braunschweig (Greenpeace gibt aber nicht auf und wird bis vor den Bundesgerichtshof ziehen). Auch die Umweltklage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen BMW wegen massiv erhöhter CO2-Emissionen ihrer Autos wurde in erster Instanz abgewiesen; der Rechtsstreit geht nun vor dem Oberlandesgericht in München weiter. Eines steht aber fest: Rechtsstreitigkeiten spornen verurteilte Regierungen und Firmen an, ihre Klimamaßnahmen zu intensivieren. Auch wenn Klagen abgewiesen werden, wird die Öffentlichkeit für Klimafragen mehr wie bisher sensibilisiert. Allein schon die Ankündigung eines Klima-Gerichtsverfahrens gegen börsennotierte Unternehmen kann zu einem deutlichen Rückgang der Bewertung und der Aktienkurse der Unternehmen, also zu einem Reputationsschaden führen (Wong, 2024).
Weltweit gab und gibt es seit 1986 mit Stand von März 2024 über 2.300 weitere Rechtsverfahren (die allermeisten in den USA), oftmals gegen Regierungen von Staaten, vorwiegend jedoch gegen Unternehmen, z.B. in Deutschland außer gegen BMW auch gegen VW, Mercedes, Wintershall Dea und RWE. Beispiel: Die fünf größten internationalen börsennotierten Öl- und Gasunternehmen ExxonMobil, Shell, Chevron, BP und Total, haben noch in den ersten drei Jahren nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015 mehr als 1 Mrd. US-Dollar für falsche Berichte über den Klimawandel und in Lobbyarbeit ausgegeben, um die fossilen Brennstoffe auf dem Markt zu halten. Besonders drastisch war das Verhalten von ExxonMobil, das wider besseres Wissen agierte (siehe Kapitel 1). Die Firma gab viele Millionen US-Dollar für jahrelang geschaltete Imageanzeigen aus, die Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Klimaforscher säen sollten. Bis 2001 erschienen Woche für Woche große ExxonMobil-Anzeigen in der New York Times mit der Hauptaussage, dass menschgemachte Emissionen keine Rolle beim Klimawandel spielen. Zum Glück hatte dies ein Nachspiel, denn die damals schon 74-jährige New Yorker Generalstaatsanwältin Barbara Underwood verklagte ExxonMobil, weil der Konzern jahrzehntelang bewusst Anleger und die Öffentlichkeit vor den Gefahren des Klimawandels getäuscht hat. Spät, sehr spät, änderte das Unternehmen nach dem Wechsel seines Geschäftsführers im Jahr 2006 schließlich doch seine extern verbreitete „Klima-Philosophie“, strich Zuwendungen an fragwürdige klimaskeptische Denkfabriken, die gegen Honorar die Aussagen von ExxonMobil bestätigten, investierte in Ökoenergieprojekte und forderte - erstaunlicherweise - sogar eine CO2-Steuer (Latif, 2020; Otto, 2019).
Nur wenige Tage, nachdem Shell einen Rekordjahresgewinn von fast 40 Mrd. US-$ einfuhr, sieht sich das Unternehmen von Klagen und Vorwürfen überzogen, weil es nach Meinung der Kläger (Umweltrechtsorganisation Client Earth) die Klimarisiken zu wenig beachtet. In einem anderen Fall muss sich Shell vor der britischen Justiz verantworten. Nahezu 14.000 Nigerianer erheben vor dem High Court Klage gegen den Erdölmulti - mehrere Tausend Personen und 17 lokale Institutionen wie Kirchen und Schulen reichten gegen Shell Einzelklagen ein.
Voraussetzung für Klimaklagen: Anerkennung der Attributionsforschung
Die deutsche Klimaforscherin und Physikerin Friederike Otto, Direktorin des Environmental Change Institute der Universität Oxford, etablierte mit ihrem Team ab 2014 das neue Forschungsfeld Attribution Science (Attributionsforschung, Zuordnungswissenschaft). Dies war eine Revolution in der Klimawissenschaft. Es geht nämlich bei der Attributionsforschung vorrangig um gravierende Wetterphänomene und weniger um Klimaphysik. Das Team wertet Wetterdaten von Extremereignissen aus und vergleicht sie mit den Wettersimulationen seiner Computermodelle. So ist möglich, was Klimaskeptiker und Klimaleugner bis jetzt bestreiten, nämlich der Zusammenhang von Wettereignissen mit dem Klimawandel. Mit anderen Worten, die Zuordnungswissenschaft ermöglicht es, innerhalb einer Woche oder noch schneller, also fast in Echtzeit, den Anteil des menschgemachten Klimawandels an einer Wetterkatastrophe zu berechnen. Das Rechenverfahren kann aber auch damit enden, dass der Klimawandel an einem bestimmten Ereignis im Gegensatz zur ersten Vermutung überhaupt nicht beteiligt ist, also andere Ursachen hat. Die neuem Attributionsstudien können also tatsächlich mithelfen, Schuldige an einer Wetterkatastrophe zur Rechenschaft zu ziehen und sie gegebenenfalls auf die Anklagebank zu bringen.
Es sind noch weitergehende Aussagen möglich, die für Kommunen und Städte, Landkreise und Länder von großem Interesse sein können. So hat beispielsweise die Nachrechnung der Hitzewelle im Jahr 2013 in Argentinien ergeben, dass sie durch den Klimawandel fünf Mal wahrscheinlicher gemacht wurde, d.h. um 400 %. Mehr noch, die Zahlen konnten auf einzelne Staaten je nach deren Emissionen heruntergebrochen werden. Beispiel: Allein die USA und die EU haben durch ihre Emissionen die Wahrscheinlichkeit von argentinischen Hitzewellen um jeweils nahezu 30 % erhöht, und China um rund 20 %. Es folgen Indien, Indonesien, Brasilien, Japan und die übrigen Industrieländer, z.B. Australien (Otto, 2019).
Ein zweites Beispiel betrifft die extreme Dürre Anfang 2018 im südafrikanischen Kapstadt mit einem zu Ende gehenden Wasservorrat und gewaltigen Ernteausfällen. Die Zuordnungsrechnung für diese Region hat folgendes ergeben: Ohne den Klimawandel würde sich eine derartige Dürre nur etwa alle 300 Jahre wiederholen, aufgrund der gegenwärtigen Klimaveränderung hat sich die Wahrscheinlichkeit jedoch verdreifacht. D.h., die dortige Region muss jetzt alle 100 Jahre mit einer Katastrophe dieses Ausmaßes rechnen. Doch selbst die 100 Jahre sind noch keine Entwarnung, denn bereits ein einziges weiteres Grad Erderwärmung bedeutet, dass sich die Dürre in Kapstadt etwa alle 33 Jahre wiederholen wird.
Noch ein drittes Beispiel, die Hitzewelle Luzifer im Sommer 2017 im Mittelmeerraum. Ohne Klimawandel wäre sie extrem selten, heute, mit einer Erderwärmung um gegenwärtig + 1,1 bis 1,2 °C, würde sie sich fast jeden achten Sommer wiederholen, bei + 1,5 °C Erwärmung alle vier Jahre und bei + 3 °C, aus heutiger Sicht leider ein durchaus realistisches Szenario, sogar jedes Jahr mit immer höher werdender Intensität. Unerträgliche Hitzesommer wie der in 2017 wären dann für die Bevölkerung, Fauna und Flora regelrecht „willkommene Ausnahmen“ zur Erholung vor dem Hitzestress.
Zweifelsohne ist die Zuordnungswissenschaft für Gerichte im hohen Maße interessant. Denn sie macht es möglich, die „Klimaschuld“ von Ländern auf einzelne Städte und sogar auf konkrete Unternehmen herunterzurechnen. Dazu im Folgenden mehr.
Die Schuldfrage und zahlreiche Klima-Prozesse
Die Streitfrage: Wer trägt eigentlich am Klimawandel die Hauptschuld – die Menschen selbst, die Städte oder Kommunen, die Landkreise oder Firmen oder ganze Länder? Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind heute keine Seltenheit mehr. Egal welches Gericht Klimaanliegen behandelt, ob ein Menschenrechtsgericht, ein Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht, der Seegerichtshof in Hamburg oder ein Gericht für Wirtschaftsrecht, immer ist damit eine überaus schwierige Herausforderung an das Recht verbunden. Entsprechend lange laufen derartige Verfahren. Deshalb wäre die Einrichtung eines Spezialgerichtes für die Folgen des Klimawandels eine Notwendigkeit (Lorenzmeier, 2022). Im Folgenden können aus Platzmangel nur einige wenige interessante Klimaklagen und ihr Ausgang vor den Gerichten erwähnt werden.
Sicherlich noch in guter Erinnerung dürfte sein, dass vor einigen Jahren neun junge Menschen im Alter zwischen 15 und 32 Jahren mit Unterstützung der Nichtregierungs-Organisation
(NGO) Germanwatch die damalige Bundesregierung zu mehr Klimaschutz verklagten. Die Kläger sahen sich in ihren Grundrechten bedroht, weil sie es als nicht ausreichend ansahen, dass
die Bundesregierung die Treibhausgase bis 2030 nur um 55 % gegenüber dem Niveau von 1990 reduzieren wollte. Die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht war im Frühjahr 2021 teilweise
erfolgreich, denn die Bundesregierung wurde dazu verurteilt, ihre entsprechenden Gesetze nachzuschärfen. Die Begründung des Gerichts war, dass Deutschland nicht große Teile des
Treibhausgas-Budgets ohne Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen verbrauchen darf, weil ihnen dadurch eine extrem hohe CO2-Reduktionslast aufgebürdet würde. Von „umfassenden
Freiheitseinbußen“ war im Urteil der Richter die Rede. Da das daraufhin nachgebesserte deutsche Bundes-Klimagesetz (Reduktionsziel bis 2030 nunmehr 65 %, Erreichen der Klimaneutralität bis 2045
statt bisher 2050) aber nachweislich immer noch nicht ausreicht, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, klagt die Gruppe seit Oktober 2022 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
gegen die Bundesregierung. Ihre Forderungen: Massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, Einführung eines strikten Tempolimits sowie 25 Mrd. Euro für die energetische Sanierung von
Bestandsgebäuden. Diese Klage wird von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unterstützt.
Die DUH hatte außerdem Anfang September 2022 beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Klage gegen die Bundesregierung zur Durchführung eines gesetzeskonformen
Klimaschutz-Sofortprogrammes im Verkehrsbereich eingereicht. Hintergrund: Mit dem von FDB-Verkehrsminister Volker Wissing Mitte Juli 2022 vorgestellten Verkehrs-Maßnahmenpaket werden statt 271
Mio. t CO2 zwischen 2022 und 2030 zur Erfüllung der Klimaziele lediglich 13 Mio. t CO2 eingespart. Unter anderem fordern die Kläger ein Ende der staatlichen Förderung klimaschädlicher schwerer
Luxus-Dienstwagen. Ende November 2023 fällte das Gericht sein Urteil und gab der DUH recht. Die Richter verurteilten die Bundesregierung dazu, schnellstmöglich wirksame
Klimaschutz-Sofortprogramme für die Emissionssektoren Verkehr und Gebäude vorzulegen, um nicht noch länger gegen das Klimaschutzgesetz zu verstoßen. Dies bedeutet dass die Regierung schnellstens
wirksame Sofortprogramme ergreifen muss, vorrangig im Verkehrs-, aber auch im Gebäudesektor. In Diskussion ist dabei u.a. auch das von der DUH geforderte Tempolimit von 100 km/Std.
(Autobahn), 80 km/Std. (Landstraße) und 30 km/Std. (Regelgeschwindigkeit innerorts), durch das in Deutschland jährlich mehr als 11 Mio. t CO2 eingespart werden könnten. Die Bundesregierung hat
daraufhin ein "entkerntes" Klimaschutzgesetz erarbeitet. Während es im bisherigen Klimaschutzgesetz jährliche verbindliche Klimaziele für jeden einzelnen Emissionssektor gab, sieht das neue
Gesetz eine mehrjährige und sektorenübergreifende Gesamtbewertung des CO2-Ausstoßes vor, wovon vor allem der Verkehrssektor profitieren wird. Noch an dem Tag (15.7.2024), an dem Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier das "entkernte" Gesetz nach einer auffällig langen Prüfung endlich unterschrieb, reichte die DUH beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein, der sich
elf junge Menschen anschlossen; sie sehen sich durch die Gesetze der Bundesregierung ihre Freiheit bedroht (SPIEGEL Wissenschaft vom 16.7. und DUH vom 19.7.2024). Vorwurf der DUH: klarer
Verfassungsbruch (die Klimaschutzmaßnahmen werden weit in die Zukunft geschoben), Verwässerung der Klimaziele (z.B. Entfall der Nachbesserungspflicht bei Verfehlung der Klimaziele). Die
DUH war übrigens nicht die einzige Organisation mit einer Verfassungsbeschwerde: Auch Greenpeace und Germanwatch sowie der Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland (BUND) gemeinsam mit dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) reichten entsprechende Beschwerden gegen das neue Klimaschutzgesetz ein.
In einer weiteren Klage der DUH vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gab das Gericht im Juli 2024 der Klägerpartei in großen Teilen Recht. Es ging um den Vorwurf, dass das Luft-Reinhalteprogramm nicht den EU-Vorgaben entspreche und zu viele Schadstoffe (NOx, Ammoniak, Schwefel, Feinstaub), auch wenn sie keine Klimagase sind, ausstoße. Es geht auch um den sog. Landnutzungssektor (LULUCF), in dem die Klimaschutzlücke besonders groß ist: Im Jahr 2045 sollte dieser Sektor eigentlich 40 Mio. t CO2-Äquivalente speichern, Berechnungen zeigen jedoch, dass er dann noch immer eine CO2-Quelle ist und CO2 ausstoßen wird. Die DUH forderte deshalb eine vermehrte nasse Bewirtschaftung und Wiedervernässung von Mooren im Ausmaß von von mindestens 50.000 Hektar jährlich, mehr Unterstützung für die ökologische Landwirtschaft und eine Reduktion des Holzeinschlags in den Wäldern, vor allem ein Ende der Förderung der Holzverbrennung in Kraftwerken. Nachdem die zuständige Umweltministerin Steffi Lemke im September 2024 von einer Revision abgesehen und das Urteil somit akzeptiert hat, musss die Bundesregierung ihr Reinhaltegramm entsprechend nachbessern. Ein Katalog mit den entsprechenden Gegenmaßnahmen muss innerhalb von sechs Monaten verabschiedet werden, da sonst der Bundesregierung ein Zwangsvollstreckungsverfahren droht.
Unsere Gerichte sind jedenfalls durch die sich mehrenden Klimaklagen mehr als ausgelastet ...
Eine zweite DUH-Klimaklage gegen die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ging, ebenfalls im Mai 2024, zugunsten der DUH aus. Das
Gericht sah die Grundrechte von vielen hunderttausenden Kindern und Jugendlichen bedroht, bewertete die bestehenden Schutzprogramme der Bundesregierung quasi als rechtswidrig und stellte eine
offene Einsparungslücke bis 2030 von mindestens 200 Mio. t CO2 fest. Während in einem früheren Gerichtsverfahren der DUH im November 2023 vor dem Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg die Bundesregierung dazu verurteilt wurde, strengere Zielvorgaben zu verabschieden, allerdings ohne Nachweis einer Wirksamkeit, muss sie nunmehr laut Gerichtsentscheid konkrete
und nachprüfbar wirksame Maßnahmen mit in ihr Klimaschutzprogramm aufnehmen. Sie wurde vom Gericht verpflichtet, ihr Klimaschutzprogramm für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude,
Verkehr, Abfallwirtschaft und Sonstiges nachschärfen, um das nationale Klimaziel (65 % Treibhausgas-Minderung bis 2030) zu erreichen. Doch Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von
den Grünen hat gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Revision eingelegt, so dass das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren entscheiden muss. Es bleibt also
spannend. Bedauerlicherweise gehen durch die Rechtsstreitigkeiten viele Monate verloren, in denen keine verstärkten Klimaschutzmaßnahmen eingeleitet werden und greifen können.
Die DUH übte, verständlicherweise, heftige Kritik an der Weigerung von Robert Habeck, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zu akzeptieren und warf dem Minister vor, effektiven
Klimaschutz zu verhindern. Andererseits wurde er schon 2023 wegen seiner damaligen noch eindeutigen pro-Klimaschutz-Einstellung im Zusammenhang mit dem Gebäudeenergiegesetz 2020/2022/2023 heftig
kritisiert: Um den Treibhausgas-Ausstoß in Deutschland deutlich zu senken, sollte, so seine Absicht, schon ab Anfang 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 % mit Öko-Energie
betrieben werden, was das Ende für reine Öl- und Gasheizung bedeutet hätte. Obwohl eine derartige Maßnahme massiv zur CO2-Reduktion und damit zum Schutz des Klimas beitragen würde, vermischten
sich wieder einmal Fakten mit falschen Aussagen. Wirklich beanstandenswert war die dürftige Kommunikation zwischen Ministerium und der Bevölkerung. Die große Verunsicherung der Bürger führte zu
lautstarken Verbraucher-Protesten und schließlich zu einer Aufweichung des Gebäudeenergiegesetzes - mit entsprechender schwächerer Auswirkung auf den Klimaschutz. Ausgerechnet ein grüner Minister
muss sich also ankreiden lassen, mit zur Verfehlung der deutschen Klimaziele beizutragen. Seiner Partei hat das aufgeweichte Heizungsgesetz trotzdem nicht zu einer größeren Popularität geholfen,
ganz im Gegenteil (siehe die schlechten Ergebnisse der Grünen bei den drei Landtagswahlen im Jahr 2024). Eines muss jedem klar sein: Jede verschobene oder aufgeweichte Maßnahme zur Bekämpfung des
Klimawandels wird nach 2030 für die Bevölkerung, vor allem für die mit geringerem Einkommen, harte Konsequenzen haben, seien es Fahrverbote, noch höhere Energiepreise oder stark steigende
Preis für Mobilität und andere Konsumgüter, von Extremwetterereignissen aller Art in den nächsten zwei Jahrzehnten ganz zu schweigen.
Die Klagewelle geht weiter: Mitte September 2024 haben fünf Umweltverbände und über 50.000 Privatpersonen beim Bundesverfassungsgericht eine sog. "Zukunftsklage" gegen die völlig unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung eingereicht. Diese Verfassungsbeschwerde ist für Deutschland ein weiterer Meilenstein im international zunehmendem Trend, Regierungen und Energiekonzerne juristisch zur Verantwortung zu ziehen und durch die Gerichte Klimaschutz zu erzwingen. Die Deutsche Umwelthilfe DUH hatte bereits im Sommer 2024 angekündigt, gegen die aktualisierte Version des Nationalen Energie- und Klimaplans der Bundesregierung vorzugehen (siehe Kapitel 13). Ende Oktober 2024 machte sie die Ankündigung wahr und reichte eine (weitere) Klage beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gegen die Ampelregierung ein. Vorwurf: Mit den geplanten Maßnahmen werde Deutschland seine verpflichtenden EU-Klimaziele bis 2030 massiv verfehlen und verstoße damit gegen geltendes EU-Klimarecht. So werde beispielsweise der Verkehrssektor zwischen 2021 und 2030 rund 48 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e) zu viel ausstoßen, im Gebäudesektor werde die von der EU geforderte Sanierungsrate bei öffentlichen Gebäuden wie Kindergärten und Schulen von 3 % verfehlt. Außerdem fehle es dem Klimaplan an nachvollziehbaren Prognosen und ausreichend bestimmten Maßnahmen, was eine realistische Beurteilung der tatsächlichen Wirkung unmöglich mache (Solarserver, 1.11.2024).
Bereits 2022 hat der Bio-Bauer Ulf Allhoff-Cramer aus dem Kreis Lippe zusammen mit drei anderen Personen, unter anderem mit der Berliner Medizinstudentin Clara Mayer und mit Unterstützung von Greenpeace, den VW-Konzern verklagt. Erreicht werden soll, dass VW juristisch zum Klimaschutz verpflichtet wird. Allhoff-Cramer führt in der Klageschrift aus, dass sich seine Rinder nicht mehr wie früher vom Gras auf seinen Wiesen ernähren können, weil es dort zu schnell verdorrt. Der Zukauf von Futter bringe seinen Hof aber an den Rand des Ruins, weil auch sein Wald wegen des durch die Erderwärmung massiver gewordenen Borkenkäferbefalls kaum noch Ertrag bringt.
Schon etwas länger zurück liegt ein Gerichtsurteil in Kolumbien, das damals einer Sensation gleichkam. Eine Gruppe von 25 Kindern und Jugendlichen, zwischen sieben und 26 Jahren alt, hatte beim obersten Gerichtshof Kolumbiens gegen den kolumbianischen Staat wegen Untätigkeit im Kampf gegen den Klimawandel geklagt. Es ging vor allem um die Zerstörung des Regenwaldes durch Abholzung (Bild 48). Kaum jemand rechnete mit einem Erfolg, schon gleich gar nicht vor einem Gericht in Südamerika, doch es gab den Klägern überraschenderweise Recht. Die Regierung wurde angewiesen, innerhalb von vier Monaten einen Aktionsplan zur Begrenzung der Abholung auszuarbeiten und diesen dann auch umzusetzen.
Im März 2020 hatte eine Gruppe heute fünf- bis 22-jähriger Klimaaktivisten, vertreten durch die US-Organisation "Our Children's Trust", die zuständigen Behörden des US-Bundesstaates Montana verklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, bei der Genehmigung von Öl- und Gasprozessen nicht ausreichend genug die Folgen der dabei auftretenden Treibhausgase berücksichtig zu haben. Im August 2023 hatten die Jugendlichen Recht bekommen, die historisch erste erfolgreiche Klimaklage in den USA, die Präzedenzwirkung auf Klimaklagen in weiteren US-Bundesstaaten haben könnte. Revision ist im Montana-Fall noch möglich.
Diese Verfahren sind keine Einzelfälle (Wong, 2024). Es gibt im In- und Ausland zahlreiche noch laufende und bereits durch gefällte Urteile abgeschlossene Gerichtsverfahren, in denen Privatpersonen oder Kinder als Kläger auftraten (Letztere vertreten durch Erwachsene oder eine NGO-Institution). So hatte beispielsweise 2018 in Indien eine Neunjährige von der indischen Regierung auf dem Klageweg verlangt, künftig weniger Klimagase auszustoßen und sich an das Pariser Klimaabkommen zu halten. Begründung des Mädchens: Es sind die Kinder von heute, die einmal unter den heutigen Klimaschutz-Versäumnissen der Regierung zu leiden haben.
Sechs junge Portugiesen im Alter zwischen 11 und 24 Jahren klagten Ende September 2023 mit Unterstützung einer britischen Menschenrechts-Organisation vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dem Gericht des Europarates, gegen ihr Heimatland und gleichzeitig gegen 32 weitere Staaten des Europarats, darunter auch Deutschland. Die Gruppe warf den Ländern vor, sich nicht oder nicht ausreichend an das Pariser Klimaabkommen zu halten und damit ihre Zukunft zu gefährden. Wie ernst der Prozess von den beklagten Ländern genommen wurde, zeigte sich daran, dass diese sich von über 80 Anwälten vertreten ließen. Die Klage scheiterte jedoch im Frühjahr 2024 aus formalen Gründen; Das Gericht warf den Klägern vor, dass sie es versäumt hätten, zunächst alle innerstaatlichen Rechtsmittel auszuschöpfen bevor sie vor das höchste europäische Gericht zogen. Es sah es außerdem als unzulässig an, dass die portugiesischen Jugendlichen nicht nur ihr Heimatland, sondern weitere Länder verklagten.
Ebenfalls in 2023 musste sich der EGMR) mit einem zweiten Klima-Fall befassen. Es ging dabei um die Frage, ob es gegen das Menschenrecht verstößt, wenn Regierungen nicht ausreichende Maßnahmen gegen die Erderwärmung ergreifen. Der Verein der Schweizer Klimaseniorinnen hatte in Straßburg mit Unterstützung durch Greenpeace Beschwerde gegen die Schweizer Regierung eingereicht. Begründung: Der Klimawandel bedrohe sie besonders stark und sei unzureichend und menschenrechtsverletzend; die Risiken, durch die häufigeren und intensiver werdenden Hitzewellen frühzeitig krank zu werden oder gar zu sterben, steigen für sie übermäßig an. Für viele Prozessbeobachter überraschend gab das EGMR dann Mitte April 2024 den Klägerinnen Recht, weil gegen einen Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Achtung des Privat- und Familienlebens und der Wohnung verstoßen wurde. Zum ersten Mal entschied der EGMR, dass ein Staat, in diesem Fall die Schweiz, es versäumt hat, angemessen auf die von Menschen verursachte Klimakrise zu reagieren. Es ist zu erwarten, dass das Urteil gegen die Eidgenossenschaft, das nicht mehr angefochten werden kann, auf viele weitere Länder ausstrahlen und dass es letztendlich zu einer Verschärfung von Umweltgesetzen kommen wird.
Interessant ist auch ein Gerichtsurteil des Amtsgerichts Flensburg aus dem Jahr 2022. Es sprach einen Klimaaktivisten frei, der als Baumbesetzer auf einer Baustelle eines Hotels zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 wegen Hausfriedensbruchs angeklagt war. Die Flensburger Richterin bestätigte zwar den Hausfriedensbruch, sprach den Baumbesetzer aber trotzdem frei, weil der Klimaschutz als Rechtsgut wesentlich überwiegt. Für viele Prozessbeobachter überraschend gab das EGMR den Klägerinnen Recht
Der kleine pazifische Inselstaat Vanuatu hatte jahrelang darauf hingearbeitet, dass der Internationale Gerichtshof den Klimakampf bewertet. Unlängst haben die Vereinten Nationen eine Resolution beschlossen: Das Höchste Gericht wird nun prüfen, ob staatliches Handeln ausreicht, um den Klimawandel abzubremsen. Damit könnte der Druck auf Regierungen steigen.
Ein bemerkenswerter Gerichtsfall ist der des mutigen peruanischen Anden-Bauern und Bergführers Saul Luciano Lliuya, der am Rand der Stadt Huarez in einem Bergdorf in den Anden lebt. Etwa 1.000 m über Huarez liegt der Gletschersee Palcacocha (Bild 49), der trotz eines provisorischen Abpumpsystems durch die stark abschmelzenden Gletscher der Umgebung überzulaufen droht und dann den Hof von Lliuya wegspülen und viele Anwesen in Huarez beschädigen würde. Dass dies durchaus keine übertriebene Panikmache ist, erkennt man daran, dass bereits 1941 riesiger Gletscherbrocken in den See gestürzt war. Durch die dabei entstandene gewaltige Flutwelle kamen 1.800 Menschen ums Leben. Seit etwa 1970 hat das Volumen des Palcacocha um das 34-Fache zugenommen, seit dem Jahr 2003 um das Vierfache.
So reichte der Kleinbauer im November 2015 mit Unterstützung von Germanwatch und der deutschen Stiftung Zukunftsfähigkeit Klage am Landgericht Essen gegen den Essener Energiekonzern RWE ein, weil RWE mit seinen Emissionen mit dazu beiträgt, dass die Anden-Gletscher abschmelzen. Das Gericht stufte den Fall als „Rechtssache von gründlicher Bedeutung“ ein, fällte aber ein Jahr später in erster Instanz ein abschlägiges Urteil. Lliuya und Germanwatch legten daraufhin Ende Januar 2017 Berufung beim Oberlandesgericht Hamm ein, das sich Ende November 2017 für den Eintritt in die Beweisaufnahme entschied. Die Zuordnungswissenschaft hat aufgezeigt, dass RWE für etwa 0,5 % aller weltweiten Treibhausgase verantwortlich ist, ein äußerst geringer Anteil. Demzufolge müsse der Konzern, so die Klägerseite, auch 0,5 % der Kosten für die erforderlichen Baumaßnahmen am See übernehmen, mit denen sich die Stadt Huarez vor möglichen Überschwemmungen schützen muss. Der Betrag, um den es geht: lächerlich geringe 17.000 Euro (Otto, 2019). Doch die Gefahr, dass eine Verurteilung von RWE unzählige ähnlich Präzedenzfälle, bei denen es um weitaus höhere Schadenssummen geht, auslöst, ist enorm groß. Bemerkenswert jedenfalls ist, dass zum ersten Mal ein Gericht feststellte, das ein privates Unternehmen mit sehr hohem Treibhausgas-Ausstoß für den Schutz von Betroffenen vor mitverursachten Klimarisiken entsprechend dem Anteil an der Verursachung zur Verantwortung gezogen werden kann.
Kein Wunder, dass sich das OLG Hamm enorm schwertut und dass sich das Verfahren nach einer Corona-Pause Jahr um Jahr verzögert. Dennoch gab es auch Fortschritte: Im Februar 2021 zeigten Wissenschaftler der Universitäten in Oxford und in Washington anhand von Klimamodellen auf, dass die Gletscherschmelze am Palcacocha über dem Grundstück von Lliuya zu mindestens 85 % auf den menschgemachten Klimawandel zurückzuführen ist. Für das Gericht war das eine wesentliche Aussage zum Verfahren, so dass im Sommer 2022 ein gerichtlicher Ortsbesuch in Huarez und am Gletschersee folgen konnte. Teilnehmer in Peru waren Richter des OLG Hamm, Rechtsbeistände, Sachverständige und Vertreter von Germanwatch sowie Lluiya selbst. Etwa ein Jahr nach diesem gerichtlichen Ortstermin lag ein über 200-seitiges Gutachten des Klägers über das Flutrisiko für dessen Grundstück vor, das voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024 in einer mündlichen Verhandlung vor dem OLG Hamm erörtert wird. Das weitere Verfahren und das Urteil selbst kann also noch dauern…
Ein ähnlicher Gerichtsfall spielt sich derzeit auf der indonesischen Insel Pari ab, wo der dortige Zementhersteller Holcim mit fossilen Brennstoffen (und den daraus folgenden CO2-Emissionen) sein Geld verdient. Nach wissenschaftlich fundierten unabhängigen Berechnungen ist das Unternehmen für 0,42 % der gesamten CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung (1850-1900) verantwortlich. Vier Bewohner der Insel haben Ende Januar 2023 Klage vor Gericht eingereicht und verlangen von Holcim 0,42 % der ihnen entstandenen Kosten für Schäden und Schutzmaßnahmen sowie eine Entschädigung für ihre psychischen Probleme, weil die Insel immer mehr im Meer versinkt. Auch hier ist die Schadenssumme (14.700 Schweizer Franken) äußerst gering (SZ Klimafreitag, 3.2.2023). Sollte der Zementriese verurteilt werden und zahlen, was für ihn als Milliardenkonzern ein Leichtes wäre, könnten zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle folgen.
Abschließend noch ein Beispiel, wie sich durch den Klimawandel in ihrer Existenz gefährdete Inseln wehren. Der pazifische Inselstaat Vanuatu mit seinen ungefähr 320.000 Einwohnern will im Kampf für mehr Klimaschutz den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen (IGH) in Den Haag anrufen. Auch Australien schloss sich dem Gesuch Vanuatus an. Mittlerweile stehen fast 100 Länder, auch Deutschland, hinter dem Vorhaben. Dies ist wichtig, weil Vanuatu für sein Anliegen vor dem IGH die Zustimmung der UN-Vollversammlung benötigt. Auch andere Inselstaaten, wie Antigua, Tuvalu oder Barbuda äußern immer wieder lautstark Kritik daran, dass die derzeitigen Klimaanstrengungen ungenügend sind und Abkommen und Resolutionen nicht eingehalten werden.
Online am 10. Dezember 2022; erfolgte Aktualisierungen: 28.1.2023, 21.2.2023, 2.4.2023, 18.8.2023, 23.9.2023, 2.12.2023, 22.4.2024, 24.7.2024, 17.9.2024
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